Wahrnehmung Byzanz' im Westen

Fedaykin

Neues Mitglied
Hallo liebe Mituser,

ich eröffne diesen Thread aus folgendem Anlass:

es ist immer wieder erstaunlich wie sehr die kulturellen Leistungen und Errungenschaften Byzanz' in der öffentlichen westlichen Wahrnehmung schlichtweg ignoriert werden.

Der zivilisatorische Stand des byzantinischen Reiches insbesondere im Vergleich zu seinen westlichen Nachbarn ist für mich immer wieder ein Kuriosum.

Umso trauriger, dass Byzanz eine so geringe Rolle in der westlichen Geschichtslehre spielt.

Während bspw. im Schulunterricht das Frankenreichs Karls des Großen in aller Ausführlichkeit diskutiert wird, wobei dieses Frankenreich nun selbst bei größtem Wohlwollen ein primitves Gebilde war (relativ zu seinen östlichen Nachbarn - islamischer Kulturraum und Byzanz), wird Byzanz schlichtweg als Fußnote der Geschichte behandelt.

Was sind die tieferen Ursachen? (ein in der Tat existierender arrogant-elitärer Eurozentrismus insbesondere im 19. und frühen 20 Jhdt. ist sicherlich korrekt, aber auch mehr Symptom als Ursache).
Warum erfährt Byzanz nicht die Würdigung, die es verdient und warum wird dem byzantinischen Reich auch heute noch im Westen das Prädikat römisch abgesprochen, was am besten an der Tatsache festgemacht werden kann, dass AUCH HEUTE NOCH im Schulunterricht behauptet wird, dass Imperum Romanum ginge 476 unter, was natürlich völliger Blödsinn ist.
 
Denke es hat auch mit der Tatsache zu tun, dass der Westen katholisch und der Osten orthodox war und man über Jahrhunderte der Orthodoxie die Gleichberechtigung abgesprochen hat. Da die Orthodoxie nicht gleichberechtigt war konnte es auch Byzanz nicht sein. Vielleicht hat sich das ja so in den Köpfen der Menschen festgesetzt und über Jahrhunderte erhalten. Der von dir genannte Eurozentrismus ist sicher auch ein Grund, jedoch wird sowohl Ägypten als auch Perser, Alexander und seine Diadochen auch im Geschichtsunterricht besprochen.

Denke auch nicht, dass Byzanz das "römisch sein" abgesprochen wird. Die Bezeichnung Byzanz wird ja nur verwendet um das mittellterliche Rom vom antiken Rom abzugrenzen. Allerdings wäre meiner Meinung nach die Bezeichnung "Spät-Rom" oder Ostrom dafür genauso gut geeignet und würde das Selbstverständnis und die Tradition dieses Reiches besser illustrieren.
 
Der von dir genannte Eurozentrismus ist sicher auch ein Grund, jedoch wird sowohl Ägypten als auch Perser, Alexander und seine Diadochen auch im Geschichtsunterricht besprochen.

Denke auch nicht, dass Byzanz das "römisch sein" abgesprochen wird. Die Bezeichnung Byzanz wird ja nur verwendet um das mittellterliche Rom vom antiken Rom abzugrenzen. Allerdings wäre meiner Meinung nach die Bezeichnung "Spät-Rom" oder Ostrom dafür genauso gut geeignet und würde das Selbstverständnis und die Tradition dieses Reiches besser illustrieren.

Das ist ja das traurige...Ägypten, Perser etc. werden durchaus angemessen behandelt...Byzanz bleibt eine Fußnote.

Zum zweiten Punkt: im Geschichtsunterricht hieß es immer: das römische Reich ging im 5. Jhdt. endgültig unter...was natürlich Blödsinn ist, wie jeder hier im Forum weiß.
Zumindest für den Zeitraum bis ins 7. Jhdt. halte ich das Selbstverständnis der Byzantiner als Römer für völlig logisch und auch zivilisatorisch für angebracht....

Ein weiteres Beispiel für diesen Eurozentrismus ist die Kaiserkrönung Karls des Großen...Karl als Nachfolger der römischen Imperatoren, naja das hat schon ein Geschmäckle. Wenn es überhaupt so etwas wie einen Legitimitätsanspruch gibt, dann gilt dieser mit Sicherheit nicht den Franken und später den deutschen Herrschern. Auch in diesem Fall gilt, dass Byzanz in der öffentlichen Wahrnehmung völlig untergeht.

Diese ganze Thematik stört mich einfach...und stößt immer dann auf wenn vom "finsteren Mittelalter" die Rede ist. Byzanz war christlich und gehörte eindeutig zum europäischen Kulturraum, was immer der auch gewesen sein mag. Das wir im Westen Europas einen starken zivilisatorischen Niedergang vorfinden, mag stimmen, aber eben nicht in ganz Europa...dass dieser kleine aber feine Unterschied so gut WIE IMMER unter dem Tisch fällt, ist eine Herabwürdigung der byzantinischen Leistungen und Errungenschaften und zeugt doch von sehr viel westlicher Arroganz.

Mir ist bewusst, dass dies ein Überbleibsel der Geschichtswissenschaft des 19. Jhdt. und frühen 20. Jhdt. ist und es bleibt zu hoffen, dass sich in den kommenden Jahren ein anderes Bild ergeben wird (die Tendenzen sind zu erkennen)
 
Das ist ja das traurige...Ägypten, Perser etc. werden durchaus angemessen behandelt...Byzanz bleibt eine Fußnote.

