Versorgung der Schweiz

H

Hurvinek

Gast
Da an anderer Stelle von Kampfhandlungen auf Schweizer Territorium im 2.Weltkrieg die Rede und die Internierungen von zehntausenden Soldaten war, fällt mir in diesem Zusammenhang eine profane Frage ein:
Wie hat sich die neutrale Schweiz von 1940 - 1945 mit Nahrungsmitteln versorgt? Grundsätzlich aus eigener Produktion?
 
Da an anderer Stelle von Kampfhandlungen auf Schweizer Territorium im 2.Weltkrieg die Rede und die Internierungen von zehntausenden Soldaten war, fällt mir in diesem Zusammenhang eine profane Frage ein:
Wie hat sich die neutrale Schweiz von 1940 - 1945 mit Nahrungsmitteln versorgt? Grundsätzlich aus eigener Produktion?

Diese Versorgung wird bei uns in der Schweiz Anbauchlacht genannt.

Im Sommer 1940 beschloss der Bundesrat ein schweizerisches Anbauwerk, ein zeitlich beschränktes Autarkieprogramm. Die Ackerbaufläche sollte um 300 000 ha vergrössert und die Viehzucht um ein Fünftel reduziert werden. Die Verwirklichung begann 1940/41. Parks und Sportanlagen verwandelten sich nun in Getreidefelder oder Kartoffeläcker. Bei Kriegsende betrug die angebaute Fläche 352 000 ha, wobei 60 000 ha durch Entwässerung und 10 000 ha durch Waldrodungen gewonnen waren. Das Ziel von 500'000 ha wurde jedoch verfehlt. Widerstände in den Viehwirtschaftsregionen, Anbaumüdigkeit und Arbeitskräftemangel, das Ausbleiben von Arbeitslosigkeit und die trotz Blockaden nie völlig versiegenden Zufuhren waren die wichtigsten Gründe dafür, dass der Impuls der Anbauschlacht nach der fünften Anbauetappe von 1942 gebremst wurde.

Der Getreideertrag stieg von 0.28 Millionen Tonnen (1939) auf 0.53 Millionen Tonnen (1944), jener der Kartoffeln von 0.77 Millionen Tonnen (1938) auf 1.82 Millionen Tonnen (1944) Der Rückgang der Getreideimporte von 1.15 Millionen Tonnen auf 0.15 Millionen konnte damit allerdings keineswegs kompensiert werden. Autark wurde die Schweiz während des zweiten Weltkrieges nie; der Selbstversorgungsgrad stieg - bei gesunkener Gesamtmenge des Verbrauchs von 52 auf 59 Prozent. Verbunden allerdings mit einer Senkung der durchschnittlichen Kalorienmenge pro Person von 3'200 auf 2'200 kcal.

Dagegen ging von der Anbauschlacht eine psychologische Wirkung aus; der Durchhaltewille wurde gestärkt.

Vor allem in den Voralpen- und Alpengebieten, wo seit Generationen kein Ackerbau mehr betrieben worden war, gestaltete sich die Durchführung des Plans schwierig. Grosse Probleme boten die Festlegung der auf anderthalb Jahre angelegten Produktionspläne sowie die Beschaffung von Saatgut, wo eine grosse Auslandsabhängigkeit bestand. Schwierig war auch die Bereitstellung der Arbeitskräfte. Das Anbauwerk erforderte rund 7 Millionen zusätzlicher Arbeitstage pro Jahr; die nach wie vor teilmobilisierte Armee entzog der Landwirtschaft indessen Arbeitskräfte und auch Pferde. Der Bundesrat führte daher die Arbeitsdienstpflicht ein, der alle Schweizerinnen und Schweizer zwischen 16 und 65 Jahren unterstanden. Neben Jugendlichen, Studenten und Frauen schlossen auch Flüchtlinge und Internierte die Lücken. 1944 waren 145 000 zusätzliche Helfer im Einsatz.

