Warum brauchte Deutschland lange für einen Nationalstaat?

utku6

Neues Mitglied
Hallo
ich werde am Mittwoch eine LK-Klausur schreiben und als ich lernen wollte ist mir folgendes aufgefallen:
Deutschland brauchte durchauslange um ein Wir-Gefühl zu erlangen und zu einem Nationalstaat zu werden, während Frankreich Jahrhunderte früher schon zu einem Zentralstaat wurde.
Nun hatten wir im Unterricht nur einige Andeutungen.
Deutschland/Preußen/heiliges römisches reich deutscher nation war eine Kulturnation. Auch die Akzentfreie deutsche Sprache wurde von gebildeten Menschen, die einen eigenen Stand teilw. beanspruchen sollten, gesprochen und gelehrt.
Auch die Kultur war weit entwickelt.
Dem zur Folge war dieses Reich wie eben erwähnt eine Kulturnation!
Warum aber brauchte man so lange um EINS zu werden (bzw. ein Nationalstaat auszumachen) ?
vielen dank im vorraus
mfg
utku
 
Deutschland/Preußen/heiliges römisches reich deutscher nation war eine Kulturnation.
Merkwürdige "Andeutungen", Preußen und das HRR waren sicher keine "Kulturnation", "Deutschland" sehe ich so auch nicht als solches, wenn ich allerdings auch eine "deutsche Kulturnation" zu erkennen vermag.

Dem zur Folge war dieses Reich wie eben erwähnt eine Kulturnation!
:confused: Demzufolge was? Welches Reich, und was ist deiner Ansicht nach überhaupt eine Kulturnation, und warum?

Viel Erfolg bei deiner Klausur! :)
 
Du sprichst von zwei Kategorien: der politischen und der kulturellen. Die müssen nicht notwendigerweise identisch sein. Manchmal ist die politische Fragmentation sogar kulturell förderlich, weil es so mehr miteinander konkurrierende Herrscher gibt, welche die Kultur fördern (Mäzenatentum), siehe italienische Stadtstaaten des ausgehende Mittelalters und die Entstehung der Renaissance. Im Übrigen ist D auch heute kein Zentralstaat. sondern ein föderal organisiert.
 
Von Kulturnation spricht man mWn nicht, weil die NAtion eine ausgeprägte Kultur besitzt (in Frankreich gab es auch Kultur), sondern weil nur diese einen Zusammenhalt erzeugt und keine gemeinsame Verfassung oder andere politische Einrichtung.
 
hi
sry ich habe mich etwas undeutlich ausgedrückt.
Wir haben gelernt, dass Deutschland eine Kulturnation war.
Ihr sagtet ja, dass dies ein gesellschaftlicher Aspekt ist.
Klar, ihr habt recht aber dadurch entstand ein "kleines" Wir-Gefühl, durch die selbe sprache etc.
Aber zum pol. Aspekt, kann es eigentlich nur daran liegen weil Deutschland in Herzogtümer unterteilt war bzw. in Kleinstaaten.
Aber warum konnte keine "richtige" Nation mit einem Nationalstaat entstehen obwohl die Kultur ja ein Zusammengehörigkeitsgefühl der Gesellschaft hergab?
Und zu Frankreich haben wir gelernt, dass es zunächst ein Zentralstaat war und das förderale Sysytem kam erst später... so wurde es uns jedenfalls gelehrt...

Warum ist denn eurer Meinung nach Deutschland erst später eins geworden bzw. warum so viel später als andere Staaten?

Danke! Viel glück werde ich in der KLausur brauchen, weil es auch meine erste LK klausur wird. :)
 
Von Kulturnation spricht man mWn nicht, weil die NAtion eine ausgeprägte Kultur besitzt (in Frankreich gab es auch Kultur), sondern weil nur diese einen Zusammenhalt erzeugt und keine gemeinsame Verfassung oder andere politische Einrichtung.

Beide Bedeutungen des Wortes Kulturnation sind gebräuchlich. Hier ist aber die gemeint, die du angesprochen hast. Die Kultur, insbesondere die Sprache, war das hauptsächliche verbindende Element der deutschen Nation.

In Frankreich bildete sich ab dem Mittelalter ein zunehmender Zentralstaat aus, so dass spätestens unter Ludwig XIV. der Adel nur noch quasi der "Hofstaat" des Königs war.

In Deutschland konnten sich insbesondere die Kurfürsten, die den König wählten und von denen er (u.a. deshalb) abhängig war, zunehmend Befugnisse des Königs erstreiten, so dass sie im Lauf der Zeit quasi selbständige Landesfürsten wurden. Auch durch die Kriegsführung, v.a. in Italien, für die die Reichsfürsten Truppen stellten, gab es Abhängigkeiten.
Schließlich förderte auch die Reformation diese Entwicklung, weil sich die protestantischen Fürsten nichts mehr "dreinreden" lassen wollten und dies auch spätestens mit dem Ende des 30-jährigen Krieges auch durchsetzen konnten.
 
