Vorherrschaft Europas

Dieses Thema im Forum "Krisenzeiten und Renaissance (14. - 15. Jhd.)" wurde erstellt von collo, 6. April 2005.

  1. collo

    collo Aktives Mitglied

    interessant, welche beispiele du anführst:
    arabische ziffern, lateiner segel (auch arabisch), kompass, kanonen (vermutlich aus china), hochofen (ich denka da nur an damszener stahl), der romanische baustil (wenn man dagegen z.b. an chinesische pagoden aus dieser zeit denkt). die schubkarre wird gewiss unterschätzt, aber ich glaube, sie spielte keine entscheidende rolle bei der europäisiserung der welt.

    natürlich startete europa 1450 nicht vom nullpunkt aus, sondern hatte eben bis dahin (wieder) einen technologischen stand erreicht, der es ermöglichte, ebenbürtige oder gar überlegene (nicht nur technologisch gemeint) gegner letztendlich zu überrunden.

    und betrachte das "weit unterlegen" als gelungene provokation eine immer noch lebendige diskussion zu starten
     
  2. ursi

    ursi Moderatorin Mitarbeiter

    Die eurozentrische Sicht, klammert halt die Entwicklung ausserhalb Europas aus. Und zeigt nur die Sichtweise von Europa und nicht die Sichtweise, von zum Beispiel Asien.

    Denn auch im asiatischen Raum gab es Wissenschaften und Wissenschaftler dies wird mit der eurozentrischen Sichtweise ausgeblendet.

    Deine Auflistung bestreite ich ja auch nicht. Wobei ich den Beitrag von Collo nur zustimmen kann.
     
  3. kwschaefer

    kwschaefer Aktives Mitglied

    Dass die Weltgeschichte eurozentrisch gesehen wird, halte ich für ganz natürlich, da alle mir bekannten Weltgeschichten von Autoren des europäischen Kulturkreises stammen. Selbst in den USA ist es eine Seltenheit, wenn etwa ein asiatisch-stämmiger amerikanischer Autor an einer Weltgeschichte mitwirkt, wie etwa Lily Hwa oder Jiu-Hwa Upshur.

    Gäbe es heute eine wissenschaftlichen Ansprüchen genügende Weltgeschichte, die ein islamischer Historiker verfasst hat, könnte das wahrscheinlich viel zu einem besseren Verständnis unserer heutigen weltpolitischen Probleme beitragen.
     
  4. ursi

    ursi Moderatorin Mitarbeiter

    Wenn man arabisch oder japanisch lesen kann findet man schon Bücher. Nur werden solche Bücher in Europa nicht verkauft.
    Bis heute gibt es in deutscher Sprache nur ein Buch das die japanische Geschichte von den Anfängen bis zur Gegenward umfassend behandelt. Diese Buch wurde von einem Japaner geschrieben1 und entspricht den wissenschaftlichen Ansprüchen.

    Wenn man sich mit Weltgeschichte auseinandersetzen will, hilft es wenn man die Sprache der einzelen Länder kann.

    Kyoshi Inoue, Geschichte Japans
     
  5. kwschaefer

    kwschaefer Aktives Mitglied

    Sehr schön für dich, dass du arabisch und japanisch lesen kannst. Ich kann leider nur einige Sprachen des europäischen Kulturkreises.

    Mich interessiert im übrigen nicht so sehr die Geschichte Japans aus der Sicht eines Japaners, sondern mich würde eine entsprechende Weltgeschichte interessieren. Ich dachte, ich hätte das deutlich gemacht.
     
  6. ursi

    ursi Moderatorin Mitarbeiter

    Aber die japanische Geschichte gehört auch zur Weltgeschichte, sowie unsere Geschichte usw.

    Und warum so ein gehässiger Ton :nono:
     
  7. Gegenkaiser

    Gegenkaiser Gesperrt

    In keinster Weise? Dass heisst, wenn ich dich in einem Punkt widerlege, ist deine komplette Aussage hinfaellig?

