Vergleich der "Demokratie" zwischen Antike und Wikingern

R

Reinhard

Gast
Meines Wissens nach entwickelten die Wikinger ja schon vor den Griechen eine Art Demokratie! Hat hierzu jemand einen Text, in welchem ein direkter Vergleich angestellt wird?

Danke
 
Lieber Reinhard,
meines Wissens gab es vor den Griechen keine Wikinger. Hast Du einen Text, in dem das steht?
 
haha, sorry mein Fehler! Ich meinte natürlich, das die Wikinger eine Art Demokratie entwickelten ohne von den Griechen gewusst zu haben!

Erste Anfänge der Demokratie waren aber in Athen, oder kann man das nicht als Demokratie im heutigen Sinn sehen?
 
Es war wohl eher eine Art "neoliberaler" Demokratie, wählen durften nur nichtzugezogene wohlhabende Bürger. Im antiken Athen waren es vielleicht zusammen 6000 Leute.
Der Rest (Frauen, Zugezogene, Arbeiter) durften nicht wählen.
 
und wer entwickelte im Verlauf der Geschichte schon eine Demokratie in der Art wie wir sie haben???
 
Die germanische Bevölkerung Südskandinaviens hatte zur Zeit der Römer eine Demokratie, die zumindest etwas weiter ging als die griechiche Demokratie. Das der Begriff Wikinger nur für eine bestimmte Zeit angewendet wird ist in diesem Zusammenhang unwichtig. Ich denke, Reinhards Aussage wurde von allen verstanden.
Die sogenannte griechiche Demokratie galt nur für sehr wenige Menschen. Allerdings hatten auch bei den Germanen vor dem Feudalsystem nur die freien Männer Stimmrecht, aber immerhin war dies nicht von Steuerzahlungen abhängig. Die ärmeren Freien waren nicht ausgeschlossen, allerdings gab es auch keine so großen wirtschaftlichen Unterschiede.
Die Schweizer Demokratie baute auf diesen Traditionen auf. Demokratie ist also keine Idee der Neuzeit!
 
Paul schrieb:
Die germanische Bevölkerung Südskandinaviens hatte zur Zeit der Römer eine Demokratie, die zumindest etwas weiter ging als die griechiche Demokratie.
Lieber Paul,
woher weißt Du etwas über die germanische Bevölkerung Südskandinaviens zur Zeit der Römer?

Paul schrieb:
Die Schweizer Demokratie baute auf diesen Traditionen auf.
Ist vorgemerkt für meine nächste Verschwörungstheorie.
 
Ich nehme mal an, dass du mit deiner Behauptung, die Südskandinavische Bevölkerung hätte zur Römerzeit eine Art Demokratie besessen, den üblichen Schlußfolgerungen unreflektiert folge leistest. Ich fand diese Behauptung auch mal sehr spannend und war anfänglich sehr begeistert. Nun weiß ich aber durch mein Studium solche Thesen zu hinterfragen und diese ominöse präwikingische Demokratiegeschichte hat leider weder Hand noch Fuß. Zum einen wird hier die besondere Gesellschaftsform der isländischen Wikinger, die am ehesten einer Demokratie entsprach, von der älteren Forschung auf die Frühzeit Skandinaviens übertragen, wobei diese Vorgehensweise mehr als fragwürdig ist, zum anderen wird hierzu meist die Germania des Tacitus als Beleg herangezogen. Da Tacitus doch auch tatsächlich einen Stamm (Suionen) erwähnt, den man Südschweden zuordnet, werden seine Ausführungen über die Germanen auch auf Südskandinavien der Römerzeit übertragen. Über den tatsächlichen Bezug der taciteischen Germania zur germanischen Gesellschaft werde ich mich jetzt nicht äußern, da es den Umfang doch etwas sprengen würde. ;)
Dann kommt noch ein Aspekt zu dieser Theorie hinzu, der weniger mit alten historischen Begebenheiten sonder eher mehr mit modernen Phänomenen zu tun hat. Und zwar der Versuch der modernen Wikingerfreunde, dieses, durch die NS-Zeit und auch vor allem durch die mittelalterliche Geschichtsschreibung in Verruf gekomme "Volk" in ein freundlicheres Licht zu rücken und den demokratischen Aspekt dabei besonders hervorzuheben.
Wir wissen nichts über eine demokratische südskandinavische Gesellschaft zur Römerzeit und die archäologischen Funde helfen der Theorie auch nicht weiter. Eine Verallgemeinerung der Gesellschaftstrukturen germanischer Stämme halte ich nach heutigem Forschungsstand für nicht tragbar und bei dieser These handelt es sich um nichts anderes.

