Verwaltungsstruktur eines Kalifats

Zaida

Neues Mitglied
Hallo zusammen.
Ich würde gerne wissen, wie sich die Verwaltung im Kalifat der Omayyaden in Damaskus zusammengesetzt hat und in welche Bereiche diese sich unterteilte. Wurde diese Struktur auch in Córdoba beibehalten?
Ich kenne nur eine grobe Strukturierung wie folgt:
An erster Stelle der Kalif, dem uU ein Stadtverwalter / Emir (amīr) unterstellt war. Einem Kalifen bzw Emir wiederum waren Wesire (wazīr) untergeordnet, die verschiedene Ministerien / Ämter / Behörden bekleideten. Unterstützt wurden diese von Sekretären / Schreibern (katib). Zusammen bildeten sie den Verwaltungsrat, dīwān (?) genannt.

Kann man das so pauschal sagen und trifft das auf jedes Kalifat zu?
Ich bin durch die Suchfunktion hier im Forum auf eine Zusammenstellung von lynxxx gestoßen (hier 10.4), in der sich auf das abbasidische Kalifat (zentrale Instanzen der abbāsidischen Verwaltung) bezogen wird. Sah das also bei den Omayyaden und anderen kalifalen Einrichtungen ebenso aus?

Ist der Begriff 'dīwān' als Übersetzung für Verwaltungsrat richtig? In besagtem Text steht dīwān ja eher für Ministerium / Behörde / Amt. Und in meinem Wörterbuch finde ich noch Kanzlei als Übersetzung.
 
Zuletzt bearbeitet:
Hallo.
Also als erste Anmerkung zu so später Stunde:

zu "divan/diwan" habe ich folgendes:

divan - Definitions from Dictionary.com
und
Divan - Wikipedia, the free encyclopedia


daneben diese Bedeutung: dīwān, die Heeresliste-Soldrolle.

(hab ich aus dem Text in deinem Link: "Das Kalifat der Banū Umaiya und der ʿabbāsidische Umsturz")

in dem Text aus deinem Link (10_text.pdf) steht ja einiges zu diwanen:


Wenn nun die ʿabbāsidische Verwaltung geschildert wird, so
ist zum einen diejenige Verwaltung gemeint, deren Wort in den zentral administrierten
Regionen galt, und zum anderen diejenige, die ihren Einfluss in weiter entfernt gelegenen
Gebieten geltend zu machen suchte, und schließlich diejenige, die sich mit gelegentlichen
Geschenken von de facto unabhängigen Herrschern zufrieden geben musste und sich damit
auch zufrieden gab. Die ʿabbāsidische Verwaltung ist bei alledem ein Modell für die
Verwaltungen der meisten Regionalstaaten gewesen, vor allem in den östlichen Gebieten, aber auch im fāṭimidischen Ägypten; sie wirkte insgesamt stilbildend und galt lange Zeit als
das unerreichbare Vorbild.
Ich stelle nun einige Ressorts der ʿabbāsidischen Zentralverwaltung vor.
dīwān ar-rasāʾil „Amt für Schriftstücke“. Kanzlei. Dort wurden alle Berichte, Urkunden und der
gesamte Schriftverkehr aufbewahrt. Aufgabe dieser Abteilung ist es auch, entsprechende
Schriftstücke aufzusetzen und den zuständigen Stellen, etwa dem Wesir oder dem Kalifen,
zur Unterschrift vorzulegen.
dīwān al-ḫarāǧ, Steuerbehörde. Dort wird Buch darüber geführt, welche Steuern ein
entsprechender Bezirk schuldete, wem genau die Eintreibung dieser Steuern übertragen
worden war und in welchem Verfahren (direkte Eintreibung durch Beamte, Steuerpacht o.ä.),
welche Beträge in den Vorjahren eingegangen waren, welche Rückstände also ggf.
einzutreiben waren usw. Es wurde auch katastermäßige Berechnung derjenigen Flächen
vorgenommen, wo dies in Bezug auf den jeweiligen Status des Landes vorgesehen war.
Dies kam allerdings mit der Zeit außer Übung.
dīwān al-ǧaiš, Armeebüro. Hier wurden die Soldlisten der einzelnen Truppenteile geführt und
vermerkt, welche Summen ausgezahlt worden waren. Direkt im Zusammenhang damit:
dīwān al-ʿarḍ, Musterungsamt. Hier wurde Buch darüber geführt, in welchem Zustand die
einzelnen Truppenteile bei der in regelmäßigen Abständen durchgeführten Musterung
angetroffen worden waren. Mängel bei Ausrüstung und Gesamtzustand von Männern und
Tieren führt zu Soldabzügen.
dīwān al-azimma, „Amt der Zügel“, allgemeine Aufsichtsbehörde. Hier wird das gesamte
Finanzwesen überprüft, Einnahmen und Ausgaben, damit der Korruption, der
Unterschlagung usw. vorgebeugt werden kann.
Zu erwähnen sind ferner
dīwān al-maẓālim, „Amt für Beschwerden“, an seiner Spitze steht ein hoher
Verwaltungsbeamter, der sich mit Qadis beraten soll; dieses Amt soll besonders gut
zugänglich sein und regelmäßig öffentliche Sitzungen abhalten.
dīwān al-barīd, Post- und Nachrichtenamt. Die Post transportiert nur amtliche Schreiben, sie
ist daher gleichzeitig der Geheimdienst.
In den Provinzen versucht die Zentraladministration, jedenfalls die Ernennung von eigenen
Qadis und Nachrichtenleuten durchzusetzen. Die Finanz- und Armeeverwaltung in den
Provinzen lag überwiegend in der Hand der Gouverneure.
Die Verwaltungsfachleute waren in Gruppen organisiert, die jeweils einer „Dynastie“
von Wesiren zugeordnet werden können. Wenn ein Wesir stürzt, geht mit ihm zugleich seine
gesamte Verwaltungsmannschaft, und sie kommt möglicherweise mit diesem Wesir oder mit
einem anderen Mitglied der leitenden Familie wieder in das Amt zurück. Bei Sturz eines
Wesirs (oder auch eines Provinzgouverneurs) tritt eine besondere Behörde in Erscheinung:

