Tratschen miteinander über unseren "Wurzeln"

Meine gesamte Familie stammt aus dem Westen. Wir hatten keine Verwandtschaft in der DDR, und für mich war sie bis 1989 tatsächlich ein weit fremderes Land als England oder Frankreich. Meine einzige „Live“-Erfahrung mit dem Realsozialismus war eine Kursfahrt mit der Schule nach Prag 1987. Unsere tschechische Fremdenführerin sprach bemerkenswert offen über politische Fragen, überhaupt war es völlig offensichtlich, dass niemand auch nur den Anschein erweckte, die offiziellen Parolen noch ernst zu nehmen. Damals stand der 70. Jahrestag der Oktoberrevolution bevor, es gab allerhand Propagandakitsch in den Zeitschriftenläden zu erstehen. Als Souvenir kauften wir einige Postkarten und Plakate mit Leninkonterfeis und Hammer-und-Sichel-Motiven ein; die Verkäuferin lachte laut, als wir die Sachen bezahlen wollten. Es war ihr offenbar unbegreiflich, warum jemand dafür Geld ausgeben konnte.

Der offizielle Umtauschkurs von DM zu Kronen betrug 1:4. Bei Schwarzhändlern auf der Straße bekam man 1:12. Wegen des Zwangsumtausches musste aber eine gewisse Summe offiziell gewechselt werden. Als wir einem Polizisten mit Händen und Füßen gestikulierend klar machten, dass wir auf der Suche nach einer Bank zum Geldumtausch waren, schüttelte er nur lachend den Kopf und bot uns seinerseits 1:12 an. Wegen unserer Kleidung waren wir meist als Westler erkennbar und wurden regelmäßig in U-Bahnen und Bussen um Zigaretten angeschnorrt. Nachdem wir die einheimischen Kippen Marke „Sparta“ probiert hatten, wussten wir, warum.

Als die Mauer fiel, leistete ich meinen Zivildienst bei der Johanniter-Unfall-Hilfe. Auf einem ehemaligen Klinikgelände außerhalb der Stadt wurde ein Auffanglager für DDR-Übersiedler eingerichtet. Wir betrieben dort eine Sanitätsstation. In den ersten Wochen war die Hilfsbereitschaft der örtlichen Bevölkerung noch groß, bei uns türmten sich Spielsachen und Kleidung, die für die Übersiedler gespendet worden waren. Ich fuhr mit einem Kleinbus Kranke zu Ärzten und Kliniken, im Taumel der Maueröffnung boten Ärzte damals noch kostenlose Behandlung für DDR-Bürger an. Nach einigen Wochen fragten sie dann aber schon nach, wie das mit den Behandlungskosten geregelt werde.

Auch im Lager selbst gab es mit zunehmender Belegung Probleme. Bald kam es zu ersten Fällen von Lagerkoller, Schlägereien unter Betrunkenen. In Zimmern, die mit jungen Männern belegt waren, schmissen die Bewohner ihr Begrüßungsgeld zusammen, kauften sich einen Videorekorder und verbrachten die meiste Zeit damit, Pornos zu gucken und Bier zu saufen. Immer wieder erschienen Männer auf unserer Sanitätsstation und klagten über Kopfschmerzen. Bald begriffen wir, dass sie auf diese Weise nur an Aspirin kommen wollten, was in Verbindung mit Alkohol richtig gut dröhnte. An die üblichen Verdächtigen gaben wir deshalb nur noch Placebos aus. Eine psychisch kranke Frau versuchte sich aus einem Fenster zu stürzen und wurde in die Psychiatrie zwangseingewiesen, wogegen sie sich schreiend und um sich schlagend wehrte. Besoffene kurvten mit einem Trabbi in den See vor dem Lager.

Als nach der Währungs- Wirtschafts- und Sozialunion am 1. Juli 1990 keine DDR-Übersiedler mehr aufgenommen wurden, zogen Aussiedler aus Osteuropa in das Lager ein. Besonders gern half ich beim Ausfüllen der Behördenanträge, weil ich dabei viele faszinierende Geschichten über den Familienhintergrund der Antragsteller erfahren konnte. Eine ältere Frau aus der Sowjetunion begann während unseres Gespräches plötzlich bitterlich zu weinen. Wegen meiner Sanitäteruniform hielt sie mich scheinbar für eine Art Milizbeamten. Sie konnte nicht begreifen, dass ein „Offizieller“ ganz normal und freundlich mit ihr sprach. Wenn sie in der Sowjetunion bei Behörden vorstellig werden musste, so erklärte sie, wurde sie wegen ihrer deutschen Abstammung stets schikaniert, gedemütigt und nicht selten als „verfluchte Faschistin“ beschimpft.

