Trennung von Staat und Kirche

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Wann kann man in Deutschland eigentlich von einer Trennung von Staat und Kirche sprechen?

Eigentlich dachte ich, daß man seit der Säkularisierung Anfang des 19. Jahrhunderts davon sprechen kann. Aber ich stoße auch immer auf das Wort Laizismus, welches ich nicht so richtig einordnen kann.
 
Wann kann man in Deutschland eigentlich von einer Trennung von Staat und Kirche sprechen?

Die Trennung von Staat und Kirche bekam in Deutschland nach dem 1. Weltkrieg Verfassungsrang, festgeschrieben in Art. 137 Abs. 1 der Weimarer Reichsverfassung vom 11. August 1919.
Vgl. auch den Beitrag von Ursi: http://www.geschichtsforum.de/197763-post23.html; sowie den Artikel Trennung von Religion und Staat - Wikipedia

... ich stoße auch immer auf das Wort Laizismus, welches ich nicht so richtig einordnen kann.

Laizismus bezeichnet das hinter der o.g. Trennung von Staat und Kirche stehende bzw. dieser vorausgehende Bestreben, den Einfluß von Kirche und/oder Religion auf das öffentliche Leben in der Gesellschaft zurückzudrängen bzw. auszuschalten.
Vgl. dazu bspw. folgende Artikel:
Laizismus
Laizismus - Trennung von Staat und Kirche - WAS IST WAS
Laizismus - Wiktionary, das freie Wörterbuch - Das Wikiwörterbuch
 
In der Schweiz sind Staat und Kirchen seit der Säkularisierung getrennt. Drei wichtige Verbindungen sind geblieben:

Die kirchlichen Strukturen der Sozialhilfe wurden nicht aufgelöst, aus dem einfachen Grund, weil sonst der Staat diesen Teil der Sozialhilfe finanzieren müsste ...

Die Kantone ziehen für die Kirchgemeinden die Kirchensteuer ein. Diese staatliche Dienstleistung erfolgt gegen kostendeckende Bezahlung.

Zürich verstaatlichte anlässlich der Säkularisierung auch die Pfrundgüter der Pfarrer, welche den wichtigsten Lohnanteil der Geistlichen ausmachten. Deshalb musste sich der Kanton Zürich im Gegenzug verpflichten, die Entlöhnung der Pfarrer zu übernehmen – bis heute.
 
Auch die Trennung von Staat und Kirche findet in Deutschland nur teilweise statt, der wikipedia-Artikel geht ja darauf ein.
- Kirchensteuer wird vom Staat erhoben,
- theologische Fakultäten sind von der öff. Hand finanziert,
- sogar die katholische Bischöfe werden vom Staat bezahlt.
- Ca. 80-90% der sozialen Einrichtungen der Kirchen sind öffentlich finanziert - über die unterschiedlichsten Töpfe.
 
Ich denke, man kann das Verhältnis Kirche-Staat wirklich nur historisch verstehen:
- Die ersten Auswanderungen in die USA erfolgten aus religiösen Gründen (Quäker, Pilgrim Fathers, Mennoniten,...)
- Die Anglikanische Kirche ist seit Heinrich VIII eine Staatskirche!
- Bischöfe und Äbte waren ursprünglich Lehensnehmer des Königs, den übrigen Reichsfürsten gleichgstellt!
- Nach der Napoleonischen Säkularisierung musste es einfach eine Art Ausgleich geben.
- Bei der Gründung der Bundesrepublik Deutschland war die Funktion der Kirchen eher positiv (karitativ) besetzt

u.s.w.
 
Da gab es völkerrechtliche Verträge, die zu beachten waren.

Neugierig:
Ist damit das Reichskonkordat (1933) gemeint oder noch anderes? (Ersteres regelt die meisten Punkte, die Eumolp nennt, nicht.)
Und an welche Verträge war man für die protestantische Seite gebunden?
 
Das hat nichts mit "völkerrechtlichen Verträgen" zu tun! Der Verfassungsgeber 1948/49 war insofern völlig frei in seiner Entscheidung, die erwähnten Artikel zu übernehmen.

Aber wenn schon Art. 137 zitiert wird: Danach waren die Religionsgesellschaften "berechtigt [...], Steuern zu erheben" - von der (kostenlosen) Erhebung durch den Staat selbst ist nicht die Rede. Der Hinweis von Eumolp ist insofern völlig berechtigt.
 
Ich habe keine Lust über die Kirchensteuer vordergründig zu diskutieren. Der Staat zieht die Kirchensteuer ein und wir dafür bezahlt.
 
@Mercy
Ich wollte auch nicht über Kirchensteuer (usw.) an sich diskutieren, schon gar nicht vordergründig, sondern über die Frage, ob deren Einzug durch den Staat durch "völkerrechtliche Verträge" gefordert wird. Offenbar hat sich das Argument erledigt.