Quellen: Historisches Lexikon der Schweiz
Die Schweiz und ihre Geschichte

Hier gibt es noch mehr Infos dazu:

Anbauschlacht

Plan Wahlen - Wikipedia

Und hier eine Ansprache des Bundesrates zur Anbauschlacht (in Schweizerdeutsch):

02.05.1942
Ansprache zur Anbauschlacht
 

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Sehr interessante Informationen.

Meine wohl beruflich bedingte Deformation ist es, bei Zahlenangaben dieser Art immer etwas nach Plausibilität nachzuprüfen.

Und das gibt etwas merkwürdige Ergebnisse.

Der Getreideertrag stieg von 0.28 Millionen Tonnen (1939) auf 0.53 Millionen Tonnen (1944), jener der Kartoffeln von 0.77 Millionen Tonnen (1938) auf 1.82 Millionen Tonnen (1944) Der Rückgang der Getreideimporte von 1.15 Millionen Tonnen auf 0.15 Millionen konnte damit allerdings keineswegs kompensiert werden.
Ich würde vermuten, daß eine Tonne Kartoffeln ähnlich gut nährt wie eine Tonne Getreide.

Und dann müßte ein Zuwachs von 0,25 Miot Getreide und 1,05 Miot Kartoffeln locker ausreichen, um 1 Miot Importsenkung zu kompensieren.

der Selbstversorgungsgrad stieg - bei gesunkener Gesamtmenge des Verbrauchs von 52 auf 59 Prozent. Verbunden allerdings mit einer Senkung der durchschnittlichen Kalorienmenge pro Person von 3'200 auf 2'200 kcal.
Alleine die gesenkte Menge pro Person müßte doch reichen, um den Selbstversorgungsgrad auf über 80% zu heben!
Und DAZU kämen dann die zusätzlichen Anbauflächen.

Wer immer diese Zahlen zusammengestellt hat - er hat m. E. einige Bezugsgrößen verwechselt.
 
Sehr interessante Informationen.

Meine wohl beruflich bedingte Deformation ist es, bei Zahlenangaben dieser Art immer etwas nach Plausibilität nachzuprüfen.

Und das gibt etwas merkwürdige Ergebnisse.


Ich würde vermuten, daß eine Tonne Kartoffeln ähnlich gut nährt wie eine Tonne Getreide.

Und dann müßte ein Zuwachs von 0,25 Miot Getreide und 1,05 Miot Kartoffeln locker ausreichen, um 1 Miot Importsenkung zu kompensieren.


Alleine die gesenkte Menge pro Person müßte doch reichen, um den Selbstversorgungsgrad auf über 80% zu heben!
Und DAZU kämen dann die zusätzlichen Anbauflächen.

Wer immer diese Zahlen zusammengestellt hat - er hat m. E. einige Bezugsgrößen verwechselt.



Bevölkerung in der Schweiz (ohne Flüchtlinge und Internierte):

1930-1941 4'066'400

1941-1950 4'265'703


Dazu kamen während des Krieges noch insgesamt 290 000 Flüchtlinge und Internierte.
 
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Hallo ursi,

das sind sehr interessante Informationen, vielen Dank dafür!

Gibt es vielleicht auch etwas zu den Rohstoffen, die das Land für industrielle Zwecke 1939-1945 benötigt hat, inkl. Mineralöle, Weiterverarbeitungen (Rohstahl, chemische Erzeugnisse) usw.?

Dort muss es doch beachtliche Importe gegeben haben?


Hintergrund: Aufzeichung in ADAP vom 3.7.1940:

Göring beklagt die von der Schweiz in letzter Zeit eingenommene "feindliche" Haltung. Es herrsche große Unzufridenheit, die Schweiz müsse nun "aufs schärfste angepackt werden". Eine Belieferung mit deutscher Kohle komme überhaupt nicht mehr in Frage, bevor die Schweiz die von Herbst 39 bis Frühjahr 1940 gelieferten 90 Messerschmidt-Jäger wieder an Deutschland zurückgebe.