Die Auswahl dessen, was in unseren Schulgeschichtsunterricht kommt, ist politisch bestimmt. Wobei einige der Auswahlkriterien zweifelhaft sind. Z.B. ist die attische Demokratie Thema, weil die heutigen Demokratien in einen historischen Kontext mit ihr gestellt werden. Das von Spanien bis nach Italien und in den Balkan reichende Karolingerreich wird als Präfiguration der EU wahrgenommen.
Es ist schon klar, dass in der BEschäftigung mit der Antike viel Wert auf den griechisch-römischen Raum gelegt wird, im Mittelalter dann aber nicht mehr. Vom antiken Mitteleuropa haben wir praktisch keine sicheren Informationen, von griechischen und römischen Historikern dafür aber umso mehr. Im Mittelalter haben wir dann ausreichend Informationen aus unseren Breiten und - man merkt es hier im Forum manchmal recht deutlich - man kann die Leute eben sehr viel leichter dafür interessieren, was in ihrem eigenen Vorgarten passiert ist, als für das was weit weg war. (Man denke nur an Nachrichten im Radio: "Nachrichten aus Erfurt, Thüringen und der Welt" (willkürliches Bsp.) Das ist nicht zufällig so aufgebaut). Insofern ist die Auswahl der Themen - und auswählen muss man - schon logisch.

Karl als Nachfolger der römischen Imperatoren, naja das hat schon ein Geschmäckle. Wenn es überhaupt so etwas wie einen Legitimitätsanspruch gibt, dann gilt dieser mit Sicherheit nicht den Franken und später den deutschen Herrschern.

Nein, das Kaisertum im HRR war in Westeuropa meist anerkannt und wurde auch nicht bestritten (obwohl es zwischenzeitlich in Frankreich und Spanien auch eigene Bestrebungen gab entweder deutscher Kaiser zu werden oder sich im eigenen Land den Kaisertitel zu geben). Römisch legitimiert war es durch die lange Zeit durch den Papst vorgenommenen Kaiserkrönung und nicht zuletzt durch dynastische Verbindungen mit Ostrom (Theophanu) Das Kaisertum war römisch, nicht deutsch.
 
zum Kaisertum...ich tu mich persönlich schwer, die Legitimation des Kaisertums im HRR anzuerkennen...ich bin zwar kein Jurist, aber wenn man überhaupt eine rechtliche Legitimation ableiten möchte (was eigentlich sinnlos ist), dann bin ich mir ziemlich sicher, dass diese Legitimation den byzantinischen Herrschern zukommen würde.

Karl und die katholische Kirche waren sich dieser Problematik im Grunde voll bewusst ;-)
zumal die katholische Kirche sehr anmaßend war, sich dieses Recht zuzugestehen...ganz davon abgesehen, dass die Kaiserkrönung Karls und dem damit verbundenen Anspruch (auch bezüglich des Erbes, welches man antritt) schon irgendwie einen Touch von Komik haben, wenn man sich mal den zivilisatorischen Stand des Karolingerreiches betrachtet.


EDIT: ansonsten stimme ich obigen Beitrag vollkommen zu

P.S. zum Argument "Vorgarten"...absolut richtig und nachvollziehbar, nur: selbst das Osmanische Reich ist in der öffentlichen Geschichtswahrnehmung präsenter als Byzanz...und das kann IMHO nur politisch motivierte Ursachen (die im 19. und frühen 20. Jhdt. liegen) haben
 
Zuletzt bearbeitet:
zum Kaisertum...ich tu mich persönlich schwer, die Legitimation des Kaisertums im HRR anzuerkennen. [...]
Karl und die katholische Kirche waren sich dieser Problematik im Grunde voll bewusst ;-)

Es gab ein weströmisches und ein oströmisches Kaisertum. Das weströmische Kaisertum war 476 weggefallen. Der Thron war vakant bzw. streng genommen existierte er nicht mehr. Mit der Schutzherschaft Karls über die römische Kirche (und Papst Leo) gab es erstmals wieder nach über 300 Jahren jemanden, der mit einigermaßen Berechtigung den Titel für sich beanspruchen konnte - wobei dieser Karl von Leo nach Einhard ja geradezu aufgezweungen wurde, was aber sicher eine Flunkerei Einhards ist.

Ganz davon abgesehen, dass die Kaiserkrönung Karls und dem damit verbundenen Anspruch (auch bezüglich des Erbes, welches man antritt) schon irgendwie einen Touch von Komik haben, wenn man sich mal den zivilisatorischen Stand des Karolingerreiches betrachtet.

Schon mal was von der karolingischen Renaissance gehört? Karl hat sehr viel getan, systematische Gesetzgebung, Christianisierung, Reform des Schriftums, Aufbau einer einheitlichen Reichsverwaltung...
 
El Quijote...habe ich dich irgendwie angegriffen? Natürlich haben Karl und seine Nachfolger viel getan, das bestreitet doch niemand.

Allerdings ist es schon sehr vermessen (allein die Logik gebietet diesen Schluss), sich in einem Atemzug mit den römischen Imperatoren zu nennen, angesichts der zivilisatorischen Rückständigkeit des Frankenreiches, sowohl verglichen mit dem antiken Rom, aber auch verglichen mit dem arabisichen und byzantinischen Kulturkreis.

"Schon mal was von der karolingischen Renaissance gehört? Karl hat sehr viel getan, systematische Gesetzgebung, Christianisierung, Reform des Schriftums, Aufbau einer einheitlichen Reichsverwaltung..."

Mit dieser Aufzählung triffst du Genau den Kern meiner Kritik bezüglich der Wahrnehmung Byanz im Westen...ja, vieles wurde von Karl in Gang gesetzt, dennoch müssen endlich einmal die Relationen in den Vordergrund rücken!

Das Frankenreich war PRIMITIV, daran gibt es nichts zu rütteln. Ein Vergleich des Frankenreiches mit Byzanz (um 800) kommt in etwa dem zwischen einen afrikanischen Entwicklungsland und einer hochindustrialisierten europäischen Nation unserer Tage gleich. Zwar sehr plakativ, aber man kommt den Relationen sehr nahe.

UND DENNOCH wird das Frankenreich IN DER westeuropäischen ÖFFENTLICHEN Wahrnehmung auf ein historisches Podest gerückt, welches einfach nicht der historischen Wahrheit entspricht, während die Hochkultur Byzanz und die gewaltige zivilisatorische Überlegenheit Byzanz' einfach keinen Widerhall in der öffentlichen Wahrnehmung erfährt.

