Über die Verfassung des HRR

Simplicius

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Ich habe hier eine unfaßbar interessante, englischsprachige Seite über die Verfassung des Reiches gefunden: the Holy Roman Empire. Dort stehen viele Informationen, die mir selbst bisher völlig unbekannt waren. Nach 1648 ging man aber laut Seite davon aus, daß beides im Besitz bestimmter Familien war. Außerhalb dieser Familie konnten Sitz und Stimme nicht geerbt werden.

Es finden sich dort noch mehr interessante Informationen. Leider ist die Quellenangabe sehr dürftig, so daß man alles mit Vorsicht genießen muß.
 
Der Link ist wirklich interessant, bin gerade dabei mich durch das 2. Kapitel zu arbeiten (in englisch geht das leider sehr langsam).

Ich hab in Kapitel 2.A. eine kleine Ungenauigkeit gefunden. Dort wird geschrieben "the religion of a state was a characteristic of the state, not the owner". Dass kann für die Zeit vor dem Westfälischen Frieden nicht ganz stimmen da zu der Zeit ja "cuius regio, eius religio" galt.
 
Gut die Bezeichnung state hätte ich jetzt als sprachliche Ungenauigkeit verbucht, wo aber jeder Leser im Prinzip weiß was gemeint ist. Genau so die häufige Verwendung von Germany und German im 1. Kapitel. Im HRR gab es kein Deutschland und auch keinen deutschen König, höchstens einen römisch-deutschen König bzw. Kaiser.
 
Natürlich wurden Deutschland, Italien und Burgund unterschieden. Das hatte z.B. Konsequenzen bei der Heerfolge.

Und Otto war fränkischer und italienischer/langobardischer König. Sein Kaisertum war davon noch losgelöst. Es gehört zu den Seltsamkeiten des Heiligen Römischen Reiches, dass und wo diese Unterscheidungen aufrecht erhalten wurden. Bis zum Ende des Reiches wurde in mancher Hinsicht sogar zwischen Gallien und Germanien unterschieden. Der Abt von Corvey galt z. B. als Kanzler ihrer Majestät für Gallien.
 
Das sollte eigentlich alles auch in Handbüchern zu finden sein. Nach welcher der Angaben fragst Du?
 
Dass der Abt von Corvey Kanzler von Gallien war. Ich habe jetzt diverse Seiten besucht bzw. Bücher bei google books, aber nichts gefunden.
 
Puh, das kann etwas dauern, das hatte ich mir als Ostwestfale aus einer Vorlesung gemerkt in der es nicht um kuriose Titel, sondern um die Verwendung der Begriffe Gallia und Germania ging. Ich wollte immer schon mal in Erfahrung bringen, wie es zu dem Titel kam.

Hätte jetzt nicht gedacht, dass es um die Kuriosität geht. Zum reinen Nachschlagen würde ich einen Staatskalender oder, besser, einen Titelkatalog nehmen.

Mal schauen, was ich finde. Heute schaffe ich das nicht mehr.

Ich hätte eher vermutet, der Begriff Gallien würde aufstoßen. Der Titel ist natürlich schwerer zu finden.
 
Danke! Lass dir Zeit! Ich war nur überrascht, warum ausgerechnet dieser Abt die Funktion hat. Ich konnte mir einfach keinen Reim machen. Daher hat es mich besonders interessiert. (bei den 7 Kurfürsten konnte ich mir die Logik letztendlich durch Rheinnähe der Pfalzgrafen und durch simple dynastische Verbindungen erklären). :yes:
 
Zum Abt von Corvey kann ich nichts beitragen, aber der Bischof von Trier war der Erzreichskanzler für Gallien:

Die Ämter der Erzkanzler lagen in den Händen der drei geistlichen Kurfürsten. Der Erzbischof von Köln war Erzkanzler für Reichsitalien (Archicancellarius per Italiam), der Erzbischof von Trier Erzkanzler für Burgund (Archicancellarius per Galliam) und der Erzbischof von Mainz Erzkanzler für „Germanien“ (Archicancellarius per Germaniam) war für die deutschen Gebiete zuständig.