dīwān al-muṣādara, „Amt für Konfiskationen“. Seine Aufgabe besteht darin, mit oft recht
unfeinen Mitteln (Folter ist nicht ausgeschlossen), den ausscheidenden Amtsinhabern
diejenigen Gelder wieder abzunehmen, die sie sich, so die selbstverständliche Annahme,
während der Amtszeit unrechtmäßiger Weise angeeignet hatten. In dieser Behörde müssen
also die jeweiligen Verpflichtungen und Bezugsrechte, die ein hoher Verwaltungsmann hat,
aufgezeichnet werden, damit man am Ende weiß, wieviel er rechtmäßig hat erwerben
können, und ihm entgegen halten kann, wieviel er tatsächlich hat.

Steht in dem Thread von mir so etwas ähnliches nicht auch in zu den Umayyaden, z.b. in dem Text 05_text.pdf?

Ansonsten scheint es auf dem ersten Blick bei den Umayyaden ein wenig ähnlich wie bei den Abbasiden zu sein, wie ein Blick in die engl. Wiki als erster Anhaltspunkt zu bestätigen scheint, und natürlich noch zu überprüfen wäre?
Muawiyah I - Wikipedia, the free encyclopedia

"Muawiyah instituted several Byzantine-style bureaucracies, called diwans, to aid him in the governance and the centralization of the Caliphate and the empire. Early Arabic sources credit two diwans in particular to Muawiyah: the Diwan al-Khatam "Chancellery" and the Barid "Postal Service", both of which greatly improved communications within the empire."


Ach ja, vielleicht steht auch in Beschreibungen zu Palästen oder anderen Bauten der Umayyaden in Damaskus was zur Struktur der Verwaltung?

Z.b. hier?

Umayyad Palaces Reconsidered

Oooh, nun muss ich aber erstmal ins Bett, sorry... ;)

Lg lynxxx

 
Zuletzt bearbeitet:
[FONT=&quot]Hallo lynxxx.

Vielen lieben Dank für deine ausführliche Antwort. [/FONT][FONT=&quot]
Entschuldige bitte, dass ich selbst erst jetzt zum antworten komme. I


Steht in dem Thread von mir so etwas ähnliches nicht auch in zu den Umayyaden, z.b. in dem Text 05_text.pdf?
Nein. Eine so detaillierte Auflistung hast du bei den Umayyaden nicht vorgenommen, was aber nicht weiter tragisch ist.
Wie ich es verstanden habe, basiert das Modell der Abbasiden ja irgendwie auf den Staatsreformen des Abd al-Malik ibn Marwān, aus dem sich letztlich offenbar auch das Sekretärswesen mit den vielen dāwāwīn herauskristallisiert hat ?? (ich hoffe, ich habe das richtig interpretiert)