Das ist schlichtweg eine verurteilenswerte selektive Geschichtsbetrachung in Westeuropa, die auch heute noch nachfärbt
 
Zum Zweikaiserproblem aus dem Lexikon des Mittelalters:

"
Zweikaiserproblem.
Mit dem Begriff 'Z.' wird das Syndrom von Fragen, Spannungen und Konflikten beschrieben, die aus der Existenz je eines Ksm.s im Osten (Konstantinopel) und im Westen (Frankenreich; ma. Imperium) der christl.-ma. Welt resultierten.
Grundlegendes Faktum war, daß nach dem Untergang des weström. Ksm.s (476/480) sich das oström. Pendant (Byz. Reich) als Fortsetzer der Tradition des röm. Imperiums sah. Angelegt waren hiermit Interdependenz und Polarität zu den germ. Staaten, die sich ab dem 5. Jh. im Westen herausbildeten, von denen ab dem 6. Jh. die Großregna der Franken, Westgoten und Langobarden bleibendere Gestalt hatten. In das Vorfeld des Z.s gehört, daß Ks. Justinian mit seiner umfassenden Restaurationspolitik die alten Grenzen des röm. Reiches wiederherzustellen versuchte und in Afrika und Italien die Reichsbildungen der Vandalen und Ostgoten beseitigen (533; 555/563) und in Spanien gegen die Westgoten (552) teilweise Erfolg erzielen konnte. Einer sich bisweilen zur Rivalität steigernden Imitatio imperii der Großregna standen die Bemühungen der Byzantiner gegenüber, das Ksm. des Westens von Konstantinopel aus zu erneuern oder die ksl. Residenz in den Westen zu verlegen (Maurikios 597; Herakleios 619; Konstans II. 663). Die erwähnte w. Rivalität wurde nur im Ausnahmefall zu institutionellimperialer Aspiration geführt, so vielleicht bei dem von der Basis der Konfessionsgleichheit mit dem Ks. her agierenden frk. Kg. Theudebert I. im 6. Jh. Generell mußte der byz. Ks. die selbständigen Staaten auf dem ehem. Reichsboden im Westen anerkennen, er versuchte, sie sich in dem auch dort akzeptierten System der »Familie der Könige« zuzuordnen.
Verschiedene Versuche, im Westen das Ksm. zu erneuern, scheiterten. Initiierend und durchschlagend für das Gelingen eines solchen Versuchs war die Lösung des Papsttums von Byzanz, die, von Papst Gregor III. (739/740) präludiert, sich in der Zuerkennung des Patriciustitels (Patricius) und der Salbung durch Stephan II. für Kg. Pippin I. und seine Söhne Karl und Karlmann sowie in der Schaffung des Kirchenstaates aus den byz. Herrschaftsgebieten in Italien (Rom; Ravenna) durch die Franken niederschlug (754; 756). Diese Linie fand ihre Klimax, als Papst Leo III. 800 Karl d. Gr. nach byz. Vorbild zum Ks. krönte und von den Römern akklamieren ließ. Dies, sodann der die röm. Tradition beanspruchende Ks.titel Karls und die Devise seiner Ks.bullen (»Romanum gubernans imperium«; »Romani rector imperii«; »Renovatio Romani imperii«) und weiter die Einführung der byz. Institution des Mitksm.s mit Krönung des Sohnes Ludwig 813 konkretisierten und akzentuierten schließlich das Z. Längere Verhandlungen und krieger. Auseinandersetzungen mit Byzanz wurden damit abgeschlossen, daß Ks. Michael 812 Karl als imperator (ohne Bezugsetzung zu Rom) anerkannte, für sein Ksm. aber die bisher bloß literar. Bezeichnung basileQV tqn Zwmatwn als Rechtstitel übernahm. Byzanz nahm danach die Existenz eines westl. Ksm.s hin, ohne sich damit abzufinden. Im 9. Jh. wurde die Krönung des westl. Ks.s durch den Papst konstitutiv. Unter dem Einfluß päpstl. Kreise (Anastasius Bibliothecarius) erhielt das Z. seine Zuspitzung, als Ks. Ludwig II. 869/870 in betonter Wendung gegen Byzanz das legitime röm. Ksm. exklusiv für sich beanspruchte. Das Ksm. des Westens sank in der Folgezeit zu einer partikular it. Würde herab, um 924 mit dem Tod Berengars, Kg. v. Italien, zu erlöschen. Die Ks.krönung Ottos I. 962 durch Papst Johannes XII. erneuerte mit dem Rückgang auf die karol. Tradition und dem Konnex zur Italien- und Papstpolitik wieder das Z. (u. a. forcierte Vindizierung des »byz.« Ravenna durch den Westen als Ks.stadt in otton. und sal. Zeit). Konflikte, die v. a. in Süditalien ausgetragen wurden, konnten 972 durch die Heirat Ottos II. mit Theophanu vorläufig beigelegt werden. Die mit den Vorstellungen der »Renovatio imperii Romanorum« (Renovatio) verbundene Übernahme röm.-byz. Formen bei Otto III. mit röm. Ks.titulatur und dem Anspruch auf das wahre Imperium hatte eine starke Wendung gegen Byzanz. Doch ein Eheprojekt bewahrte vor Eskalation.
