Tradition, Rituale

Isabella

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Johann Wolfgang Goethe: Bemerkungen zur Tradition
Tradition als schweres Erbe

Es erben sich Gesetz' und Rechte
Wie eine ew'ge Krankheit fort,
Sie schleppen von Geschlecht sich zum Geschlechte
Und rücken sacht von Ort zu Ort.
Vernunft wird Unsinn, Wohltat Plage;
Weh dir, daß du ein Enkel bist!
Vom Rechte, das mit uns geboren ist,
Von dem ist leider! nie die Frage.
Ich hoffe es ist anregend genug. Ich bin nämlich ziemlich müde. Spätestens morgen werde ich aber noch etwas zu diesem Thema schreiben, wenn es Euch genehm ist.
 
Was Rituale und Tradition sind, wissen wir wohl alle (oder?), aber wer hat's erfunden? Warum werden so viele irrsinige Rituale weiterhin "verübt"? Wer kennt interessante Beispiele für Traditionen aus aller Welt und Zeit?
 
http://de.wikipedia.org/wiki/Seppuku
Seppuku
Die folgende Geschichte spielte sich im Jahre 1701 und 1702 ab. Asano, der Herr der 47 Samurai, ist von Shogun aufgefordert worden einen Selbstmord zu begehen. Der einzige Grund dafür ist ein Schwertduell mit leichteren Blessuren nach einer überhitzten Auseinandersetzung. Der eigentliche "Verursacher" Kira, der das Duell provoziert hat, kommt ungestraft davon. Asano dagegen wird von Shogun gezwungen sich umzubringen. Die 47 Ronin (herrenlose Samurai) schwören, sich für den Tod des Asano zu rächen. Sie überfallen Kira und enthaupten ihn mit dem Schwert, das für das Seppuku ihres Herrn verwendet worden ist. Nach dieser Tat werden sie alle verhaftet und zu Seppuku verurteilt.
Ps.: Ich bin mir nicht sicher, ob diese Geschichte wirklich wahr ist.
 
Lescek Kolakowski: Tradition und Revolte

"Es gibt zwei Umstände, deren wir uns immer gleichzeitig erinnern sollen: Erstens, hätten nicht die neuen generationen unaufhörlich gegen die ererbte Tradition revoltiert, würden wir noch heute in Höhlen leben; zweitens, wenn die Revolte gegen die ererbte Tradition einmal universell würde, werden wir uns wieder in den Höhlen befinden. Der Kult der Tradition und der Widerstand gegen die Tradition sind gleichermaßen unentbehrlich für das gesellschaftliche leben; eine Gesellschaft, in der der Kult der Tradition allmächtig wird, ist zur Stagnation verurteilt; eine gesellschaft, in der die Revolte gegen die Tradition universell wird, ist zur Vernichtung verurteilt. Die Gesellschaften produzierten immer sowohl den geist des Konservativismus wie den geist der Revolte; beide sind nötig, können aber immer nur im konflikt, nie in einer Synthese, koexistieren."
Ich versuch es noch ein mal... Welche Traditionen sind nun zu Recht Abgeschafft worden, welche nicht? Welche Traditionen wollt ihr für die nächste Generation am Leben erhalten? Und welche Traditionen werden von Euch gepflegt? Sind Rituale so selbstverständlich oder so unwichtig dass keiner dazu Meinung äussert?
 
z. B. Weihnachten

Welche Traditionen wollt ihr für die nächste Generation am Leben erhalten? Und welche Traditionen werden von Euch gepflegt? Sind Rituale so selbstverständlich oder so unwichtig dass keiner dazu Meinung äussert?

Hallo Isabella,
vielleicht wurde nicht so recht klar worum es dir geht. Das Goethe Zitat in # 1 ist interessant, aber #3 verstehe ich überhaupt nicht.
Wofür suchst du nach Beispielen für Rituale, die aufgegeben werden sollten?

Wie ist es zum Beispiel mit der katholischen Beichte? Da ich Prostestant bin, pflege ich sie nicht; aber ich glaube, sie ist nicht mehr so bedeutend wie früher.

Aber vor allem finde ich, daß man Weihnachten abschaffen sollte; ich feiere es seit Jahren nicht mehr. Allerdings hat das nicht viel Chancen angesichts der Renaissance des Christentums seit dem 11. September 2001, der sich anachronistisch anmutend im Katholizismus durch den neuen Papstkult vor allem auch in Deutschland dann seit der Wahl des fundamentalistisch eingestellten "Benediktiner" Ratzinger eingestellt hat. Außerdem würden dem Arbeitnehmer und den Prolethariern dann die freien Feiertage fehlen. Die Wirtschaft braucht die Einnahme des Geschenkeverkaufs...

Weihnachten ist irgendwie ein albernes Fest, wenn ich in den Schaufenster oder sonstwo die Krippenszenen dargstellt finde, und sogar schon ab September die Weihnachtsmänner im Laden zu kaufen sind. Vor allem daß man Kindern erzählt, daß es auch tatsächlich einen Weihnachtsmann gibt - ein pädagogischer Betrug, der selbstverständlich ist und damit begründet wird: "In meiner Kindheit habe ich auch gerne an den Weihnachtsmann geglaubt" - Immerhin haben meine Eltern mir nicht von einer Zahnfee erzählt - oh, von Thema weg.
Aber es wäre noch nicht viel geholfen, man sollte gleich das Christentum mit abschaffen.