(ADAP, D X, S. 91)
 
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Durch den Krieg bedingt wurden die Lebensmittel knapp, die Behörden strebten mit der Rationierung eine gerechte Verteilung unter der Bevölkerung angestrebt: jede Person durfte nur eine bestimmte Menge Nahrungsmittel und Güter des täglichen Gebrauchs pro Monat kaufen, dazu wurden monatlich Rationierungsmarken abgegeben. Allerdings waren einzelne Regelungen fragwürdig - ein komplettes Mittagessen im Restaurant wurde z.B. gegen zwei Brotmarken, ein Kilo Brot gegen deren zehn abgegeben. Schlimmer noch war die mangelnde Disziplin der Bauernschaft, Lebensmitteln ab Hof wurden oft direkt an Verwandte und gute Bekannte unter Umgehung der Rationierung abgegeben. (Quelle: mündliche Ueberlieferung). Nicht alle, aber sehr viele Artikel des täglichen Gebrauchs waren rationiert:

Zucker, Teigwaren, Hülsenfrüchte, Reis, Weizen- und Maisgriess, Mehl, Hafer- und Gerstenprodukte, Butter, Speisefette, Speiseöle (ab 30. Oktober 1939)
Textilien, Schuhe, Seife, Waschmittel (ab 1. Dezember 1940)
Kaffee, Tee, Kakao (ab 31. Mai 1941)
Käse (ab 31. August 1941)
Eier und Eiprodukte (ab 3. Dezember 1941)
Frischmilch (ab 1. Januar 1942: Erwachsene 5dl/Tag, Kinder 7 dl/Tag; ab 1. November 1942 10 l/Monat)
Fleisch (ab März 1942)
Honig, Konfitüre, eingemachte Früchte (ab 4. Mai 1942)
Schokolade (ab Juni 1943)

Die Brotration betrug vom Oktober 1942 - Februar 1944 nur 225 g / Tag, ab 1. März 1944 250 g / Tag, allerdings unter Beimischung von Kartoffelmehl. Brot durfte zunächst erst 24 Stunden nach dem Backen verkauft werden, später sogar erst nach 48 Stunden - dadurch sollte der Appetit auf natürliche Weise gedrosselt werden. Das Kartoffelbrot war danach nicht mehr allzu lange haltbar. Es galt das Motto: "Altes Brot ist nicht hart - kein Brot ist hart".

Quelle: Zweiter Weltkrieg: Die Rolle der Schweiz.
 
Hallo ursi,

das sind sehr interessante Informationen, vielen Dank dafür!

Gibt es vielleicht auch etwas zu den Rohstoffen, die das Land für industrielle Zwecke 1939-1945 benötigt hat, inkl. Mineralöle, Weiterverarbeitungen (Rohstahl, chemische Erzeugnisse) usw.?

Dort muss es doch beachtliche Importe gegeben haben?


Hintergrund: Aufzeichung in ADAP vom 3.7.1940:

Göring beklagt die von der Schweiz in letzter Zeit eingenommene "feindliche" Haltung. Es herrsche große Unzufridenheit, die Schweiz müsse nun "aufs schärfste angepackt werden". Eine Belieferung mit deutscher Kohle komme überhaupt nicht mehr in Frage, bevor die Schweiz die von Herbst 39 bis Frühjahr 1940 gelieferten 90 Messerschmidt-Jäger wieder an Deutschland zurückgebe.

(ADAP, D X, S. 91)

Deutschland verhängte im Juni 1940 eine Kohlenblockade und damit wurde der Schweiz gezeigt, dass sie erpressbar wurde. Denn ohne die Rohstoffe aus Deutschland lief in der Schweiz nichts.

Dazu muss man wissen, dass die Schweiz in der Zeit zwischen 1939 und 1940 die Alliierten mit Kriegsmaterila im Wert von 264 Millionen Franken beliferten und dem Deutschen Reich für 1 Million Franken.

Das Deutsche Reich wies die Schweiz darauf hin, dass ihre Neutralität sie bisher auch nicht daran gehindert hätte die Alliierten zu beliefern.