Grundlegende Änderungen polit. und staatsrechtl. Art traten im 11. Jh. ein: Als der dt. Kg. von Heinrich III. an vor der Ks.krönung den Titel »Rex Romanorum« annahm und das westl. Ksm. sich eindeutig als Imperium auffaßte, standen sich zwei röm. Herrscher gegenüber. Trotz Reibungen und Konflikten in Unteritalien wurde der Zusammenstoß vermieden. Die bald auch im Kontext seiner neuen Normannenpolitik erscheinende schroffe Wendung des Papsttums gegen Byzanz brachte mit dem 1054 ausgelösten Schisma zw. Ost und West den Abschluß jahrhundertewährender Auseinanderentwicklungen im kirchl. Bereich. Neue Probleme stellten sich im Gefolge der Kreuzzüge ab dem ausgehenden 11. Jh. ein.
Hatten schon in karol. Zeit theol. Probleme trennend zw. den beiden Ksm.ern gewirkt, so sollte dies bes. im 12. Jh. virulent werden. Die an den kirchl. Streit um die lat. oder gr. Ausrichtung der Hierarchie in Syrien angeknüpfte Primatsfrage wurde wegen der Ks.krönung durch den Papst mit dem Z. verbunden. 1111/12 wurde der Salier Heinrich V. von einer Synode in Konstantinopel verurteilt, der byz. Ks. Alexios I. bot den Römern Hilfe an und schlug hierbei vielleicht auch vor, das Ksm. an den Osten zurückzuübertragen. Im Verhältnis der beiden Ksm.er wurde das norm. Problem zum Angelpunkt. Vom Osten her an Ks. Lothar III. und Kg. Konrad III. in den 30er Jahren des 12. Jh. herangetragene Bündnis- und Heiratspläne führten nicht zum Erfolg. Die stauf. Reichsidee war für die Politik Konrads III. und Friedrichs I. bestimmend. Der Titel »Romanorum imperator augustus« wurde ohne Ks.krönung gegen Byzanz geführt, in Steigerung der bei Ludwig II. sichtbar gewordenen Aversion wurde der Basileus als »Imperator Constantinopolitanus« oder gar als »Rex Grecorum« abgewertet. Nach Kompromissen in der Titelfrage billigte Byzanz Friedrich I. den Ks.titel ohne röm. Zusatz, wie im 9. Jh., zu, ihn als den eines Mitks.s interpretierend. Dynast. Verschwägerungen zw. Komnenen und Staufern förderten den Prozeß gegenseitiger Beeinflussung der Ksm.er. In dem 1159 beginnenden Schisma suchte Papst Alexander III. eine große Koalition gegen Friedrich I. mit Byzanz als entscheidendem Träger. Für dieses war damit die Aussicht eröffnet, das Z. (und die Frage der Kirchenunion [Union, kirchl.]) in seinem Sinn zu lösen. Schon weitgediehene byz.-päpstl. Verhandlungen verloren schließlich im Frieden v. Venedig (1177) die polit. Grundlage. Nicht zuletzt der Rückgang der wirtschaftl. Bedeutung des Byz. Reiches durch den Aufstieg der it. Seestädte stärkte das Selbstgefühl des Westens. Hierher gehören unter Friedrich I. die Imitation byz. Ks.titulatur in amtl. Schreiben, die imperiale Ausprägung des Ranges für den röm. Kg., das Streben nach Mitks.krönung des Sohnes durch Papst Alexander III. Durch die Heirat Heinrichs VI. mit Konstanze 1186 und die Vereinigung Siziliens mit dem westl. Ksr. (1189-94) erhielt das Streben des Okzidents nach universaler Ks.würde neue Kraft. Im Gefolge des IV. Kreuzzugs (1202-04) wandelte sich das Z. zum Gegensatz zw. dem Lat. Ksr. v. Konstantinopel und den gr. Teilreichen.
Was noch anzufügen ist, gehört somit in diese Nachgeschichte des Phänomens. Der Isolierung des Lat. Ksr.es diente die von Byzanz betriebene Politik des Ausgleichs mit der röm. Kurie, die Ks. Johannes III. Dukas Vatatzes 1254 einleitete. Ks. Michael VIII. Palaiologos gelang 1261 die Rückeroberung Konstantinopels. Die Ausgleichspolitik gegenüber der röm. Kurie setzte Michael fort. Der nach der Eroberung Siziliens durch das Haus Anjou (1265-68) drohenden krieger. Expedition suchte Byzanz durch weitgehende Zugeständnisse an Papst Gregor X. auf dem II. Konzil v. Lyon 1274 zu begegnen. Als nach dem Tod dieses Papstes die angevin. Partei die Kurie beherrschte, Papst Martin IV. den byz. Ks. exkommunizierte und die Eroberungspläne Karls v. Anjou und seines Schwagers Philipp, des Titularks.s v. Konstantinopel, unterstützte, parierte Michael VIII. geschickt mit der byz.-aragones. Entente. Innerbyz. Bürgerkriege ab 1282 und 1321 sowie der Druck durch Serben und Osmanen markierten den Beginn der Agonie des byz. Reiches. Im Westen hatte daher unter den Habsburgern und den Luxemburgern die frühere Ks.politik gegenüber dem Osten nicht mehr die Grundlage. Die Situation wird dadurch beleuchtet, daß mehrfach byz. Ks. in der 2. Hälfte des 14. Jh. und im 15. Jh. als Bittsteller im Westen erschienen. Der päpstl. verkündete Kreuzzug sollte 1439 dem bedrohten Byzanz Hilfe bringen.
H.H. Anton
"

