War Deutschland "Befreit"?

MLHalloween1981

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Gab einen grossen unterschied zivilisten im Irak auf 2003 (Zweiter Irakkrieg) und Zivilisten im Deustchland auf 1945 (Zweite Weltkrieg) - wie sie mit den siegreich US-Soldaten umgegangen sind?

(Mein deutsch ist nicht so gut. Ich lerne...)
 
Was ist ein "großer Unterschied"?

Zivilisten sind regelmäßig direkt oder mittelbar Leidtragende der Kriegshandlungen. Der totalen Niederlage 1945 ist von Seiten der Nationalsozialisten 1943 nach Stalingrad die Ausrufung eines "totalen Krieg" vorausgegangen.

Militärisch war Deutschland lange vor dem Einmarsch alliierter Truppen besiegt. Das letzte Jahr der Kriegshandlungen, militärisch sinnlos fortgeführt durch die Nationalsozialisten in Deutschland, dürfte allein in Deutschland mehr Opfer gefordert haben, als die 4 1/2 Jahre zuvor. Auch die Massenmorde liefen mit den Todesmärsche bis zum Schluss weiter.
 
Ich weiß nicht, wie Zivilisten im Irak gehandelt haben, aber gegenüber US-Soldaten waren Deutsche ziemlich ambivalent. Eine Zusammenarbeit hatte bis weit in die 60er Jahre einen "touch of collaboration". Sie lebten in abgesperrten Bereichen, auch die Familien hatten ihre Wohnungen in von Deutschen getrennten Areas. Ihre Tarnanzüge, mit denen sie sich manchmal außerhalb der Kasernen bewegten, hießen spöttisch "Monkey suit", in München war das Tragen dieser Anzüge außerhalb der Kaserne sogar verboten. Freundschaft mit amerikanischen Soldaten galt in bürgerlichen deutschen Kreisen als anrüchig.
Das geschah alles unter der Decke der offiziellen deutsch-amerikanischen Freundschaft, aber der Alltag sah eben anders aus. Ich bin Jahrgang 1947 und habe das größtenteils selbst erlebt.
 
Für die US-Soldaten gab es 1945 ein Fraternisierungsverbot, weil ziemlich schnell nach dem Einmarsch der Amerikaner in Dtld. die ersten deutsch-amerikanischen Freundschaften entstanden.
Was in bürgerlichen Kreisen wohl am als anrüchig galt, dürften wohl am ehesten zwischengeschlechtliche Beziehungen gewesen sein, zwischen GIs (womöglich noch solchen anderer Hautfarbe) und deutschen "Frolleins", also teils rasssistisch und sicher sexistisch motiviert. Und für deutsche, junge Männer dürfte ein GI auch eine üble Konkurrenz gewesen sein, da letzterer Zugang zu Waren hatte, an die ein Deutscher vor der Währungsreform nur schwer herankam.

1945 fühlte sich die Mehrheit der Deutschen wohl von den Alliierten besiegt, lediglich Leute, die im Nationalsozialismus zu den Verfolgten zählten, im KZ gesessen hatten oder noch saßen und befürchten mussten, ermordet zu werden, fühlten sich befreit (sofern sie nicht in der SBZ kurze zeit später wieder in die KZs kamen, fallweise sogar in dieselben, in denen sie schon in der Nazizeit gesessen hatten, Buchenwald z.B. wurde von den Sowjets reaktiviert).

Erst in den 1980er Jahren (8. Mai 1985, Rede des Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker) - und da war man schon 30 Jahre NATO-Mitglied und Mitglied der EWG, bzw. EG, dem Vorläufer der heutigen EU - setzte sich in der damaligen Bundesrepublik die Erkenntnis durch, dass man eigentlich befreit worden sei, wobei das nie unwidersprochen geblieben ist und sich die Stimmen, die sich gegen die These vo der Befreiung wenden, wieder lauter werden.