    Nehmen wir z.B. den militaerischen Bereich und greifen uns die Artillerie raus, die als fruehneuzeitliche Hochtechnologie gilt und deren Bedeutung ja unentwegt zunahm. Hier laesst sich naemlich sehr schoen das technologische West-Ost-Gefaelle demonstrieren, dass es schon im 16. Jh. und eigentlich schon frueher gab.

    Lass uns mit den Osmanen beginnen, die ja fuer ihre Artillerie beruehmt waren. Das Problem: Die Artillerietechnik war europaeisch! Die beruehmte Belagerungskanone zu Konstantinopel 1453 war von einem ungarischen Fachmann konstruiert worden, der zu diesem Zweck extra engagiert wurde. Der groesste Kaliber der Osmanen hiess Balyemez. Die Etymologie dieses Wortes ist nicht unstrittig, aber es steht fest, dass das Wort aus dem europaeischen Wort kam: Entweder vom deutschen 'Faule Metze ( http://maviboncuk.blogspot.com/2006/03/balyemez.html ) oder vom italienischen Pallamezza (Jonathan Grant: Rethinking the Ottoman Decline, S.191)

    Damit waere aller Wahrscheinlichkeit nach auch die Technik aus Europa, zumal die Osmanen auf regelmaessiger Experten aus Osteuropa wie der Wallachei und Ungarn einsetzten (die nichtmals die besten Kanonenschmiede ihrer Zeit waren, diesen Ruf hatten deutsche Schmiede).

    Aber jetzt kommt es erst. Die osmanische Artillerie, selbst abhaengig von europaeischen Wissen- und Personaltransfer, war eigentlich die Creme Asiens. Oestlich vom osmanischen Reich naemlich wurde die Verwendung von Artillerie im 16. Jh. exotischer und exotischer. 1514 konnte naemlich der Sultan Selim in Chaldiran die schiitischen Perser dank seiner Feldartillerie vernichtend schlagen (Grant 182). Worauf ein gewisser Babur im heutigen Afghanistan davon Wind bekam und sich ebenfalls ein kleines Arsenal Artillerie zulegte. Was wiederum ausreichte um 1526 die vereinigten nordindischen Heere wiederum vernichtend zu schlagen und die Mogul-Herrschaft zu errichten.

    Das zeigt, dass ein ganz klares West-Ost-Gefaelle in Sachen Artillerietechnik bereits im 16.Jh. (und wohl schon frueher) bestand. Jetzt nehmen wir dagegen mal das Portugal. Deren Artillerie betrug unter Koenig Manuel alleine in den 5-10 marokkanischen Garnisonen - festhalten - 2017 Stueck jeden Kalibers! (John Vogt: Portuguese Artillery in the Struggle for Morocca, 1415-1578, S.177). Zum Vergleich: Als die Safaviden 1722 gegen die Afghanen verloren besassen sie gerade mal 24 Kanonen - unter einem franzoesischen Artillerieoffizier (Grant, S.183).

    Jetzt koennte man vielleicht meinen, dass es im Fernen Osten besser aussah. Leider Fehlanzeige. In SO Asien wurden bis auf die ganz kleinen Kaliber saemtliche Kanonen aus protugiesischen oder tuerkischen Quellen bezogen. Genuetzt hat es trotzdem nichts. Die Portugiesen schlugen insgesamt 14 Angriffe der Acehnesen gegen Malaka zurueck, obwohl letztere immer mehr europaeische Kriegstaktiken uebernahmen. 1568 z.B. schlugen 200 Portugiesen im Verbund mit 1300 lokalen Christen die zehnmal groessere Armee des Sultans zurueck. Verluste des Sultans: 3500 Mann (Pierre-Yves Manguin: Of Fortresses and Galleys. the 1568 acehnese Siege of Malaka, S.623ff.)

