Urteil Gottschalks zu Wiedervereinigung - unfair?

El Quijote

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Heute jährt sich die Deutsche Wiedervereinigung zum 25. Mal, die Medien, auch übernational, sind voll davon. So auch die Oktoberausgabe des Bahn-Magazins DB Mobil. Darin findet sich u.a. ein gemeinsames Interview mit Thomas Gottschalk und Rüdiger Grube, in dem natürlich auch die 25 Jahre Deutscher Einheit angesprochen werden (wobei das emotionale Datum, das des 9. November vor 26 Jahren etwas ausgeblendet wird). In diesem Interview macht Deutschlands bekanntester Showmaster auf die Frage welche Hoffnungen an die Wiedervereinigungen sich erfüllt hätten und welche nicht, folgende Aussage:
Wir haben lange von einer Wiedervereinigung geredet, aber als es dann passierte, ist doch viel falsch gelaufen. Man hatte ja immerhin über 40 Jahre Zeit, das zu planen. Da habe ich manchmal gedacht »Na, das habt ihr schön versemmelt!«. Man hätte so viele Chancen gehabt mit dieser Neuorientierung, Neusortierung eines ganzen Landes. Ich meine, das hätte besser gemacht werden können.
Nun ist Gottschalk zwar nicht in seiner Eigenschaft als Historiker bekannt, es ist vielleicht sogar eher unbekannt, dass er das Erste Staatsexamen in Deutsch und Geschichte erworben hat, dennoch erscheint mir der Vorwurf aus Historiker-Perspektive etwas unfair. Wie seht ihr das?

Das ganze Interview, damit ihr euch deswegen kein Bahnticket lösen müsst:
http://mobil.deutschebahn.com/db-mittendrin/grube-und-gottschalk-gipfelgespraech/
 
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Heute jährt sich die Deutsche Wiedervereinigung zum 25. Mal, die Medien, auch übernational, sind voll davon. So auch die Oktoberausgabe des Bahn-Magazins DB Mobil. Darin findet sich u.a. ein gemeinsames Interview mit Thomas Gottschalk und Rüdiger Grube, in dem natürlich auch die 25 Jahre Deutscher Einheit angesprochen werden (wobei das emotionale Datum, das des 9. November vor 26 Jahren etwas ausgeblendet wird). In diesem Interview macht Deutschlands bekanntester Showmaster auf die Frage welche Hoffnungen an die Wiedervereinigungen sich erfüllt hätten und welche nicht, folgende Aussage:
Wir haben lange von einer Wiedervereinigung geredet, aber als es dann passierte, ist doch viel falsch gelaufen. Man hatte ja immerhin über 40 Jahre Zeit, das zu planen. Da habe ich manchmal gedacht »Na, das habt ihr schön versemmelt!«. Man hätte so viele Chancen gehabt mit dieser Neuorientierung, Neusortierung eines ganzen Landes. Ich meine, das hätte besser gemacht werden können.
Nun ist Gottschalk zwar nicht in seiner Eigenschaft als Historiker bekannt, es ist vielleicht sogar eher unbekannt, dass er das Erste Staatsexamen in Deutsch und Geschichte erworben hat, dennoch erscheint mir der Vorwurf aus Historiker-Perspektive etwas unfair. Wie seht ihr das?

Das ganze Interview, damit ihr euch deswegen kein Bahnticket lösen müsst:
Grube und Gottschalk: das Gipfelgespräch zur Wiedervereinigung | DB mobil


Leider sagt Hr Gottschalk in dem Interview nicht, was er mit "Neuorientierung" und "Neusortierung" meint. Auch was er als "versemmelt" bezeichnet, wird nicht ausgedrückt.

Die Aussagen sind zu pauschal, um dazu Stellung zu nehmen.
 
Natürlich macht er keine konkreten Aussagen darüber, was er mit Neuorientierung und Neusortierung meint, man könnte sich darunter beispielsweise eine grundlegende Reform des bundesdeutschen Systems der sozialen Marktwirtschaft vorstellen oder eine Neubewertung der NATO-Zugehörigkeit der Bundesrepublik. Fehler ("versemmelt") sind auf jeden Fall bei der Veräußerung der volkseigenen Betriebe der DDR gemacht worden, hier kann man den politischen Gestaltern von damlas sicherlich Naivität vorwerfen. Kohl hat blühende Landschaften versprochen aber manche Regionen fielen brach. Ein paar Beamte gingen aus dem Westen in den Osten, aber im Grunde genommen zogen vor allem Ostdeutsche der Arbeit hinterher in den Westen. Da ist viel schief gelaufen, weil man die Euphorie der Bevölkerung und die Profitsucht der Aktiengesellschaften nicht ausreichend auseinanderhielt. Auf der anderen Seite ist natürlich fraglich, ob man es hätte langsamer angehen lassen können. Da waren natürlich symbolische Gründe (bloß kein 41. Jahrestag der DDR!) genauso entscheidend, wie das Unverständnis der Bevölkerung, warum das ganze nicht schneller von Statten ging (die linken Parteien haben ihren Skeptizismus damals mit dem Verlust von Wählerstimmen bezahlen müssen). Die Protagonisten der damaligen Zeit (Kohl, Genscher, Waigel, Schäuble) vertreten ja die Auffassung, dass es für die Wiedervereinigung nur ein kleines Zeitfenster zu nutzen galt, welches sich wieder zu schließen drohte, wofür es sicherlich gute Argumente gibt.

