Um die Gründe für den Nationalismus der damaligen Zeit am besten erklären zu können würde ich gerne mit dem starken Wunsch der Deutschen nach nationaler Einigung, der ja durch die Gründung des Kaiserreichs erfüllt wurde beginnen.
Dazu müsste ich aber wissen woher dieser starke Wunsche nach nationaler Einheit her kommt.
Der moderne Nationalismus und damit die Vorstellung eines National-Staates sind im wesentlichen, wenn man nach den Ursprüngen dieser Vorstellung fragt, die Ergebnisse der großen westlichen Revolutionen in England, Amerika und vor allem in Frankreich (vgl. z.B. Wehler: Nationalismus und Nation in der deutschen Geschichte, in: H. Berding: Nationales Bewußsein und kollektive Identät, Bd. 2, 1996, S. 163ff und grundsätzlicher dazu A. Giddens: The Nation-State and Violence, 1987).
Zu Beginn des 19. Jahrhundert gibt es auch keine Traditionsbestände, die im geographischen Bereich des HRR und seiner Nachfolgestaaten, eine substantielle Grundlage für eine nationale "deutsche Identät" hätte bilden können. Es gab bestenfalls eine "preußiche", eine "sächsische", eine "bayrische" oder eine "österreichische" Identität.
Mit dem Ende der Befreiungskriege von der französischen Herrschaft und der geographischen Neuformierung der deutschen Länder ging eine gewisse Orientierungslosigkeit vor allem der gebildeten Schichten einher. Die Idee des Nationalismus wurde vor allem durch diese Gruppen aufgegriffen und als "Ersatzreligion" in das Zentrum ihrer politsichen Sichtweise gerückt.
Relevant ist in diesem Zusammenhang, dass die inhaltlichlich Ausprägung des Nationalismus zwischen 1800 und 1820 ausgesprochen liberal ist und ihre Anhänger zu den Reformkräften in Deutschland zählen. Ihre Forderungen zielen dabei vor allem auch auf eine erweiterte politische Teilhabe ab und stellen damit die fürstlichen Privilegien in Frage.
Diese Haltung hat der deutsche Liberalnationalismus bis in 1870 inhaltlich vertreten und war damit eine der dynamischten Modernisierungsbefürworter. Letzlich scheitert diese Bewegung 1848 an den konservativen, partikularen Interessen der Monarchen. Und bis 1918 wurden in Deutschland undemokratische politische Strukturen aufrechterhalten, die große Teile der deutschen Bevölkerung von der aktiven Teilhabe am politischen Leben ausschloss.
Neben diesen Entwicklungslinien ist aber auch die Abgrenzung gegenüber den "Franzosen" und auch der "Franzosenhass" ein Element des zunehmenden Nationalismus.
Da dienen die "Rheinkrise" von 1840 und der jahrelange Kampf um die Herzogtümer Schleswig und Holstein als Kristallisationspunkte, um den Nationalismus "patriotisch" aufzuladen.
Durch Vertreter der "kleindeutschen" Lösung, die auch als "Borussen" (Droysen, Sybel, Mommsen oder Treitschke und andere) sich vor allem von den katholischen Vertretern Österreichs und der Großdeutschen Lösung abgrenzen werden wichtige ideologische Bausteine geliefert, die von den konservativen Nationalisten aufgegriffen worden sind.
Vor allem sie sind die Vertreter der Idee, dass Preußen eine "deutsche Mission" hätte und die kleindeutsche Nation zu errichten hätte. Ob darin der "starke Wunsch der Deutschen", wer immer das eigentlich sein soll, zum Ausdruck kommt sei dahingestellt. Es war eine autokratische Lösung von oben herab, die auch wesentlich großmachtpolitischen Überlegungen von Seiten Bismarck geschuldet war.
Dass es keine Zwangsläufigkeit gibt, die zur preußischen kleindeutschen Lösung geführt hat, zeigt sich während des Konflikts zwischen Preußen und Österreich in 1866. Die wichtigsten Staaten des deutschen Zollvereins stehen auf der österreichischen Seite und nicht auf der preußischen!!!
Mit der Reichsgründung wird die "borussische Idee" von der deutschen National-Staatsgründung zur Realität, obwohl Millionen von deutschsprechenden in Österreich von dieser neuen Reichsgründung ausgeschlossen werden.
Und mit der Reichsgründung und erst jetzt setzt der Funktionswandel des Nationalismus im Deutschen Reich ein. Er wird durch einen konservativen Reichsnationalismus ersetzt, der stark durch die kriegerische Bildung der Nation definiert wird. Die Armee wird zur symbolisch überhöhten politischen Instanz der Reichsgründung und erhält einen innenpolitischen Stellenwert, den Armeen in andern Ländern nicht besessen haben. Zusätzlich abgesichert durch die direkte Verbindung zwischen dem Kaiser, als Oberbefehlshaber, und der Armee.
Das ist sicherlich ein Grund, dass es im DR zu einer besonderen Form des Militarismus gekommen ist, der sich in der Art und der Intensität von anderen Ländern unterschieden hat. (vgl. W. Wette: Militarismus in Deutschland. 2008 oder auch die Arbeit von U. Bröckling: Disziplin. Soziologie und Geschichte militärischer Gehorsamsproduktion. 1997.
In diesem Sinne ist "Moltke d.A." zu widersprechen in seiner nicht korrekten Interpretation des preußischen Militarismus und natürlich auch seiner verkürzten und damit irreführenden Sicht auf die Wurzeln des deutschen Nationalismus. Wer braucht....
Und es sei auf das "nette" Buch von Wiegrefe und Pieper verwiesen, die informative und kompetent Beiträge zum Thema enthalten.
K. Wiegrefe und D. Pieper (Hg.) Die Erfindung der Deutschen, 2007