    Blieben nur die Chinesen, zu denen allerdings auch nicht viel zu sagen ist, da bereits Anfang des 17. Jh. die Jesuiten dank ihres ueberlegenen technischen Know Hows dazu gezwungen wurden, die Leitung in Ming Kanonenfabriken wurden. Gegen ihren Willen wohlgemerkt, der Kaiser drohte sogar Verbiest die Todesstrafe und den verbot der chrsitlichen Mission an, falls er sich nicht beugen wuerde. So verzweifelt war man damals schon in China, um sich westliches Wissen anzueignen. Natuerlich mit den alten despotischen (Zwangs-)Mitteln. Weswegen es ja auch mit der Modernisierung Chinas bis 1978 nie geklappt hat, aber das soll jetzt nicht interessieren.

    Und Japan? Hier waren es Nachbauten portugiesischer Arkebusen, denen Japaner 1592-99 im Krieg gegen Korea und Ming China ihre Feldueberlegenheit zum Gutteil verdankten. Wie du ja sicher weisst, waren es dieselben Nachbauten, die bereits in der Schlacht von Nagaschino 1575 dem japanischen Buergerkrieg eine entscheidende Wende gaben. Wiki.org dazu: "The victory of Oda's Western-style tactics and firearms over Takeda's cavalry charge is often cited as a turning point in Japanese warfare; many cite it as the first 'modern' Japanese battle."

    Soviel mal zum Thema 'in keinster Weise'.

    (Die Beispiele lassen sich auch auf politischen, oekonomischen und technischen Feldern weiterfuehren)
     
  8. Gegenkaiser

    Gegenkaiser Gesperrt

    Ich bin nicht empfindlich, aber man sollte vielleicht einem Neumitglied nicht gleich 'Eurozentrismus' (und 'Einseitigkeit') vorwerfen. Und schon gar nicht als Mod. Zumal der Begriff ja gar nicht negativ belegt ist, sondern du es erst als einen Vorwurf klingen lassen willst.

    Eurozentrismus als Begriff ist natuerlich legitim, wenn es zutrifft, dass die Welt sich zusehends nach Europa orientierte. Was ich oben anhand des Beispiels der Artillerie exemplarisch demonstriert habe.
     
    Zuletzt bearbeitet: 5. September 2006
  9. Louis le Grand

    Louis le Grand Neues Mitglied

    "In keinster Weise" bezog sich allein auf die Behauptung, dass Europa einen allgemeinen Vorsprung gegenüber der restlichen Welt im 16. Jahrh. gehabt hätte. Und einen solchen hatte Europa nunmal, bis auf einige Ausnahmen, zu diesem Zeitpunkt nicht.
     
  10. Gegenkaiser

    Gegenkaiser Gesperrt

    Also, ich moechte da mal dicht an den Beispielen argumentieren. Natuerlich war nicht jede Erfindung europaeischen Ursprungs, sondern es wurde in Europa auch viel importiert. Entscheidend ist aber auch, wie schnell eine neue Erfindung implementiert wurde:

    Die Ziffern war ja indisch, aber sie wurden z.B. in Europa (13.Jh.) schneller eingefuehrt als in China (14.Jh.). Der Streit zwischen Abacisten und Verfechtern der neuen Ziffern dauerts allerdings noch bis in die Zeit von Adam Ries (16.Jh.). Die doppelte Buchfuehrung in arabischen Ziffern hatte sich allerdings schon im 13.Jh. in Italien durchgesetzt.

    Hochoefen gab es seit der Han-Zeit in China, aber eben auch nur dort. Europa war hier sozusagen die Nr. 2. Die Erfindung war mit groesster Wahrscheinlichkeit den Schweden auch ohne auslaendischen Input gelungen, denn schwedisches Eisen hat bekanntlich chemische Eigenschaften, die einen niedrigeren Schmelzpunkt erlauben.