weitere Infos:
Zweikaiserproblem - Wissen - Meyers Lexikon online
in diesem empfehlenswertem Buch:
http://www.gbv.de/du/services/agi/2149C11A73497C76C1256D430032006B/420000100531
Zweikaiserproblem ? Wikipedia

weiter:

"Zwei Dinge sind in diesem Zusammenhang bedeutsam:
Bisher hatten die Kaiser immer nur reagiert. Mit dem Ikonoklasmus
ergriffen sie nun zum erstenmal selbst die Initiative
und suchten dem Reich eine neue religiöse Richtung aufzuzwingen,
was man ohne weiteres als Indiz für die gewachsene
Bedeutung Konstantinopels und die dort Herrschenden auffassen
kann. Und zweitens nahm man in Byzanz nun kaum
noch Rücksicht auf das lateinische Europa, das alte Westrom.
Der Ikonoklasmus war eine innerbyzantinische Auseinandersetzung
und wurde ohne Rücksicht auf etwaige Außenwirkungen
geführt. Dies zeigt, wie weit Byzanz sich unter dem
Druck der Verhältnisse schon von dem alten römischen Universalismus
gelöst hatte, auch wenn dies in der offiziellen
Ideologie natürlich keinen Niederschlag fand. Im Gegenteil
setzte in Byzanz zu Beginn des 9. Jahrhunderts gerade im kulturellen
'Bereich eine Renaissance des spätantiken Geisteslebens
ein, die an die Zeit vor den großen Katastrophen und
damit eben auch an die große Zeit Ostroms anknüpfte. Es ist
wohl nicht zu gewagt zu sagen, daß die Byzantiner damit
in gewisser Weise die tatsächliche Reduzierung des Reiches
aufgefangen haben und sich so trotz aller Katastrophen und
Verluste auch weiterhin als Fortführer und Inbegriff des Imperium
Romanum fühlen konnten.
Im lateinischen Europa hingegen wurde dieser Anspruch,
anders als noch im sechsten Jahrhundert, nicht mehr anerkannt.
Der – erzwungene – Rückzug von Byzanz hatte
im ideologischen Bereich ein Machtvakuum entstehen lassen, das
im Laufe des achten Jahrhunderts teils vom Papsttum, teils
von den Franken als der unumstrittenen Vormacht des Abendlands
gefüllt wurde. Die Krönung Karls des Großen am Weihnachtsfest
des Jahres 800 in Rom war die letzte Konsequenz
dieser Entwicklung, und sie leitete zugleich eine neue Epoche
ein, in der beide – das byzantinische wie das neue, „westliche“
Kaisertum – das Erbe Roms für sich in Anspruch nehmen
sollten."
aus:
Lilie, Ralph-Johannes: Byzanz. Geschichte des oströmischen Reiches 326-1453. München 1999.
 
Zuletzt bearbeitet:
Vielen Dank, Lynxxx, für das Posten dieses sehr informativen Auszugs...in der Tat setzt sich die "Byzanz-Problematik" auch in der Gegenwart fort, in einem größeren historischen Kontext betrachtet. Das Kirchen-Schisma, der Gegensatz zwischen dem katholischen geprägten westeuropäischen Kulturraum und dem orthodox (byzantinisch) geprägten osteuropäisch-slawischen Kulturraum usw. usf.

Wir haben es hier (wenn man denn größeren historischen Kotext heranzieht) mit einer Problematik zu tun, die sich in immer neuen Gewändern bis heute niederschlägt...hauptsächlich basierend auf einem "Gefühl" des "Voneinanderfremdseins" (aber das ist off-topic und führt viel zu weit)

folgender Auszug

"Grundlegendes Faktum war, daß nach dem Untergang des weström. Ksm.s (476/480) sich das oström. Pendant (Byz. Reich) als Fortsetzer der Tradition des röm. Imperiums sah"

ist allerdings eine PARADEBEISPIEL und symptomatisch für den unangebrachten Westeurozentrismus in der Geschichtsschreibung (obwohl der Artikel ansonsten wirklich gut ist)!
Die Wahl der Begrifflichkeiten sagt doch sehr viel aus. "Sah sich selbst"...da schwingt unterschwellig eindeutig mit: "naja die sahen sich eben so, was nix heißen muss"

Aufbauend auf Logik und den historischen Fakten Rechnung tragen, kann man EIGENTLICH nur zu dem Schluss kommen, dass zumindest bis zur arabischen Invasion (welcher tatsächlich ein großer historischer Bruch war), Byzanz nichts anderes war als das römische Reich. Es ist schon eigentlich erschütternd, dass dies in der westlichen Geschichtsschreibung und -lehre bis heute schlichtweg ignoriert wird. Das römische Reich endete EBEN NICHT mit der Absetzung Romulus' Augustus.

Ich hoffe inständing, dass im Zuge der europäischen Einigung Byzanz endlich der Platz eingeräumt wird, welches diesem faszinierend Reich gebührt
 
"Grundlegendes Faktum war, daß nach dem Untergang des weström. Ksm.s (476/480) sich das oström. Pendant (Byz. Reich) als Fortsetzer der Tradition des röm. Imperiums sah"

ist allerdings eine PARADEBEISPIEL und symptomatisch für den unangebrachten Westeurozentrismus in der Geschichtsschreibung (obwohl der Artikel ansonsten wirklich gut ist)!
Die Wahl der Begrifflichkeiten sagt doch sehr viel aus. "Sah sich selbst"...da schwingt unterschwellig eindeutig mit: "naja die sahen sich eben so, was nix heißen muss"

Und warum sollte man solche Aussagen nicht auch auf das westliche, karolingische Kaisertum verwenden? Karl der Große und seine Nachfolger sahen sich eben als römische Kaiser. Was nix heißen muss, außer das es damals eben tagespolitische Realität war. Legitimation wurde durch Anerkennung begründet und dieses Kaisertum wurde letztlich anerkannt, sowohl vom Papst als auch von den fränkischen Barbaren, Kulturrückstand zu Byzanz hin oder her.

Das in Byzanz heute nichts anderes als das Oströmische Reich gesehen wird, wird heute soviel ich weis auch gar nicht bestritten. Zumindest ist mir da bisher nichts anderes unter gekommen.
 
Diese Form von Legitimation ist allerdings ein logischer Zirkelschluss...das muss ganz klar postuliert werden.

etwas plakativ:
Hätte sich Mao den Titel "Kaiser von China" gegeben, so wäre dies insoweit korrekt und LEGITIM gewesen, als das er die Macht dazu gehabt hätte bzw. im Umkehrschluss niemand die Macht, ihm dies streitig zu machen.

In einer historischen Bewertung darf das aber keine Rolle spielen.