Militärisch war es natürlich keine Befreiung und der Großteil der Deutschen des Jahres 1945 wollte sicherlich auch nicht befreit werden, in der politischen Wirkung aber war die deutsche Niederlage zumindest für die drei westlichen Besatzungszonen auf mittelfristige Sicht eine Befreiung.
 
Für die US-Soldaten gab es 1945 ein Fraternisierungsverbot
Genau dieses gab es nach dem 2. Irakkrieg nicht. Das könnte ein großer Unterschied sein. Dass es 1945 trotz Fraternisierungsverbot, zu Freundschaften, Liebe und Sex kam und 2003 ohne Fraternisierungsverbot auch zu äußerst wenig "brüderlichen" Verhalten (Abu Ghuraib, z.B.), lässt das offizielle Verbot als Unterschied für mich nicht mehr so groß erscheinen.

OT: Mein Großvater war 1945 GI. Meine Mutter hat ihn niemals gesehen. Meine Großmutter hat niemals über den Vater meiner Mutter geredet. Alles, was sie über ihren Vater weiß, erfuhr sie von meiner Großtante. Ihre Kindheitsberichte bestätigen Diskriminierungen gegenüber "Amikindern" (auch wenn man es ihnen "nicht ansah") zumindest in der Kleinstadt, in der sie aufwuchs.
 
Wenn ich diese indiskrete Frage stellen darf: Ich nehme an, deine Mutter ist vaterlos aufgewachsen, so dass ihre uneheliche Empfängnis offensichtlich war?
 
"Vaterlos" ja, das war in der Nachkriegszeit aber nicht so ungewöhnlich. Unehelich und "Amivater" sprach sich in einer Kleinstadt herum.
 
Unehelich war in den Zeiten schon selbst ein Problem.

Besatzungskinder-Schicksale in Europa dürften in die Millionen gehen, vermutlich schon allein bezogen auf Wehrmachtsangehörige.
Diskriminierungen von Müttern und Kindern im engeren Umfeld war da noch die "weiche" Variante.
 
Zurück zur ursprünglichen Frage: Wenn ich mich an die Haltung meiner Eltern und der Menschen ihrer Altergruppe erinnere (20er Jahrgänge, im 3. Reich aufgewachsen), so fühlten sie sich nicht befreit, sondern betrogen. Die Amerikaner waren in diesem Zusammenhang ein unvermeidbares Übel, Sieger, denen Siegermentalität zugeschrieben wurde.
 
Nicht alle haben die Amerikaner als "unvermeidliches Übel" empfunden. Gleich nach dem Krieg wurde uns in Köln aus Amerika mit Care-Paketen geholfen.
Und ich besitze ein Foto von 1955, auf dem mein Vater in unserem Wohnzimmer mit einem uniformierten schwarzen Amerikaner eine Partie Schach spielt. Die amerikanische Kaserne dieser Stadt half dann mit ihren Lastwagen Tische und Bänke für ein erstes großes Posaunenfest in eine große Halle zu transportieren.
 
Wenn ich mich an die Haltung meiner Eltern und der Menschen ihrer Altergruppe erinnere (20er Jahrgänge, im 3. Reich aufgewachsen), so fühlten sie sich nicht befreit, sondern betrogen.

Das kann man gut nachvollziehen, dass sich eine Generation in ihrer Gutgläubigkeit durch die menschenverachtende Diktatur des NSDAP und durch Hitler betrogen gefühlt haben. Zumal er gewählt worden ist, Deutschland wirtschaftlich zu gesunden und nicht, um es in Schutt und Asche zu legen und Millionen von Deutschen Frauen zu Witwen zu machen und die Kinder zu Halbwaisen.

Zumal deutlich sein sollte, dass der deutsche Widerstand es nicht geschafft hatte, Hitler zu beseitigen und ein Ende des Terrorregimes von Hitler nur von Außen, durch die Amerikaner etc. zu leisten war.

