@Zoki55:
Warum sollte mangelnde Zeugungskraft ein Matriarchat beweisen. Die körperliche Stärke als Vorteil des Mannes wird schon damals existiert haben und wenn man wollte hätte man allein damit die Frauen klein halten können.
"Matriarchat" heißt nicht weibliche Gewaltherrschaft über Männer. Es bedeutet eine kultisch-religiöse Hochschätzung des Weiblichen und vermutlich auch die organisatorische Leitung des Stammes durch eine Frau, aber ohne Unterdrückung des männlichen Stammesanteils.
Zu den anderen Antworten:
Ich bin allgemein überrascht darüber, dass die Theorie über die angesprochene prähistorische Auffassung der weiblichen Fruchtbarkeit in diesem Forum niemandem bekannt zu sein scheint, jedenfalls schließe ich das aus den Antworten. Ich habe in allen (alten und neuen) Fachtexten, die ich zum Thema Frau und Prähistorie bisher las, stets diese Theorie erwähnt gefunden. In keinem Text fand ich einen Hinweis darauf, dass der steinzeitliche Mensch an die Zeugungskraft des Mannes glaubte.
Ich bitte also die Zweifler unter den Antwortenden, mir einen Hinweis auf einen Experten (und sein Werk) zu geben, der die These vertritt, dass die Zeugungskraft des Mannes bereits von Steinzeitmenschen erkannt worden war. Ich vermute allerdings, das wird ein schwieriges Unterfangen
Eine heftige Kritik hatte die Matriarchatstheorie schon 1962 durch Peter Ucko erfahren, die bis heute nachwirkt. Interessant, was ein so ein Grünohr wie Ucko seinerzeit (mit gerade mal 24 Jahren) bewirken konnte...
Isis ist keine Jungfrau, das ist nur Schwachsinn. Es gibt zwar mehrere Versionen der Zeugung von Horus, aber keine legt eine Jungfrauengeburt Nahe. Bei jeder Version schwängert sie Osiris.
Du übersiehst dabei, dass Mythen nicht aus einem Guss entstehen. Die von dir genannten Versionen sind jüngere Produkte, denen die ursprünglicheren, wie ich sie aufzählte, historisch vorausgehen. Wenn du ein bisschen genauer durch die Vielfalt der ägyptischen Mythologie schaust, wird dir der Variantenreichtum auffallen, mit dem einzelne Götter/Göttinnen durch andere ersetzt werden oder neu hinzukommen. Die überlieferten Muttergöttin-Motive beginnen mit Methyer und reichen über Neith (Nut) und Hathor bis zu Isis. Sie können als Überbleibsel aus matriarchalischen Zeiten gedeutet werden, wie übrigens auch die überlieferte ägyptische Historie starke matriarchalische Motive, vor allem in der Frühzeit, aufweist (was aber nicht Thema dieses Unterforums sein kann).
Weitere Bespiele: In einem sumerischen Schöpfungsmythos ist Nammu die Urmutter, also die Schöpferin der Welt, der Götter und der Menschen. In Phrygien galt Attis, der spätere tragische Geliebte der Göttin Kybele, als Kind der Jungfrau Nana, die von einer Frucht schwanger wurde.
Was Isis betrifft, gibt es genügend Hinweise auf ihren "Jungfrauenstatus", z.B. im ägyptischen Aion-Mysterienkult, der die Geburt ihres Sohnes, des Gottes Aion, mit den Worten "Die Jungfrau hat geboren" feiert. Eine überlieferte Inschrift in Sais gibt eine Aretalogie (Selbstaussage) von Isis wieder, die auf ihren genuinen Urmutter-Status hinweist:
Ich bin alles, was war, was ist und was sein wird.
Mythen, die sie mit Osiris verbinden, sind, wie gesagt, Produkte aus späteren Zeiten, als der Götterhimmel von maskulinen Göttern dominiert wurde. Bei der Gelegenheit kann ich noch darauf hinweisen, dass praktisch alle relevanten altorientalischen Göttinnen als "Jungfrauen" galten. Dazu folgendes:
"Jungfrau" bedeutet in altorientalischer Sicht, dass die Göttin unverheiratet ist - aber nicht, dass sie keinen Verkehr mit männlichen Göttern hat(te). Dementsprechend bedeutet "jungfräuliche Geburt" die Geburt eines Kindes allein durch die weibliche Zeugungskraft, auch wenn die Göttin mit Göttern verkehrt hat.