Die Frage lautet nun: mit welcher Legitimation erlaubte es sich der Papst herauszunehmen, wer zum Kaiser zu krönen ist und wer nicht?
De facto war die Legitimität war gegeben, weil das oströmische Reich nicht über die Machtmittel verfügte, dies zu unterbinden.
Folglich ist es auch nur absolut konsequent, dass sich Napoleon selbst zum Kaiser krönte und damit die katholische Kirche düpierte. Letztendlich hielt er ihr nur den Spiegel vor die Nase.

In einer historischen Retrospektive ist dies allerdings alles irrelevant.

Was war also die Legitimation der fränkischen Herrscher bzw. der katholischen Kirche?
Zumal der Titel älter ist als die katholische Kirche...

(die Zaren sind da ein gutes Beispiel: die legitimierten ihren Titel durch Verwandschaft und Abstammung von den letzten byzantinischen Kaisern...)
 
Während bspw. im Schulunterricht das Frankenreichs Karls des Großen in aller Ausführlichkeit diskutiert wird, wobei dieses Frankenreich nun selbst bei größtem Wohlwollen ein primitves Gebilde war (relativ zu seinen östlichen Nachbarn - islamischer Kulturraum und Byzanz), wird Byzanz schlichtweg als Fußnote der Geschichte behandelt.
Tatsache ist, dass aus diesem relativ primitiven Gebilde später Frankreich und das Deutsche Reich bzw. Deutschland quasi als Erben hervorgegangen sind. Ist es so verwunderlich, dass der deutsche Schulunterricht mehr Interesse an dem hat, was sich auf dem späteren deutschen Boden zugetragen hat, als an Ostrom oder am islamischen Kulturraum? Oder etwa am China der Tang-Dynastie, das man an dieser Stelle ebenfalls erwähnen kann? Es ist ja nicht gesagt, dass die Aufgabe des Schulunterrichts darin steht, sich auf die kulturellen Höhepunkte der Menschheit zu konzentrieren.

Was die Legitimität anbelangt: Sicher hatte der Papst kein Recht, einen Kaiser zu ernennen. Aber was für Konsequenzen hat diese Erkenntnis? Gar keine. Es ist eine philosophische Frage, sich zu überlegen, was alles nicht sein dürfte, wenn in der Geschichte immer legitim gehandelt worden wäre. Hätten Caesar und Octavian sich zu Alleinherrscher machen dürfen? Waren ihre Machtergreifungen legitim? Nein. Wäre legitim gehandelt worden, dann hätte es kein Kaiserreich gegeben, und die Frage, wer nun legitimer Erbe dieses Imperiums ist, wäre per se obsolet. Moralisch mag es ein Problem sein, aber faktisch ist es so, dass Legitimität vom Menschen gemacht wird und Recht vom Menschen verändert wird. Tatsache ist also: Die damaligen machtpolitischen Gegebenheiten haben es Papst Leo ermöglicht, so zu handeln. Er tat es, seine Nachfolger taten es ihm nach, es wurde Usus, es wurde Recht. Was Ostrom übrigens auch anerkannt hat, wenn auch widerstrebend: Die Kaiser in Konstantinopel haben ihre barbarischen "Kollegen" als Kaiser anerkannt.

Abgesehen davon ist deine Kritik an der Wahrnehmung von Byzanz berechtigt. Das Problem fängt allerdings bereits mit dem Wort "Byzanz" an: Es ist zwar vom alten Ortsnamen "Byzantion" abgeleitet, als Bezeichnung für das Reich von Konstantinopel ist es jedoch eine unhistorische (westliche) Wortprägung der Neuzeit. Die Verwendung dieses Begriffs rechtfertigt man mit einem (angeblich) wesentlichen Wandel des Reiches im 6. und 7. Jahrhundert: Sein römischer Charakter geht verloren (passend dazu wird Kaiser Iustinian manchmal als "letzter Römer" bezeichnet), an dessen Stelle tritt ein griechischer und/oder orientalischer (mit allen dazugehörigen Assoziationen: Despotie, Dekadenz...). Nun ist es tatsächlich so, dass Kaiser Herakleios im 7. Jahrhundert den alten Kaisertitel durch "basileus" ersetzt und das Griechische anstelle des Lateinischen zur Amtssprache erhoben hat. Aber deshalb nicht mehr von Ostrom sprechen zu wollen, erscheint mir bedeutend übertrieben. Der Wandel vom archaischen Rom zur späten Republik, der Wandel von der Republik zum Kaisertum, der Wandel von Augustus zu Diokletian, all das waren mindestens so tiefgreifende Veränderungen.

Vielleicht liegt die Wurzel für die "Byzantisierung" Ostroms in einer Art Geschichtsmetaphysik: Man assoziiert "römisch" mit "abendländisch" und "westlich". Der Bürgerkrieg zwischen Octavian und Antonius etwa wird gerne als Kampf West gegen Ost, Rom gegen den Orient, interpretiert. Der Sieg Octavians rettet Rom dann vor der Hellenisierung und Orientalisierung: Rom bleibt römisch. Und im Frühmittelalter ist das Frankenreich dann eben der legitime Nachfolger Roms, weil es den abendländischen Geist verkörpert (das alte Römertum, jetzt verbunden mit Germanentum und Katholizismus), während das neue Rom am Bosporus spätestens im 7. Jahrhundert geistig vor dem Osten kapituliert. Überflüssig zu sagen, dass eine solche Betrachtungsweise reine Metaphysik ist und in der Geschichtswissenschaft nichts verloren hat. Aber du sagst es ja selbst:

Mir ist bewusst, dass dies ein Überbleibsel der Geschichtswissenschaft des 19. Jhdt. und frühen 20. Jhdt. ist und es bleibt zu hoffen, dass sich in den kommenden Jahren ein anderes Bild ergeben wird (die Tendenzen sind zu erkennen)
Auf solche Überbleibsel möchte ich dich aber auch bei dir selbst aufmerksam machen:
Byzanz war christlich und gehörte eindeutig zum europäischen Kulturraum, was immer der auch gewesen sein mag.
Inwiefern gehört das Oströmische Reich "eindeutig" zum europäischen Kulturraum? Und wie kann man das so "eindeutig" feststellen, wenn der europäische Kulturraum offensichtlich schwer zu bestimmen ist: "was immer der auch gewesen sein mag". Wenn man den Ausdruck "europäisch" nicht als eine rein geographische Bezeichnung verwendet, gerät man schnell ins Fahrwasser der angesprochenen Geschichtsmetaphysik, die von einem europäischen "Geist" träumt. Nimmt man "europäisch" aber als geographischen Terminus, dann ist das Oströmische Reich genauso europäisch wie asiatisch (und zeitweise auch afrikanisch) gewesen.
 