    Den Kompass kannte man in China nur als magnetische Nadel, die in einem Strohhalm gelegt wurde, und in einer Schuessel Wasser gelegt wurde. Aufgrund des Windeinflusses liess sich der Kurs so nur unter Deck lesen. Der echte Kompass dagegen (drehende Nadel mit Windrose) kam spaetestens um 1300 im Mittelmeer auf, und just zu dieser Zeit zeigen uns die erhaltenen Hafendokumente ploetzlich die Verlaengerung der Segelsaison um mehrere Monate. Handelsschiffe konnten jetzt statt eine zwei Touren pro Jahr nach Alexandria machen!

    Kanonen wurden vermutlich ueber das islamische Andalusien nach Europa eingefuehrt (der mongolische Uebertragungsweg ist wohl weniger wahrscheinlich) und waren in China seit 1220 dokumentiert (Europa 1320er Jahre). Allerdings auch hier: Um 1410-1430 ereignete sich eine veritable Artillerierevolution in Europa (laengere Laeufe, neue Pulverkoernerung) in derem Verlauf der Stueckpreis um ein Drittel sank. Spaetestens zu diesme Zeitpunkt hatten europaeische Kanoniere mit chinesischen gleichgezogen (und islamische bereits hinter sich gelassen).

    Welche? Es gibt in China kaum Monumente aus dieser Zeit. Wenn man z.B. die Sechs Harmonien Pagode (60m, 1156 errichtet) in Hangzhou mit dem Dom zu Speyer vergleicht....dann hat der Dom keine geringere Turmhoehe, aber dazu noch das gesamte riesige Langschiff mit 15m hohen Boegen! Von der noch gewaltigeren Kathedrale in Cluny will ich gar nicht erst anfangen.

    Und dann ging es ja erst richtig mit der Gotik (1140) los. Seit Fertigstellung des Doms zu Strassburg 1450 und der Martinskirche 1500 in Landshut standen das hoechste Gebaeude der Welt und der hoechste Backsteinturm der Welt in Old Europe, mi amigo.

    Noch um 1880 wurde der Koelner Dom das hoechste Gebaeude der Welt - nachdem er nach mittelalterlichen Orginalplaenen, die 1815 in Paris wiederentdeckt wurden, zuende gebaut wurde.

    Also Leute, mal den Ball flach halten mit 'in keinster Weise'. Es entspricht zwar gut europaeischer Sitte, erstmal die eigenen Erfolge zu relativieren, aber Geschichte schreibt man doch besser hart an der Wahrheit und nicht aus einer relativistischen Konsenssehnsucht heraus.
     
  11. Solwac

    Solwac Aktives Mitglied

    Für mich besteht die Überlegenheit Europas um ca. 1450 nicht in der einen oder anderen technischen Entwicklung, sondern in einer gesellschaftlichen Struktur, die die schnelle Weiterentwicklung und Anwendung in der Praxis erlaubte.

    So kennen die Chinesen schon Schwarzpulver und Raketen, nutzen es aber eher zur Unterhaltung oder Erschrecken von feindlichen Pferden. Die Weiterentwicklung konnte von den Mongolen offenbar so gründlich unterdrückt werden, dass die technisch mögliche Entwicklung von echten Kriegsraketen unterblieb. In Europa hingegen wurde Schießpulver sehr schnell als Waffe verwendet (vielleicht beeinflußt vom Gebrauch des griechischen Feuers).

    Aber auch in anderen Bereichen waren Buchdruck und die aufkommenden Universitäten sehr geeignet für eine Entwicklung durch eine Vielzahl von einzelnen hellen Köpfen. Als dann in den nächsten 200 Jahren der Einfluß der Kirche zurückgedrängt werden konnte (negatives Beispiel Galilei), war der Weg frei für eine sich beschleunigende Entwicklung.

    Der Einsatz der neuen Techiken konnte sich in Europa nicht zuletzt durch die tiefgreifenden Glaubensgegensätze verbreiten. Mit den "revolutionären" Ideen eines Hus, Luther, Calvins, Zwingli usw. war die konservative Dogmatik überwunden, Neues wurde wirklich ausprobiert. Dies ist etwas, was ich von anderen Kulturkreisen bisher nicht gehört habe.