Wenn man sich nicht beschneiden lassen müßte, würde ich zum Judentum übertreten, zumindest würde ich es dann wohl ernsthaft erwägen, schließlich war Jeshua, genannt Christus, auch einer.

Ich würde mich aber nicht dagegen streuben, hier z. B. über die Entstehung von Weihnachten zu lesen, denn wie es wirklich entstanden ist, habe ich bisher noch nicht verstanden. Ein Geburtsdatum von Jeshua, Sohn Josefs und der Maria, gibt es ja gar nicht und das erste christliche Fest war wahrscheinlich die sogar wohl wöchentliche Feier der Auferstehung - das hatte ich kürzlich in Welt der Bibel gelesen. Aber das Datum der Weihnachtsfeier am 24. Dez. hängt ja eher mit dem Mithraskult zusammen.

Kannst du damit was anfangen?
 
Zuletzt bearbeitet:
Aufgespasst, ich halte es für nicht Sinn der Sache, hier den Pabst oder das heutige Christentum zu diskutieren; das bringt uns von Hölzchen
auf Stöckchen.

Isabella fragte nach der Genese von Ritualen und Traditionen, das ist etwas viel allgemeineres. Ich denke, dass das mit Erziehung und dem natürlichen Streben von Lebewesen nach Überschaubarkeit und Verständlichkeit ihrer Lebenswelten zu tun hat; ein Mensch findet es gut, wenn er regelmäßige ausreichende Mahlzeiten vorgesetzt bekommt, ein Hund möchte gerne zu bestimmten Zeiten Gassi geführt werden, Wildgänse haben Lust auf regelmäßige Fernflüge in wärmere bzw. heimatliche Regionen, und auch Lachse suchen sich nicht jedes Jahr neue Flüsse zu drin laichen. Wir alle (Menschen, Hunde, Lachse etc.) erkennen das, was wir verstehen, und wir verstehen etwas, weil es in eine Kategorie passt. Das trifft auch für die scheinbaren Grenzüberschreiter zu: Siedler in den USA nannten ihre Städe "Neu Braunsfeld" u. ä., sie suchten keinen absoluten Neuanfang, sondern eine neue Heimat.

Wir lernen Rituale in der Kindheit: um 20.00 geht's ab ins Bett, wer brav war bekommt was vorgelesen, so konnotieren wir die Liebe unserer Eltern mit dem Hang zur Ordnung. Diese Ordnung ist überlebenswichtig: vor gar nicht allzu langer Zeit war das Befolgen der elterlichen Ordnung überlebenswichtig in einer Umwelt, die (Kinder)Leben nicht unbedingt hoch achtete. Völker mit höher kategorisierten Ordnungsprinzipien erwiesen sich als mächtiger als andere: deshalb wurde bei den Römern "Virtus" so hoch geachtet, "Tugend", was ja nichts anderes bedeutet als das Verhaftetsein einem Formelkatalog von "Dos and Dont's" gegenüber (von denen übrigens "Pietas" sowohl "Frömmigkeit" als auch "Pflichterfüllung" bedeutet). Selbstverständlich, dass dieses Verhaftetsein den Traditionen gegenüber nur so lange Erfolg hat, wie das Spielfeld diesem Verhaftetsein Erfolg einräumt: wenn sich eine ganze Familie der Fabier im Kampf gegen die Etrusker selbst opfert (und sinnlos obendrein), geben sie zwar ein gutes Beispiel für "Tapferkeit", aber auch für "Ende der Fahnenstange" ab; unwillkürlich müssen sich die anderen Familien denken, dass sie lieber überleben möchten. Wenn eine überstrenge Tradition bestimmten Völkern Afrikas das grauenhafte Beschneiden von Frauen vorschreibt, dann müssen sie angesichts einer in ihre soziale Abgeschlossenheit eingedrungenen Welt heute erkennen, dass man mit der Unterdrückung der weiblichen Bevölkerung gut und gerne die Hälfte des Potentials der Gemeinschaft wegschmeisst, ohne dass die andere Hälfte dem Rest der Welt sonderlich überlegen wäre.

Wie gesagt, es führt von Hölzchen aufs Stöckchen, jetzt jeden Feiertag und jeden Zipfel an Benedikts Mütze auf den Mithras, den Mithras auf die Baalim, die Baalim auf den großen granitenen Monolithen zurückzuführen, der eines Tages vor der Höhle der Menschenaffen erschien. Religion ist - da mag man noch so aufgeklärt sein - die Wiege der Wissenschaft, schließlich führte das Nachsinnen über die Absichten und Wege der Götter zu Naturbeobachtung und Kategorisierung.