Hallo Beetlebum!
Was folgenden Abschnitt angeht

"Was die Legitimität anbelangt: Sicher hatte der Papst kein Recht, einen Kaiser zu ernennen. Aber was für Konsequenzen hat diese Erkenntnis? Gar keine. Es ist eine philosophische Frage, sich zu überlegen, was alles nicht sein dürfte, wenn in der Geschichte immer legitim gehandelt worden wäre. Hätten Caesar und Octavian sich zu Alleinherrscher machen dürfen? Waren ihre Machtergreifungen legitim? Nein. Wäre legitim gehandelt worden, dann hätte es kein Kaiserreich gegeben, und die Frage, wer nun legitimer Erbe dieses Imperiums ist, wäre per se obsolet. Moralisch mag es ein Problem sein, aber faktisch ist es so, dass Legitimität vom Menschen gemacht wird und Recht vom Menschen verändert wird. Tatsache ist also: Die damaligen machtpolitischen Gegebenheiten haben es Papst Leo ermöglicht, so zu handeln. Er tat es, seine Nachfolger taten es ihm nach, es wurde Usus, es wurde Recht. Was Ostrom übrigens auch anerkannt hat, wenn auch widerstrebend: Die Kaiser in Konstantinopel haben ihre barbarischen "Kollegen" als Kaiser anerkannt"

so stimme ich dir ja vollkommen zu: rechtlich-moralische Legitimation ist in der jeweiligen Handlungsebene letztendlich vollkommen irrelevant (daher auch meine Mao-Analogie): entscheidend ist, ob die Macht vorhanden ist, diesen Legitimitätsanspruch zu stützen oder zu unterbinden.
Allerdings gilt dies nur in der jeweiligen zeitlichen Handlungsebene, in einer historischen Retrospektive darf "Legitimation" durchaus in Frage gestellt werden.

Aber wir sind ja einer Meinung, dass dies nur ein "Nebenkriegsschauplatz" ist...

zu diesem Abschnitt:
"
Inwiefern gehört das Oströmische Reich "eindeutig" zum europäischen Kulturraum? Und wie kann man das so "eindeutig" feststellen, wenn der europäische Kulturraum offensichtlich schwer zu bestimmen ist: "was immer der auch gewesen sein mag". Wenn man den Ausdruck "europäisch" nicht als eine rein geographische Bezeichnung verwendet, gerät man schnell ins Fahrwasser der angesprochenen Geschichtsmetaphysik, die von einem europäischen "Geist" träumt. Nimmt man "europäisch" aber als geographischen Terminus, dann ist das Oströmische Reich genauso europäisch wie asiatisch (und zeitweise auch afrikanisch) gewesen. "

einfach die Umkehrfrage: wenn byzanz nicht zum europäischen Kulturraum gehörte bzw. diesen gestaltete, zu welchem Kulturraum gehörte Byzanz dann bzw. welchen Kulturraum gestaltete Byzanz?

Und schon stoßen wir auf andere, sehr aktuelle Thematik, welche im größerem historischen Kontext der "Byzanz-Problematik" angesiedelt ist...denn wenn Byzanz nicht zum europäischen KULTURraum gehört, dann gehören folglich die von Byzanz kulturell geprägten Regionen (Stichwort: Staaten mehrheitlich christlich-orthodoxer Konfession) eben auch NICHT zu "Europa"...was wiederum ein starkes nationalistisch-chauvinistisches Geschmäckle hat...

Ich würde es sogar folgendermaßen formulieren: Byzanz hat den europäischen Kulturraum (bzw. Teile davon) ganz eindeutig mitgeprägt, wer das Gegenteil behauptet, bedient sich kulturchauvinistischer Argumentationselemente.

In diesem Zusammenhang bin ich froh über die Osterweiterung der EUROPÄISCHEN Union :)


 
Ich denke, die Vernachlässigung des Byzantinischen Reiches in der europäischen Geschichtsschreibung kann man relativ kurz erklären.

Zuerst ist einem natürlich, wie oben schon mal geschrieben, das "Hemd näher als die Hose", viele Historiker interessierten sich eher "für ihre eigene Geschichte" als für die Geschichte Anderer. Diejenigen, die sich für "fremde" Geschichte interessieren, nehmen sich oft dann gleich was "richtig exotisches" vor. Für die liegt Byzanz dann schon wieder zu nahe vor der eigenen Haustür.

Byzanz hat noch dazu die Besonderheit (oder den Nachteil) an der Grenze zwischen Europa und Asien zu liegen. Diese Grenze ist natürlich willkürlich, aber in den Köpfen irgendwie vorhanden. Erschwerend kommt die Eroberung durch die Osmanen hinzu.

Dadurch ist die byzantinische Geschichte quasi "abgerissen" Es wurde nicht nur eine Herrschaft durch eine andere ersetzt, sondern auch eine Religion durch eine andere und eine Kultur durch eine andere (ist natürlich etwas vereinfacht ausgedrückt). Die Nachfahren der Byzantiner, die sich für "ihre" Geschichte interessieren hätten können sind zwangsläufig weitgehend in anderen Kulturen aufgegangen.