@Eumolp
Es gibt eine riesige Literatur zum Thema, die z. T. stark politisch-weltanschaulich beeinflusst ist. Bei den Juristen geht es noch relativ sachlich zu; ich empfehle deshalb aus jüngster Zeit: Gerhard Czermak (mit Eric Hilgendorf), Religions- und Weltanschauungsrecht - eine Einführung. Berlin: Springer, 2008.
 
Zuletzt bearbeitet:
@Mercy
Tja, dann... Das Argument "völkerrechtliche Verträge" hat sich damit erledigt.
Wohl eher nicht.
@Eumolp
Es gibt eine riesige Literatur zum Thema, die z. T. stark politisch-weltanschaulich beeinflusst ist. Bei den Juristen geht es noch relativ sachlich zu; ich empfehle deshalb aus jüngster Zeit: Gerhard Czermak (mit Eric Hilgendorf), Religions- und Weltanschauungsrecht - eine Einführung. Berlin: Springer, 2008.
Ein Staatsrechtler unter vielen, die eine andere Position verteten. Oder ist er der Papst dieser Spezies?
 
Bei der Trennung von Kirche und Staat kann man auch fragen:
-wann begann sie?
Für Deutschland könnte der Ursprung im Investiturstreit liegen.
 
Die Haltung der deutschen Bevölkerung war keinesfalls "antikirchlich", sonst hätte 1949 nicht eine neu gegründete christliche Partei die Regierung übernehmen können. Allerdings setzten sich CDU und CSU deutlich gegen die alte katholische "Zentrumspartei" ab.
 
@daSilva
Das ist völlig richtig! Um 1950 gehörten noch etwa 96 % der Deutschen einer der beiden Großkirchen an.
Dafür gab es viele Gründe. Unter anderem schienen die Kirchen aus dem Nazi-Desaster unbeschädigt hervorgegangen zu sein; eine größere öffentliche Diskussion etwa über die Rolle des Katholizismus entfachte ja erst Hochhuths "Stellvertreter".
 
@elysian
Bei dem Wort "Staat" zögere ich etwas, weil es auf die damaligen Strukturen nicht so passt. Es ging nicht, wie heute, um das Zulassen eines kirchen- btzw. bekenntnisfreien öffentlichen Raums (mit Ingredenzien wie Glaubens- und Gewissensfreiheit usw. - Stichwort "Säkularisierung"), sondern um die "schlichte" Frage, wer im von Otto I. begründeten Reichskirchensystem das Sagen hatte.
Dass die Menschen christlich zu sein hatten - gegebenenfalls auch dazu gezwungen werden mussten -, war zwischen Kaiser und Papst völlig unstrittig. Möglicherweise hat jener Machtkampf, der sich ja noch einige Jahrhunderte fortsetzte, auf sehr lange Sicht aber die Legitimitätsgrundlage des ganzen Systems angekratzt.
 
Wie elysian würde ich auch den Investiturstreit bzw. das folgende Wormser Konkordat als Ende des "Reichskirchlichen Gedankens" betrachten. Stat reichsfördernde wurden in der Folge natürlich papsthörige oder regionalabhängige Bischöfe eingesetzt, deren Nutzen für eine "staatliche Einheit" fragwürdig war. Mit der Sekularisierung schlug das Imperium dann Jahrhunderte später effektiv zurück :)
In England wurde hingegen er Weg der Staatskirche konsequent zu Ende gedacht!
 
Wie elysian würde ich auch den Investiturstreit bzw. das folgende Wormser Konkordat als Ende des "Reichskirchlichen Gedankens" betrachten. ...
Mit der Sekularisierung schlug das Imperium dann Jahrhunderte später effektiv zurück :)

Was Ottos I. Reichskirche betrifft, so war Worms 1122 zweifellos eine Zäsur, obwohl die Geplänkel noch sehr lange weitergingen (bis hin zum Allmachtsanspruch des Papsttums, der dann seinerseits unterging.)

Aus meiner Sicht gibt es beim "Trennungs"-Thema zwei Konfliktlinien:
1. zwischen den Inhabern der weltlichen Gewalt (Kaiser, Fürsten) einerseits, dem Papst und den Bischöfen andererseits - hierauf bezieht sich elysian -,
2. zwischen dem Staat und den mit ihm verbündeten Kirchen einerseits und der sich emanzipierenden bürgerlichen Gesellschaft andererseits - hierauf beziehen sich meine Stichworte -.

Ungeachtet vom internen Kompetenzgerangel haben Staat und Kirche ja über Jahrhunderte arbeitsteilig zum beiderseitigen Nutzen zusammen gearbeitet. Die Forderung nach Trennung ist nicht vom Staat ausgegangen, sondern von jenen Teilen der bürgerlichen Gesellschaft, die sich - spätestens seit der Aufklärung - in Glaubens- und Gewissensfragen nicht mehr dem Willen der (Staats-) Kirche unterwerfen, sondern auch insoweit selbstbestimmt leben wollten.
 
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