Ansonsten zur Bewertung der Amerikaner in einem nächsten Beitrag mehr. Zumal es belastbare Fakten im Rahmen der OMGUS und HICOG-Survey gibt. Und da sieht die Situation hinsichtlich einer repräsentativen Beurteilung der Stimmung differenzierter und anders aus.Die Ergebnisse von Hurwitz u.a. sprechen eine andere Sprache wie die bisher einseitige und sehr subjektive kritische Beurteilung der USA im Nachkriegsdeutschland.

Ansonsten: Als "Zeitzeuge" sollte man sich immer kritisch der begrenzten Sicht auf die historischen Ereignisse bewußt sein. Sei es in Bezug auf die DDR oder in Bezug auf die "Stunde Null" im Nachkriegsdeutschland.

Fortsetzung zu OMGUS und HICOG folgt.
 
Care-Pakete gab's hier auch. Nur - wer liebt schon den, der so reich ist, dass er abgeben kann, wenn man selbst bettelarm ist? Die Menschen haben die Spenden genommen, weil sie sie bitter nötig brauchten. Das löst noch nicht einmal Dankbarkeit aus.

Und Bilder sagen nicht alles. Ich kann mich erinnern, dass dasselbe Gemeinderatsmitglied, das beim abendlichen Stammtisch gerne Witze über die Unkultiviertheit und Naivität der Amerikaner machte, die Pioniereinheit der nahegelegenen Kaserne dazu brachte, eine Gemeindestraße zu teeren, wofür das Dorf kein Geld hatte. Das war die am Anfang meines ersten Beitrags genannte Ambivalenz.

Man muss bei der Einschätzung der deutschen "Frolleins" auch bedenken: Anständige Deutsche hungerten. Wenn sich jemand (vermeintlich) für Sattessen und Seidenstrümpfe mit einem GI "einließ", so war das für viele anständig Hungernde an der Grenze zur Prostitution oder - je nach Abstraktheitsgrad der eigenen Moralvorstellungen - auch schon darüber.
 
Man muss bei der Einschätzung der deutschen "Frolleins" auch bedenken: Anständige Deutsche hungerten. Wenn sich jemand (vermeintlich) für Sattessen und Seidenstrümpfe mit einem GI "einließ", so war das für viele anständig Hungernde an der Grenze zur Prostitution oder - je nach Abstraktheitsgrad der eigenen Moralvorstellungen - auch schon darüber.

Auf das Thema werde ich noch zu sprechen kommen im Rahmen der Umfrageergebnisse.

Ansonsten offenbart diese Argumentation die Bigotterie der damaligen Zeit. Es waren deutsche Soldaten, die in Frankreich, Polen, Tschechien, Russland und was weiss ich wo sonst noch auf dieser Welt, sich Frauen aus den jeweiligen Ländern zu Geliebten genommen haben.

Mit der Konsequenz, dass diese massiv bestraft worden sind nach Vertreibung der deutschen Besatzungsarmee, wegen Kollaboration. Das geringste Übel war dabei der Verlust der Haare.

Dass sich dann in Deutschland über die gleichen Verhaltensweise, auch von bereits heimgekehrten Soldaten - aus verständlicher Eifersucht - von jungen Frauen, die "Mäuler zerrisen" wurden, legt den unreflektierten Umgang mit "Moral" offen. Wer selber "unmoralisch" gehandelt hat, der sollte vorsichtig sein "Romanzen" mit US-Amerikanern als "unmoralisch" zu verdammen.

Und noch heute so zu tun, dass die damals jungen Frauen keine "anständigen Deutschen" waren, bedeutet eine Form der Exklusion, die als Muster an Formen der Argumentation erinnert, die nach 1945 eigentlich im öffentlichen Diskurs als ad acta gelegt zu betrachten waren.

Wer nach 1945 ein "anständiger Deutscher" war, darüber herrschte nach 1945 durchaus ein gewisser Diskussionsbedarf. Und die deutschen Frauen und Jugendliche generell, die aufgeschlossen waren gegenüber jungen Leute mit Stahlhüten auf dem Kopf aus anderen Ländern waren ganz sicher anständige Deutsche.
 
