Warum kehrte Napoleon von Elba nach Frankreich zurück?

@muheijo

1. Aha, Schuld waren natürlich die "anderen". Wie konnte der böse König auch die 2 Millionen nicht herausrücken!
Aber am Geld kann es gar nicht gelegen haben:
"Der ehemalige Kaiser war am 26. Februar heimlich in Elba aufgebrochen, wo er vertragswidrig eine kleine Armee von 1600 statt der ihm zugestandenen 400 Mann aufgebaut hatte." [1a]

2. "Das Plebiszit vom Mai 1815, ... erwies sich letzlich als Niederlage. Von 5 Millionen Wahlberechtigten hatten nur 1,5 Millionen bei 4802 Gegenstimmen den Verfassungsänderungen zugestimmt, d.h., die übergroße Mehrheit hatte sich der Stimme enthalten. Wenn man die große Zahl von Stimmenenthaltungen auch nicht dahingehend interpretieren kann, dass sich darin eine eindeutige ablehnung Napoleon manifestierte, so lässt sie doch erkennen, dass in bürgerlichen Schichten das Misstrauen gegen ihn stark ausgeprägt war. Der Kaiser konnte nur auf die Unterstützung durch die Armee setzen...
Im Süden, Westen und Teilen des Nordens stieß er auf offene Ablehnung. Es häuften sich royalistische Aufrufe, schließlich kam es am 3.5.1815 im Westen zur offenen Revolte." [1b]

"Genügend Akzeptanz" muss daher relativiert werden.

3. Es ist nicht einmal Spekulation, zu welchem Zeitpunkt die Rückkehr erfolgt wäre, die Reaktion der Alliierten wäre immer dieselbe gewesen.
Zur Erinnerung, der Vertrag von Chaumont galt 20 Jahre!

Die Differenzen der Verbündeten auf dem Wiener Kongress dürfen nicht überbewertet werden. Zwar führten sie zu rhetorischem Säbelrasseln und in der Folge zum Vertrag vom 3. Jänner 1815 zwischen England, Österreich und Frankreich, was aber nicht darüber hinwegtäuschen kann, dass keine der Seiten einen Krieg führen wollte. Dies zeigt sich darin, dass Rußland sein Ziel fast vollständig erreichte.

Grüße
excideuil

[1] Malettke, Klaus: Die Bourbonen, Bd. III: Von Ludwig XVIII. bis zu Louis Philippe 1814 – 1848, W. Kohlhammer, Stuttgart, 2009, a) Seite 44, b) Seiten 46-47
 
Warum kehrte Napoleon von Elba nach Frankreich zurueck?

Das herausfordernde Verhalten der zurückkehrenden Emigranten, die einsetzende Misswirtschaft sowie die Uneinigkeit unter den Alliierten bereiteten jenes Klima vor, das Napoleons Rückkehr von der Insel Elba nach Paris in einen wahren Triumphzug verwandelte.

Um die liberale Bourgeoisie bei der Stange zu halten, redigierte Napoleon mit Hilfe des wieder zu ihm gestoßenen B. Constant den Acte additionnel aux Constitutions de l'Empire, der weder die Notabeln (wegen der Einführung des allgemeinen Wahlrechts) noch die breite Masse des Volks (wegen der Schaffung einer erblichen Pairswürde) zu überzeugen vermochte; dementsprechend mager fiel das Referendum aus. So hing alles erneut von den Waffen ab, und wie das Ergebnis vor dem Hintergrund einer zermürbten Heimat und einer qualitativ ungenügenden Armee ausfiel, ist ja bekannt.

Ach ja, warum kehrte Napoleon aus Elba zurück? Weil er als absoluter Machtmensch auch den kleinsten Zipfel Hoffnung ergriff, der eine Rückkehr an die Macht versprach.
 
3. Es ist nicht einmal Spekulation, zu welchem Zeitpunkt die Rückkehr erfolgt wäre, die Reaktion der Alliierten wäre immer dieselbe gewesen.
Zur Erinnerung, der Vertrag von Chaumont galt 20 Jahre!
Da würde ich, bei aller Restauration hin oder her, eben auch den Faktor Untertanen/Volk anführen. Wie hätten denn ernsthaft, die Monarchen ihren Völkern verkaufen sollen, dass sie auf einmal (!), nachdem sie mehr oder weniger 15 Jahre auf den Sturz von Bonaparte hingearbeitet hatten, Bonaparte auf dem Thron akzeptierten?

Mir schiene allein schon die Vorstellung davon unglaublich realitätsfern.

Wie gesagt: Alle Opfer wären umsonst gewesen. Das wäre wohl der fahle Beigeschmack gewesen.

Nehmen wir an, was ich schon für undenkbar halte, eine der Großmächte hätte gekniffen. Offenbar genügten ja schon Österreich, Großbritannien und Preußen allein, um das erschöpfte Frankreich in die Knie zu zwingen.*

Man darf auch nicht vergessen, dass ja Preußen beispielsweise durch den Wiener Kongress und den Vormarsch an den Rhein gerade deutlich größere personelle Ressourcen für eine Kriegsführung erhalten hatte. So kam beispielsweise schon 1814 das "Generalgouvernement zwischen Rhein und Weser" hinzu. Überhaupt rückte damit Preußen nach den Verlusten von Tilsit 1807 wieder näher an Frankreich herran. Vielleicht verwundert es darum auch nicht sosehr, dass es als erste Macht neben Großbritannien einen Stoß Napoléons ausgesetzt wurde.

* Russland befand sich noch auf dem Anmarsch, als bereits Österreicher, Preußen usw. in Frankreich eingefallen waren.
Minor campaigns of 1815 - Wikipedia, the free encyclopedia
 
Da würde ich, bei aller Restauration hin oder her, eben auch den Faktor Untertanen/Volk anführen. Wie hätten denn ernsthaft, die Monarchen ihren Völkern verkaufen sollen, dass sie auf einmal (!), nachdem sie mehr oder weniger 15 Jahre auf den Sturz von Bonaparte hingearbeitet hatten, Bonaparte auf dem Thron akzeptierten?

Mir schiene allein schon die Vorstellung davon unglaublich realitätsfern.