Gruß

Marbod
 
Ja, aber das war lange nach der Römerzeit und auch nicht in Südskandinavien.

Es wäre sogar denkbar, daß die Isländer deswegen demokratische Verfahren eingeführt haben, weil sie das autoritären Strukturen, die sie von "zu Hause" in Skandinavien kannten, satt hatten.
 
Marbod schrieb:
Zum einen wird hier die besondere Gesellschaftsform der isländischen Wikinger, die am ehesten einer Demokratie entsprach, von der älteren Forschung auf die Frühzeit Skandinaviens übertragen, wobei diese Vorgehensweise mehr als fragwürdig ist...
Die Isländer haben die Thingtradition aus Norwegen importiert. Es handelte sich mit nichten um eine Demokratie, sondern um eine Oligarchie der Goden. Bei der Gründung 930 gab es 36 Godentümer im Land, jedes mit einem Häuptling, welches stimmberechtigtes Mitglied war. Als das Land 965 in Viertel aufgeteilt wurde, stieg die Zahl auf der Repräsentanten auf 39. Bei späteren Revisionen wurde die Zahl auf 48 festgelegt. Bei der Einführung des Christentums waren es dann 51, weil auch der Gesetzessprecher und die beiden Bischöfe Mitglieder wurden. Jedem Goden standen nachher zwei Berater bei, so dass die endgültige Zahl am Ende bei 147 lag.
Gleichwohl waren alle freien Bauern mit einem bestimmten Vermögen zur Thingfahrt verpflichtet. Diese hatten aber keine gesetzgebende Funktion. Sie sprachen nur Recht.

Marbod schrieb:
Wir wissen nichts über eine demokratische südskandinavische Gesellschaft zur Römerzeit und die archäologischen Funde helfen der Theorie auch nicht weiter. Eine Verallgemeinerung der Gesellschaftstrukturen germanischer Stämme halte ich nach heutigem Forschungsstand für nicht tragbar und bei dieser These handelt es sich um nichts anderes.
Wie recht du hast.
Aber als das Licht der Geschichte auf das Volk fiel, hatten wir in Nordnorwegen bereits Thing-Strukturen. Das hängt einfach mit dem Gelände zusammen, dass es bei den frühen Verkehrsmöglichkeiten ausschloss, eine weiträumige zentralistische Herrschaft aufzurichten.

Fingalo
 
Man sollte zur Vermeidung romantischer Glorifizierungen auch beachten, dass diese Oligarchie ursprünglich keinen antimonarchischen Drive hatte, wie es einige Quellen nahelegen, die Harald Schönhaar für die Auswanderung nach Island verantwortlich machen. Vielmehr gab es bei der Neubesiedlung von Natur aus keine Herrschaftsstrukturen, was in der Anfangszeit dank der dünnen Streu-Besiedlung und der wenigen Konfliktfälle auch unschädlich war. Anfang des 10. Jh. aber hatte die Zunahme der Bevölkerung schon eine Regelung des Zusammenlebens erforderlich gemacht. Gleichwohl gab es nach Einführung der Thingordnung keine öffentliche Gewalt, keine Polizei, überhaupt keine das Land übergreifende Herrschaftsstruktur. Das hängt aber nicht mit Freiheitssinn, sondern mit der geographischen Beschaffenheit zusammen. Die enge Verbindung zu Norwegen blieb ja erhalten und viele Goden waren oder wurden Hof- und Gefolgsleute des norwegischen Königs (hirdmenn) - und niemand fand etwas dabei. Im Gegenteil: Sie waren nicht etwa Verräter an der freiheitlichen Sache, sondern die Stellung bedeutete einen Ansehenszuwachs. Aber die mangelnde Herrschaftsstruktur ohne Gewaltmonopol führte schließlich zum Bürgerkrieg.
Eine gewisse Abwehrhaltung kam erst nach der Christianisierung auf, weil sich die norwegischen Könige zunehmend in die inneren Angelegenheiten einmischten, insbesondere was die Kirche betraf. Diese war wiederum naturgemäß pronorwegisch, obgleich der damals bis 1050 noch in Þingvellir amtierende Missionsbischof Rudolf selbst Angelsachse war. Aber dabei muss man berücksichtigen, dass Norwegen ebenfalls von England aus christianisiert wurde. Ursache für die antinorwegische Haltung der Goden war der drohende Machtverlust zu Hause. Die Goden waren gleichzeitig Häuptling und Priester.
Aber zunächst kam es 1022 zu einem "völkerrechtlichen Vertrag" zwiwchen Island und Norwegen (König Olav Haraldsson), der notwendig wurde, weil Island auf die Holzlieferungen aus Norwegen angewiesen war, die durch den Vertrag abgesichert wurden.
Außerdem war es in Island mangels zentraler Herrschaftsstrukturen zu bügerkriegsähnlichen Zuständen gekommen, die erst 1018 endeten.