So sehe ich auf Anhieb keinen Grund, warum sich die Umayyaden plötzlich von einem bewährten Prinzip abgewendet haben sollten. Sie hatten ja, soweit ich weiß, auch nichts dagegen, das Hofzeremoniell der Abbasiden in Bagdad zu übernehmen. Aber das ist lediglich eine Vermutung von mir. Ich verfüge leider nicht über so fundiertes Wissen, dass ich das untermauern könnte. Desgleichen gilt auch für den erwähnten englischen Wiki-Artikel über Muawiyah I.
Ich bin lediglich ein Laie auf dem Gebiet. Ich habe nur ganz wenig private Literatur und auch meine Arabischkenntnisse sind bei weitem noch nicht so großartig, dass ich zusammenhängende Schriften lesen könnte. Ich weiß nicht mal, wo ich überhaupt entsprechende Literatur beziehen kann…
Hab ich als Nichtstudent eigentlich Zugang zu Unibibliotheken?
[/FONT]

Ach ja, vielleicht steht auch in Beschreibungen zu Palästen oder anderen Bauten der Umayyaden in Damaskus was zur Struktur der Verwaltung?

Z.b. hier?

Umayyad Palaces Reconsidered

"... It is speculated that they were not used as permanent shelters, perhaps functioning as stations on a Caravan route, or as administrative outposts. ..."

So wie die Paläste Abd ar-Rahmans und al-Mansurs in der näheren Umgebung von Córdoba? Diese hatten doch auch eher administrativen Charakter, soweit ich weiß.

"Commissioned by the princes of the Umayyad Caliphate, who would in turn become Caliphs, these estates might have provided a meeting point to maintain political connections with tribal communities."

Hmm… ich würde hier durchaus den Wunsch der Umayyaden erkennen, die ursprüngliche, arabischen Stammesverbundenheit zu wahren, was sich auch in etwa mit deiner Aussage

"… Zu [FONT=&quot]ḥ[/FONT]ilm gehört weiterhin eine Fähigkeit zum Ausgleich: … Weiter: Er sichert sich die Loyalität der wichtigsten Männer, besonders natürlich der Stammesführer, durch höfliche (und materiell ausreichend aufwändige) Behandlung. Das hieß im Fall Mu[FONT=&quot]ʿ[/FONT]āwiyas, dass er Abgesandte der tribalen Gruppen regelrecht einlud, sie anhörte und beschenkte. Er bemühte sich auch im Gegensatz zu seinem Verwandten U[FONT=&quot]ṯ[/FONT]mān ben [FONT=&quot]ʿ[/FONT]Affān, seine eigene Familie nicht über Gebühr zu bevorzugen, und er scheint wichtige Positionen in Balance vergeben zu haben. …" deckt.

Aber da auch die Beschreibung der Funktion des Palastes nur eine Annahme wiederspiegelt… ??
Gibt es denn Dokumente, in denen die Verwaltungsstruktur der umayyadischen Kalifate tatsächlich niedergelgt ist? Oder sind es eher Schlussfolgerungen aufgrund dessen, was man tatsächlich weiß?
 
Du solltest dabei aber auch die Unterschiede zwischen dem Bagdader und Damaszener Kalifat und dem Córdobeser Emirat/Kalifat berücksichtigen. Dort größtenteils dünn besiedelte Wüsten - hier ein relativ dicht besiedeltes Land. Die Paläste außerhalb Córdobas waren wirklich Rückzugsorte, um aus dem dicht besiedelten Córdoba herauszukommen. Und al-Manṣūr - das muss man betonen - hat den umayyadischen Staat geradewegs zerschlagen: er hat nach dem Tod al-Ḥakams mehrere Umayyaden und andere Große, selbst seinen eigenen Schwiegervater Ghalib aus dem Weg geräumt etc. um seine eigene Position zu stärken, dazu hat er auch das traditionelle ǧund aufgelöst etc.
 
Mit ǧund ist Militär gemeint, oder?
Ich habe gelesen, dass es unter Almansor eine Militärreform gab. Er hat eine neues Söldnerheer aufgebaut und mit diesem das traditionelle Sklavenheer ersetzt. Es waren in der Hauptsache wohl Södner aus dem Maghreb, Berber, deren wachsende Unzufriedenheit aufgrund der Ungleichstellung zu den Arabern später auch maßgeblich zum Zerfall und Untergang des córdobesischen Kalifats beigetragen haben.

Was die Paläste sowohl in den alten Gebieten als auch in Spanien angeht, war es nicht auch so, dass es für einen Kalifen ein selbsterklärtes Ziel darstellte, in der Tradition seiner Vorgänger einen eigenen Palast, bzw. Palastanlage zu errichten und die Verwaltung dorthin zu verlagern?
 