Wie gesagt: Alle Opfer wären umsonst gewesen. Das wäre wohl der fahle Beigeschmack gewesen.

Nehmen wir an, was ich schon für undenkbar halte, eine der Großmächte hätte gekniffen. Offenbar genügten ja schon Österreich, Großbritannien und Preußen allein, um das erschöpfte Frankreich in die Knie zu zwingen.

Deine Frage ist natürlich berechtigt. Dass ein Monarch plötzlich eine 180 Grad-Wende vollziehen hätte können, halte ich auch für wenig wahrscheinlich.

Betrachtet man den Zeitraum vom Bekanntwerden der Flucht N. auf dem Kongress (7. März 1815) bis zur Sitzung der Mächte vom 12. März 1815 in der endgültig vereinbart worden war, "dass N., der sich "in offener Weise als Feind und Störenfried der allgemeinen Ruhe erwiesen habe", künftig außerhalb jeglichen Vertrages und Gesetzes stehen sollte, dann sind das ganze 6 Tage. Es ist daher unwahrscheinlich, dass der Willen der Völker bei der Entscheidung eine Rolle gespielt haben könnte.

Die Erklärung vom 13. März 1815 richtete sich ausschließlich gegen Napoleon, nicht aber gegen Frankreich, mit der Nichtakzeptanz N. war die Herrschaft der Bourbonen weder unterbrochen noch infrage gestellt.

Das änderte sich, nachdem N. ungehindert am 20. März 1815 in Paris einzog und die Alliierten sich zunehmend der Frage zu stellen hatten, ob die Bourbonen nicht eine Mitschuld trügen und ob "sie (die Alliierten) sich nicht doch stärker in die französische Innenpolitik hätten einschalten müssen, zumindest in der Form von Kontrollen bzw. Garantien - ein Begriff, der Eingang in die zweite Restauration fand."

Die Folge war, dass die Alliierten am 12. Mai 1815 ein Kriegsmanifest veröffentlichten, "in dem die Erklärung vom 13. März zwar bestätigt, aber das Kriegsziel nicht im Sinne einer (durch die Royalisten) angestrebten zweiten Restauration formuliert wurde. Damit blieb das Ziel des bevorstehenden Feldzuges zum Mißfallen der Royalisten allein negativ deklariert: der Sturz N. ohne das gleichzeitige Versprechen der neuerlichen Thronbesteigung Ludwig XVIII."

Außenpolitisch war N. trotz seiner - zwar umstrittenen - Verweise auf das Völkerrecht mausetot.

Grüße
excideuil

Quelle: Ilsemann, Alexandra von: Die Politik Frankreichs auf dem Wiener Kongress – Talleyrands außenpolitische Strategien zwischen Erster und Zweiter Restauration, Verlag R. Krämer, Hamburg, 1996, Seiten 271-291
 
Zuletzt bearbeitet:
Wenn es um Napoleon geht, schwingt im Hintergrund immer auch ein Stück Legende mit. So zum Beispiel bei seiner Rückkehr von der Insel Elba 1815.

Die Rückkehr nach Paris geriet zum Triumph, das wirkliche innenpolitische Ausmaß wird zum Beispiel von St. Zweig so beschrieben:

"Selbst das eigene Land erkennt die Trikolore nicht an. Aufstände im Süden, im Westen: die Bauern haben die ewigen Rekrutierungen satt und knallen auf die Gendarmen, die ihre Pferde wieder zu den Kanonen holen wollen. Auf den Strassen kleben höhnische Plakate, die im Namen Napoleons dekretieren:

"Artikel I. Es haben mir jährlich dreihunderttausend Schlachtopfer geliefert zu werden.
Artikel II. Unter Umständen werde ich diese Zahl auf drei Millionen erhöhen.
Artikel III. Alle diese Opfer werden mit der Post zur großen Schlächterei geliefert."

Kein Zweifel, die Welt will Frieden, und alle Vernünftigen sind bereit, den unerwünscht Heimgekehrten zum Teufel zu schicken, wenn er nicht den Frieden garantiert, und - tragisches Schicksal - nun, da der Sodatenkaiser zum erstenmal wahrhaft Ruhe haben will für sich und die Welt, vorausgesetzt, dass sie ihm die Herrschaft lasse, nun glaubt ihm die Welt nicht mehr. Die braven Bürger, voll Angst um ihre Rente, teilen nicht die Begeisterung der Halbsoldoffiziere und professionellen Hahnenkämpfer, denen der Frieden Störung der Geschäfte bedeutet, und kaum dass ihnen - notgedrungen - Napoleon ein Wahlrecht gibt, so schlagen sie ihm ins Gesicht, indem sie gerade diejenigen wählen, die er seit fünfzehn Jahren gewaltsam verfolgt und im Dunkel gehalten, die Revolutionäre von 1792, Lafayette und Lanjuinais..." (Stefan Zweig: Fouché, Seiten 232-233)

Zweigs Prosa kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass Napoleon nicht nur in Europa sondern in der Summe auch in Frankreich als der unwillkommende Störenfried empfunden wurde.

Grüße
excideuil
 
Zweigs Prosa kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass Napoleon nicht nur in Europa sondern in der Summe auch in Frankreich als der unwillkommende Störenfried empfunden wurde.

Die Börse unterstreicht Zweigs Worte und zeigt, wie sehr das Bürgertum Napoleon loswerden wollte:

Am 21. Juni stieg bei der Nachricht von der Schlacht bei Waterloo die Staatsrente um 2 Franken auf 55 Franken. Bei der Nachricht von der Abdankung schnellte sie auf 59,60 Franken.

Keine Frage, die Finanzwelt und die Bourgeoisie wollten Frieden, um ihren Geschäften nachgehen zu können.

Grüße
excideuil

Quelle: Aubry, Octave: „Sankt Helena“ (1-Die Gefangenschaft Napoleons, 2-Der Tod des Kaisers), Eugen Retsch Verlag, Erlenbach-Zürich und Leipzig, o.J. Bd. I, Seite 33
 
N wollte Frieden (in den nun bestehenden Grenzen)
Diesen Frieden hat N nicht in Frage gestellt.
Was spricht gegen das Argument, dass er an einer Neuauflage der vergangenen Kriege nicht interessiert war, gar nicht gewesen sein kann, aufgrund der Erfahrungen der letzten jedenfalls 3 Jahre?
Die Situation in den frueheren Jahren war eine andere, und kann deshalb nicht als "Beweis" fuer einen Kriegswunsch Napoleons 1815 hinzugezogen werden.