Die Türken sehen sich als Nachfolger der Osmanen, was vor den Osmanen im Land war ist vielleicht weniger interessant. Für "uns Europäer" war Byzanz verloren. Da saßen nun die Osmanen, die früher schon ein gutes Feindbild abgaben bzw. die man fürchtete. Gleichzeitig war das osmanische Reich kein Teil des guten alten christlichen Europa. Es gibt ja heute noch Debatten, ob die Türkei nach Europa und in die EU hereinpasst.

Der historische Faden ist 1456 wohl einfach irgendwo abgerissen. Weder das alte Europa noch die Türkei ist dafür richtig "zuständig". Das ist zumindest mein Eindruck. Was für Europa vom alten Byzanz brauchbar war, wurde hier vereinnahmt (die Renaissance der Antike war durch byzantinische Exilanten nach der Eroberung durch die Türken wesentlich mit ausgelöst, denn die Byzantiner hatten die Werke der griechischen Philosophen im Gepäck, die sie auch wieder von den Arabern übernommen hatten). Der Rest war einfach nicht mehr so wichtig, als dass man sich noch großartig darum gekümmert hätte.

Das wäre so meine Interpretation.

Viele Grüße,

Bernd
 
Hallo Cephalotus: prinzipiell kann ich dir nur zustimmen

sehr schön finde ich den Einwurf mit der Renaissance...in der Tat wird in der westlichen öffentlichen Wahrnehmung der Einfluss Byzanz' auf die Entwicklung der Renaissance viel zu wenig gewürdigt...man kann es sogar auf die Spitze treiben: ohne Byzanz keine Renaissance, kein Leonardo, kein Michelangelo...

eigentlich ist das skandalös...in Anbetracht dessen, welche Bedeutung die Renaissance berechtigterweise im Geschichtsunterricht besitzt und wie wenig die mitentscheidenden geistigen Väter aus Byzanz gewürdigt werden...

Die Renaissance hatte zwei Ziehväter: den arabisch-islamischen Raum und Byzanz, der erste wird heute (gottseidank) anerkannt, der zweite im Prinzip weiter ignoriert....

schade
 
einfach die Umkehrfrage: wenn byzanz nicht zum europäischen Kulturraum gehörte bzw. diesen gestaltete, zu welchem Kulturraum gehörte Byzanz dann bzw. welchen Kulturraum gestaltete Byzanz?
Ich glaube nicht, dass es damals so etwas wie einen "europäischen Kulturkreis" überhaupt gegeben hat. Am ehesten würde ich sagen: Ostrom ist von der griechisch-römischen Kultur sowie von der vorderasiatischen Kultur geprägt. (Fachleute können das "vorderasiatisch" gerne konkretisieren, ich bin kein Spezialist. Die persische Kultur wäre jedoch sicher als Einfluss zu nennen.) Und ich würde meinen, Ostrom selbst hat wiederum vor allem die Kultur Vorderasiens (schon zur Perserzeit, noch stärker dann in islamischer Zeit) und Osteuropas beeinflusst. Einen "europäischen Kulturkreis" vermag ich da jedoch nirgends zu erkennen.

wenn Byzanz nicht zum europäischen KULTURraum gehört, dann gehören folglich die von Byzanz kulturell geprägten Regionen (Stichwort: Staaten mehrheitlich christlich-orthodoxer Konfession) eben auch NICHT zu "Europa"...was wiederum ein starkes nationalistisch-chauvinistisches Geschmäckle hat...
Es ist ja nicht so, dass es einen festen Gegenstand "Europa" gibt, dem man von Natur aus entweder angehört oder nicht. "Europa" ist nur ein Begriff in den Köpfen, und was dazugehört und was nicht, ist reine Definitionssache. Aktuelle politische Fragen stehen hier ohnehin nicht zur Debatte. Ich wollte eher bezweifeln, dass in der oströmischen Zeit überhaupt von einem "europäischen" Kulturraum die Rede sein kann. Ostrom selbst war genauso "europäisch" wie "asiatisch". Diese Begriffe haben einfach nicht viel Bedeutung und sagen gar nichts über die Kultur Ostroms aus (außer man denkt in den Kategorien der Geschichtsmetaphysik: Geist des Orients versus Geist des Abendlandes = Europa). Dass sich in der Modene dann ein europäischer Kulturkreis herausgebildet hat (oder bildet er sich erst heraus?), der von Ostrom geprägte Räume einschließt, steht auf einem ganz anderen Blatt.
 
Zuletzt bearbeitet:
Beetlebum,
natürlich ist der Begriff europäischer Kulturraum ein Begriff der Moderne und alles andere bestreitet niemand, nur geht dies vollkommen an meiner Intention vorbei.
Es geht ja genau darum...Wahrnehmung Byzanz' im Westen
 
Es war geteilt zwischen Bewunderung und Ablehnung.

Bewunderung da man nur vom Byzantischen Reich von einem Staat im heutigen Sinn sprechen kann wenn es um Europa geht.

Niemand sonst war so organisiert. Byzanz Steuereinnahmen waren höher als irgendwo sonst in Europa. In abgeschwächter Form trieft es auch auf das Bulgarische Reich zu dessen Hauptstadt Tarnovo im Westen so beschrieben wurde als eine Mischung aus Rom, Konstantinopel und Jerusalem.

Erst im 11 Jahrhundert wird Byzanz ein normales Mittelalter Stadt da viele Städte von türkischen Stämmen masakriert werden. Die städtische Kultur verschwindet die Byzanz auszeichnete.

Wie auch immer trotzdem blieb Byzanz hochmodern im Vergleich zu Resteuropa.

Die westlicheren Königreiche erkannten die Kaiserkrone Byzanz nicht an genauso wie Byzanz den Franken und Heiliges Reich Kaisern nur als Königen begegneten.

Immerhin war die Mittelalterliche doktrien das es nur einen Kaiser auf der Welt oder besser gesagt Europa geben könne.

Der Westen sah sie auch nicht als nachfolger des römischen Reichs und nannte sie Griechen obwohl die meisten einwohner von Byzanz sich Rhomerer nannten.
 
Zurück
Oben