Vulkanausbruch und Wirren nach Cäsars Ermordung

Erich

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Der SPIEGEL bring einen interessanten Kontext:
Brachte ein Vulkanausbruch die römische Republik zu Fall? - DER SPIEGEL - Wissenschaft
Als der Feldherr und Diktator auf Lebenszeit Gaius Julius Cäsar am 15. März im Jahr 44 vor Christus während einer Senatssitzung erdolcht wurde, entbrannte in Rom ein fast zwei Jahrzehnte andauernder Machtkampf, in dessen Folge die römische Republik unterging.

Schriftliche Zeugnisse aus jener Zeit belegen, dass der Machtkampf von einer Periode ungewöhnlich kalten Wetters mit Ernteausfällen, Hungersnöten, Seuchen und entsprechenden Unruhen im Mittelmeerraum begleitet wurde. Nun haben Wissenschaftler die wahrscheinliche Ursache dafür ausgemacht, berichten sie im Fachblatt "Proceedings of the National Academy of Sciences"

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Die Asche in den Eiskernen aus Grönland und Russland deutet darauf hin, dass der Vulkan noch zu Lebzeiten Cäsars, im Jahr 45 vor Christus, gefährlich gebrodelt hatte. Der große Ausbruch folgte jedoch erst ein Jahr nach Cäsars Tod. Der Ausbruch war einer der größten in den vergangenen 2500 Jahren.
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Das habe ich gestern schon hier gelesen: Vulkan brachte Römische Republik ins Wanken

Es ist zwar modern, historische Krisen mit historischen Klimaschwierigkeiten in Zusammenhang zu bringen (wobei man eine durch einen Vulkanausbruch verursachte vorübergehende Klimaanomalie nicht einmal dem Menschen anlasten kann), aber den Untergang der römischen Republik einem Vulkanausbruch anzulasten (wie es zumindest der Titel suggeriert), ist schon ein starkes Stück.

Die römische Republik war schon lang marode, und es war wenig überraschend, dass nach Caesars Ermordung nicht einfach zur Tagesordnung übergegangen wurde. Die Männer, die die nächsten Monate und Jahre prägten, wie Marcus Antonius und seine beiden Brüder, Octavian, die beiden Bruti und Cassius, Lepidus, Dolabella etc., standen schon vor dem Vulkanausbruch in den Startlöchern und trieben ihre Ränke und Machtkämpfe. Auf Details der folgenden Konflikte und Bürgerkriege kann die Klimaverschlechterung durchaus Auswirkungen gehabt haben, wie z. B. auf die Versorgungsschwierigkeiten der beiden gewaltigen Armeen (vor allem der der Triumvirn) vor der Schlacht bei Philippi, aber sie brachte nicht etwa ein geordnetes und funktionierendes Staatswesen ins Wanken. Die römische Republik ging auch nicht etwa an Hungersnöten und durch sie verursachten Aufständen zugrunde oder an durch Missernten verursachten Migrationsbewegungen, sondern an Machtkämpfen, wie sie in ähnlicher Form den Staat seit Jahrzehnten heimsuchten. Eigentlich spielten wirtschaftliche und soziale Probleme in den Konflikten in den Jahren nach 44 v. Chr. sogar eine geringere Rolle als in früheren Jahrzehnten, als sich die Konflikte noch stärker um Fragen wie die Landverteilung drehten (oder sie zumindest als Vorwand herhalten mussten).
 
Manchmal braucht es eben den einen Tropfen, um das Fass zum Überlaufen zu bringen. Auf Island ist man überzeugt, dass der Ausbruch des Laki 1783 die Frz. Revolution 1789 ausgelöst habe. Deswegen bildet sich niemand ein, dass sie ohne den Ausbruch nicht stattgefunden habe, nur eben anders und später. Das Jahr ohne Sommer, 1816, wurde durch den Ausbruch eines im Pazifik gelegenen Vulkans 1815 ausgelöst, welcher als der stärkste Vulkanausbruch in ungefähr 25.000 Jahren gilt. Also insofern würde ich die Idee nicht ganz so schnell vom Tisch wischen und die Argumente im Einzelnen anschauen.
 