Care-Pakete gab's hier auch. Nur - wer liebt schon den, der so reich ist, dass er abgeben kann, wenn man selbst bettelarm ist? Die Menschen haben die Spenden genommen, weil sie sie bitter nötig brauchten. Das löst noch nicht einmal Dankbarkeit aus.
Meine Mutter, JG 1940, konnte sich sehr gut an die Schulspeisungen erinnern und hat damit, obwohl in der britischen Besatzungszone aufgewachsen, immer die Amerikaner verbunden. Nur die Schokolade durfte sie nicht essen, die trug ihr Vater zu den Bauern, um die Schoko gegen Feldfrüchte einzutauschen. Meine Onkel, ein paar Jahre älter als meine Mutter (ihr Bruder und ihre zwei Cousins) waren irgendwo in Tschechien (KLV). Sie sind dann nach Kriegsende nach Hause getrampt und hatten/bzw. einer hat noch ebenfalls sehr gute Erinnerungen an die Amerikaner, welche sie immer wieder - das muss ja Spätfrühjahr/Frühsommer 1945 gewesen sein - auf der Ladefläche mitnahmen und ihnen auch zu Essen gaben.
 
Wer nach 1945 ein "anständiger Deutscher" war, darüber herrschte nach 1945 durchaus ein gewisser Diskussionsbedarf. Und die deutschen Frauen und Jugendliche generell, die aufgeschlossen waren gegenüber jungen Leute mit Stahlhüten auf dem Kopf aus anderen Ländern waren ganz sicher anständige Deutsche.

Ich beschreibe, was ich erlebt habe - die veröffentlichte Meinung und was Menschen in Umfragen dazu von sich geben, ist ein anderer Schuh. Die Masse der Deutschen war nicht aufgeschlossen, jedenfalls nicht in den Jahren bis 1950. Es gab auch keinen Diskussionsbedarf, im Gegenteil, die Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit wurde tunlichst vermieden.
Erst später gab es eine (kleine) Subkultur von sehr jungen oder sehr alten Menschen, die mehr oder weniger heimlich AFN hörten oder in Jazz-Keller gingen. Und die Diskussion um die Verbrechen der Hitler-Zeit fing auch erst mit den Auschwitz-Prozessen an. Noch in den 90er Jahren gab es eine große Empörung, als bei einer Ausstellung über die Geschichte der Reichswehr auch die Beteiligung von Soldaten an Kriegsverbrechen thematisiert wurde.

Georg Kreissler nannte die Generation meiner Eltern eine Generation von "Blumengießern", Menschen, die sich hauptsächlich um das eigene Gärtchen (stellvertretend für den eigenen Besitz und Konsum) kümmerten. Es war wohl auch eine Abwehr, sich wieder auf etwas einzulassen, nachdem man mit der jugendlichen Überzeugung so betrogen worden war. Erst die 68er Protestbewegung hat diese Grundhaltung nicht mehr gehabt und sich wieder auf etwas Neues eingelassen.
 
Meine Onkel, ein paar Jahre älter als meine Mutter (ihr Bruder und ihre zwei Cousins) waren irgendwo in Tschechien (KLV). Sie sind dann nach Kriegsende nach Hause getrampt und hatten/bzw. einer hat noch ebenfalls sehr gute Erinnerungen an die Amerikaner, welche sie immer wieder - das muss ja Spätfrühjahr/Frühsommer 1945 gewesen sein - auf der Ladefläche mitnahmen und ihnen auch zu Essen gaben.
Mein erster Mann hat mit 9 Jahren den Winter 1945/46 in Wien in einem Flüchtlingslager überlebt, seine Mutter ist da an Hungertyphus gestorben; die Kinder sind zu den Kasernen betteln gegangen. Von den Amerikanern habe sie nie etwas bekommen, aber immer von den Russen, die selbst nicht viel hatten: Hartes braunes Brot, das schmeckte, als wären Sägespäne mit verbacken. So unterschiedlich sind die Erfahrungen . . .
 