Schließlich wurde das Lager zu einer Unterkunft für Asylberwerber aus aller Welt. Ich hatte mittlerweile meinen Zivildienst beendet, jobbte noch einige Monate dort und ging dann zum Studium ins Ausland. Die Flüchtlinge, mit denen ich in dieser Zeit zu tun hatte, konfrontierten mich noch einmal mit einer ganz neuen Qualität des Elends. Trotzdem, ich möchte keinen Tag dort missen.
 
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Ich glaube das hat viele Westdeutsche unserer Generation stark beschäftigt: Die Frage "wie hältst du es mit dem Kriegs/Wehrdienst". Ich habe 1987 Abitur gemacht, und zu dieser Zeit besaß man zumindest schon einige Erfahrungen mit Kriegsdienstverweigerern. Nachdem Kriegsdienstverweigerung sonst nur über Desertion möglich war, nahm die BRD die Verweigerung aus Gewissensgründen ins GG auf. (Artikel 4 Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden. Nach einer Entscheidung des BVG 1960 konnte in der BRD auch im Frieden der Wehrdienst vereigert werden es wurde ein Ersatzdienst außerhalb von Bundeswehrinstitutionen angeboten, der einige Monate länger dauerte. Als Begründung wurde angeführt, das Militärdienstleistende zu Wehrübungen einberufen werden können. Ende der 1980er Jahre verfügten Behörden und Organisationen zumindest schon über einige Erfahrung im Umgang mit "Zivis", und es war im Allgemeinen etwas einfacher geworden, als Kriegsdienstverweigerer anerkannt zu werden. In meiner Heimat gab es einige evangelische Pastoren und eine als "Rote" verschriehene Studienrätin, die Kriegsdienstverweigerer argumentativ und psychologisch darauf vorbereiteteten, die individuellen Gewissensgründe mündlich vor einem Kollegium glaubhaft darzulegen. In meinem Bekanntenkreis machte ich die Erfahrung, dass eine Begründung auf der Basis christlicher Ethik sich am erfolgversprechendsten erwies. Gott mit uns hatte die Wehrmacht noch auf dem Koppel stehen, es wurde die BRD von einem Kanzler regiert dessen Partei ein C im Namen trug. Zoff mit den Kirchen und Kirchenleuten- ich kannte einige, die sehr progressiv und liberal waren- tat sich die Bundeswehr nicht an. Außerdem haben sich vielleicht einige Denker gefragt, welchen Sinn es macht, Leute an der Waffe auszubilden, die im Ernstfall nicht abdrücken. Wesentlich schwieriger war es, einen Antrag durchzusetzen, wenn man nicht gläubig war. Ich kannte einige, deren Anträge ich gelesen habe, die sowohl rhetorisch wie ethisch lupenrein waren, deren Verfasser beim mündlichen Vortrag total zusammenbrachen. Bei einem standen später die Feldjäger im elterlichen Wohnzimmer. Manche gingen dann doch zum Bund, ein Bekannter aus Alsfeld Jahrgang 1960 hält seinen Ausbildern beim Bund heute noch zugute, dass sie ihn das nie spüren ließen, andere hatten weniger Glück, und wenn es ging, hat man sie gebrochen.

Eine ausgesprochen blöde Frage, die aber trotzdem viele leute verunsicherte, eben weil sie so blöd war: Sie gehen mit ihrer Freundin im Park spazieren, und sie werden von 5 Rotarmisten attackiert. Wie verhalten sie sich?
 
Ich glaube das hat viele Westdeutsche unserer Generation stark beschäftigt: Die Frage "wie hältst du es mit dem Kriegs/Wehrdienst".

Darüber habe ich nie nachgedacht und eine Wehrdienstverweigerung stand für mich und meine Freunde völlig außerhalb unseres Begriffsvermögens. An einem Tag, an den ich mich noch gut erinnere, kam der Einberufungsbescheid und dann ging's ab zum Bund.