    Solwac
     
  12. Gegenkaiser

    Gegenkaiser Gesperrt

    PS: Anzeichen fuer Lateinerbesegelung gibt es bereits in der Spaetantike (Casson: Ships and Seamanship in the Ancient World). So wird vom Flagschiff von Belisarius beim Strum auf Karthago (533) berichtet, dass es zur Identifikation fuer die nachfolgende Flotte einen roten Anstrich in der Segelecke besass. Das wuerde natuerlich keinen Sinn mit einem rechteckigen Segel machen. Man vermutet, dass das Lateinersegel aus dem Vorsegel der roemischen Galeere heraus entstanden.

    Was ich damit sagen will: Die Portugiesen haben sich da von den Arabern auch nur das geborgt, was sich die Araber vorher von den Griechen und Roemern abgeschaut haben.
     
  13. Gegenkaiser

    Gegenkaiser Gesperrt

    Das klang aber eben noch etwas anders. Aber ok. Warum nicht einfach mal konkret werden und ein paar Felder nennen, wo die restliche Welt noch eine Vorsprung hatte?
     
  14. ursi

    ursi Moderatorin Mitarbeiter


    Erstens habe ich nicht dich gemeint mit dem gehässigen Ton.

    Zweitens diskutieren in diesem Forum die Moderatoren ebenso mit, wie die Mitglieder.

    Und Drittens war mein Einwand nicht als Vorwurf gemeint, sondern meine Feststellung auf deinen Beitrag, mehr nicht.
     
  15. Gegenkaiser

    Gegenkaiser Gesperrt

    Das sehe ich eigentlich genauso, denn die Technik muss ja erstmal einem klugen, gebildeten Kopf entspringen und ueberhaupt vollzog sich der Fortschritt Europas in dieser Zeit auf breitester Front, also auch im sozialen, politischen, wissenschaftlichen, organisatorischen Bereich. Ganz zu schweigen von einer einmaligen Geisteshaltung im bezug auf Effizienz, Profitstreben und Nuetzlichkeitsdenken, die sich die Europaer in jener Zeit schrittweise aneigneten.

    Aber solche, eher soften, aber keineswegs weniger wichtige Argumente werden leider von Relativisten immer wieder gerne...relativiert. Eine Aufzaehlung von Innovationen laesst sich dagegen schwerer wegreden, deswegen eignet sich so ein Liste immer gut als Intro, um einen Standpunkt zu verfechten.

    Weiter geht es dann natuerlich mit der Frage, wo denn eigentlich ausserhalb Europas die Denker wie Descartes, Spinoza, Hobbes, Locke, , Harvey, Huyghens, Pascal, Paracelsus und Leibniz zu finden sind?

    Oder die Theoretiker wie Grotius, Bodin, Machiavelli, Kepler, Kopernikus sind?

    Oder die Kuenstler wie Cervantes und Rubens?

    Oder die geistigen Erneuerer wie Luther, Calvin, Melanchthon? Cervantes

    Ja wo denn?
     
    Zuletzt bearbeitet: 5. September 2006
  16. Pope

    Pope Neues Mitglied

    Städtebau? Medizin und Hygiene?

    Trotz klimatischer Vorteile hatte Europa bis ins 17.Jhdt. keine wirkliche Metropole vorzuweisen. Die eroberten Städte in Übersee (Indien, Mexiko) hatten z.T. ein Vielfaches an Größe verglichen mit den Städten des Mutterlandes. Istanbul soll 1560 mehr als eine halbe Millionen Einwohner gehabt haben. In Tenochtitlan wurde der Texcoco-See entwässert - offensichtlich weil die Spanier keine Ahnung hatten, wie sie diese schwimmende Stadt aufrechterhalten sollten.

    Und hast Du Zahlen zur Lebenserwartung in Kalkutta, Alexandrien, Istanbul, Paris, Sevilla und Venedig (o.ä.) um 1500?