Was Feste anbelangt, so liebt die Menschheit es einfach mehr als alles andere, es sich gut gehen zu lassen … und ein schönes Fest alle Vierteljahre (und eines im Jahr ganz besonders groß) ist immer ein guter Anlass, den Wein wegzutrinken bevor er schlecht wird, die Nachbarn zu besuchen, den Genpool durchzuschütteln und den Kleinen eine Freude zu machen.
 
vielleicht wurde nicht so recht klar worum es dir geht. Das Goethe Zitat in # 1 ist interessant, aber #3 verstehe ich überhaupt nicht.
Wofür suchst du nach Beispielen für Rituale, die aufgegeben werden sollten?
#3 Ist ein Beispiel für ein Ritual aus Japan, das ich im Internet gefunden habe. Ich finde es schon grausam und habe mich gefragt wer auf so eine Idee überhaupt kommt. So weit ist es, glaube ich, klar. Ich suche nach interessanten Beispielen für Rituale überhaupt (nicht nur für die, die abgeschafft werden sollten). Außerdem würde ich gerne wissen, welchen Wert die Traditionen in heutiger Zeit haben. Wir haben in diesem Forum bestimmt mehrere Nationalitäten vertreten, die verschiedene Rituale und Traditionen pflegen, kennen usw.
Ich möchte hier das Thema nicht zu sehr "spezialisieren", sondern mehr Freiraum lassen für diejenigen, die dazu was sagen möchten. Es können also bloß Geschichten sein, die wir dann vielleicht gemeinsam überprüfen könnten, oder Eure Sicht und Euer Traditionsbewusstsein...
 
Hallo Isabella,
vielleicht wurde nicht so recht klar worum es dir geht. Das Goethe Zitat in # 1 ist interessant, aber #3 verstehe ich überhaupt nicht.
Wofür suchst du nach Beispielen für Rituale, die aufgegeben werden sollten?

Wie ist es zum Beispiel mit der katholischen Beichte? Da ich Prostestant bin, pflege ich sie nicht; aber ich glaube, sie ist nicht mehr so bedeutend wie früher.

Aber vor allem finde ich, daß man Weihnachten abschaffen sollte; ich feiere es seit Jahren nicht mehr. Allerdings hat das nicht viel Chancen angesichts der Renaissance des Christentums seit dem 11. September 2001, der sich anachronistisch anmutend im Katholizismus durch den neuen Papstkult vor allem auch in Deutschland dann seit der Wahl des fundamentalistisch eingestellten "Benediktiner" Ratzinger eingestellt hat. Außerdem würden dem Arbeitnehmer und den Prolethariern dann die freien Feiertage fehlen. Die Wirtschaft braucht die Einnahme des Geschenkeverkaufs...

Weihnachten ist irgendwie ein albernes Fest, wenn ich in den Schaufenster oder sonstwo die Krippenszenen dargstellt finde, und sogar schon ab September die Weihnachtsmänner im Laden zu kaufen sind. Vor allem daß man Kindern erzählt, daß es auch tatsächlich einen Weihnachtsmann gibt - ein pädagogischer Betrug, der selbstverständlich ist und damit begründet wird: "In meiner Kindheit habe ich auch gerne an den Weihnachtsmann geglaubt" - Immerhin haben meine Eltern mir nicht von einer Zahnfee erzählt - oh, von Thema weg.
Aber es wäre noch nicht viel geholfen, man sollte gleich das Christentum mit abschaffen.

Wenn man sich nicht beschneiden lassen müßte, würde ich zum Judentum übertreten, zumindest würde ich es dann wohl ernsthaft erwägen, schließlich war Jeshua, genannt Christus, auch einer.

Ich würde mich aber nicht dagegen streuben, hier z. B. über die Entstehung von Weihnachten zu lesen, denn wie es wirklich entstanden ist, habe ich bisher noch nicht verstanden. Ein Geburtsdatum von Jeshua, Sohn Josefs und der Maria, gibt es ja gar nicht und das erste christliche Fest war wahrscheinlich die sogar wohl wöchentliche Feier der Auferstehung - das hatte ich kürzlich in Welt der Bibel gelesen. Aber das Datum der Weihnachtsfeier am 24. Dez. hängt ja eher mit dem Mithraskult zusammen.

Kannst du damit was anfangen?

Es tut mir leid, wenn ich mit einer meiner Bemerkungen jemandem nahe getreten bin. Allerdings ist mir nicht ganz klar, auf welche sich die Verwarnung, die ich mir eingehandelt habe genau bezieht.
Mutmaßlich wohl um die Forderung der Abschaffung des Christentums?
Ich habe wohl die Konsequenzen, daß sich jemand dadurch verletzt fühlen könnte, nicht bedacht und es ist überhaupt sehr dumm, mich so auszudrücken. Ich meine das letztendlich nicht wirklich ernst und gebe zu, daß man so etwas dann gar nicht erst schreiben sollte. Ist es auch eine Beleidigung gewesen, daß ich vom "anachronistisch anmutenenden Katholizismus" sprach? Jedenfalls entschuldige mich mich vorsichtshalber auch dafür. Wenn es noch andere Beleidungen in meinem Beitrag gibt, bitte ich darum, mich darauf hinzuweisen.
 
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