Ich bin noch einmal der Frage N. und Frieden nachgegangen:

N. veröffentlichte am 13. März 1815 elf Dekrete, "mit denen er u.a. die königliche Fahne und die weiße Kokarde der Bourbonen verboten und die restaurierten feudalen Rechte eingeschränkt wurden. Außerdem wurden die Trikolore wieder eingeführt, das Tragen der blau-weiß-roten Kokarde zur Pflicht gemacht, der Privatbesitz der Bourbonen und ihrer nächsten Angehörigen beschlagnahmt und alle Emigranten, die nach der Restauration nach Frankreich zurückgekehrt waren, wieder des Landes verwiesen." [1/ Seite 632]

Das klingt nicht wie Akzeptanz des bestehenden Friedens sondern nach Putsch.
Das wichtigste war das elfte Dekret, mit dem die Chambré des Pairs und der Corps législatif aufgelöst wurden.

Schon am 8. März, als Oberst La Bédoyère mit seinen Regiment zu N überlief machte der Oberst deutlich:
"Sire, die Franzosen werden für Eure Majestät alles tun, aber ihre Majestät müssen auch alles für sie tun: keinen Ehrgeiz mehr und keinen Depotismus. Wir wollen frei und glücklich sein. Sie müssen Sire, diesem System der Eroberungen und der Macht abschwören, die beide das Unglück Frankreichs wie auch das Ihre herausbeschworen haben." [1/Seite 632-633]

In der Folge restaurierte N. das Empire, gab sich zwar liberal, aber wie der Name des Verfassungsentwurfes (Acte additionnel aux Constitutions de l'Empire) schon sagt: "Zusatz zur Verfassung des Empire", änderte sich nichts Grundlegendes. "Die einzige echte Neuerung war die Garantie auf Pressefreiheit." [1/Seite 640]

Unmissverständlich daher die Meinungen von Zeitgenossen:
Miot de Melito: "Niemals hat ein politischer Fehler eine schnellere Wirkung gehabt."
Lavalette:"Man erkannte im Kaiser lediglich einen Despoten und darüber vergaß man den äußeren Feind." [1/Seite 641]

Kein Wunder also, dass vor allem im Westen und im Süden Aufstände gegen das neuerliche kaiserliche System aufflammten.

Was hielten nun die "neuen" Minister von N. Wiederkehr:

Während Ney in Gnaden aufgenommen wurde, musste z.B. Baron Pasquier seinen Platz als Polizeipräfekt räumen, sicherlich der Tatsache geschuldet, dass N. jeden Militär zu brauchen glaubte.
Von Pasqier sind Zeugnisse erhalten:

Fouché: „Ich aber sage Ihnen, dass dieser Mann sich in keiner Hinsicht gebessert hat und als genauso großer Despot, ebenso begierig auf Eroberungen und schließlich nicht weniger verrückt wie jemals zuvor zurückgekehrt ist… Ich sagen Ihnen, dass trotz der Versicherung, die er gegeben hat, ganz Europa über ihn herfallen wird. Dessen wird er sich aber unmöglich erwehren können und die ganze Angelegenheit dürfte in weniger als vier Monaten erledigt sein.“ [1/Seite 634]

Noch deutlicher wird es bei Caulaincourt:
"Das Unterfangen des Kaisers ist verrückt. Sie kennen bereits, wie alle Welt auch, die Erklärung, die von den europäischen Mächten am 13. März gegen ihn verabschiedet worden ist, und Sie haben auch die lächerlichen Antworten gelesen, auf die wir uns beschränken mussten. Er wird also bald ganz Europa auf dem Hals haben, und man wird ihm keine Zeit lassen, sich dafür zu rüsten. Unter keinen Umständen wird man mit ihm in Verhandlungen eintreten. Die Kuriere, die wir abschicken, werden noch nicht einmal über die Grenze gelassen. Er wird also unterliegen, aber was geschieht dann mit dem armen Frankreich? Es wird verwüstet, vllt. auch aufgeteilt werden, denn wir dürfen jetzt nicht mehr auf irgendeine Großzügigkeit seites der Alliierten rechnen...
Auf was also wird man sich verlassen, an was anklammern können? Wo wird die Planke sein, die einen im Schiffbruch rettet? Was den Kaiser anbelangt, so scheint es ganz ausgeschlossen, dass er nicht begreift, dass seine Situation eine ganz andere ist als die, die er gehofft hatte anzutreffen. Seit seiner Abreise hat sich in Frankreich alles verändert, haben die Geister eine Bahn eingeschlagen, über die er nicht im Zweifel sein konnte. Die Unzufriedenheit mit der königlichen Regierung war zweifellos groß, aber das Maß an Freiheit, das er uns in Aussicht gestellt hat, wird das kaiserliche Regime heute, so wie es der Kaiser vor allem in der letzten Zeit praktiziert hatte, unerträglich machen. Außerdem, und das können Sie bereits jetzt bemerken, will er die versprochene Freiheit gar nicht gewähren. Vor allem wird er es gar nicht erst wagen, die Freiheit zuzugestehen, die alle Welt wünscht; er wird sie nur immer versprechen, und unterdessen werden die alten Gewohnheiten ihn wieder völlig in Besitz nehmen." [1/Seite 635]

Caulaincourt beurteilt die Situation richtig: Auch 10 Monate Restauration lassen sich nicht zurückdrehen.
Sowohl Fouché als auch C. machen deutlich, dass N. sich nicht im geringsten geändert hatte. Damit war ein Friedenswille N. zu keiner Zeit erkennbar.