Aufgrund unserer Sozialisation empfanden wir Wehrdienstverweigerer als Schlaffis und Warmduscher, vor allem aber auch als Müsliesser, linke Anarchos oder Betbrüder. Jeder kam halt so zur Bundeswehr, wie er aufgrund häuslicher Prägung und Umwelt aufgewachsen war.

Hinterfragungen des Weltbilds und Diskussionen über die Notwendigkeit militärischer Verteidigung kamen erst später. Vielleich waren wir in dieser Hinsicht Spätzünder.
 
Darüber habe ich nie nachgedacht und eine Wehrdienstverweigerung stand für mich und meine Freunde völlig außerhalb unseres Begriffsvermögens. An einem Tag, an den ich mich noch gut erinnere, kam der Einberufungsbescheid und dann ging's ab zum Bund.

Aufgrund unserer Sozialisation empfanden wir Wehrdienstverweigerer als Schlaffis und Warmduscher, vor allem aber auch als Müsliesser, linke Anarchos oder Betbrüder. Jeder kam halt so zur Bundeswehr, wie er aufgrund häuslicher Prägung und Umwelt aufgewachsen war.

Hinterfragungen des Weltbilds und Diskussionen über die Notwendigkeit militärischer Verteidigung kamen erst später. Vielleich waren wir in dieser Hinsicht Spätzünder.


Ich denke, das ist nicht nur eine Frage von Prägung und Umwelt, sondern auch eine des Jahrgangs. Ich bin Jahrgang 1967, und wenn an meiner Schule- ein evangelisches Gymnasium mit einigen Internatsschülern- zu Beginn der 80er Kriegsdienstverweigerer noch eine kleine Minderheit waren, so waren es in meinem Abijahrgang fast ebensoviele Zivildienst-wie Wehrdienstleistende. Unter meinen Schulfreunden ließen sich einige die zum Bund gingen, zu Sanitätseinheiten versetzen, und nicht wenige wurden auch ausgemustert, darunter auch einige Schulsportkanonen. Ende der 8oer so scheint es, brauchte die Bundeswehr nicht mehr jeden Mann und hatte ein etwas pragmatischeres Verhältnis zu "Zivis" entwickelt, als das zu Beginn der 80er noch der Fall war.
 
Beim Wehrdienst kann ich nicht mitreden.
Mich behielt man gerade mal 3 Monate, aber dann war Schicht.
Positives daran war, der Divisionsarzt gab mir ein Schreiben für die ABF in Leipzig mit. Habe mich aber dann anders entschieden.

Zu der Frage mit den Rotarmisten (Beitrag Nr. 42).

Kommt darauf an wo der Park ist.
Ist er hinter dem Kamener – Kreuz, würde ich fragen, wie habt ihr es geschafft euch bis hierher nicht zu verfahren?

Oder auch fragen, wie ist euer Plan?
Weil, ein Russe hat ja immer einen Plan bei sich.
Ein Russe geht ja nicht einmal aufs Klo ohne einen Plan.
 
Mal noch eine kleine Episode aus meiner Militärzeit, die ein Licht auf den Intelligenzgrad der Offiziere wirft. Für alle Altbundesländler muss ich noch erklären, dass Soldaten nicht wie im Westen mit Kamerad sondern mit Genosse(egal ob Parteimitglied oder nicht) angesprochen wurden.
Ein Soldat aus unserer Kaserne wurde beauftragt einen Pfahl für eine Sturmbahn aufzurichten. Er grub ein Loch ,setzte den Pfahl ein und schaufelte es wieder zu. Natürlich blieb etwas von der ausgehobenen Erde als kleiner Haufen übrig. Als das der vorbeilaufende Stabschef, ein Oberstleutnant sah, sprach er zu dem Soldaten: "Also Genosse, wenn sie das Loch etwas tiefer gegraben hätten ,hätte der Haufen auch noch hineingepasst.":grübel:
 
Ich glaube das hat viele Westdeutsche unserer Generation stark beschäftigt: Die Frage "wie hältst du es mit dem Kriegs/Wehrdienst".
Allerdings. Als ich 1977 Abi machte war das eigentlich die zentrale Frage für uns, mit der sich jeder auch individuell auseinandersetzen mußte.In meinem Abijahrgang hatten wir ca.1/3 Untaugliche ,1/3 Zivis,1/3 Bund.
Damals zogen wohl auch noch Werbeoffiziere durch die Schulen,was angesichts einer diskussionsfreudigen Oberstufe sicher alles andere als ein Spass für die Jungs war,zumindest bei uns. Und der Lamettakasper,der bei uns auftrat stellte in seiner Not dann auch die oben erwähnte Frage in der damals geltenden noch blöderen Variante,nämlich:
"Sie gehen mit Ihrer Freundin im Park spazieren, und Sie werden von 5 Rotarmisten attackiert. Und Sie haben eine MP dabei.Wie verhalten Sie sich?"
Klassische Antwort meines Kumpels Sepp (örtlicher Halbschwergewichtsmeister ) : "Ich geb die MP meiner Freundin zum halten und ruf die Klapse an, die müssen nämlich geisteskrank sein."
 
