Vielvölkerstaat der habsburgischen Monarchie

ursi

Moderatorin
Teammitglied
Vielleicht kann jemand helfen.

Eine Kollegin von mir hat mich folgendes gefragt:

Was war die Idee hinter dem Vielvölkerstaat der habsburgischen Monarchie war? Wieso bildeten die einen Vielvölkerstaat, was war die Idee dahinter?


Mein aus dem Bauch heraus Antwort war: Es hat sich so ergeben. Aber ich muss gestehen mit der Habsburger Monarchie kenne ich mich nicht wirklich so aus.
 
ursi schrieb:
Vielleicht kann jemand helfen.

Eine Kollegin von mir hat mich folgendes gefragt:

Was war die Idee hinter dem Vielvölkerstaat der habsburgischen Monarchie war? Wieso bildeten die einen Vielvölkerstaat, was war die Idee dahinter?


Mein aus dem Bauch heraus Antwort war: Es hat sich so ergeben. Aber ich muss gestehen mit der Habsburger Monarchie kenne ich mich nicht wirklich so aus.

Ich glaube nicht, daß es eine "Idee" dahinter gab. Die großen Herrscherhäuser - ob Karolinger, Bourbonen, Staufer oder eben auch Habsburger - pflegten nicht danach zu fragen, inwiefern sich ihre Untertanen auch als ein Volk verstanden.

Von einem "Vielvölkerstaat" als Gegensatz zum Nationalstaat kann man ja auch erst ab dem Zeitpunkt sprechen, als die Idee des Nationlstaats erfunden war.
 
Hallo,

ich mische mich mal freimütig in die Diskussion unter Moderatoren ein ;)

Anm.: die nachfolgende Darstellung ist sehr stark vereinfacht und erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit.

Meiner Beurteilung nach beginnt alles mit der Hausmachtspolitik der Habsburger im späten Mittelalter, wo diese außerhalb Österreichs verschiedene europäische Territorien erwerben - weniger durch Kriege als vielmehr durch geschickte Heiratspolitik. Zu dem Zeitpunkt von einem Nationalbewußtsein oder einer Vielvölkerstaatsidee zu sprechen, wäre allerdings - vorsichtig ausgedrückt - sehr weit hergeholt. Auch wenn das Nationalbewußtsein in Frankreich und England durch den Hundertjährigen Krieg gerade am Aufkommen ist.
Die Entwicklung setzt sich in den folgenden neuzeitlichen Jahrhunderten (also nach 1500 bis ins 19. Jh.) im Umfeld der Auseinandersetzung mit dem Osmanischen Reich fort, was schließlich darin gipfelt, daß das Habsburgerreich nach und nach osmanische Gebiete erwirbt. Auch hier handelt es sich jedoch um den Kampf um eine regionale Vormacht - nämlich die auf dem Balkan - ohne daß eine Idee oder dergleichen dahintersteckt.
Den Vielvölkerstaat der Habsburger kann bzw. muß man also schon als "historisch gewachsen" charakterisieren, und auch in den anderen von hyokkose genannten Punkten pflichte ich ihm bei.

Was für das bewußte Zur-Kenntnis-Nehmen des Vielvölkergebildes durch die Habsburger spricht, sind folgende Punkte:
(1) Es gibt eine Amts-, Gerichts- und Verkehrssprache für alle Landesteile - zunächst Latein, später Deutsch -, um dem "babyloischen Sprachgewirr" im eigenen Land rein administrativ Herr zu werden.
(2) Wie in keinem anderen europäischen Land, welches sich mit der Reformation auseinanderzusetzen hatte, wurde religiöse Homogenität strikt durchgesetzt (Katholizismus), um im eigenen Land nicht ähnlich Schiffbruch zu erleiden wie im übrigen Teil Deutschlands (zu dem das Habsburgerreich zu dem Zeitpunkt noch gehört).

Fazit: die Habsburger kümmerte es zunächst wohl wirklich nur sekundär, ob sich ihre Untertanen als bestimmte Völker verstanden. Daß man allerdings die Vielzahl der Völker als Tatsache/Gegebenheit wahrnahm und dies durch die administrativen Strukturen des (österreichischen) Staates verwaltete - was ja sogar einige Jahrhunderte gelang -, ist eine andere Sache. Letztgenanntes wurde später natürlich durch die Doppelmonarchie der beiden Landesteile (Cisleithanien = Österreich, Transleithanien = Ungarn) nochmals abgeändert, wobei die grundsätzliche Intention jedoch die selbe blieb.

Ist wie schon erwähnt nicht vollständig und auch sehr vereinfacht.

In diesem Sinne

Timo
 
Hallo thimotheus

du meintest sicher mit Deutschland das heilige römische Reich. Ein wirkliches Staatengebilde "Deutschland" gab es ja im Gewirr der vielen Kleinstaaten nicht.
 