Grüße
excideuil

[1] Willms, Johannes: „Napoleon“, Pantheon, München 2009, (2005)
 
Auch wenn es langsam zum Monolog gerät, ich wärme diesen Thread erneut auf. Allerdings nicht, ohne vorher die Napoleon-Biografie von August Fournier ein wenig zu loben. Sie ist ganz sicher 90 Jahre alt und mag sicherlich in einigen Passagen nicht den aktuellen Forschungstand darstellen; dennoch, die über 1100 sorgfältig recherchierten Seiten glänzen durch eine Fülle von Quellen und Hinweisen, die man sonst mühsam selbst in den Originalen suchen und finden müsste, wenn man denn weiß, was und wo man suchen soll.

Zum Thema liefert Fournier:

"Niemand weniger als der Mann von Elba konnte von den europäischen Mächten erwarten, dass sie ruhig zusehen würden, wie er, seine eingegangenen Verträge brechend, wieder Besitz ergriff von der Herrschaft über eine der unruhigsten Nationen der Welt, die Europa mit einem zwanzigjährigen Krieg beschäftigt hatte. Sollte denn der ganze riesige Aufwand an Gut und Blut, mit dem man endlich das alte "legitime" System des Gleichgewichts der Staaten hergestellt hat, umsonst gewesen sein, bloß weil es einem Einzigen nicht gefiel, sich mit der Souveränität von Elba zu begnügen? Niemand hatte ihn gerufen, keine nennenswerte Konspiration, auch im franz. Heere nicht, seine Wiederkehr begehrt, denn ein Komplott in den nördlichen Garnisionen hatte sich von Fouché nur für den Gedanken einer Regentschaft für seinen Sohn gewinnen lassen..." [1/Bd. III, Seiten 315/6]

Das ist auch für mich neu. Bislang war ich davon ausgegangen, dass sich die "Veilchen" allein auf Napoleon bezogen.

In den Anmerkungen zum Text ist zu lesen:
"Dass man unter den Gegnern der Bourbons an eine Regentschaft gedacht hatte und nicht ausschließlich an ihn, regte ihn, als er durch Fleury davon hörte, gewaltig auf und war wohl mit einer der Beweggründe, die ihn so früh von Elba fortscheuchten. (Vgl. Fleury de Chaboulon, I., 126)" [1/Bd. III., Seite 316]

Die Zeit ist kurzlebig, er spielte - im Grunde - schon nach wenigen Monaten keine Rolle mehr im politischen Geschäft, die Reaktion Napoleons ist daher wohl allzu menschlich und wurde - später - legendär und verklärend ...

Wie auch immer, seine Rückkehr von Elba hatte nichts mit politischen Erfordernissen zu tun, sie ist einzig dem Menschen Napoleon geschuldet, (leider) sehr zum Nachteil Frankreichs.

Grüße
excideuil

[1] Fournier, August: „Napoleon I., Emil Vollmer (Phaidon Verlag), Essen, 1996, Nachdruck der Ausgabe Wien 1922
 
Wie auch immer, seine Rückkehr von Elba hatte nichts mit politischen Erfordernissen zu tun, sie ist einzig dem Menschen Napoleon geschuldet,...

So einfach ist es nicht, es ist nur ein Teil des Erfolges seiner Rueckkehr.
Wie kam es sonst, dass Napoleon nicht vom erstbesten Gendarmen erschossen wurde, oder Ney ihn tatsæchlich in dem beruehmten "eisernen Kæfig" nach Paris brachte?
Die 1.000 Mann seiner Garde møgen Eindruck gemacht haben, dennoch ist die erneute Uebernahme der Macht durch Napoleon vor allem der Fehler Ludwigs XVIII. und seiner Alliierten geschuldet, die man
durchaus mal næher beleuchten sollte:

- da sitzt ein Kønig in Paris, der so tut als hætte es die letzten 20 Jahre nicht gegeben*
- da gibt es eine britische Flotte, die die Hæfen halb Europas blockieren konnte, aber es nicht schafft, das kleine Inselchen Elba zu ueberwachen, geschweige denn ein paar Fregatten auf den Meeresgrund zu schicken.
- da wird dem "souverænen Fuersten" von Elba das versprochene Geld verweigert und seine nachtrægliche Gefangennahme geplant

Ich finde es geradezu naiv, anzunehmen, Napoleon hætte die Summe dieser Fehler nicht genutzt.

* allein schon die weisse Kokarde und die Abschaffung der Trikolore sind ein schønes Symbol dafuer, dass Ludwig der XVIII. nichts von dem begriffen hatte, was in "seinem" Frankreich vor sich gegangen ist.

Man vergleiche auch die Verfassungen, Zahl der Wahlberechtigten sowie Art der Verfassungsgebung ("Kraft des Amtes gnædig gegeben" vs. Volksabstimmung) der beiden "Kontrahenten"

Gruss, muheijo
 
So einfach ist es nicht, es ist nur ein Teil des Erfolges seiner Rueckkehr.
Wie kam es sonst, dass Napoleon nicht vom erstbesten Gendarmen erschossen wurde, oder Ney ihn tatsæchlich in dem beruehmten "eisernen Kæfig" nach Paris brachte?
Die 1.000 Mann seiner Garde møgen Eindruck gemacht haben, dennoch ist die erneute Uebernahme der Macht durch Napoleon vor allem der Fehler Ludwigs XVIII. und seiner Alliierten geschuldet, die man
durchaus mal næher beleuchten sollte:

- da sitzt ein Kønig in Paris, der so tut als hætte es die letzten 20 Jahre nicht gegeben*
...
Du drehst Dich irgendwie im Kreis und Deine Argumente werden nicht stichhaltiger. Warum wiederholst Du nochmal dasselbe, was bereits entkräftet wurde? Vor allem Dein Bild von Louis XVIII wurde ja schon komplett korrigiert. Außerdem müsste es wenigstens 26 Jahre heißen. Mit 20 Jahren wärest Du bei 1794 und Louis XVIII wollte sicher nicht die Verhältnisse von 94! :devil:
 
Wie kam es sonst, dass Napoleon nicht vom erstbesten Gendarmen erschossen wurde, oder Ney ihn tatsæchlich in dem beruehmten "eisernen Kæfig" nach Paris brachte?