Den Beitrag Nr. 41 – Michaell - finde ich recht interessant und veranlasst mich ein paar Zeilen dazu zu schreiben.

I. Wir hatten in der DDR m. W. verstärkt so ab Mitte der 80. Jugendliche die keiner Arbeit nachgingen, vielleicht treffender, nicht arbeiten wollten.
So weit mir bekannt, die lebten von ihren Eltern oder Anverwandten.
M.W. erfolgte jedoch keine Erfassung durch die Arbeitsämter der DDR.
Arbeitsämter der DDR hatten freie Stellen und vermittelten auf Vorsprache.
Eine Erfassung von Arbeitsunwilligen gab’s nicht, dh. damit auch keine staatliche finanzielle Unterstützung.
Könnte auch der Grund sein, warum man darüber keine Statistik findet. Zu mindest mir ist keine bekannt.
So weit mir das bekannt war, waren solche Jugendlichen nur im Fokus des ABV und damit der hinter ihm stehenden Behörden.
Wie kam nun ein ABV an solche Erscheinungen heran?
Das war wohl kein Problem.
Er kannte die Menschen seines Gebietes und letztendlich konnte er sich bei Hausbuchkontrollen beim Hausvertrauensmann auch informieren. Ein Hausbuch musste ja immer aktuell sein!

Ich will hier nicht pauschalisieren, aber die ich persönlich kannte, waren nun nicht gerade Jugendliche mit guten Manieren.
Hier geht es auch nicht um politische Ablehnung des DDR Regimes, hier geht es einfach um die Tatsache – keinen Bock auf Arbeit.

II. Zu dem was Michaell schreibt, sollte man noch beachten bzw. wissen.
In den Betrieben hatten wir Beschäftigte die aus Strafanstalten entlassen waren.
Eine Entlassung aus einer Strafanstalt ohne den Nachweis wo der Entlassene seine Arbeit aufzunehmen hat, gab’s nicht.
Als Betriebsleiter musste man da auch sehr vorsichtig sein, denn eine Ablehnung solche Leute aufzunehmen gab’s nicht.
Wer das tat, war nicht lange mehr Betriebsleiter.
Diese Leute wurden noch eine zeitlang betreut, dh. je nach Größe des Unternehmens wurden Kaderleiter, Betriebsleiter, Brigadeleiter von Betreuer turnusmäßig aufgesucht. Natürlich auch umgekehrt, dh. wenn derjenige nicht zur Schicht erschien, was ja oft vorkam, war der Betreuer sofort, unverzüglich davon in Kenntnis zu setzen.

Auch hier möchte ich nicht pauschalisieren, aber ich habe erlebt, diese waren mit unter den Ersten die verschwanden als die Grenze geöffnet wurde.

Habe deshalb Verständnis für das was hier Michaell schreibt.

Sicher kann man das nicht verallgemeinern und auf alle beziehen, ich glaube so ist sein Beitrag auch nicht zu verstehen.

??? Wie war aber 1990 die Situation, bzw schon lange, lange vorher...

Nicht wenige waren der Überzeugung, im Westen lebt man als Arbeitsloser besser, als im Osten mit Arbeit.
 
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Ich will hier nicht pauschalisieren, aber die ich persönlich kannte, waren nun nicht gerade Jugendliche mit guten Manieren.

In den Betrieben hatten wir Beschäftigte die aus Strafanstalten entlassen waren.

Diese Leute wurden noch eine zeitlang betreut, ....

Auch hier möchte ich nicht pauschalisieren, aber ich habe erlebt, diese waren mit unter den Ersten die verschwanden als die Grenze geöffnet wurde.

Nicht wenige waren der Überzeugung, im Westen lebt man als Arbeitsloser besser, als im Osten mit Arbeit.