Was ich an Gottschalks Vorwurf so unfair (und a-historisch) finde, ist, dass er davon ausgeht, man habe vierzig Jahre lang Zeit gehabt zu planen. Natürlich war es erklärtes Ziel insbesondere der konservativen Parteien seit 1949 Deutschland wiederzuvereinigen. Brandts Politik des Wandels durch Annäherung ist ja auch von konversativer Seite in z.T. beleidigender Weise angegriffen worden. In der Rückschau hat sie sich als erfolgreich erwiesen.
Aber selbst für die Konservativen, welche den Anspruch hegten, dass es nur ein Deutschland geben könne und welche die DDR daher nicht als eigenständigen Staat anerkannten (zumindest so lange nicht, bis Brandt Fakten schuf, welche aus völkerechtlichen Gründen und solchen der Staatsraison nicht wieder reversibel waren) haben doch Realpolitik betrieben und damit überhaupt gar keine Maßnahmen für eine Wiedervereinigung getroffen. Allenfalls kann man den politischen Gestaltern der Kohlära vorwerfen, dass sie die sechs Monate vor dem Mauerfall (abzüglich der zwei Monate Sommerpause ;) ) die Entwicklung im Osten nicht optimistisch genug begleiteten. Und hier wiederum entlastet sie das Tian'anmen-Massaker, zu dem sich ja Krenz in schuldumkehrender Weise geäußert hatte. Es war also für die Westpolitiker gar nicht abzusehen, dass die Ereignisse im Osten sich so erfreulich entwickeln würden, wie sie sich dann entwickelten.
 
Nun ist Gottschalk zwar nicht in seiner Eigenschaft als Historiker bekannt, es ist vielleicht sogar eher unbekannt, dass er das Erste Staatsexamen in Deutsch und Geschichte erworben hat, dennoch erscheint mir der Vorwurf aus Historiker-Perspektive etwas unfair. Wie seht ihr das?
Zwar gefallen sich heuer in der Glotze sogar Fernsehköche darin, den Weltlauf unbeholfen zu erklären, aber das scheint mir insgesamt kein zwingender Grund zu sein, die Weltlauferläuterungen sämtlicher Entertainer ernst zu nehmen. Die Verdienste von Entertainern, Fußballtrainern und Tennisgrößen liegen sicher nicht im aufarbeiten oder erforschen der neueren Geschichte. Kurzum ist dergleichen kaum bis nicht der Rede wert.
 
Überlegungen, ob die Wiedervereinigung auch anders oder besser hätte laufen können, gehören ja zum rezeptionsgeschichtlichen Allgemeingut um dieses Ereignis. Einer der größten Kinohits der 00er Jahre, "Good bye Lenin", befasst sich ja mit genau dieser Frage.
Leider lässt sich Gottschalk in der Tat nicht dazu aus, was er gerne anders gehabt hätte. Politische Aussagen hat er in seiner Karriere weitgehend vermieden. Bei einer der letzten Bundestagswahlen hat er sich als FDP-Wähler geoutet. Auch habe ich ihn als bedingungslosen USA-Fan in Erinnerung.
Die Aussage, man hätte die Wiedervereinigung 40 Jahre lang planen können, ist natürlich ahistorisch. Interessanter wäre die Frage, ob entsprechende wirtschaftliche oder politische Pläne vor 1990 in Bonn oder Berlin in der Schublade lagen; über die diversen militärischen Planspiele ist ja einiges bekannt.
 
Nun ist Gottschalk aber kein Fernsehkoch sondern ausgebildeter Historiker.
Tante Wiki beschreibt das so:
Ein Stipendium der Deutschen Bischofskonferenz ermöglichte es ihm, Germanistik und Geschichte für das Grund- und Hauptschullehramt an der Ludwig-Maximilians-Universität München zu studieren.
aus: https://de.wikipedia.org/wiki/Thomas_Gottschalk
als Grund- und Hauptschullehrer ist er nicht tätig geworden, Publikationen in der Art, wie sie ausgebildete Historiker veröffentlichen, scheint es von ihm keine zu geben.
 