Teil 1
Natürlich wurde Deutschland 1945 befreit. Und die Besiegten haben schnell erkannt, welche Vorteile es für sie bot.

Die Frage zielt implizit darauf ab, ob es ein Muster gibt, nach dem Diktaturen im Sinne des „Westens / USA“ umgestaltet werden. So macht die Frage, ob es Ähnlichkeiten zwischen Deutschland und dem Irak gab, einen Sinn. Die Frage zur komparativen Betrachtung der Situation von 1945 und dem zweiten Irakkrieg verweist auf eine Verbindung vor dem Hintergrund des Paradigma zur „richtigen Gesellschaft“.

Während des 1. WW gab es eine emotionalen und verbissen geführten ideologischen Grabenkrieg zwischen den Kontrahenten und betraf den – angeblichen – Gegensatz von „deutscher Kultur und westlicher Zivilisation“. Und betraf auch die Wahrnehmung im Westen, dass die deutsche Entwicklung als „Abweichung“ von der „allgemeinen Entwicklng des Westens“ zu interpretieren sei.

Dieses fand seine Fortsetzung vor allem in den USA in der Zwischenkriegsperiode, die weitgehendste und präziseste Vorstellung von – liberaler - „Westlicher Zivilsation“ entwickelt hatte. Im Kern stand dabei die Vorstellung, dass im Rahmen der Westlichen Zivilsation die weitgehendsten Vorstellungen in Bezug auf den Stellenwert von universalistischen Menschenrechten und Demokratie verwirklicht worden sind (Jarausch, 2010, Pos. 361).

Die wertebasierte Vorstellung von westlicher Zivilisation in den USA beinhaltete gleichzeitig ein klares Bekenntnis zum Kapitalismus als Wirtschaftssystem. Diese massive Konfliktlinie zwischen dem US-Verständnis einer Weltgemeinschaft und den Vorstellungen der NS-Machthaber kam am deutlichsten vor dem WW2 in der Quarantäne-Rede von FDR1937 zu Tage. Und Junker hatte den wirtschaftlichen Konflikt zutreffend als Konflikt um einen „unteilbaren Weltmarkt“ zutreffend beschrieben.

https://de.wikipedia.org/wiki/Quarantäne-Rede

Eingebettet in das Wertesystem dieses politische Paradigma der Westlichen Zivilisation waren Vorstellungen zur Demokratie, die im Kern auf eine partizipationsorientierte, parlamentarischen Demokratie hinausliefen. Und während des WW 2 in den USA parallel zur Entwicklung einer „Politischen Soziologie“ – teils auch als Wahlsoziologie respektive Demoskopie zu begreifen- sich entwickelte. Diese verstand sich als akademische Forschung, die gleichzeitig aber bereits eine klare Konzeption der „Politikberatung“ umfaßte und direkt als „Sozialtechnologie“ in die Entwicklung von Gesellschaften durch ihre Berichterstattung eingriff. Sie lieferte eine „Zustandsbeschreibung“ der „Meinung“ in der Gesellschaft, die die Politik aufgriff und eine rationale und wählerorientierte Politikformulierung darauf basierte. Diese Entwicklung kann man deutlich im historischen Kontext an den Arbeiten von Lazarsfeld et al., Lipset und Almond und Verba in seiner Entwicklung ablesen.