@dekumatland:
wenn man diese Hypothese vertritt, wie erklärt man aus dieser Position, warum sich das überhaupt in den Augen der Spätsteinzeitler änderte?
Genau das versuche ich - auch mithilfe dieses Posts - herauszufinden.
@Arltwulf:
Schon diese Überlegungen zeigen dass die Geburtenrate unmöglich bei durchschnittlich 2 Kindern gelegen haben kann.
Das habe ich aus einer Quelle, die ich noch wiederfinden muss. Ich bitte um Geduld.
@El Quijote:
Chan:
Nach Ansicht vieler Prähistoriker und Mythenwissenschaftler hatten die Menschen bis in die späte Steinzeit kein Wissen um den Zusammenhang von Sex und Fortpflanzung.
Das stelle ich in Abrede. Der Homo Sapiens Neandertalensis und (wohl erst Recht) der Homo Sapiens Sapiens (die Spezies, der wir uns zuordnen dürfen) dürften intelligent genug gewesen sein, einen Zusammenhang zwischen Monatszyklus, Zeugung und Geburt erkannt zu haben. Etwa das bei Frauen, die schwanger waren der Zyklus aussetzte.
Tja, siehe oben: Ich habe noch keinen Fachtext gelesen, der auch nur im Ansatz eine alternative Theorie bietet. Jetzt sag nicht, dass das nur an einem selektiven Lektüremodus liegt
Ich kann ja nicht vor der Lektüre schon wissen, was drin steht...
Chan:
Menschliche Geburt galt als zeugende Einwirkung des Mondes (Mondgöttin) auf die Frau.
Den Nachweis dafür würde ich allerdings gerne sehen, vor allem würde mich interessieren, wie dieser über eine schriftlose Kultur (und eigentlich ist der Singular ja schon eine viel zu grobe Vereinfachung) geführt wird.
Ok, ich gebe unten einen Text von mir an zum Abschuss frei (schon ein paar Wochen alt), der eine Rekonstruktion der Entstehung der prähistorischen Religion in ihren wesentlichen Zügen versucht auf der Grundlage von Fachtexten. Bei alldem aber beachten, dass die Rekonstruktion der prähistorischen Mythologien z.T. auch auf den Befunden der Mythenforschung beruht.
Chan:
es gibt zahlreiche "parthenogenetische" Mythen über Göttinnen, die ohne männliche Mitwirkung die Welt, die Götter und die Menschen hervorbrachten ("Jungfrauengeburt", z.B. Methyer, Nuth und Isis in Ägypten). Die Ursprünge solcher Mythen können logischerweise nur in prähistorischen Zeiten liegen, die noch keine männliche Zeugung kannten- denn anders machen sie keinen Sinn.
Warum? Bzw. warum nicht?
Ganz einfach - weil Mythen in patriarchalischen Gesellschaften von Männern (vornehmlich Priestern) in Zeiten gemacht wurden, als der König als Statthalter des höchsten und männlichen Gottes galt. Zu welchem Sinn und Zweck hätten die Autoren in einer Zeit, die an die alleinige Zeugungskraft des Mannes glaubte, auf den Gedanken kommen sollen, Göttinnen als Urmütter ohne männliche Beiwirkung zu konzipieren? Also kann man logischerweise nicht anders als davon ausgehen, dass Urmutter-Mythen Überbleibsel aus prähistorischer Zeit sind.
@Saint-Simone:
Mich würde vor allem interessieren, wie du zum Thema denkst.
++++
Hier mein eigener Text als Diskussionsbasis:
Für die Menschen bis zur Mitte der zweiten Zwischeneiszeit (vor 500.000 Jahren) scheint Religion keine Rolle gespielt zu haben. Es gibt von Südasien bis Europa keine archäologischen Hinweise auf entsprechende Riten. Das ändert sich zu Beginn der letzten Eiszeit (vor 150.000 Jahren), als der Neandertaler die Szene betritt. Er legt Gräber an, die mit grünen Blüten bestreut sind, deren Pollen auf eine halluzinogene Wirkung der Pflanzen schließen lassen. Das legt die These nahe, dass bereits der Neandertaler an so etwas wie ein Leben nach dem Tod glaubte.