Hallo Strupanice,

sehr berechtigter Einwand - in der Tat :hoch:

Strupanice schrieb:
... du meintest sicher mit Deutschland das heilige römische Reich. Ein wirkliches Staatengebilde "Deutschland" gab es ja im Gewirr der vielen Kleinstaaten nicht.

Ich meinte natürlich das Hl. Römische Reich :oops:

"Deutschland" ist i.d.S. eher als geographischer Begriff der heutigen Zeit zu verstehen - deshalb ja auch meine Anmerkungen bezüglich Verallgemeinern und Vereinfachen :grübel:

Dank & Gruß,

Timo
 
es ist ja historisch gesehen nicht unüblich gewesen, dass dynastien herrschertitel "sammelten", sei es durch kriege oder heiraten etc.: die romanows in russland, die wasa in schweden, die bourbonen. eine besonderheit an der habsburger monarchie war vielleicht, dass das "staatsvolk", zunächst nur die deutschen, später auch die ungarn, in der minderheit waren. im falle russlands war dies nicht so, die schweden haben ihre besitzungen frühzeitig verloren, die franzosen haben ihre minderheiten weitestgehend assimiliert.
 
Eine "Idee" oder politische Strategie um einen Vielvölkerstaat zu begründen kann man wohl kaum ableiten.
ABER: Die Tendenz, eine politische Einheit in Mitteleuropa herzustellen ist nicht ein rein habsburgisches Phänomen - die Habsburger waren die Dynastie denen es langfristig gelang durch ihre Heiratspolitik diese Einheit herzustellen. Eigentlich waren sie nur die Erben von jahrhundertelanger Vorarbeiten:

1246, nach dem Aussterben der Babenberger, des ersten österreichischen Herzogsgeschlecht und Begründer des österreichischen Weges zur Eigenstaatlichkeit, erheiratet König Ottokar Przemysl von Böhmen die österreichischen Herzogtümer und begründet den ersten gemeinsamen Staat aus Österreichern und Tschechen. Nach seiner Niederlage und Tod in der Schlacht auf dem Marchfeld 1278 zerfälllt dieses Reich zwar wieder, die Przemysliden und Habsburger verbinden sich aber durch Ehen (Rudolfs Sohn wird sogar erster habsburgischer König von Böhmen, stirbt aber jung).

Den Luxemburgern gelingt es im 14. Jahrhundert die Kronen Böhmens und Ungarns zu vereinen. Die Erbin Kaiser Sigismunds, Elisabeth und ihr Mann, der Habsburger Albrecht von Österreich, tragen noch beide Kronen. Nach dem frühen Tod ihres Erbens Ladislaus Posthumus - letzter Vertreter der albertinischen Linie der Habsburger - kann sich sein Vetter Friedrich (der spätere Kaiser Friedrich III.) weder in Böhmen noch in Ungarn durchsetzen, es werden in beiden Ländern nationale Könige gewählt (Georg von Podiebrad und Mathias Hunyadi).

Mathias Hunyadi, der König von Ungarn, besetzt Österreich und macht Wien zu seiner Hauptstadt.

Nach dem Tod Georgs und Mathias erben die polnischen Jagellonen den böhmischen wie den ungarischen Thron (Wladislaw II. ist ein Urenkel des letzten Luxemburgers Sigismunds) - die beiden Länder sind also wieder vereint, diesmal unter der jagellonischen Dynastie.

Der letzte Jagellone Lajos - oder Ludwig - II. fällt in der Schlacht bei Mohacs 1526. Sein Schwager Ferdinand von Österreich erbt beide Kronen. Ferdinands Nachfahren werden diese auch bis 1918 tragen.

Diesem Erbfall von 1526 ging also eine fast 300-jährige Vorgeschichte voran in der auch andere Dynastien versuchten diesen mitteleuropäischen Zentralraum zu vereinen - die Przemysliden, Luxemberger, Jagellonen, Hunyadis. Die Habsburger waren diejenigen die es schliesslich vollendeten.

Nicht vergessen darf man dabei dass nicht nur die Herrscher untereinander geheiratet haben, sondern auch ihre Lehensnehmer. Der polyglotte österreichische Adel bildet sich daher schon vor dem eigentlichen Entstehen der Donaumonarchie heraus. Ein gutes Beispiel dafür sind die spätern Fürsten von Liechtenstein. Dieses urösterreichische Geschlecht erheiratet sich bereits ab dem frühen 14. Jahrhundert seinen mährischen Güterbesitz.
 
Zuletzt bearbeitet:
"Tschechien" im 19. Jahrhundert?