    Das zur Anregung.
     
  17. El Quijote

    El Quijote Moderator Mitarbeiter

    Ich gehe heute ganz in meiner Rolle als relativierender Relativist auf, wenn ich anmerke, dass die erste gotische Kathedrale meines Wissens Notre Dame in Tartus in Syrien ist, also eine Kreuzfahrerkirche, in der Kreuzfahrer romanische und lokale Elemente verbanden. Heute beherbergt sie im Übrigen das archäologische Museum.
     
  18. Shay

    Shay Neues Mitglied

    Für Leute, die an der Frage "Warum ist heute die europäische Kultur so dominant?" interessiert sind, kann ich das Buch "Guns, germs and steel" von Jared Diamond nur empfehlen. (Die deutsche Übersetzung heißt "Arm und Reich - die Schicksale menschlicher Gesellschaften")

    Erstmal ein paar Vorbemerkungen. Diamond ist kein Historiker, sondern Mediziner, Biogeograph und Evolutionärbiologe und er geht das Ganze eher naturwissenschaftlich an. Außerdem ist das Buch meines Wissens das allererste, das diese Ansatz im Hinblick auf die menschliche Geschichte verfolgt. Er packt 13.000 Jahre Weltgeschichte in ein paar hundert Seiten und da ist es klar, daß er nur die gröbsten Strömungen ansprechen kann. Z.B. unterscheidet er überhaupt nicht zwischen den verschiedenen europäischen Kulturen.
    Das Buch ist nicht unumstritten. Ich persönlich aber denke, daß viele (sicher nciht alle) der Kritikpunkte zu kurz greifen. Z.B. wird ihm vorgeworfen, daß er die kulturellen Unterschiede der verschiedenen Völker nicht einbezieht. Es geht ihm aber gerade darum, zu erklären, daß es diese Unterschiede nicht braucht und z.T. auch darum, wie diese kulturellen Unterschiede überhaupt zustande gekommen sind (auch wenn er diesen Punkt - wohl zu recht - nicht tiefer ausführt).

    Aber jetzt genug der Vorrede, und mal ein paar Worte zu Diamonds Thesen (eine ausführlichere Zusammenfassung findet sich bei der englischen Wikipedia)

    Diamond führt die unterschiedliche Macht, die die verschiedenen Völkergruppen heute haben, letztendlich auf Fakten der Geographie und Biogeographie zurück.
    Er geht davon aus, daß jede Erfindung, die im Bereich des Möglichen eines Volkes liegt, früher oder später auch gemacht wird, wenn es nur genügend Leute/Völker gibt und wenn sich die Erfindung lohnt.
    Wenn also die Europäer im Jahr 1500 Feuerwaffen, Kavallerie und Hochseeschifffahrt hatten, dann lag es nicht daran, daß die anderen Völker das nicht wollten, sondern daß sie es nicht konnten. (China und den Vorderen Orient nehm ich mal aus, die sind etwas komplizierter).

    Eine wichtige Voraussetzung für die Entstehung der westlichen Zivilisation war ohne Frage die Entwicklung des Ackerbaus, verbunden mit einem sesshaften Lebensstil. Nur dadurch konnten die hohen Bevölkerungsdichten entstehen, die den Aufbau von mächtigen Reichen erst ermöglichten.
    Jetzt kann man sich die verschiedenen Kontinente anschauen. In Australien gab es nie einheimischen Ackerbau. Die Pflanzen der nördlcih davon lebenden Nachbarn (die Ackerbau betrieben) sind nämlich nur für tropisches Klima geeignet. Einheimische Pflanzen aber waren und sind nicht für den Anbau geeignet. Selbst die Europäer haben es in 500 Jahren nur geschafft, eine einzige australische Pflanze zu kultivieren, nämlich die Macadamie-Nuss. Man beginnt aber keine Ackerbaukultur mit einem einzigen Nussbaum.