Ich vermute mal, der kleine Korse hatte ein derartiges Prestige und eine so faszinierende Ausstrahlung und Popularität, dass ihm eine wachsende Volksmasse zujubelte - eingeschlossen Soldaten und später ganze Truppenteile, je weiter er Richtung Paris zog.

Der Mann muss ein Charisma gehabt haben, das sich uns auf den überkommenen Gemälden nicht mehr recht erschließt. Negativ gewendet ist es das gleiche Phänomen, das sich bei der Hitler-Verehrung zeigt, die ebenfalls bis zur Hysterie reichte.
 
Wie kam es sonst, dass Napoleon nicht vom erstbesten Gendarmen erschossen wurde, oder Ney ihn tatsæchlich in dem beruehmten "eisernen Kæfig" nach Paris brachte?
Reine Rhetorik! Dir sollte bekannt sein, dass die Route N. nicht umsonst genauso gewählt wurde. Eine andere hätte tatsächlich bedeuten können, dass ihn der erstbeste Gendarm erschossen hätte.
Ansonsten halte ich es mit Dieter:
Ich vermute mal, der kleine Korse hatte ein derartiges Prestige und eine so faszinierende Ausstrahlung und Popularität, dass ihm eine wachsende Volksmasse zujubelte - eingeschlossen Soldaten und später ganze Truppenteile, je weiter er Richtung Paris zog.

Der Mann muss ein Charisma gehabt haben, das sich uns auf den überkommenen Gemälden nicht mehr recht erschließt.
Aber trotz aller Begeisterung:
„Wir fingen gerade an, glücklich und ruhig zu werden, Sie werden wieder alles in Unordnung bringen!“ (vergl. #1)
Napoleon: "Aber wird man mich gern auf dem Thron sehen wollen?"
"Ich glaube schon", antwortete der Bürgermeister, "wenn man bloß nicht fürchten müsste, dass mit Ihnen die Aushebungen und all die Plagen wiederkommen!" (Vergl. #7)
Schon am 8. März, als Oberst La Bédoyère mit seinen Regiment zu N überlief machte der Oberst deutlich:
"Sire, die Franzosen werden für Eure Majestät alles tun, aber ihre Majestät müssen auch alles für sie tun: keinen Ehrgeiz mehr und keinen Depotismus. Wir wollen frei und glücklich sein. Sie müssen Sire, diesem System der Eroberungen und der Macht abschwören, die beide das Unglück Frankreichs wie auch das Ihre herausbeschworen haben." (Vergl #47)
Das ist eben keine Begeisterung sondern zeigen die Befürchtungen von hohen Offizieren und höheren Beamten. Kein Wunder daher, dass sich nach seinem Einzug in die Tuilerien Ernüchterung breit machte als deutlich wurde, dass er sich nur auf die Strasse stützen konnte.
Und daher wirken alle seine Begründungen wie die nichtgezahlten 2 Millionen oder die geplante Entführung rein rhetorisch, da er trotz aller Probleme in Frankreich nicht begriffen hatte, dass es eine Unterstützung durch die Notabeln und das Bürgertum Frankreich eben nicht gab, dass niemand ihn zurückrief, niemand ihn als notwendig im Interesse Frankreich betrachtete. Die Legende von St. Helena läßt grüßen!
- da sitzt ein Kønig in Paris, der so tut als hætte es die letzten 20 Jahre nicht gegeben
allein schon die weisse Kokarde und die Abschaffung der Trikolore sind ein schønes Symbol dafuer, dass Ludwig der XVIII. nichts von dem begriffen hatte, was in "seinem" Frankreich vor sich gegangen ist.
Man könnte Ludwig XVIII. nachsagen, dass er sich gegen seine Familie nicht immer durchgesetzt hat, zu behaupten allerdings, er hätte die politischen Erfordernisse nicht erkannt, geht fehl.
Zweifellos hat er es mit Erfolg verstanden, zuwider der Absicht des Senates und der Provisorischen Regierung, eine konstitutionelle Monarchie nach engl. Vorbild zu errichten, den salisischen Anspruch durchzusetzen, - übrigens auch mit dem Machtpotential der Armee durch die napoleonischen Marschälle - dennoch hatte er begriffen, dass er nicht ohne eine sehr liberale Verfassung, die den Ergebnissen der Revolution und des Empire Rechnung trug regieren kann. Und dies ließ er mit der Charte umsetzen.
Natürlich war die weiße Kokarde ein Symbol, stimmig im Sinne des salisischen Anspruches. Aber was sind Symbole? Ich halte sie für überbewertet. Wichtig ist das, was gesetzlich garantiert ist. Und daher konnte sich das franz. Bürgertum und die Notabeln mit den Bourbonen abfinden, weil sie Ihnen verbürgte bürgerliche Rechte und den Frieden garantierte.

Meiner Meinung nach hat die Restauration in Frankreich einen unverdient schlechten Ruf:
Sie musste sowohl innenpolitischen als auch außenpolitischen Interessen genügen. Innenpolitisch fiel ihr eine für Friedenszeiten zu große Armee und auch die Wirtschaftspolitik des Empire auf die Füße. Logisch daher die Verkleinerung der Armee (Halbsold); fragwürdig sicher die gleichzeitige Einstellung von Royalisten ins Offizierscorps.
Man sollte annehmen, dass die lange Abschottung der franz. Industrie durch Schutzzölle oder die Kontinentalsperre dazu geführt hat, dass diese marktfähig sei und wirtschaftlich prosperierend gewesen wäre; mitnichten, der franz. Historiker Tulard attestiert durch diese Maßnahmen sogar Innovationsdefizite, so dass durch den Wegfall der Sperre zusätzliche Probleme hinzukamen.
Natürlich stelle ich nicht in Abrede, dass die Ultraroyalisten teilweise ein Klima der Angst (Rückgabe von Gütern etc.) erzeugten und ernsthaft die Rückkehr zum Ancien régime verkündeten.
Dennoch, Ludwig XVIII. stand für den Ausgleich, was zum Beispiel 1814 die ernannte Regierung aus Mitgliedern aller "Fraktionen" belegt.

