Waren die deutschen Fürsten der sog. "Mittel"- bzw. späteren "Rheinbund"-Staaten

Götz

Mitglied
tatsächlich Vasallen Napoleons ?


Aufhänger für diese spezielle Fragestellung ist eine Formulierung von „excideuil“ (Napoleon verstand die deutschen Fürsten nicht als Partner, sondern nur als Vasallen.) in # 18 der Diskussion s. link


http://www.geschichtsforum.de/f16/s-ddeutschland-zum-1-zum-2-und-42989/



Vom konkreten Kontext dieser Feststellung abgesehen, finde ich die generelle Frage (s.o.) aus mehreren Gründen interessant und spannend – daher auch insoweit Danke an excideuil für die Anregung !


Ich stecke zunächst den Rahmen ab, der mich interessiert bzw. den Hintergrund bildet:


1) Vasallen/Vasallität als personale Komponente im Feudalismus (oder auch Lehnswesen).
Legt man eine der „klassischen“ Definitionen zugrunde (diesmal nicht vom Juristen Mitteis, sondern Ganshof, Was ist das Lehnswesen ?, 3. Aufl., dt. 1961, Einleitung), dann liegen grundsätzlich zwei Aspekte vor:
a) Stark ausgeprägte Abhängigkeitsverhältnisse, Hierarchie der Grundbesitzrechte, spezialisierte Kriegerkaste, Aufspaltung der öffentlichen Gewalt u.ä. (im Sinne politischer und sozialer Merkmale u. Beziehungen);
b) Eine Gesamtheit juristischer Institutionen, wie gegenseitige Treuepflicht, Waffendienst, Schutz u. Unterhalt usw.


Auch wenn es natürlich noch weitere Merkmale u. Ausdiferenzierungen gibt, soll dieser begriffliche Ansatz zum Lehnswesen/Feudalismus zunächst ausreichen, um die Ausgangsfrage zu verfolgen.


2) Napoleon selbst hat sich ja gerne in die Reihe mit Karl dem Großen gestellt; ja u. U. sogar als „Nachfolger“ gesehen.
Daher können die von ihm maßgeblich beeinflussten bzw. initiierten Rechtssetzungsakte v. 1803 (RDHS) u. 1806 (Rheinbundakte) als „Grundordnung“ eines quasi-napoleonischen Feudalsystems in den betr. dt. Gebieten aufgefasst werden.
Auch kein Widerspruch zu den Beschlüssen der Franz. Nationalversammlg. v. 1789 (Abschaffung des Feudalismus) – Napoleon hat insofern seine eigenen Maßstäbe gesetzt und keinerlei Sentimentalitäten gekannt.


3) Wie sieht die Rolle der beteiligten dt. Fürsten aus ?
Da excideuil in der o.g. Diskussion des Öfteren das (neue) Ghz. Baden behandelt hat, möchte ich exemplarisch auf das (neue) Königreich Bayern abstellen, s. zum Ganzen: Kimminich, Dt. Verfassungsgeschichte, S. 307 – 312.
Bayern hatte dank seiner ausgeprägten Diplomatie von Napoleon bereits vor 1803 schriftliche Garantien für reichliche Entschädigung linksrheinischer Verluste; ebenso gab es bereits vor den Friedensschlüssen vom Dezember 1805 im Herbst 1805 Verträge zw. Kurfürst u. Napoleon (als besonderes Rechtsband im Sinne o.g. Feudalismus-Definition).
„Am 24. Oktober 1805 ritt Napoleon unter dem Jubel der Münchner Bevölkerung in der Landeshauptstadt ein und sprach die denkwürdigen Worte: 'Ich will für mich keine Eroberung in Deutschland machen; alles, was ich erobere, soll dem Fürsten von Bayern gehören'.“
„Am 1. Januar 1806 wurde Bayern sogar Königreich.“ Kimminich, S. 309.


Ähnliches gilt für die anderen Mittelstaaten u. „Rheinbündler“ bzw. erst Recht für die Kunstprodukte
Ghz. Berg und Kgr. Westfalen.
Die faktische Abhängigkeit ist also offensichtlich.

4) Neben dieser rein faktischen Abhängigkeit stellt sich aber (um den eigentlichen Ansatz zu verfolgen) die Frage, nach Art u. Umfang der jeweiligen Pflichten, die klassischerweise im Vasallitätsverhältnis als einem Gegenseitigkeitsverhältnis bestanden und übernommen werden mussten.


a) Ganz klar, die betr. dt. Staaten waren zur Stellung v. Kriegskontingenten verpflichtet. Was war aber z.B. mit Schutz und Unterhalt (bzw. entsprechende Abwandlungen) und der Treuepflicht Napoleons ?
Gab es diese im Sinne des klassischen Feudalismus-Modells – bzw. zumindest in abgewandelter Form ?


b) Wie muss dann die Teilnahme der betr. Rheinbundfürsten am „Befreiungskrieg“ bzw. der Bruch mit N. bewertet werden (Verrat oder rechtmäßiger Widerstand) ?


5) Vom Ende her gedacht:
Stellt dann der Wiener Kongress (zumindest auf die Dt. Frage bezogen) die endgültige Überwindung des klassischen Feudalsystems dar ?
Weil eins ist klar, die ganz alten (staatsrechtl.) Zustände vor August 1806 wurden in Wien weder ernsthaft beraten noch wiederhergestellt.


Sofern eine solche Fragestellung forenseits bereits diskutiert wurde, habe ich nichts Genaues gefunden.


Im Übrigen will ich mit dem o.g. Begriff „Quasi-napoleonisches Feudalsystem“ keine apodiktische These aufstellen – mir ist nur kein überzeugenderer Ansatz eingefallen.


Falls nun die Gegenfrage aufkommt, wie kann ein ausländischer Monarch ohne (legitimen) Rechtstitel sich an die Spitze der „Lehnspyramide“ setzen (anders formuliert, wie hätte sich N. eigentlich den ersten Rang einer Art – neuen - „Lehnsordnung“ anmaßen können) ?
1632 gab es mit dem Schwedenkönig einen Präzedenzfall – also kein Hinderungsgrund für N. - falls sich meine Fragestellung entsprechend erhärten lässt.


Götz zum sonnabendlichen Gruß
 
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