Verstaatlichung der Schulen

Necron

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In einem Podcast wurde von der Verstaatlichung der Schulen in Preußen im Laufe der Preußischen Reformen gesprochen (Anfang des 19.Jahrhunderts)
Ich hatte bisher immer in Erinnerung, dass Bismarck dies im Zuge des Kulturkampfes gemacht hat (Schulaufsichtsgesetz – Wikipedia )
Habt ihr eine Ahnung was nun stimmt?!
 
Ergänzung:
1. Bekannt vor allem aber ist das Schulaufsichtsgesetz vom 11. März 1872, durch das der preußische Kultusminister Adalbert Falk auf Veranlassung Bismarcks die kirchliche Schulinspektion im Königreich Preußen aufhob und alle Schulen der staatlichen Aufsicht unterstellte.

Bis dahin unterstand die Volksschule der geistlichen Schulaufsicht durch die katholische oder evangelische Kirche sowie unter Umständen Patronatsrechten von Grundherren. Die Maßnahme gehört in den Kulturkampf. Schulaufsichtsgesetz – Wikipedia

2.An die Stelle der Vielfalt der alten kirchlichen, privaten, städtischen oder korporativen Einrichtungen trat nunmehr die staatliche Schule, gegliedert in Volksschule, Gymnasium und Universität. Der Staat hatte die Aufsicht über alle Schulen, setzte nun die allgemeine Schulpflicht und einheitliche Lehrpläne streng durch und wachte über das Prüfungswesen. Staatlich anerkannte Leistungskriterien wurden geschaffen als Voraussetzung für den Eintritt in den Staatsdienst: Es sollte auf Bildung und Leistung ankommen, nicht mehr auf Herkunft und Stand.
Preußische Reformen – Wikipedia

Quelle 1, Kulturkampf, Quelle 2 Preußische Reformen
 
Im Grunde genommen stimmt beides, weil es sich dabei um einen Prozess handelte, der sich ja nicht von jetzt auf gleich vollzog, sonder innerhalb dessen der Ist-Zustand sukzessive dem Soll-Zustand angepasst wurde und auch mit der Entwicklung des Staates selbst etwas zu tun hat.

Zunächst mal darfst du dir das preußische Staatswesen um 1800 nicht als ein modernes Staatswesen denken, dass seinen Einfluss in sämtlichen staatlichen Gliedern hinein auch konkret umsetzen konnte.
De facto reichte der Einfluss des Staates selbst bins in die Provinz- vielleicht auch noch bis in die Kreishauptstädte hinein, dafür die Leitung und Inspektion der Schulen vor Ort selbst zu übernehmen, fehlte es de facto sowohl an lokalem Einfluss, als auch vor allem an ausgebildeten Personal. Wo sollte man das auf einmal hernehmen?

Folglich dekretierte man zunächst, den Übergang der Schule in den staatlichen Aufgabenbereich, was aber zunächst nicht viel bedeutete, weil man, eben weil es am Personal und einheitlicher Ausbildung für so etwas noch fehlte im staatlichen Auftrag dann die bisherigen Träger vor Ort weitgehend in ihrer Funktion belassen musste.
Das sukzessive tatsächlich umzukrempeln dauerte Jahrzehnte.

Dann kommt hinzu, dass seit den 1800er Jahre bis 1872 Preußen sich territorial ja massiv weiterentwickelte.
1815 kamen neben der Rückgewinnung Posens, Teilen Brandenburgs Die Rheinprovinz und Westfalen hinzu. Auf dem Gebiet der Rheinprovinz hatte vor den Revolutions- und Napoleonischen Kriegen lediglich das Hzm. Kleve längere Zeit zum preußischen Staat gehört, in Westfalen die Gft. Mark, die Gft. Ravensberg, das Fsm. Minden und das Tecklenburger Land.