    In Amerika gab es einige geeignete Pflanzen (Mais, Kürbis, Sonnenblumen...) und so entstand hier auch tatsächlich Ackerbau. Hier gab es aber das Problem, daß die Kultivation des Mais von sich aus schon schwieriger war und deswegen länger dauerte als die von Weizen und daß sich dazu der Ackerbau nur sehr viel schwerer ausbreiten konnte, da die Hauptachse des amerikanischen Kontinents in Nord-Süd-Richtung verläuft und sich die Pflanzen damit ständig an neue Klimazonen anpassen mußten. Insofern begann die Entwicklung der ackerbaubetreibenden Gesellschaften in Amerika später und verlief dazu noch langsamer als in Eurasien.
    Die eurasischen Bauern hatten aber nicht nur Ackerbau sondern auch Viehzucht (Pferde, Rinder, Schweine, Schafe, Ziegen...). In Amerika gab es nicht so viele große Landsäugetiere, die sich zur Zucht geeignet hätten. Das Pferd war ausgestorben und Bisons sind ziemlich aggressiv. Tatsächlich wurden an größeren Säugetieren (Meerschweinchen mal ausgenommen) nur Lamas und Alpakas gezüchtet. Beide sind aber nicht stark genug, um z.B. einen Reiter zu tragen. Dazu sind es Tiere des Hochgebirges. Die Azteken, die das Rad kannten, hätten vielelicht Verwendung für Lamas gehabt, aber dazu hätte man die Tiere erstmal durch den zentralamerikanischen Dschungel kriegen müssen und das wäre ihnen sicher nicht bekommen. Also blieben die Inkas mit Zugtieren, aber ohne Rad (in ihrer zerklüfteten Umgebung nicht ganz unverständlich) und die Azteken mit Rad, aber ohne Zugtiere. Eurasien hatte beides.

    Afrika ist ein ähnlicher Fall. Hier gibt es zwar genügend große Tiere, aber die sind alle recht aggressiv und keines davon wurde bis heute zu einer echten Kulturform gebracht. Einzelne Tiere können zwar (teilweise) gezähmt werden, aber sie haben sich nie zu etwas eigenem entwickelt wie unsere Kulturrassen.

    Eurasien war also nicht nur bei der Entwicklung des Ackerbaus, sondern auch bei der Entwicklung der Viehzucht im Vorteil. Aber wer Zugtiere hat, kann auch größere Lasten über weite Strecken transportieren. Das fördert natürlich den Handel und damit auch den Ideenaustausch. Tiere liefern außerdem Dünger und erleichtern das Pflügen. Dadurch braucht man weniger Bauern, die dazu noch höhere Erträge liefern und damit mehr Menschen unterhalten. Es gab also mehr Leute, die frei waren, sich um Wissenschaft und Fortschritt zu kümmern (auch wenn das nicht unbedingt Wissenschaftler waren, sondern eher Handwerker).
    Zuletzt entwickeln sich im engen Zusammenleben mit Haustieren auch viele Krankheiten (siehe Vogelgrippe) und dadurch läßt sich erklären, warum die haustierhaltenden Europäer mit ihren Krankheiten halb Amerika ausrotteten, die amerikanischen Krankheiten aber im Gegenzug in Europa recht wenig Schaden anrichteten.

    Und jetzt noch zur Frage Europa oder Asien, die ich am Anfang ausgespart habe. Von den "Rohstoffen", die zur Verfügung standen, schenkten sich die beiden nicht viel, sie standen auch immer im recht regen Austausch untereinander (da Eurasien eine Ost-West-Achse hat und deswegen die Klimazonen recht ähnlich sind). Der große Unterschied liegt in der Geographie. Europa ist sehr stark zergliedert, China nicht. China war dementsprechend schon sehr früh ein geeintes Reich, was Europa bis heute nicht ist. Dadurch gab es in China zum einen weniger Konkurrenzdruck, neue Technologien zu entwickeln, zum anderen konnte EIN fortschrittsfeindlicher Herrscher die Entwicklung schon sehr stark ausbremsen.