Außenpolitisch mussten die Bourbonen garantieren, dass Frankreich die Revolution "besiegt" und ein international verläßlicher Partner ist.
Dies ist gelungen, wie der schnelle Waffenstillstand bereits im April 1814 und der Friedensvertrag vom 30. Mai 1814 belegen. Diese Tatsachen finden immer wieder zu wenig Beachtung. Kritisiert wird stets der Verlust der "natürlichen" Grenzen, unterschlagen wird, dass mit dem Waffenstillstand die Kriegsgefangenen nach Hause kamen und dass der Friedensvertrag maßvoll war, mit ihm gleichzeitig die Besetzung des Landes endete, also für die Franzosen echte Verbesserungen und das Ende der Ohnmacht nach dem Zusammenbruch des Empire. In Anbetracht der Kriege Napoleons keine selbstverständliche Angelegenheit.

Und dann meint Napoleon, das Schicksal sei ihm ungnädig.

Ergebnis:
Gebietseinbußen zum Frieden vom 30. Mai 1814
600 Millionen Kontributionen
Rückgabe der geraubten Gemälde/Kunstwerke
150000 Mann Besatzungstruppen auf 5 Jahre

Das kommt dabei heraus, wenn man nur an sich aber nicht an Frankreich denkt.

Grüße
excideuil
 
So einfach ist es nicht, es ist nur ein Teil des Erfolges seiner Rueckkehr.

Der Hinweis auf ein vorsichtige Interpration ist m.E. duchaus gerechtfertigt. Das postrevolutionäre Frankreich war durch die innen- und außenpolitische Ereignisse radikal verändert worden.

Die mobilisierten und politisierten Bürger Frankreichs akzeptierten, in Teilen, nicht mehr die tradierten Legitimationsmuster einer personengebundenen Herrschaft, abgesichert durch die Macht der katholischen Kirche, auch wenn Ludwig XVIII vermutlich als relativ aufgeschlossener Monarch bis 1824 regierte (im Gegensatz zu einem Nachfolger)

Das betraf in nicht unerheblichem Maße die politische Kultur des Landes und die Begründung von staatlichem Handeln (vgl. dazu Bukovansky)

Legitimacy and Power Politics: The American and French Revolutions in ... - Mlada Bukovansky - Google Books

Der innen- und außenpolitische Diskurs Frankreichs war durch die "Internationalisierung" der Ziele der Französischen Revolution stark geprägt. Die Universalisierung der Werte und Ziele der FR, in Kombination mit einem zunehmendem nationalen Pathos, begünstigte die Legitimation von Napoleon und seine imperialen Ambitionen.

Vor diesem Hintergrund ist es nicht lediglich das Charisma, auf das Dieter zu Recht hinwies, das die Bereitschaft erklären kann, warum sich die Grande Nation erneut, in Teilen, hinter Napoleon sammelt.

Sondern es ist auch die Projektion der Erwartung einer Fortführung der politischen Wertvorstellungen auf der Grundlage der FR auf Napoleon. Eine Kombination aus Werten der FR und nationalistischen, hegemonialen Ambitionen.

An diesem Ereignis der Rückkehr Napoleons kann man m.E. bereits die tiefe einsetzende gesellschaftliche Spaltung Frankreichs, als Reaktion auf die FR, bereits erkennen, die für Frankreich bis in die post WW2 Periode kennzeichnend werden sollte, die durch Karl X, ab 1824, zusätzlich verstärkt wurde.

Und in der Konsequen zu teilweise ausgesprochen gewalttätigen Konflikten zwischen den konservativen, teilweise royalitsichen, Strömungen im französischen politischen Spektrum und den linken Kräften andererseits führte.

Beispiele wären die brutale Niederschlagung der Pariser Commune 1871 (ca. 30.000 getötete französiche Communarden im Rahmen eines Bürgerkriegs durch französisches Militär) oder auch die Situation Frankreich in den 1930 er Jahren, die das Land erneut an den Rand eines Bürgerkriegs gebracht haben.
 
Der innen- und außenpolitische Diskurs Frankreichs war durch die "Internationalisierung" der Ziele der Französischen Revolution stark geprägt. Die Universalisierung der Werte und Ziele der FR, in Kombination mit einem zunehmendem nationalen Pathos, begünstigte die Legitimation von Napoleon und seine imperialen Ambitionen.
Wir sind uns sicher einig, dass dies für die Machtergreifung Bonapartes und die folgenden Jahre zutreffend ist. Aber für 1815?

Jean Tulard zeichnet in seinem Buch [1] bereits ab 1808 beginnend ein Bild der stetigen Abkehr von Napoleon: Unzufriedenheit in den Häfen, Wirtschaftskrisen, Mißernten, Wünsche zur Rückkehr der Monarchie auch in Kreisen des Bürgertums... Er schließt:
"So fand man im Jahre 1814 in einem Frankreich, das nach 22 Kriegsjahren erschöpft war, die beiden gegensätzlichen Blöcke wieder, die Priviligierten des Ancien régime und die großen und kleinen Gewinner der Revolution: kurz - die beiden Frankreich." [1/292]
Das bedeutet, dass es bereits Gräben vor der Entmachtung Napoleons gab.
Tulard geht auf die ab dem 1. April 1814 erfolgten Veränderungen ein: Aus der Erklärung Ludwig XVIII.:
"Das repräsentative Regierungssystem wird beibehalten werden, so wie es heute besteht, geteilt in zwei Körperschaften ... Die Steuer soll frei bewilligt werden, die öffentliche und individuelle Freiheit gesichert, die Pressefreiheit respektiert und die Freiheit der Religionsausübung garantiert werden. Besitz und Eigentum sollen unverletzlich und heilig sein; der Verkauf der Nationalgüter ist unwiderruflich. Die Richter bleiben unantastbar und die richterliche Gewalt unabhängig. Die Staatsschuld bleibt garantiert; die Pensionen, Ränge, militärische Ehren werden ebenso beibehalten wie der alte und der neue Adel. Die Ehrenlegion wird weitergeführt. Jeder Franzose soll Zugang zu den zivilen und militärischen Ämtern haben. Schließlich soll niemand wegen seiner Ansichten und Abstimmungen behelligt werden können." [1/ Seite 293]
Wenig später wurde dies in der Charte festgeschrieben.
Tulard: "Eine weise Position. Ludwig XVIII. lenkte zwar nicht ein bei seiner Legitimität aus göttlichem Recht, aber er berücksichtigte die inzwischen in Frankreich erfolgten Veränderungen. Dadurch wurde eine Versöhnung der beiden Frankreich möglich." [1/ Seite 293]
Das bedeutet, dass die Bourbonen in der Person des Königs den innerpolitischen Erfordernissen Rechnung trugen und dass mit der möglichen Versöhnung der gegensätzlichen Positionen auch dem universellen Anspruch der FR die Spitze hätte genommen werden können!