Mit ǧund ist Militär gemeint, oder?
Richtig.
Ich habe gelesen, dass es unter Almansor eine Militärreform gab. Er hat eine neues Söldnerheer aufgebaut und mit diesem das traditionelle Sklavenheer ersetzt.
Das hast Du falsch verstanden. Es hat zwar schon vorher Tendenzen gegeben, Söldner anzuwerben - allerdings fürchtete 'Abd ar-Raḥmān III. die Berber, aber auch er warb schon Berber an, insbesondere die Banū Birzāl von den Zanāta (diese waren nämlich mit den Banū Zīrī von den Sinhāǧa, den Statthaltern der Fāṭimiden in Ifriqiyya (heute Tunesien/Algerien) verfeindet). Auch gab es schon die Saqāliba (weiße Sklaven) und die 'Abid (schwarze Sklaven), die Militärdienst leisteten. Aber die almanzorische Heeresreform lag gerade darin, dass er das auf den arabischen Stämmen Andalusiens beruhende ǧund durch die Berbereinheiten - die natürlich auch tribalen Charakter hatten - und die Sklaveneinheiten ersetzte. Vorher waren Berber und Sklaven die Minderheit im andalusischen Heer, mit Almanzor wurden sie die Säule des andalusischen Heeres.

Es waren in der Hauptsache wohl Söldner aus dem Maghreb, Berber, deren wachsende Unzufriedenheit aufgrund der Ungleichstellung zu den Arabern später auch maßgeblich zum Zerfall und Untergang des córdobesischen Kalifats beigetragen haben.
Die Quelle hierfür ist vorwiegend der al-Matīn des Ibn Ḥayyān, der aber hat selbst durch den Bürgerkrieg (die von ihm so genannte fitna barbariyya) sehr gelitten hat (ebenso wie Ibn Ḥazm). Im Einzelnen kann ich dazu nur Peter C. Scales mit seinem Buch The Fall of the Caliphate of Córdoba. Berbers and Andalusis in Conflict (Leiden, NY, Köln 1994) empfehlen, sowie Ralf Ohlhoffs Von der Eintracht zur Zwietracht? Die Geschichte des islamischen Spaniens im 11. Jahrhundert bei Ibn Bassām (Hildesheim, Zürich, NY 1999), wobei letzterer sein Augenmerk mehr auf die Ereignisse nach der fitna richtet. Ibn Bassāms Daīra ist ihrerseits die Hauptquelle für den al-Matīn des Ibn Ḥayyān.

Was die Paläste sowohl in den alten Gebieten als auch in Spanien angeht, war es nicht auch so, dass es für einen Kalifen ein selbsterklärtes Ziel darstellte, in der Tradition seiner Vorgänger einen eigenen Palast, bzw. Palastanlage zu errichten und die Verwaltung dorthin zu verlagern?
Das ist eine These, die Pierre Guichard 1994 so ähnlich geäußert hat. Allerdings meinte der das weniger administrativ, als vielmehr die Gebäudesubstanz betreffend. Nun muss man aber bedenken, dass Almanzor das Kalifat ja nicht abgeschafft hat. Er hat nur die Macht an sich gerissen, während der Kalif zunächst als Minderjähriger,später vermutlich als Alkoholiker ein Schattendasein führte. Almanzor brauchte also einen eigenen Regierungssitz vor allem deshalb, um den Kalifen weiter zu isolieren.

Nur als Randbemerkung: die fitna barbariyya brach aus, als Almanzors jüngerer Sohn Abd ar-Raḥmān Sanchuelo (diesen Beinamen hatte er, weil er mütterlicherseits den baskischen König Sancho zum Großvater hatte) seine Grenzen überschritt. Er war zwar in die Fußstapfen seines Vaters und seines Bruders getreten als Diktator, ging dann aber hin und ließ sich von Hišām zum Kalifen machen, während dieser gleichzeitig auf das Amt verzichtete. Das war im Februar 1008. Zwei Wochen später war er auf Kriegszug gegen die Christenreiche, erst fiel die Stadtbevölkerung Córdobas von ihm ab, massakrierte die Frauen und Kinder der Berber, welche daraufhin nach Córdoba zurückkehrten um ihre Familien zu schützen, bis schließlich Sanchuelo nur noch mit 50 christlichen Reitern vor Córdoba auftauchte, wo er von dem neuernannten Polizeichef des umayyadischen Gegenkalifen enthauptet wurde.

Jetzt ist die "Randbemerkung" länger geworden, als der restliche Text.
 
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