Überlegungen, ob die Wiedervereinigung auch anders oder besser hätte laufen können, gehören ja zum rezeptionsgeschichtlichen Allgemeingut um dieses Ereignis. Einer der größten Kinohits der 00er Jahre, "Good bye Lenin", befasst sich ja mit genau dieser Frage.
Ein großartiger Film, wobei der sich ja parallel mit den tatsächlichen Ereignissen der Wendezeit eher mit einer besseren, wünschenswerteren DDR befasst als mit einem besser verlaufenen Wiedervereinigungsprozess.

Interessanter wäre die Frage, ob entsprechende wirtschaftliche oder politische Pläne vor 1990 in Bonn oder Berlin in der Schublade lagen; über die diversen militärischen Planspiele ist ja einiges bekannt.
Ich denke, das ist so ähnlich - wenn dieser Vergleich erlaubt ist - wie mit G.W. Bushs Iraqkrieg: Mann hatte militärische Planungen in der Schublade war aber völlig planlos für den Fall des Sieges. In D hatte man den Bunker der Bundesregierung, den Bundesbankbunker mit der Ersatzwährung, falls der Ostblock Falschgeld in Umlauf bringen würde, aber für den Fall des Beitritts der DDR zur BRD, das war aus damaliger Sicht so fern jeglicher realpolitischen Wirklichkeit, dass man hierfür keine Plände hatte. Und woher sollte man auch die notwendigen Erfahrungen haben? Es ist noch nie zuvor ein Land mit einem (gescheiterten) planwirtschaftlichen Wirtschaftssystem mit einem sozialmarktwirtschaftlichen Wirtschaftssystem vereinigt worden, nachdem vierzig Jahre lang die Kontakte zwischen den Bevölkerungen zumindest von einer Seite klein gehalten wurden.

Publikationen in der Art, wie sie ausgebildete Historiker veröffentlichen, scheint es von ihm keine zu geben.

Sagen wir mal so: Die meisten ausgebildeten Historiker dürften Lehrer sein und die wenigsten davon dürften publiziert haben. Insofern ist die Publikationsaktivität kein Kriterium, das einen ausgebildeten Historiker ausmacht.
 
Sagen wir mal so: Die meisten ausgebildeten Historiker dürften Lehrer sein und die wenigsten davon dürften publiziert haben. Insofern ist die Publikationsaktivität kein Kriterium, das einen ausgebildeten Historiker ausmacht.
...Schulen gibt es verschiedene, und das mit verschiedenen Ansprüchen. Je nach Bundesland genügt dem an Grund- und Hauptschulen als Lehrer tätigem Germanisten und Historiker ein FH-Studium -- wie dem auch sei: die Qualifikation, um Geschichte an Hauptschulen zu lehren, unterscheidet sich nicht unerheblich von der Qualifikation, auf einem C4 Lehrstuhl Geschichte an der Uni zu lehren.
Das Ettikett "Historiker" klebt nicht pauschal auf stets demselben Produkt ;)
 
Mal eine grundsätzliche Frage:
Wieso muss man eigentlich Historiker sein, um sich darüber Gedanken machen zu können, was man bei der Wiedervereinigung anders hätte machen können oder sollen? Fällt das nicht eher unter "kontrafaktische" Geschichtsschreibung, die letztlich ohnehin reine Spekulation ist?
 
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Mal eine grundsätzliche Frage:
Wieso muss man eigentlich Historiker sein, um sich darüber Gedanken machen zu können, was man bei der Wiedervereinigung anders hätte machen können oder sollen?
Muss man nicht.
Aber hier wurde dezidiert darauf hingewiesen, dass Fernsehentertainer Gottschalk ein "ausgebildeter Historiker" sei (Lehramt Hauptschule, mehr nicht, und dieses nie angetreten) - - was das hilft, wenn Fernsehentertainer Gottschalk Plattitüden von sich gibt, hat sich mir noch nicht wirklich erschlossen.
 
Nein, man muss natürlich kein Historiker sein. Von einem Historiker, egal, ob er nun nur das HS I belegen musste oder das HS II (die Unterschiede sind marginal), erwarte ich mir allerdings fundiertere Aussagen, als von einem x-beliebigen Showmaster.
Mir geht es allerdings in erster Linie um die Aussage, man habe vierzig Jahre lang Zeit gehabt, die Wiedervereinigung vorzubereiten und dies dann versemmelt. Ich halte die Aussage für zu kurz gesprungen und - bei allen Fehlern die gemacht wurden - aus den in den vorhereigen Beiträgen genannten Gründen für unfair. Ich wollte wissen, wie ihr das seht.
 