Tulard geht weiter auf die folgenden Maßnahmen/Ereignisse ein. Sein Fazit:
Die früheren Brumairianer hatten sich der Idee einer konstituitionellen Monarchie angenähert, während der König seinerseits die Errungenschaften der Revolution garantierte. Eine Versöhnung der beiden Frankreich bahnte sich an. Man konnte an das Ende der Unruhen glauben, an ein von neuem geeintes Land. Durch die Rückkehr Napoleons wurde jedoch alles wieder in Frage gestellt." [1/Seite 296]

Leider machten die Royalisten Fehler:
"Aufmerksam und klarsichtig entdeckte Napoleon rasch die Ursachen der Unzufriedenheit, die allein die Franzosen von der Monarchie lösen konnten. Noch arbeitete die Zeit nicht für ihn. Denn zwischen Frankreich und den Bourbonen gab es keine unlösbaren Fragen. Man musste also die Gelegenheit ergreifen, bevor sich eine Gewöhnung breitmachte." [1/Seite 301]
Tulard listet weitere - ausschließlich persönliche - Gründe auf:
"Lord Castlereagh und Talleyrand erwogen in Wien die Notwendikeit, den Kaiser durch eine Deportation auf die Azoren oder nach St. Helena noch weiter zu entfernen. Außerdem ...: die nicht erfolgte Auszahlung der zwei Millionen seiner Zivilliste durch Ludwig XVIII. und die Weigerung des Kaisers von Österreich, Marie Louise und ihrem Sohn die Reise nach Elba zu gestatten." [1/ Seite 301]
Von politischen Erfordernissen, gar von revolutionärer Tradition findet sich kein Wort.
Die mobilisierten und politisierten Bürger Frankreichs akzeptierten, in Teilen, nicht mehr die tradierten Legitimationsmuster einer personengebundenen Herrschaft, abgesichert durch die Macht der katholischen Kirche, auch wenn Ludwig XVIII vermutlich als relativ aufgeschlossener Monarch bis 1824 regierte (im Gegensatz zu einem Nachfolger)
Das sehe ich etwas anders:
Wie bekannt, kam Napoleon unbehelligt nach Paris. Dazu Kriegsminister Soult in einem Tagesbefehl:
"Soldaten! Dieser Mann, der vor kurzem vor den Augen Europas eine usurpierte Macht niederlegte, von der er einen so fatalen Gebrauch gebracht hatte, hat den franz. Boden betreten, den er nicht mehr wiedersehen sollte. Was will er? Den Bürgerkrieg." [1/ Seite 303]
In der Tat: "Der Bürgerkrieg brach in allen Gegenden aus, die Napoleon durchzog." [1/ Seite 303]

Betrachtet man seine Anhänger, die ihn nach Paris begleiteten, dann findet man Soldaten und Bauern, alles in allem kaum die Klientel, die man als politisiert oder im Sinne eines universellen Anspruchs der FR bezeichnen oder identifizieren kann. Die Bauern waren verunsichert durch die Forderungen der Royalisten, die Soldaten wohl eher im Sinne des Charismas Napoleons überedet.
Die Ablehnung Napoleons fand auf der Seite der Besitzenden und der Notabeln statt. Dazu Benjamin Constant am 11. März 1815:
"Auf der Seite des Königs ist die verfassungsmäßige Freiheit, die Sicherheit, der Friede; auf Seiten Napoleons stehen Knechtschaft, Anarchie und Krieg. Wir genießen unter Ludwig XVIII. ein repräsentatives Regierungssystem; wir regieren uns selbst. Unter Bonaparte würden wir ein Mameluckenregiment erleiden; allein sein Schwert würde uns regieren." [1/Seite 304]

Napoleon lehnte die Unterstützung der Strasse ab. Die Allierten erklärten ihm den Krieg. Der Rest ist bekannt. Erneute Abdankung.

Neben den in #52 von mir dargelegten Ergebnissen der 100 Tage wurde noch etwas deutlich:
"Dieses Mal schien die Versöhnung der beiden Frankreich trotz des Geschickes der beiden Minister (Talleyrand + Fouché) unmöglich. Die Rückkehr Napoleons hatte den irreparablen Bruch herbeigeführt. Für Ludwig XVIII. wurde es schwierig, die nach Rache dürstenden Ultras zurückzuhalten. Als der Präfekt des Departements Seine, Chabrol, im Juli den König bei seinem Einzug in Paris empfing, gebrauchte er die Formel: "Majestät, hundert Tage sind seit dem Augenblick verflossen, in dem E. M. eine Hauptstadt in Tränen verließ." Hundert Tage, die schwer auf den Fortgang der Eieignisse lasten sollten." [1/ Seite 311]

In der Tat. Jetzt wurde der weiße Terror entfacht, die politischen Gräben waren tiefer denn je. Und warum? Wegen der Selbstsucht eines Einzelnen.

Von St. Helena aus wurden diese Gräben dann noch einmal vertieft ...

Grüße
excideuil

[1] Tulard, Jean: Geschichte Frankreichs Band 4: Frankreich im Zeitalter der Revolutionen 1789-1851, DVA, Stuttgart, 1989
 
In der Bewertung der damaligen Vorgänge haben wir, so scheint es, eine konträre Position. Und bei der Formulierung "Leider machten die Royalisten Fehler", als ein Beispiel, frage ich mich, wie stark eigentlich noch die Distanz zu dem Gegenstand ist. Sofern denn eine objektivierende Distanz überhaupt gewünscht wird.