Ich würde gerne wissen, ob es das Land "Tschechien" im 19 Jahrhundert gab. Denn die Menschen waren damals "tschechisch" bzw wurden so bezeichnet.
Oder gab es damals nur die 3 historischen Länder Böhmen, Mähren und Schlesien, die unter der der Herrschaft derösterreichisch-ungarischen Monarchie (Donaumonarchie) standen, so dass das Land bzw. der Begriff "Tschechien" oder "Tschechoslowakei" noch nicht gab?
 
Böhmen existierte von 1500 bis 1918

.

Antwort auf die Ausgangsfrage von Therioum

Im Jahre 1500 konstituierte der böhmische Landtag mit der 'Vladislavschen Landesordnung' (= Verfassung) den böhmischen Staat. Mähren, Schlesien und die Lausitz gehörten dazu.

"... Im Jahr 1500 wurde die nach dem König benannte Vladislavsche Landesordnung im Landtag verabschiedet. Sie sicherte den böhmischen Herren und Rittern weitgehende politische Mitspracherechte und gilt als älteste geschriebene Verfassung Böhmens. Als 1512 das Heilige Römische Reich in 10 Reichskreise eingeteilt wurde, blieb Böhmen mitsamt seinen Nebenländern Mähren, Schlesien und der Lausitz außen vor. ..."
Geschichte Böhmens ? Wikipedia

Bis 1918 war Böhmen (inkl. Mähren und Schlesien) ein Staat im österreich-ungarischen Kaiserreich.
Bild:Austria-Hungary map.svg ? Wikipedia

"... Der nach dem Untergang Österreich-Ungarns gebildeten Republik Deutschösterreich, die sich als Teil der ‚Deutschen Republik’ proklamiert, wird der Anschluss an Deutschland verboten, der Name ‚Deutschösterreich’ untersagt. Böhmen, Mähren und das südliche Oberschlesien (‚Sudetenschlesien’) bilden nun mit der vormals ungarischen Slowakei die Tschechoslowakei. ..."
Bert Alexander Schwank - Grenzgeschichte: 1919

.
 
.

Antwort auf die Ausgangsfrage
Mir ist, als hätte ich diese Floskel schon mal gelesen... :grübel:

Im Jahre 1500 konstituierte der böhmische Landtag mit der 'Vladislavschen Landesordnung' (= Verfassung) den böhmischen Staat. Mähren, Schlesien und die Lausitz gehörten dazu.

"... Im Jahr 1500 wurde die nach dem König benannte Vladislavsche Landesordnung im Landtag verabschiedet. Sie sicherte den böhmischen Herren und Rittern weitgehende politische Mitspracherechte und gilt als älteste geschriebene Verfassung Böhmens. Als 1512 das Heilige Römische Reich in 10 Reichskreise eingeteilt wurde, blieb Böhmen mitsamt seinen Nebenländern Mähren, Schlesien und der Lausitz außen vor. ..."
Geschichte Böhmens ? Wikipedia
Die "Ausgangsfrage" bezog sich auf das 19. Jhdt., somit kann dieser Abschnitt keineswegs als "Antwort auf die Ausgangsfrage" klassifiziert werden. :fs:

Bis 1918 war Böhmen (inkl. Mähren und Schlesien) ein Staat im österreich-ungarischen Kaiserreich.
Bild:Austria-Hungary map.svg ? Wikipedia
Siehe Posting #2. :fs:


"... Der nach dem Untergang Österreich-Ungarns gebildeten Republik Deutschösterreich, die sich als Teil der ‚Deutschen Republik’ proklamiert, wird der Anschluss an Deutschland verboten, der Name ‚Deutschösterreich’ untersagt. Böhmen, Mähren und das südliche Oberschlesien (‚Sudetenschlesien’) bilden nun mit der vormals ungarischen Slowakei die Tschechoslowakei. ..."
Bert Alexander Schwank - Grenzgeschichte: 1919
Nun ist vom 20. Jhdt. die Rede, eine "Antwort auf die Ausgangsfrage" vermag ich folglich auch hier nicht zu erkennen. Die oft gelesene Floskel (s.o.) kannst du dir also getrost in Zukunft sparen. :fs:
 
Wenn man im Jahre 1500 anfängt, dann unterschlägt man ungefähr 500 Jahre aufs engste mit dem HRR verbundener Geschichte...

Die Erzherzöge waren in Personalunion Könige von Böhmen.

Mähren war eine Markgrafschaft im Königreich Böhmen; Mährisch-Schlesien dann ein Überrest nach den Schlesischen Kriegen..
 
Es sollte aber schon erwähnt werden, dass es die nationalen Gruppen der Tschechen und Slowaken (u.a.) im kuk-Parlament gab. Insbesondere die Tschechen galten als Unruhestifter.
 