In diesen Territorien hatte man mindestens vor der napoleonischen Epoche mal Ansätze einer (nach den Maßstäben der Zeit) einigermaßen funktionierenden Verwaltung. In den restlichen Territorien hatten sie überhaupt nichts. Um hier einigermaßen in das Bildungswesen eingreifen zu können, musste erst einmal eine entsprechender flächendeckende und funktionierede Administration geschaffen werden. Beide Provinzen waren mehr oder minder Kunstprodukte, die sich aus vormals unabhängigen klein und kleinstterritorien, teils noch unter kirchlicher Herrschaft (Erzstift Köln, Hzm. Westfalen, Teile des Erzstifts Mainz und dessen von Trier) zusammensetzen, so das nicht einfach eine funktionierende Verwaltung übernommen werden konnte, sondern eine neue geschaffen werden musste.
Das brachte in beiden Provinzen ganz massive Probleme mit sich, einmal, weil es sich bei beiden um mehrheitlich katholische Territorien handelte die sich mit dem preußischen Protestantismaus natürlich bissen und auf ihre Traditionen pochten, andererseits auch, weil hier der französische Einfluss, noch aus der napoleonischen Zeit stammend auf Recht und Lebensart einigermaßen stark war und man sich allgemein gegen den Einfluss der preußischen Zentrale sträubte.*
Das wiederum hat zu tun, dass Teile der genannten Provinzen in nämlicher Zeit entweder Frankreich selbst als Departements angehört hat oder zu den berüchtigten französischen Modellstaaten innerhalb des Rheinbunds gehörte (Nahmentlich Ghzm. Berg/Kgr. Westphalen), entsprechend französische Rechtstraditionen und ein latenter Widerstand gegen die preußischen Restaurationsbestrebungen vorherrschte, woraus resultierte, dass man im Besonderen im Rheinland zunächst mal veruschte, den Preußen die Behrerschung des Gebiets so schwer als möglich zu machen um so viele seiner frühren Gepflogenheiten als möglich bewahren zu können.

Dann kommen die Restaurativen Bestrebungen nach dem Ende Napoleons selbst hinzu, nach denen Teile des angestrebten Reformwerks wieder ad acta gelegt oder nur noch halbherzig verfolgt wurden.

In den 1860er Jahren kommen dann mit Schleswig-Holstein, dem ehemaligen Kgr. Hannover, Kurhessen, Hessen-Nassau und der vormals freien Stadt Frankfurt weitere Territorien hinzu, die erstmal eingegliedert werden mussten.
Davon waren Holstein und der Südteil Schleswigs einigermaßen unproblematisch.
In Hannover und den annektierten hessischen Territorien hatte man gewaltsame Annexionen vorgenommen und die bisherigen Herrscherfamilien verjagt. Das war aber insofern problematisch, als dass der gesammte Staatsaparat der nämlichen Territorien noch auf die früheren Herrscher eingeschworen war (was sich gerade im ehemaligen Kgr. Hannover noch eine ganze Zeitlang hält. Reichstag bildet sich da als Sammelgruppe der Gegner Preußens später das Sammelbecken der "Dänen, Polen, Elsasslothringer und Welfen Reichstagswahl 1912 – Wikipedia ) heraus.
Bei den annektierten hessischen Territorien kommt als zusätzlicher Widerstandsfaktor noch deren Katholizismus oben drauf, wie das bereits am Rhein der Fall war.
Und damit begann hier, mehr oder minder ein sehr ähnliches Spiel, wie im hinblick auf die lokalen Widerstände in Rheinland und Westfalen, gegen den preußischen Regierungseinfluss.

Heißt, theoretisch hatte man die Schulen schon lange unter die Verantwortung des Staates stellen wollen. Auf Grund der partikularen Widerstände und Interessen, gerade in den neu zugewonnenen Gebieten, kam man vielfach aber nicht umhin sie bei den alten Trägern zu belassen und diese allenfalls zu beaufsichtigen, zumal es, um die Angelegenheit zuntral zu regel oben drein auch an Personal fehlte.

Im gesellschaftlich einigermaßen homogen zusammengesetzten Ostelbien, mit seiner langen Zugehörigkeite zu Preußen und seiner relativ geringen Autonomie von der Zentrale, war die Verwirklichung von Eingriffen, wie das in den preußischen Reformen vorgesehen war (ausnehmlich Posen und Oberschlesien) bis zu einem gewissen Grad umsetzbar. In den neu zugewonnenen Territorien, war sie mindestens in kürzerer Frist nicht so ohne weiteres umsetzbar und viel mehr geneeignet Unruhen zu provozieren, weswegen man vom Versuch der Verwirklichung vielerorts erstmal die Finger ließ und sich auf einen Modus Vivendi einstellte.

Und der wurde seitens Bismarck, nicht so sehr aus Reformgründen, sondern weil er die Partikularinteressen der Katholiken unterzupflügen versuchte, mehr oder minder aufgekündigt.
Das heißt Bismarck griff da im Grunde den Gedanken einer Reform wieder auf, der durchaus schon einmal da war, aber nur in Teilen realisiert wurde um keine unnötigen Konflikte vom Zaun zu brechen und weil die Basis dafür ohnehin noch fehlte.








* Wenn dich das Thema interessiert, kann ich etwa folgendes Werk empfehlen:

Pohl, Meinhard: Preußensc schwieriger Westen: Rheinisch-Preußische Beziehungen, Konflikte und Wechselwirkungen.
 
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