Während die Ämter der Erzkanzler für Burgund und Italien bereits seit dem Mittelalter an Gewicht verloren, hatte der Reichserzkanzler für Germanien bis zum Ende des Reiches wichtige Funktionen und galt verfassungsrechtlich nach dem Kaiser als der zweite Mann des Reiches. Sein Stellvertreter war der Reichsvizekanzler.

https://de.wikipedia.org/wiki/Reichserzkanzler
 
Funktion dürfte es nicht ganz treffen. Es wird sich um einen rein symbolischen Titel gehandelt haben. Vielleicht diente es einst der Klärung von Rang fragen. Aber das ist pure Spekulation. Immerhin war er einer von nur 8 Äbten mit Viralstimme im Reichstag und Rangfragen hatten ja immer ihre Bedeutung.
 
Zum Abt von Corvey kann ich nichts beitragen, aber der Bischof von Trier war der Erzreichskanzler für Gallien:



https://de.wikipedia.org/wiki/Reichserzkanzler

Das waren die Kanzler des Kaisers. Hier geht es um einen Kanzler ihrer Majestät, also der Kaiserin.

Aber auch die Kanzler sind ein Beispiel für die zu unterscheidenden Reiche, trotz der 'Personalunion' und später 'Realunion' behielten die Gebiete ja ihr Recht, waren eben nicht unterworfen, sondern gehörten zum selben Reich. Daher gab es, kurz ausgedrückt, keine 'italienischen' Stimmen im Reichstag, was sicher wichtiger war, als wer in welchem Fall Heerfolge zu leisten hatte, was ja schon in den Deutschen Landen verschieden war.

Da man nun die Reiche unterscheiden musste, gab es ein Problem mit dem Reich nördlich der Alpen. So sprach man einfach von Deutschen Landen und später von Deutschland. Zunächst ganz ohne Blick auf Ethnizität. Aber verfassungsrechtlich ist spätestens das die Gründung des deutschen Staates. Noch ohne einheitliches Staatsvolk. Aber die Diskussion zu den ersten Deutschen findet ja in einem anderen Thread statt.

Hinzu kommt, dass die Philosophie zwar mit Alcuin wieder begonnen hatte, man aber in kaum einer Hinsicht vor dem 11. und 12. Jh. von Staat in der vollen Bedeutung des Wortes sprechen kann. Vieles kam ohne reflektierende Betrachtung der Begriffe zustande.

Wenn man das berücksichtigt und dann noch bedenkt, dass dann das bestehende Reich im Laufe der Zeit in verschiedene Theorien gepresst und dementsprechend, sowie den Machtverhältnisse und Realitäten folgend, modifiziert wurde, wirkt vieles nicht mehr ganz so seltsam.
 
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Ich habe hier eine unfaßbar interessante, englischsprachige Seite über die Verfassung des Reiches gefunden:
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Es finden sich dort noch mehr interessante Informationen. Leider ist die Quellenangabe sehr dürftig, so daß man alles mit Vorsicht genießen muß.

Hallo Simplicius,

ich habe es nur überflogen und hier und da reingelesen. Es handelt sich um eine typische Kurzdarstellung, die alles in allem akzeptabel scheint. Dennoch würde ich darauf nicht bauen - zu plakativ und einseitig ausgerichtet, was nicht weiter verwundert, wenn man auf die "Literaturliste" blickt: zwei Titel und diese hoffnungslos veraltet.

Wesentliche Aspekte fehlen nahezu gänzlich, stattdessen die (für Onlineinhalte allerdings typische) Aneinanderreihung von Begriffen und Fakten, die eine Einheitlichkeit und lineare Abfolge der Geschichte vermitteln, die es so faktisch nicht gab.

Nirgends werden Rechtsverhältnisse zwischen den Ständen näher problematisiert/erläutert, wo sind die Landstände thematisiert? Das Phänomen des Kommunalismus (P.Blickle) fehlt komplett, die aktuelle Forschungsdiskussion glänzt im Übrigen durch Abwesenheit.

Wer über das "Alte Reich" (ca. 1200-1800) etwas mehr in Erfahrung bringen möchte als Namen und Fakten, sollte sich erstmal von modernen Begriffen ("Verfassung", "Staat" etc.) komplett verabschieden und z.B. mit "Das Alte Reich" von Axel Gotthard unvoreingenommen neu anfangen; des Weiteren sind Peter Blickle sowie Winfried Schulze aus meiner Sicht zwei absolute Spezialisten ihres Faches, an denen man kaum vorbei kommt.

Lieben Gruß
Luitpold
 
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