Böhmische Staat existierte seit 1500? Wirklich oder es ist Witz? Wenn wir sagen seit 1000, ja es ist besser.
 
Struktur und Verwaltung des böhmischen Staates des 19. Jahrhunderts

.

Zekker, deSilva und Ladislav, meine Antwort impliziert, dass Struktur und Verwaltung des böhmischen Staates des 19. Jahrhunderts, nach dem gefragt wurde, sich ab 1500 (in der Neuzeit) entwickelten und 1918 endeten.

Bleibt zu ergänzen, dass mit der Revolution von 1848 in Deutschland in Böhmen der tschechische Nationalismus erwachte ...

.
 
Ja jede Revolution und ach in 1848 erwachte nationalistische Tendenzen, aber ich meine dass 1848 war nu beginn nationalistisches Bewegung. Erste politische Bewegung mit nationalistischen Spuren ich finde bis in letzte Viertel 19.Jahrhundert.
 
Slawenkongress ? Wikipedia
Austroslawismus ? Wikipedia
Alttschechen und Jungtschechen ? Wikipedia

Aus Wikipedia:
Hatte die seit 1620 betriebene Bevorzugung des Deutschen dazu geführt, dass vor allem in den Städten auch Böhmer zu Hause deutsch sprachen, die sich als Tschechen verstanden, so fingen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts viele dieser Familien an, bewusst wieder Tschechisch zu sprechen.
.....
Unter dem konservativen österreichischen Ministerpräsident Eduard Taaffe wurde 1880 Tschechisch neben Deutsch wieder Amtssprache in Böhmen. Jedoch wurden nur Gemeinden mit bedeutendem tschechischen Bevölkerungsanteil zweisprachig verwaltet. 1882 spaltete sich von der damals weitgehend deutschen Karls-Universität eine tschechische ab.
 
Letzteres ist interessant, kannst Du bitte erklären, wieso? Und ab wann spricht man von `Tschechen`? Ab 19. Jh?

Noch früher, etwa 1790-1848 vollzog sich diese Entwicklung:

Die "gehemmte tschechische Wiedergeburt", die sich erst in den Vierziger des 19. Jahrhunderts vollzog, war eine verspätete Entwicklung, verglichen mit den zunächst größeren und mehr beachteten Aktivitäten der Slowaken. ZT wird dies auf eine besondere tschechische Loyalität gegenüber Österreich zurückgeführt.

Die eigentliche tschechoslowakische Idee soll ab den 40ern eng mit den evangelischen Führungsgruppen (obwohl in Mehrheit katholisch) verbunden gewesen sein, sehr viel stärker geprägt von den Slowaken. Diese hatten sich mindestens wieder seit ca. 1790 politisch eigenständig in den Oppositionsgruppen definiert. Es gab Anfang des 19. JH also sowohl ein Slowaken-, als auch ein Tschechentum, ein nationales Bewußtsein (u.a. gefördert in dem nordungarischen Ständewesen) und auch ein russisch-slowakisches/schechisches Verwandtschaftsbewußtsein.
 
Ich hätte noch weitere Fragen, nun bezogen auf das 20. Jahrhundert:
1. Wieso kann man die Tschechoslowakische Republik in den Nachkriegsjahren (von ca. 1948 bis 1968) nicht als "Nationalstaat" ansehen?
Meine Gedanken wären: Als Ostblockstaat stand das Land unter der Souveränität und Einfluss der Sowjetunion. Der autoritäre Sozialismus hatte zur Folge dass die Wirtschaft stagnierte und die Unzufriedenheit innerhalb der Bevölkerung sich breit gemacht hatte. Politische Freiheit gab es nicht, sodass der Nationalismus sich nicht entfalten konnte. Dies hat sich mit dem Start der Reformbewegung unter A. Dubcek (prager frühling) für eine kurze zeit geändert.
War die tschechoslowakische Republik auch kein Nationalstaat, weil es ein Vielvölkerstaat war? Welche andere Aspekte müsste ich noch beachten, bei denen der Nationalstaat eine Rolle spielt?

2. Auf wikipedia steht: "Nach der "Samtenen Revolution" 1989 zeichnete sich bald ab, dass die Tschechoslowakei auf Dauer keinen Bestand mehr haben würde."
Die Samtene Revolution beinhaltet doch den Wandel vom Realsozialismus zum demokratischen System. Was hat dies damit zu tun, dass die Tschechoslowakei bald nicht mehr existierren würde bzw. sich auflösen würde?
Vielleicht: Demokratie--> 2 Staatsregierungen (tschechisch und slowakisch)--> unterschiedliche Interessen---> Auflösung?
Wie ist die Auflösung zustande gekommen?
 
Zurück
Oben