Klar, ihr habt recht aber dadurch entstand ein "kleines" Wir-Gefühl, durch die selbe sprache etc.
Aber zum pol. Aspekt, kann es eigentlich nur daran liegen weil Deutschland in Herzogtümer unterteilt war bzw. in Kleinstaaten.
Aber warum konnte keine "richtige" Nation mit einem Nationalstaat entstehen obwohl die Kultur ja ein Zusammengehörigkeitsgefühl der Gesellschaft hergab?

Warum ist denn eurer Meinung nach Deutschland erst später eins geworden bzw. warum so viel später als andere Staaten?
Du hast es doch selbst geschrieben, warum es in Deutschland so schwierig war, einen einheitlichen Staat zu gründen:
Weil Deutschland in eine Vielzahl von Kleinstaaten zersplittert war und sich die Fürstenhäuser partout nicht einer Zentralgewalt unterordnen wollten. Das wurde auch sehr deutlich im Wiener Kongress 1814/15, auf dem die Kleinstaaterei noch einmal für Jahrzehnte zementiert wurde. Erst Bismarck gelang dann eine Vereinigung zu einem Kaiserreich (1871), aber auch nur als sogenannte "Kleindeutsche Lösung" (ohne Österreich).

Und zu Frankreich:
Und zu Frankreich haben wir gelernt, dass es zunächst ein Zentralstaat war und das förderale Sysytem kam erst später... so wurde es uns jedenfalls gelehrt...?
Dann lehrt man euch aber komische Sachen. Wann war Frankreich jemals eine Föderation? (abgesehen von der Zeit der staatlichen Zersplitterung im späten Mittelalter)
:grübel:
 
Hier kannst du ein bisschen was zu den Anfängen der Entwicklung lesen:
Statutum in favorem principum - Wikipedia

Frankreich war selbstverstänlich nie ein föderaler Staat, aber in den letzten 2 Jahrzehnten gab es doch eine Reihe von Maßnahmen zur Dezentralisierung mit gewisssen eigenständigen Befugnissen für die Departements und Regionen.
 
Wenn du dir mal ansiehst, wann sich in anderen Staaten Westeuropas eine zentrale Regierung gebildet hat, wird das das Problem des "verspäteten Deutschlands" schnell klar:

Sowohl in Frankreich, als auch in England entstand im Laufe des Mittelalters ein starkes Königtum, dem sich die Fürsten des Reiches unterordneten.
Anders in Deutschland: Der Kaiser wurde von den sieben Kurfürsten gewählt (ab 1359 eindeutig in der Goldenen Bulle festgelegt.) Da mit dem Kaisertitel aber kein Landbesitz verbunden war, war ein Fürst, der zum Kaiser gewählt wurde, auf das Land angewiesen, das er bereits besaß, z.B. die österreichischen Erblande im Falle der Habsburger. Oft wählten die Kurfürsten schwache Fürsten (also solche mit geringem Besitz) zum Kaiser, da sich dieser dann kaum in die Angelegenheiten der Kurfürsten einmischen konnte.

Der 30jährige Krieg (1618-1648) wird unter einigen Historikern als der Versuch Habsburgs gesehen, ein zentralistisches deutsches Kaiserreich zu schaffen unter der Ausschaltung aller anderen Kurfürsten. Dieses Vorhaben scheiterte. Im Frieden von Osnabrück wurden die Rechte der Landesfürsten gestärkt, z.B. in der Religionsausübung (die Protestanten wurden als gleichberechtigt neben den Katholiken anerkannt).

Dennoch waren die deutschen Staaten gesellschaftlich teilweise weiter entwickelt, als z.B. das absolutistische Frankreich (Stichworte: aufgeklärter Absolutismus in Preussen, Städtische Republiken in den freien Reichsstädten). Die gemeinsame Kultur (Sprache, Geschichte - besonders das Mittelalter, und auch die Figur des Kaisers) stellte eine einende Klammer dar.

Mit der französischen Revolution änderte sich dies jedoch grundlegend: In Frankreich entstand der erste bürgerliche Zentralstaat (Bürger als Träger der nationalen Identität) und 1806 löste Napoleon das Heilige Römische Reich deutscher Nation auf. In dieser Stunde größter nationaler Zersplitterung wurde die Kultur und gemeinsame Werte zum Bindemittel eines deutschen Nationalgefühls. Das Lied "Was ist des Deutschen Vaterland" bringt diese deutschen Eigenschaften auf den Punkt.