Unter diesen Voraussetzungen gab es deutsch-schweizerische Wirtschaftsverhandlungen. Am 9. August 1940 wurde ein Abkommen geschlossen, dass mehrmals verlängert wurde. Demzufolge lieferte das Deutsche Reich Kohle (pro Jahr fast 2 Millionen Tonnen), Eisen, Mineralöl und andere Rohstoffe. Die schweizerische Exportindustrie wurde dafür zu einem grossen Teil in die deutsche Kriegswirtschaft integriert. (Diese Tabellen habe ich im andern Thread mal reingestellt).

Hier findest du alle Angaben. Das ist der Schlussbericht der Unabhängigen Expertenkommission Schweiz-Zweiter Weltkrieg.

http://www.uek.ch/de/schlussbericht/synthese/uekd.pdf

Und für einzelne Themen:
Unabhängige Expertenkommission Schweiz - Zweiter Weltkrieg UEK
 
Bevölkerung in der Schweiz ...
Dazu kamen während des Krieges noch insgesamt 290 000 Flüchtlinge und Internierte.
Das wären dann etwa 10% Zuwachs - und wird durch die um 30% gesunkene Kalorienzahl mehr als kompensiert.

Ich habe jetzt mal die Zahlen ins Excel gehackt: Wenn die Vorkriegsproduktion für 52% Selbstversorgung gut gewesen sein soll, dann hätte genau diese Menge bei höherer Bevölkerung und niedrigerer Kalorienzahl für 67% Selbstversorgung gereicht.

Und dazu kommen dann die neuen Anbauflächen, die die Selbstversorgung natürlich noch weiter erhöhen.

Irgendwo muß es also noch Fehler bei den zugrunde liegenden Statistiken oder den Abgrenzungen geben.

Was ja für die Diskussion hier oder die Darstellung der "Anbauschlacht" selber nicht wirklich relevant ist.

Aber man sollte diese Zahlen vorsichtig verwenden. Oder mal weiter nachforschen. Es könnte z. B. sein, daß die Differenzen damit zu tun haben, daß im Krieg ein guter Teil der Produktion per Schwarzmarkt aus der staatlichen Statistik verschwindet.
Entsprechend vorsichtig müßte man dann auch den Kalorienverbrauch sehen - der kann real deutlich höher gewesen sein.
 
Aber man sollte diese Zahlen vorsichtig verwenden. Oder mal weiter nachforschen. Es könnte z. B. sein, daß die Differenzen damit zu tun haben, daß im Krieg ein guter Teil der Produktion per Schwarzmarkt aus der staatlichen Statistik verschwindet.
Entsprechend vorsichtig müßte man dann auch den Kalorienverbrauch sehen - der kann real deutlich höher gewesen sein.

Ich werde mal nachforschen, das geht aber erst in zwei Wochen. Bin im :urlaub:

Wobei die Zahlen aus einem Lehrbuch der Schweiz sind und der Kalorienverbrauch vom Historischen Lexikon der Schweiz. Was nicht heisst, das dem Autor kein Fehler unterlaufen sein könnte.
 
Da wünsche ich doch viel Spaß und Erholung!

Wobei die Zahlen aus einem Lehrbuch der Schweiz sind und der Kalorienverbrauch vom Historischen Lexikon der Schweiz.
Das sind schon mal zwei verschiedene Quellen, deren Datenbasen nicht zusammenpassen müssen.

Es ist bei solchen Problemen ja meist nicht so, daß der Autor direkte Fehler à la falsch Addieren macht.
Sondern daß die Bezüge nicht passen.

Z. B. wäre wichtig, auf welche Gesamtheit genau sich die "Selbstversorgungsquote" bezieht.
Das werden wahrscheinlich NICHT Kalorien sein - obwohl das eigentlich eine der wenigen vernünftigen Möglichkeiten ist, verschiedenen Lebensmittel miteinander zu verrechnen.

Wenn es dagegen z. B. die addierten Tonnen sind, dann kann eine andere Ernährungsweise den Quotienten ziemlich beeinflussen.
 
@ursi,
danke für die umfangreichen Antworten.
Und viel Spaß im Urlaub.
Ne Frage nebenbei, wo machen Schweizerinnen Urlaub?
 
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