Ich halte die Aussage für zu kurz gesprungen und - bei allen Fehlern die gemacht wurden - aus den in den vorhereigen Beiträgen genannten Gründen für unfair. Ich wollte wissen, wie ihr das seht.
von einer 40jährigen akribischen Vorbereitungszeit, die permanent mit Planungen ausgefüllt war, kann keine Rede sein (weder links noch rechts der Elbe).
 
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von einer 40jährigen akribischen Vorbereitungszeit, die permanent mit Planungen ausgefüllt war, kann keine Rede sein (weder links noch rechts der Elbe).

Völlig Planlos war es auch nicht. Im Osten gab es Listen mit Leuten die im Falle der Einnahme Berlins festzunehmen oder zu erschiessen seien.

Da denke ich doch, dass die Vereinigung wie stattgefunden doch das wesentlich geringere Übel war.
 
Von wann war die Liste und wie lange war sie aktuell, also wäre sie meinetwegen 1985 noch ausgeführt worden? Oder wurde sie gar bis 1989 immer wieder aktualisiert?
 
Von wann war die Liste und wie lange war sie aktuell, also wäre sie meinetwegen 1985 noch ausgeführt worden? Oder wurde sie gar bis 1989 immer wieder aktualisiert?

Es gab mal ein ausführlichen Artikel im Spiegel über die militärischen Pläne der DDR und im Rahmen dessen die Einnahme Westberlins und die erwähnten Listen. Die Pläne wurden anscheinend bis relativ spät auf dem Laufenden gehalten.

Der Artikel habe ich nicht gefunden aber diesen Hinweis auf eine Ausstellung zu den entsprechenden Übungen:

https://www.berlin.de/lstu/ausstellung/mfs-wb-plan.html

"Im selben Jahr probte die NVA in der Stabsübung »Bordkante ’85« die militärische Eroberung West-Berlins.
Bürger in West-Berlin, die das MfS beim Einmarsch verhaften und internieren wollte, waren bereits listenmäßig erfasst.

Diese Planungen aus dem Jahre 1985 wurden in der Folgezeit jährlich neu bestätigt. Erst die friedliche Revolution der Jahre 1989/90, in deren Verlauf das MfS aufgelöst wurde und das SED-Regime zusammenbrach, befreite auch die Bewohner West-Berlins von der Gefahr, eines Tages vom MfS überwacht und verhaftet zu werden.
"

In der Presse war seinerzeit von "Todeslisten" die Rede.
 
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Von einem Historiker, egal, ob er nun nur das HS I belegen musste oder das HS II (die Unterschiede sind marginal), erwarte ich mir allerdings fundiertere Aussagen, als von einem x-beliebigen Showmaster.

Du solltest Gottschalk allerdings auch nicht überfordern. Der Herr ist Jahrgang 50: zu seinen (und meinen...) Zeiten wurde das Grund- und Hauptschullehramt nicht an der Uni, sondern an der PH studiert. (PH = Pädagogische Hochschule) Dort gab es weder HS I noch HS II oder Vergleichbares, und fachwissenschaftlich konnte die Ausbildung dort auch nicht wirklich genannt werden. Wie denn auch, bei einem Schein im Grund- und einem im Hauptstudium. Pro Schulfach, versteht sich (da steht im Wikiartikel bei Gottschalk sowieso eins zuwenig; als GHS mußte er damals drei Fächer haben). Benotete Scheine durften es in den beiden ersten Fächern sein, im dritten Fach reichte ein Bleiarschausweis, auch Sitzschein genannt.
 
Schublade Plan: „GVS - WVD“ (Geheime Verschlusssache – Wiedervereinigung Deutschland) .
Vielleicht gab es so etwas in der Bundesrepublik.
Vielleicht gab es so etwas auch in der DDR.

Ein Kollege in meinem damaligen beruflichen Umfeld gehörte wohl zu einem „Kader – Pool“ die geschult worden für den Tag „X“. Genaueres kann ich allerdings dazu nicht sagen. Ich wusste nur, er gehört dazu, was allerdings er dort macht war geheim.

Beginnend in der 70igern, ausgeprägter in den 80igern war jedenfalls in meiner Wahrnehmung eine deutsche Wiedervereinigung kein Thema das oben auf der Agenda der politischen Parteien in West und der SED incl. der Blockparteien in Ost stand.