Zwar gelang es in den Befreiungskriegen Napoleon aus Deutschland zu vertreiben, das Versprechen auf einen Deutschen Nationalstaat wurde auf dem Wiener Kongress jedoch nicht eingelöst. Ein Grund dafür war der beginnende Konflikt zwischen Preussen und Österreich. In einem Großdeutschen Kaiserreich hätte einer der beiden Staaten den kürzeren ziehen müssen. Zudem war den Fürsten die liberale und bürgerliche Bewegung suspekt. In der Folge entstand ein loser Staatenbund, jedoch kein Deutsches Kaiserreich.

Zwischen 1830 und 1848 gewann die bürgerliche Bewegung zur Einigung Deutschlands wieder an Fahrt. Sie gipfelte in der (mißlungenen) Revolution von 1848. Die Gründe für das Scheitern der Revolution sind vielfältig. Daher will ich erneut nur kurz die Deutsche Frage anschneiden. Diese beschäftigte sich mit der Integration Österreichs in ein zukünftiges Kaiserreich. Zu Österreich gehörten in dieser Zeit zwar wichtige Teile des ehemaligen Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation (Böhmen, Tirol, Ober- und Niederösterreich, Steiermark), aber eben auch große Teile des Balkan. Die Frage stellte sich nun ob und wenn ja, welche Teile von Österreich teil eines Deutschen Reiches werden sollten. Aufstände der Ungarn und in Norditalien ließen eine Zeit lang die Hoffnung auf ein Lösung mit Österreich aufkommen. Würden die Aufständischen ihre Freiheit von Wien erkämpfen, könnte das, was von Österreich übrig blieb, leicht in ein Deutsches Reich integriert werden. Doch die Aufstände wurden niedergeschlagen und die Deutsche Frage blieb ungelöst.

Er Fürst Bismark gelang es, die Deutsche Frage mit "Eisen und Blut", wie er es ausdrückte, zu lösen. Österreich wurde im Krieg von 1866 geschlagen. Die kleindeutschen Staaten wurden in ein Schutzbündnis mit Preussen gepresst. Mit dem Sieg über Frankreich 1871 wurde schließlich auch ein Gründungsmythos für das neue Reich geschaffen. In diesem Kaiserreich wurden die Figur des Kaisers, der preussische Militarismus und der Hass auf Frankreich zum Bindemittel der Deutschen Gesellschaft. Eine Konstellation die 1945 ihr Ende fand.
 
hi
vielen dank für die ganzen informationen.
War sehr hilfreich... dann muss ich nur noch paar Daten lernen und die Einstellung von Herrn Wehler und Schulze zur einer Nation wiederholen und meiner eins steht nix im wege :)
 
hi
vielen dank für die ganzen informationen.
War sehr hilfreich... dann muss ich nur noch paar Daten lernen und die Einstellung von Herrn Wehler und Schulze zur einer Nation wiederholen und meiner eins steht nix im wege :)
Ok. Dann scheib uns mal, wie es ausgegangen ist. :winke:

(Wir bekommen nämlich auch gern gute Zensuren... [kleiner Scherz] :D )
 
hi
wir hatten in der klausur die Rede An mein Volk von Friedrich Wilhelm III.
war erträglih aber mal sehen... naja jetzt erstmal ferien^^
 
soooo wiedr bekommen :)
voll zufrieden habe ganze 8 Punkte im schriftlichen und 11 Punkte im mündlichen...was will ich mehr? :D
danke leute :p
 
1.
Dennoch waren die deutschen Staaten gesellschaftlich teilweise weiter entwickelt, als z.B. das absolutistische Frankreich (Stichworte: aufgeklärter Absolutismus in Preussen, Städtische Republiken in den freien Reichsstädten).
2. Die gemeinsame Kultur (Sprache, Geschichte - besonders das Mittelalter, und auch die Figur des Kaisers) stellte eine einende Klammer dar.
1. Was meinst Du mit weiter entwickelt? Die städtischen Republiken in den Reichsstädten hielt ich immer für alte Systeme, welche nicht unbedingt den Anforderungen der neuen Zeit (außenpolitische Konzeptionen, Anpassungsfähigkeit in neuen machtpolitischen Konstelationen usw.) gewachsen waren. Aber das dürfte von Stadt zu Stadt unterschiedlich gewesen sein.

2. Das Reich als einende Klammer sehe ich auch so. Man spricht bis 1806 von immer wieder auftretenden Erscheinungen des Reichspatriotismus. Die Sprache musste allerdings erst im 17. und 18.Jh. vereinheitlicht werden, da waren die Franzosen den Deutschen etwas voraus.
Karl VI. konnte sich lange nicht damit durchsetzen, dass zum Zugang zu Gymnasien neben der Beherrschung der lateinischen auch die deutsche Sprache nötig war, deren Grammatik als schwieriger zu erlernen angesehen wurde. Das Deutsche musste als ebenbürtige Sprache erst anerkannt und reformiert werden, der Kaiser (Karl VI.) selbst war darin nicht besonders bewandert, vielleicht rührt sein Wunsch daher.
 
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