Ich möchte ja nicht pauschalisieren, aber es kommt mir doch ein wenig so vor, als wenn ein sehr pauschales Pauschalurteil, also eher im Sinne eines leicht unkritischen Vorurteils, formuliert wurde.

Durch Deine Darstellung stigmatisierst Du einen Teil der Jugend in der ex-DDR und Du stigmatisierst einen Teil der Strafentlassenen.

Und dieses Urteil fällst Du ganz selbstverständlich mal wieder auf der Grundlage Deiner sehr begrenzten subjektiven Sichtweise auf die Gesellschaft der DDR.

Und diese unkritische Darstellung finde ich absolut unseriös!
 
Unseriös?
Begrenzte Sichtweite!
Wenn man über ein paar Erscheinungen schreibt, die man so wahrgenommen hat?
Finde ich schon etwas merkwürdig.
 
Du schreibst, Du willst nicht pauschalisieren, um es dann aber ziemlich intensiv zu tun. Muss ich das versehen???

Und bewertest dabei ziemlich pauschal bestimmte Gruppen und zwar ausgesprochen negativ. Dass diese Urteile bestimmte Pauschalurteile aufgreifen sei nur am Rande erwähnt. Die Gesprächskultur meiner "Wurzeln" reagiert auf derartige pauschale Urteile ausgesprochen sensibel und ziemlich ablehnend.
 
Na ja.
Wenn ich feststelle, dass dies bei anderen hier im Forum auch so wie bei Dir ankommt, habe ich mich dann sicher nicht genau genug ausgedrückt als ich schrieb: „sicher kann man das nicht verallgemeinern“.
 
Den Beitrag Nr. 41 – Michaell - finde ich recht interessant und veranlasst mich ein paar Zeilen dazu zu schreiben.

I. Wir hatten in der DDR m. W. verstärkt so ab Mitte der 80. Jugendliche die keiner Arbeit nachgingen, vielleicht treffender, nicht arbeiten wollten.
So weit mir bekannt, die lebten von ihren Eltern oder Anverwandten.
M.W. erfolgte jedoch keine Erfassung durch die Arbeitsämter der DDR.
Arbeitsämter der DDR hatten freie Stellen und vermittelten auf Vorsprache.
Eine Erfassung von Arbeitsunwilligen gab’s nicht, dh. damit auch keine staatliche finanzielle Unterstützung.
Könnte auch der Grund sein, warum man darüber keine Statistik findet. Zu mindest mir ist keine bekannt.
So weit mir das bekannt war, waren solche Jugendlichen nur im Fokus des ABV und damit der hinter ihm stehenden Behörden.
Wie kam nun ein ABV an solche Erscheinungen heran?
Das war wohl kein Problem.
Er kannte die Menschen seines Gebietes und letztendlich konnte er sich bei Hausbuchkontrollen beim Hausvertrauensmann auch informieren. Ein Hausbuch musste ja immer aktuell sein!

Ich musste jetzt erst einmal nachschauen, was ein Hausbuch ist.

Was bedeutete es denn konkret, wenn jemand offensichtlich arbeitsunwillig war? Gab es strafrechtliche Sanktionen, wurde jemand zur Aufnahme einer Arbeit gezwungen?

Die DDR-Verfassung von 1974 spricht in Artikel 24 sowohl vom Recht auf wie der Pflicht zur Arbeit:

"Gesellschaftlich nützliche Tätigkeit ist eine ehrenvolle Pflicht für jeden arbeitsfähigen Bürger. Das Recht auf Arbeit und die Pflicht zur Arbeit bilden eine Einheit."

documentArchiv.de - DDR-Verfassung (06.04.1968/14.10.1974)

Was drohte also jemandem, der diese "ehrenvolle Pflicht" verletzte?
 
Was bedeutete es denn konkret, wenn jemand offensichtlich arbeitsunwillig war? Gab es strafrechtliche Sanktionen, wurde jemand zur Aufnahme einer Arbeit gezwungen?
Was drohte also jemandem, der diese "ehrenvolle Pflicht" verletzte?
In der Regel bedeutete es Knast nicht arbeiten zu wollen. Wegen assozialen Verhaltens da man nicht nachweisen konnte wovon man lebte. Arbeitslosengeld oder Sozialhilfe gab es ja nicht.
 