    Und was ist jetzt mit dem Osmanischen Reich/den Arabern? Darauf geht Diamond nicht ein. Für ihn bilden Europa und der Vordere Orient einen Kulturraum. Welches der Vöker da jetzt letztendlich wann wie mächtig war, das untersucht er nicht genauer.

    Puh, das war jetzt wirklich eine sehr knappe Zusammenfassung. Ich finde seine Theorie sehr schlüssig. Natürlich gibt es da noch viele blinde Flecken und sicher auch den einen oder anderen Fehler. Aber ich denke, es wäre wichtig, diesen Ansatz weiterzuverfolgen, statt nur auf irgendwelche Kleinigkeiten zu deuten und zu sagen "das da ist falsch, dann taugt alles nicht".

    Wie gesagt, ein höchst interessantes Buch. Ob ihr der Argumentation folgt, müßt ihr selbst entscheiden.
     
    Zuletzt bearbeitet: 6. September 2006
  19. Brissotin

    Brissotin Aktives Mitglied

    Antwerpen galt mit 100.000 Einwohnern im 16. Jahrhundert als eine der größten Städte in Europa.
    Görlitz war mit 10.000 Einwohnern im 16.Jh. die größte Stadt zwischen Breslau und Erfurt und zählte zu den größeren des Reiches. Natürlich liegen Köln, Augsburg, Magdeburg und die Hansestädte bedeutend weiter vorne.

    Ich denke, dass Gegenkaiser schonmal wegen der Mühe die er sich gemacht hat, auch mit Quellenverweisen, erstmal Achtung verdient. Ich bezweifle, dass wir zu einem auch nur annähernd gemeinsamen Urteil gelangen werden. Aspekte, was für uns Kennzahlen für "Vorherrschaft" sind, werden wohl die tauglichsten Quintessenzen sein, die wir aus der Debatte herausnehmen werden.

    Ich bitte die Artillerie nicht allzusehr zu überschätzen. Die Erfolge, welche sie beförderte, lasse ich gern gelten. Allerdings sind die Beispiele, bei denen das Gewicht der Artillerie überschätzt wurde, bis ins 18.Jh. hinein manigfaltig (selbst bei Friedrich II. in Preußen anzutreffen). Die Schussgeschwindigkeit der Bögen wurde von den Feuerwaffen erst im 19. Jh. eingeholt, als allerdings auch die Zielgenauigkeit einhergehend mit dem sich durchsetzen der gezogenen Läufe entscheidend an Bedeutung gewann. Die Gewehre wieder gegen die Piken einzutauschen, um die Agilität auf dem Schlachtfeld wieder zu erlangen, war ein Diskussionsthema in der Militärtheorie des 18.Jh.. Das nur dazu, wie wichtig die Feuerwaffe war und wie unangezweifelt sie angeblich die Vorherrschaft begründete.
     
  20. collo

    collo Aktives Mitglied

    ich hab das thema angefangen, weil es mich einfach fasziniert, dass ein "wurmfortsatz" asiens, gespalten in viele kleine staaten, uneinig, bedroht, unfriedlich, von kleiner bevölkerungszahl und eben auch in vielen technologischen bereichen nicht führend, ab ca. 1450 anfängt die welt zu erobern, OBWOHL z.b. china oder der islamische kulturkreis wesentlich günstigere startvoraussetzungen gehabt hätten.

    und eben um diese zeit, die man ja gemeinhin als renaissance, bezeichnet, entdeckt sich auch europa wieder. und erneuert sich, wie du treffend feststellst, im gegensatz zu den "konkurrenten", die um diesen zeitraum in eine starre verfallen.

    es wäre also ein interessante frage, warum sich china oder die islamische welt nicht ebenso rasant weiterentwicklet hat, wie der europäische kulturkreis.
     

Diese Seite empfehlen