Deutlichere Belege für Religiosität finden sich ab Ende der letzten Eiszeit, also zwischen 30.000 und 10.000 v.u.Z., in Form von Felsdarstellungen und Höhlenmalereien. Sie lassen sich in etwa so deuten: Der neolithische Mensch lebt vor allem in Steppen und jagt Rentiere, Bären, Nashörner und Mammuts. Einen grundsätzlichen Unterschied zwischen Mensch und Tier macht er - in dieser primitiven Phase - nicht. Das Töten von Tieren erzeugt in ihm Schuldgefühle und Angst vor Rache. Um dieser Rache vorzubeugen, ersinnt er Bußriten und magische Bannsprüche. Er legt z.B. Bärenheiligtümer an, in denen Blut rituell an die Erde zurückgegeben wird, um die Wiedergeburt der getöteten Tiere zu erleichtern. Im Glauben an Wiedergeburt wird der neolithische Mensch durch seine Träume bestärkt. In ihnen begegnet er Gestalten, die er tot wähnt, die aber unabhängig vom Körperlichen weiterzubestehen scheinen. Das wiederum lässt ihn auf die Beseeltheit der physischen Natur schließen (Animismus). In den Naturkräften erkennt er das Wirken geheimnisvoller Mächte.
Ganz besonders aber beschäftigt ihn das Phänomen der Geburt des Menschen durch die Vulva einer Frau. In dieser Zeit - bis zum 6. Jahrtausend - kann er sich diesen Vorgang nur als von einer nicht-menschlichen Macht verursacht denken. Den Zusammenhang von Sex und Schwangerschaft hat er nämlich noch nicht entdeckt. Was er aber entdeckt hat, ist die Entsprechung von weiblichem Monatszyklus und Mondzyklus. Aus ihr schließt er auf eine magische Verbindung von Frau und Mond.
Diese durch die Entsprechung von weiblichem Monatszyklus und Mondzyklus hergestellte magische Verbindung führt zu einer ersten Vergottung: Der Mond ist eine Göttin und verursacht die menschliche Geburt. Auf seinen Zyklus, also die Mondphasen, richtet der Mensch sein soziales Leben aus. Die ersten dunklen Tage des Neumondes gelten als Menstruationsphase der Göttin, woraus das erste religiös bedingte Tabu der Menschheit entsteht: Kein Sex während der Menstruation. Ein späterer Ausläufer dieses Tabus sind die an den Mondphasen orientierten babylonischen Sabbate und die Tabu-Tage in Altägypten.
In den schon genannten Höhlenheiligtümern, die ab 30.000 entstehen, sind die Wände kunstvoll bemalt und mit seltsamen graphischen Symbolen versehen. Laut der Archäologin Maria König haben sie folgende Bedeutung: Die eingeritzten Pfeile weisen auf das Sterben hin, die V-förmigen Linien (Symbol der Vulva) auf die (Wieder-) Geburt von Verstorbenen. Drei parallele Linien stehen für die drei Mondphasen und ein daneben geritzter Pfeil für das Sterben des Mondes, den Neumond. Oft findet sich neben diesem Pfeil das V, das für Wiedergeburt steht. Manche Höhlen weisen eine ockerfarbene Bemalung auf, bei der es sich, wie der Prähistoriker Thomas Loy herausfand, um Menstrualblut handelt. Höhle und Uterus werden so symbolisch gleichgesetzt.
Im Denken der Steinzeitmenschen hat die Wiedergeburt also höchste Priorität. Der Umstand, dass der Mensch aus der Vulva einer Frau in die Welt tritt, dass Geburt also der Übergang vom Sterben zum Leben ist, führt zu einer Verkultung des Mütterlichen. In diese Zeit fällt die Entstehung der sog. Venusfiguren, die im gesamten Jagdgebiet der Altsteinzeit zwischen Europa und Sibirien gefunden wurden und von denen die üppige Venus von Willendorf (ca. 25.000 v.u.Z) die bekannteste ist.
Der Mann gilt, wie schon erwähnt, in diesen Jahrzehntausenden als gänzlich unbeteiligt an weiblicher Fruchtbarkeit der Frau. Geburt - und das heißt immer: Wiedergeburt - geschieht allein durch die Einwirkung der Mondgöttin auf die Frau.