In diesem Kontext sind auch die umfangreichen Versuche des USA-Geheimdienstes mit Hilfe deutscher Emigranten die Situation im NS-Deutschland zu verstehen. Und Ansatzpunkte zu formulieren für die Zeit nach der Niederlage des NS-Regimes, die nie in Frage stand. (vgl. Söllner)

Dieser Ansatz zur Demokratisierung in der Phase der Entnazifizierung und dem Versuch der demokratischen politischen Bildung durch „Reeducation“-Maßnahmen bildete eine Art von Blaupause für die Neugestaltung der Welt nach 1945 und für die davon betroffenen Länder im Rahmen des Kalten Krieges. Und setzte in Deutschland primär an der Kulturpolitik an. (Glaser, S. 124ff)

In diesem Zusammenhang muss auch auf die Arbeiten von Talcott Parsons, David Easton und in der Folge auch von Karl W. Deutsch hingewiesen werden. Sie lieferten im Rahmen eines „struktur-funktionalistischen Ansatzes“ die theoretische Fundierung und auch die „Instrumente“ mit der Gesellschaften – bei Deutsch als „Kybernetisches System“ – durch „Sozialtechnologie“ manipulierbar im Zuge des sozialen Wandels gemacht werden können (vgl. die gute Diskussion bei Gerhardt, S. 44ff)

Der Maßstab war dabei das US-Modell und Wiki schreibt zu Parsons die Kritik zutreffend aufgreifend: „Dem Systemfunktionalismus liegt ein teleologischer Evolutionismus zugrunde. Die amerikanische Gesellschaft erscheint als zivilisatorischer Gipfelpunkt der Entwicklung, so dass sein Werk letztendlich eine Apologie der US-Gesellschaft darstellt. Systemkrisen, Konflikte und Spannungen erscheinen stets rational behebbar.“

Die hohe Bedeutung dieses Paradigmas kann man an zwei Arbeiten erkennen. Zum einen in der einflussreichen Arbeit von Fukujama zum „angeblichen“ Ende der Geschichte. Und in der Arbeit von Acemoglu zum Erfolg und zum Scheitern von Gesellschaften. Vereinfacht war die Botschaft nach dem Zusammenbruch des Ostblocks, wie haben gewonnen, weil wir die richtige Sicht auf die Realität haben und wir sind erfolgreich, weil wir die Instrumente für Glück und Wohlstand kennen. Im Kern die Idee vom „American Dream“ als universalistisches Entwicklungsmodell propagierend.Und dieses Paradigma lag den meisten Interventionen der USA nach 1945 latent zu Grunde, also auch im Fall des Irak.

Die eindeutige Rollenverteilung von „Sieger“ und „Besiegten“ nach dem Zusammenbruch 1945 war das Ergebnis der US-Wahrnehmungen zur deutschen Autosuggestion nach dem WW1, dass das Heer im Felde ungeschlagen gewesen wäre. Diesen Fehler wollte man – unter anderem - nicht wiederholen. (vgl. Benz, S. 93ff)

Vor diesem Hintergrund wollte man einen harten aber auch kontrollierten Umgang mit dem besiegten Deutschland. Zu diesem Zweck, so Schaeffer: „Die amerikanische Militärregierung hatte 1945 eine eigene Abteilung für Meinungsforschung gegründet, wie in verschiedenen Quellen nachzulesen ist. Noch im gleichen Jahr stellte sie Deutsche als Interviewer ein. Ab 1947 engagierte sie einige Deutsche in der Berliner Zentrale, um ihnen eine praktische Ausbildung zukommen zu lassen.“ (Schaeffer, S. 8)

Im Rahmen der Survey`s, die erhoben worden sind konnten sich die US-Demoskopen und andere Wissenschaftler ein Bild machen über den Zustand der Politischen Kultur in den US-Zonen. Besonders interessiert war man natürlich an der Haltung zum NS-Regime und zu den barbarischen Greueln des Holocaust. Interessant und wichtig für die damalige Stimmung waren die OMGUS und HICOG Survey, die für die amerikanische Zone, inklusive West-Berlin, die Stimmung erfassen wollten.

https://archive.org/stream/publicopinionins00merr/publicopinionins00merr_djvu.txt

Nicht zuletzt auch deswegen, weil entgegen der Erwartungshaltung der Alliierten keine nennenswerten Widerstands- oder Sabotagehandlungen aus der Bevölkerung heraus vorgenommen wurden und man versuchte sich zu erklären, wie der – unterstellte – NS-Fanatismus in der Bevölkerung zu bewerten sei. (Benz, S. 95)