Strafrechtlich erfolgte da eigentlich nichts.
Solange allerdings keine Straftat vorlag und „nicht arbeiten wollen“ war m. W. keine Straftat.
Aussprachen gab’s allerdings bei jeder passenden Gelegenheit und mit allen Beteiligten, also auch Eltern.
Durchaus möglich war dabei auch, dass das Verhalten des Jugendlichen in den Betrieb hineingetragen wurde in denen die Eltern arbeiteten („Komm wir müssen mal über Deinen Sohn/Tochter reden…“).

Und wenn die Wehrpflicht anstand (männlich), erfolgte sofort die Musterung.

Aber wie geschrieben, mir ist dieses Problem erst so ab mitte der 80iger bekannt geworden.
Wäre interessant, wenn es hier jemanden gibt, der dies auch Wahrgenommen hat.
 
Zuletzt bearbeitet:
Wir waren im 8. oder 9. Schuljahr, mit der Klasse bei einer Gerichtsverhandlung um sozialistische Rechtspflege kennenzulernen. Der Angeklagte wurde wegen asozialen Verhaltens zu einer Haftstrafe verurteilt. Er hatte zwar auch geklaut aber die Richterin empfand seine Arbeitsscheu als größere strafwürdige Tat.
Das war allerdings mitte der siebziger Jahre, wie das in den Achzigern gehandhabt wurde ,weiß ich nicht.
 
Zuletzt bearbeitet:
...
Was bedeutete es denn konkret, wenn jemand offensichtlich arbeitsunwillig war? Gab es strafrechtliche Sanktionen, wurde jemand zur Aufnahme einer Arbeit gezwungen? ...

@michaell

§ 249 StGB der DDR regelte strafrechtlich: "Gefährdung der öffentlichen Ordnung durch asoziales Verhalten..."

Hier insbesondere Absatz 1.

Strafgesetzbuch der DDR (1968)

Absatz 2 regelt staatliche Kontroll- und Erziehungsmaßnahmen, zur "Arbeitsaufnahme".

Absatz 3 setzt die maximale Freiheitsstrafe bei vorliegenden Vorstrafen fest.

Nach diesem § sind auch Menschen verurteilt worden, auch zu Gefängnisstrafen.

M.
 
@Scorpio, dass die Deutschen bei den Amerikanern besser angesehen waren, als bei den Briten oder Franzosen halte ich nicht für so erstaunlich. Viele von ihnen haben deutsche Vorfahren und im zweiten Weltkrieg war keine amerikanische Stadt von Deutschland aus angegriffen worden. Die amerikanische Luft-und Raumfahrttechnik hatte einen enormen Gewinn aus der in Deutschland aufgefundenen Technik und deutscher Ingenieure ,wie von Braun gezogen.
Hätten die Nazis in den USA ebenso wie in Polen oder Russland gewütet ,wäre Dir wohl weniger Freundlichkeit entgegengebracht worden.

Im 2. Weltkrieg prägte der Angriff von Pearl Harbor das allgemeine Bewusstsein in den USA weitaus stärker, als die Verluste durch deutsche U- Boote und erregte die Gemüter mehr, als das durch die Versenkung der Lusitania im 1. Weltkrieg geschah. Obwohl sich Roosevelt und Churchill darauf einigten "Germany first" wurden die Japaner als Hauptfeinde wahrgenommen, und im Gegensatz zum 1. Weltkrieg kam es auch nicht zu nennenswerten Anfeindungen gegen Deutschamerikaner, während eingewanderte Japaner, aber auch US- Bürger mit entfernten japanischen Verwandten vielfältigen Schikanen durch FBI ausgesetzt waren

oder interniert. Deutsche U- Boote hatten gleich zu Beginn des Krieges einen Fall Lusitania heraufbeschworen, als Kapitänleutnant Lemp die Athenia versenkte, wobei die Nazis darauf bestanden, dass das Logbuch gefälscht und die ganze Besatzung zum Stillschweigen gezwungen wurde. Als dann bei der Operation Paukenschlag Dutzende von Schiffen in Küstengewässern von Maine bis zum Golf von Mexiko torpediert wurden, entwickelte sich eine Atmosphäre die zu gegenseitiger Verdächtigung und Paranoia neigte.
 
Wow, wir sind also beim Thema - Charakteristik des deutschen Uboot-Krieges im 2.WK angekommen ... ja, die deutschen Wurzeln liegen im Meer ... hatte schon der Willi erkannt ^^
 
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