Fingalo
 
Zur Demokratie der Wikinger weiß ich nicht so viel, aber ein Grundzug der attischen Demokratie ist, dass die Bürger nicht nur an der Volksversammlung teilnehmen konnten sonder überhaupt jeder Bürger nach Möglichkeit einmal im Leben ein politisches Amt innehaben sollte, selbst wenn er nur mal Geschworener oder Beamter war. Daher auch die vielen politischen Stellen (Geschworenengericht, Rat der 500,...) und die regelmäßige Verlosung von Ämtern. solche zusätzlichen Instanzen zur Unterstützung und Entlastung der Volksversammlung gab es bei den wikingern anscheinend nicht. Thing und Volksversammlung kommen mir allerdings relativ ähnlich vor und der attische Bürger schien ähnliche Vorraussetzungen zu erfüllen müssen wie zum Thing zugelassenen. Bloß die von fingalo erwähnte Möglichkeit sich beim Thing vertreten zu lassen gab es bei den griechen nicht.
 
Wenn man sich mal die Geographien und die dazu gehörige Bevölkerungsverteilung ansieht, dann leuchten die Unterschiede unmittelbar ein: Hie Stadtbevölkerung, da weit verteilte Bauernhöfe an der Peripherie des Landes.

Fingalo
 
Entscheidender Unterschied neben den vielen Ämtern scheint mir aber die Zentralgewalt zu sein, die es in Island nicht gab. Der "Staat" war nicht in der Lage, ein Urteil zu vollstrecken. Vielmehr blieb dies der obsiegenden Partei überlassen. Das Rechtssystem war ebenfalls in einem entscheidenden Punkt befremdlich: Es gab nicht den Rechtfertigungsgrund der Notwehr. Das bedeutet, dass eine Verletzung des Angreifers in Notwehr gebüßt werden musste! Dies führte zu den unendlichen Fehden der Blutrache. Außerdem hatten die Frauen in Island entscheidenden Einfluss auf die Sozialstruktur und die Aufrechterhaltung der Fehden. Wer eine Verletzung nicht rächte, hatte bei den Frauen keine Chance. So haben die Frauen im Hintergrund die lange Blutspur durch die isländische Frühzeit am Leben gehalten. Später haben dann die Bischöfe entscheidend zur Kappung dieser Rache-Lawine beigetragen. Sie haben dann auch eine rudimentäre Polizeitruppe aufgestellt, die "Gamalsveinar".
Im Gegensatz zu Athen, wo die an der Politik beteiligten Bürger keiner eigenen Arbeit nachgingen, sondern sie durch Sklaven verrichten ließen, waren die Goden nicht etwa von jeglicher Arbeit freigestellt, sondern in die Landwirtschaft eingebunden.

Fingalo
 
fingalo schrieb:
Entscheidender Unterschied neben den vielen Ämtern scheint mir aber die Zentralgewalt zu sein, die es in Island nicht gab. Der "Staat" war nicht in der Lage, ein Urteil zu vollstrecken. Vielmehr blieb dies der obsiegenden Partei überlassen.
Fingalo

Lieber Fingalo, Du hast recht. Bei den Germanen in Deutschland war es ähnlich. Es reichte nicht aus im Thing recht zu bokommen, sondern manb mußte dieses Recht auch selbst durchsetzen, :mad:
 
Zurück
Oben