Fortsetzung zu Teil 2 inkl. Literatur
 
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Teil 2
1945 fühlte sich die Mehrheit der Deutschen wohl von den Alliierten besiegt,

Vielmehr waren die Ergebnisse der US-Survey überraschend: So schreibt Bergsdorf: „Ihre Ergebnisse lassen erkennen, dass schon in den ersten Nachkriegsmonaten ein positives Amerikabild bei der deutschen Bevölkerung entstand, das in einem krassen Gegensatz zu der antiamerikanischen Nazi-Propaganda zeichnet. Bereits im November 1945 wurden die Besatzungsmächte nicht mehr als Demütigung empfunden. In der amerikanischen Besatzungszone waren Ende 1948 70 Prozent der Befragten dieser Meinung.“ Bergsdorf, S. 200).

Deutlicher beschreibt Stern (S. 227ff) die spezifische Attraktivität, die gerade die USA für die junge Generation bot. Und bezieht sich auf das Beispiel der Gräfin Döhnhoff („Amerikanische Wechselbäder), in der sie schrieb: „war die moderne, frei diskutierende, offene Gesellschaft der Vereinigten Staaten mit ihrem Optimismus und ihrem Vertrauen in die Zukunft….geradezu eine Offenbarung…..und kehrten mit dem Eindruck zurück, diese Gesellschaft sei das Modell der modernen Gesellschaft schlechthin.“ (Döhnhoff, S. 77). In diesem Sinne war auch Noelle-Neumann durch ihren Kontakt mit der USA geprägt.

Und für deutsche, junge Männer dürfte ein GI auch eine üble Konkurrenz gewesen sein,

Der direkte Kampf um die Gunst der jungen Frauen war ein Ärgernis für manche heimkommenden Soldaten. Wobei das Argument real betrachtet übertrieben wird. Durch die vielen Kriegstoten und Männer, die noch relativ lange in – häufig sowjetischer – Gefangenschaft waren, ergab sich ein „deutlicher“ Frauenüberschuss in den betroffenen Kohorten.

Dennoch wurde es faktisch als Problem wahrgenommen. Im Rahmen der ersten Surveys so Jarausch:“The first opinion poll taken in August 1945 indicated that many recently released soldiers were deeply angry about the relationships that had formed between young women and American GI`s.“ (Jarausch, 2010, Pos. 813) Ältere deutsche „Veteranen“ erinnerten ihre Kameraden allerdings auch daran, dass man als Besatzungsarmee sich identisch verhalten hätte.

Generell war wohl die „Stunde Null“ durch viele Gefühle in der Bevölkerung gekennzeichnet. Ein Schamgefühl über die Greuel, enttäuscht sein über die gebrochenen Versprechungen durch Hitler, Ohnmacht als Besiegter gegenüber dem Sieger und sicherlich auch die Hoffnung auf eine bessere Zukunft.

Und nicht zuletzt eine „Ambivalenz“ gegenüber dem NS-Regime, das ihm einerseits noch etwas Positives abzugewinnen hoffte, um dann gleichzeitig die „Anderen“ als Täter dafür verantwortlich zu machen, dass eine „im Prinzip gute Idee“ in einer derartigen Barbarei geendet hatte (Jarausch, 2010, Pos. 777). Ähnlich werden bei Erklärungen über die Gründe für den verlorenen Krieg eher Argumente in Bezug auf Verrat oder Verschwörungstheorien angeführt. Nicht zuletzt um u erklären, warum die "Wunderwaffen" nicht zum Einsatz gekommen sind. Und an diesen Punkten konnte man am deutlichsten die Nachwirkungen der NS-Indoktrination erkennen.