Es kann m.E. nicht unsere Aufgabe im Forum sein, einen historischen Gerichtshof zu bilden, bei dem die eine Seite die virtuelle Anklage gegen Napoleon vertritt und die andere dann zwangsläufig gezwungen ist, als virtueller Verteidiger von Napoleon auftreten zu müssen, sofern sie sich nicht der Position der "Anklage" anschließt.

Bei dieser Rollenverteilung spiele zumindest ich nicht als Verteidiger mit, aber hinterfrage auch den "Ankläger".

Und deswegen ist es notwendig, die Geschichte von einzelnen historischen Personen zu lösen, die bestenfalls die Entwicklung zu dem damaligen Zeitpunkt schlaglichtartig illustrieren. Eine Rekonstruktion der vielschichtigen politischen, ökonomischen, administrativen und sozialen Veränderungen durch die FR wird dieser Sichtweise gerechter und erklärt auch, warum Napoleon in Frankreich erneut eine Akzeptanz fand und überhaupt aus dem Exil zurück kehren konnte.

Eine ausführliche Argumentation kommt demnächst.

Ansonsten wird m.E. Turlard so zitiert, wie es seiner Position zu Napoleon insgesamt nicht entspricht, vgl. die differenzierte Position zu Napoleon bei Tulard in der "Zeit".

ZEIT Geschichte: War Napoleon ein Vorbild für Hitler? | Online | ZEIT ONLINE

Wesentlich wichtiger ist es, eine neutrale Rekonstruktion der damaligen Vorgänge vorzunehmen, unabhängig von royalistischen, bonapartistischen oder republikanischen Ambitionen.
 
Zuletzt bearbeitet:
Ein interessantes Interview. Vor allem wenn man die ansonsten sehr kritische Sichtweise Tulards zu Napoleon in seiner Biografie liest. Danke für den Link.
 
In der Bewertung der damaligen Vorgänge haben wir, so scheint es, eine konträre Position. Und bei der Formulierung "Leider machten die Royalisten Fehler", als ein Beispiel, frage ich mich, wie stark eigentlich noch die Distanz zu dem Gegenstand ist. Sofern denn eine objektivierende Distanz überhaupt gewünscht wird.

Es kann m.E. nicht unsere Aufgabe im Forum sein, einen historischen Gerichtshof zu bilden, bei dem die eine Seite die virtuelle Anklage gegen Napoleon vertritt und die andere dann zwangsläufig gezwungen ist, als virtueller Verteidiger von Napoleon auftreten zu müssen, sofern sie sich nicht der Position der "Anklage" anschließt.

Bei dieser Rollenverteilung spiele zumindest ich nicht als Verteidiger mit, aber hinterfrage auch den "Ankläger".

Und deswegen ist es notwendig, die Geschichte von einzelnen historischen Personen zu lösen, die bestenfalls die Entwicklung zu dem damaligen Zeitpunkt schlaglichtartig illustrieren. Eine Rekonstruktion der vielschichtigen politischen, ökonomischen, administrativen und sozialen Veränderungen durch die FR wird dieser Sichtweise gerechter und erklärt auch, warum Napoleon in Frankreich erneut eine Akzeptanz fand und überhaupt aus dem Exil zurück kehren konnte.

Eine ausführliche Argumentation kommt demnächst.

Ansonsten wird m.E. Turlard so zitiert, wie es seiner Position zu Napoleon insgesamt nicht entspricht, vgl. die differenzierte Position zu Napoleon bei Tulard in der "Zeit".

ZEIT Geschichte: War Napoleon ein Vorbild für Hitler? | Online | ZEIT ONLINE

Wesentlich wichtiger ist es, eine neutrale Rekonstruktion der damaligen Vorgänge vorzunehmen, unabhängig von royalistischen, bonapartistischen oder republikanischen Ambitionen.
Ich bin auch nur ein Mensch und damit auch bei der Betrachtung historischer Vorgänge Emotionen unterworfen. Wenn ich also die Formulierung "Leider machten die Bourbonen Fehler" verwende, dann ist das keine Sympathie-Bekundung für das franz. Königshaus, sondern Ausdruck des Bedauerns, weil mit diesen Fehlern auch die Rückkehr N. von Elba begründbar ist, diese dann in eine erneute Niederlage mündete, die dann für Frankreich richtig teuer und vllt. noch demütigender war als die von 1814:
"Die Vereinbahrungen vom 3. Juli 1815, die Paris den Alliierten auslieferte, sah vor, dass Behörden, Personen und Eigentum respektiert würden. In Wirklichkeit aber überfluteten 1236000 Soldaten Frankreich: 46 Departements wurden vollständig, 15 teilweise besetzt, also zwei Drittel des Landes. "Es schien", schrieb Pasquier in seinen Memoiren, "als ob ganz Europa danach dürstete, den franz. Boden mit Füßen zu treten..." [1/Seite 312]
Meine Sympathie gilt also Frankreich.

Ich verstehe mich auch nicht als "Ankläger". Anliegen des Threads ist es, die Gründe darzulegen, die N. bewogen haben, zurückzukehren. Unverständlich ist mir allerdings, warum mir eine Bewertung seiner m.E. egoistischer Gründe verwehrt bleiben soll. Keine Frage, ich bewerte ihn nicht nur nach seinen Siegen - also aus der Sicht von Ruhm und Ehre - sondern auch aus wirtschaftlicher und diplomatischer Sicht und natürlich auch für die Folgen für Frankreich.

Sicherlich wird dein folgender Beitrag wissenschaftlich belegen, warum N. aus den Wurzeln der Revolution etc. die Legitimation ziehen konnte, nach Frankreich zurückkehren zu können. Keine Frage und ich warte gespannt!

Noch zwei Worte zum Interview:
Sehr deutlich werden die tiefen Gräben, die N. noch heute in der franz. Gesellschaft verursacht ...
Tulards Sympathie für Napoleon ist wohl unübersehbar. Die Verwendung seiner neutralen "Geschichte Frankreichs" für meinen Beitrag daher wohl angemessen.

Grüße
excideuil

[1] Tulard, Jean: Geschichte Frankreichs Band 4: Frankreich im Zeitalter der Revolutionen 1789-1851, DVA, Stuttgart, 1989
 
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