Ich sage ja nicht, dass der Vulkanausbruch keinen Einfluss hatte, aber Schlagzeilen wie "Vulkan brachte Römische Republik ins Wanken" oder gar "Brachte ein Vulkanausbruch die römische Republik zu Fall?" sind doch stark übertrieben, weil sie suggerieren, dass ein funktionierendes Staatswesen durch den Ausbruch destabilisiert oder gar gestürzt wurde.

Nach Caesars Ermordung war es völlig unrealistisch, dass sich plötzlich alle um den Hals fallen und einträchtig zusammenwirken. Dass es zwischen Marcus Antonius und Decimus Brutus, zwischen den Triumvirn und den Caesarmördern, zwischen Octavian und Lucius Antonius sowie Fulvia, zwischen den Triumvirn und Sextus Pompeius und schließlich zwischen Octavian und Marcus Antonius krachte, kann man nicht auf einen Vulkanausbruch zurückführen, sondern auf die Animositäten und Machtwünsche der Akteure. Wenn der Vulkanausbruch 43 v. Chr. stattfand und für eine Klimaverschlechterung in den Jahren 43 und 42 sorgte, stand er außerdem nicht am Beginn des (endgültigen) Niedergangs der Republik, sondern mittendrin: In Norditalien standen sich gerade Marcus Antonius und Decimus Brutus gegenüber, während Marcus Brutus und Cassius ihre Macht im Osten des Reiches konsolidierten, was wiederum zum 2. Triumvirat führte. Was in den nächsten Monaten und Jahren folgte, war Folge dieser Konstellationen. Um Dein Bild aufzugreifen: Das Fass war bereits übergelaufen, als ein Lavaklumpen hineinfiel.
Der Vulkanausbruch und seine klimatischen Folgen könnten natürlich verstärkend gewirkt haben. Z. B. spielten Probleme bei der Landverteilung eine Rolle beim Ausbruch des Perusinischen Krieges zwischen Octavian und Lucius Antonius sowie Fulvia. Es mag durchaus sein, dass diese Landfrage durch die Klimaprobleme verschärft wurde. Es mag auch sein, dass die Caesarmörder den Osten des Reiches weniger hart ausgepresst hätten, wenn es um das Klima besser gestanden hätte, oder dass die Versorgungsschwierigkeiten der Triumvirn vor der Schlacht bei Philippi durch die Klimaprobleme verschlimmert wurden.
Aber all das ändert nichts daran, dass es einige Männer (und Frauen) gab, die nach Macht und Prestige strebten, unterschiedliche Vorstellungen von der Zukunft der Republik hatten, und sich dabei gegenseitig im Weg standen. Auch die tieferliegenden Konflikte, z. B. ein primär senatsbasiertes Herrschaftssystem (wie es Cicero als Ideal sah) vs. einzelne Männer, die sich primär auf die Volksversammlungen und die Armeen stützten, statt sich dem Senat zu unterwerfen, waren nicht neu, sondern reichten fast ein Jahrhundert zurück. Probleme, willige Soldaten für die Bürgerkriege zu finden, hatte es ebenfalls bereits in früheren Jahrzehnten kaum gegeben, die gewaltigen Mobilisierungen in der Endphase der Republik können somit kaum auf klimabedingte wirtschaftliche Schwierigkeiten zurückgeführt werden.
 
Ich habe heute ziemlich fassungslos vor einem Artikel unserer regionalen Tageszeitung gesessen, Titel: "Ein Vulkan und der Untergang der alten Römer."
Muss mir bis jetzt entgangen sein und vielleicht wollte die Zeitung ja nun das Sommerloch füllen. Ich finde die Theorie an sich schon ziemlich schräg, aber was dann daraus gemacht wird ... nach langem Überlegen nehme ich an, dass die Journalistin, die den Artikel schrieb, nicht wusste, dass das Ende der Republik noch längst nicht der Untergang Roms war - wobei ich das Wort "Untergang" im Zusammenhang mit historischen Entwicklungen sowieso unpassend finde.
 
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