Insgesamt wird man wohl die Zwischenphase zwischen dem Zusammenbruch des NS-Regimes und der Gründung der Bundesrepublik als notwendige Übergangsphase diagnostizieren können, in der Männer wie General Clay den schwierigen Prozess der Entnazifierung und die „Aufarbeitung des Holocaust“ zunehmend moderat betrieben haben, um den sozialen Frieden in der sich abzeichnenden Gründung der jungen Bundesrepublik durch Eingliederung von NS-Funktionsträger zu gewährleisten (vgl. z.B. Benz, S. 62).

Mit dem Ergebnis einer zunehmenden Restauration ursprünglicher politischer und administrativer Strukturen und der Formulierung neuer Legenden, wobei der „saubere Krieg der Wehrmacht“ eine der „Gründungslügen“ der jungen Bundesrepublik sein wird. (Keil & Kellerhoff, Pos. 1830)

Auch um die klare Westintegration zu verdeutlichen spricht Adenauer explizit – ex - Präsident Hoover im Frühjahr 1947 seinen Dank aus für sein Engagement für Deutschland. In seinem Bericht schrieb Hoover wörtlich: „Die Wirtschaftskraft Europas kann nicht wiederhergestellt werden ohne Wiederherstellung Deutschlands als Mitglied dieser Wirtschaftskraft.“ (Adenauer, S. 107).

Und Adenauer fährt fort: „Ich möchte an dieser Stelle [ex] Präsident Hoover für seine große humane Tat, die er durch seinen Bericht über die Lage im niedergeworfenen und verfemten Deutschland vollbrachte, meine hohe Bewunderung und meinen großen Dank im Namen aller Deutschen aussprechen. Es war wohl das erste Mal in der Geschichte der letzten Jahrhunderte, dass der Geist der Humanität den Sieger beherrschte, dass der Sieger dem Besiegten in einer umfassenden Weise helfen wollte, aus seinem Elend herauszukommen.“ (Adenauer, S. 108)

Adenauer, Konrad (1965): Erinnerungen. 1945 - 1953. Stuttgart: Deutsche Verl.-Anst.
Almond, Gabriel A.; Verba, Sidney (1965): The civic culture. Political attitudes and democracy in five nations. Boston: Little Brown.
Dönhoff, Marion (1985): Amerikanische Wechselbäder. Beobachtungen und Kommentare aus 4 Jahrzehnten. München: Deutscher Taschenbuch-Verlag
Gerhardt, Uta (2005): Soziologie der Stunde Null. Zur Gesellschaftskonzeption des amerikanischen Besatzungsregimes in Deutschland 1944-1945/1946. Frankfurt am Main: Suhrkamp
Glaser, Hermann (1985): Die Kulturgeschichte der Bundesrepublik Deutschland. Zwischen Kapitulation und Währungsreform. 1945-1948. Band 1. München: Carl Hanser.
Jarausch, Konrad Hugo (2010): After Hitler. Recivilizing Germans, 1945-1995. Oxford: Oxford Univ. Press.
Keil, Lars-Broder; Kellerhof, Sven Felix (2003): Deutsche Legenden: von "Dolchstoß" und andere Mythen der Geschichte. Berlin: Links.
Lazarsfeld, Paul F.; Berelson, Bernard; Gaudet, Hazel; Schorling, R. F. (1969): Wahlen und Wähler. Soziologie des Wahlverhaltens. Neuwied, Berlin: Luchterhand.
Lipset, Seymor Martin (1963): Political Man. The social bases of politics. New York: Anchor books.
Schaefer, Wolfgang; Miller, Mungo (1998): Schwierigkeiten der Umfrageforschng in den fünfziger Jahren in Deutschland. Erinnerungen und Beobachtungen. In: ZUMA Nachrichten 29 (43), S. 8–35.
Stern, Fritz (1999): Der Traum vom Frieden und die Versuchung der Macht. Deutsche Geschichte im 20. Jahrhundert. Berlin: Siedler.
Söllner, Alfons (1986): Zur Archäologie der Demokratie in Deutschland. Analysen politischer Emigranten im amerikanischen Geheimdienst 1943-1945. Band 1. 2 Bände. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuchverlag
 
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