Ich kann mich irren, aber die letzten ernsthaften Gespräche zu einer eventuellen deutschen Wiedervereinigung führte wohl im Juni 1964 der Privataußenminister von Nikita Chruschtschow, Alexej Iwanowitsch Adschubej. Zu mindestens wurde etwas weniges davon in der Öffentlichkeit bekannt. Hat wohl auch zum Sturz von Nikita Chruschtschow mit beigetragen (Oktober 1964).

Wiedervereinigung ohne „Да“ hätte es nie gegeben.
Der Schlüssel zur Wiedervereinigung lag in der UdSSR und sonst nirgendwo.

Geschuldet den Entwicklungen der damaligen Zeit (Perestroika, Glasnost, erstarken der Bürgerrechtsbewegung in der DDR – Montagsdemos usw. -, Ökonomische Situation der UdSSR und der anderen Staaten des Warschauer Vertrages incl. DDR u.a., labile politische Lage in Bündnisstaaten wie Polen, Rumänien, Ungarn) öffneten die Russen ein Zeitfenster zur deutschen Wiedervereinigung.

Ich meine, hätte die damaligen Bundesregierung unter H. Kohl hier ein „Für und Wieder“ abgewogen, hätte man im Deutschen Bundestag lange herumdiskutiert, wäre wohl so eine Situation entstanden, die politisch herrschenden der DDR hätten die Russen zur Wiederherstellung der Ordnung (sozialistische Ordnung) gebeten und wahrscheinlich hätten die Russen unter diesen Umständen nicht „нет“ gesagt. Gorbatschow hatte ja nicht nur Freunde im Politbüro und im ZK der KPdSU und unter denen waren einige, die die DDR für so etwas hielten wie den „Blauen Diamanten“ und die waren nicht ohne Einfluss.

Als Modrow im beginnenden Prozess der Vereinigung den Gedanken einer Konföderation aufbrachte, dachte ich und vielen in meinem Bekanntenkreis, was ist das dann nun, was soll das, das wird nicht funktionieren.

Eine Schlüsselstellung im beginnenden Prozess der Vereinigung nahm die Industrie ein. Dies entwickelte sich schnell zur einer „Goliath – Aufgabe“.

Ob die Treuhand als ausführendes Organ da immer richtig gehandelt hat, darüber kann man heute trefflich diskutieren.
Damals jedenfalls musste man entscheiden was aus den vielen VE - Industriebetrieben werden soll. Es war ja zu entscheiden, Fortführung, dh. Privatisierung oder Abwicklung.

Dann das Problem der Sozialleistungen der DDR.
Ich bin mir nicht einmal sicher ob der Begriff „Sozialleistung“ korrekt das bezeichnet was man mit so einem Begriff verbindet, denn dieser Begriff war im Falle der DDR politisch-ideologisch geprägt und so zu verstehen.

Z.B.:
* Die 2. und auch mitunter genannte 3. Lohntüte war ökonomischer Blödsinn und führte dazu, vieles verkam, konnte nicht repariert und/oder modernisiert werden (Tausende Beispiele, markantes Beispiel Miete von Wohnungen).
* Staatliche Preispolitik die eine politisch-ideologisch ausgerichtete Preispolitik war. Ökonomische Erfordernisse spielten im Land > wo man bald das Geld abschafft/ Ziel Kommunismus < keine besondere Rolle.

Das eine oder andere hätte man vielleicht – den Gunst der historischen Stunde geschuldet – kritisch unter die Lupe nehmen sollen.
Mir fällt da immer als Erste unser Lied – das Lied der Deutschen ein.
Vielleicht wäre es besser gewesen wenn man das Gedicht von B. Brecht, vertont von H. Eisler, an dessen Stelle gesetzt hätte.

Natürlich gabs im Prozess der Vereinigung auch viel Blödsinn.
Blödsinn gab es Hüben wie Drüben.
C’est la vie, das ist nun mal in so einen gewaltigen Prozess nicht zu vermeiden.

:) Und es gab auch Satire, "Good bye Lenin", "Go Trabi go" u.a.
 
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Im Osten gab es Listen mit Leuten die im Falle der Einnahme Berlins festzunehmen oder zu erschiessen seien.
...das klingt ja nun weniger nach Wiedervereinigung als nach kriegerischer Eroberung...

Völlig Planlos war es auch nicht.
Gab es Pläne, in welchen akribisch die Maßnahmen zur Herstellung einer dem "westlichen" Standard entsprechenden Infrastruktur aufgelistet waren und die dann realisiert wurden? Das scheint mir nicht der Fall gewesen zu sein...
 
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