Warum keine Neutralitätspolitik?

Und Preußen als "Übel", ich weiß nicht, ob man das so sagen kann.
Naja, aus sicht der Monarchen der Einzelstaaten schon, immerhin mussten sie Teile ihrer Rechte als Souveräne abtreten.

Auch wenn die Bevölkerung kaum Mitspracherechte hatte, konnte deren Stimmung nicht außer Acht gelassen werden. Und die war 1870 und darüberhinaus nun mal grundsätzlich (klein-)deutschnational, selbst in Baden, welches die Preußen tatsächlich als Übel 1849 erlebt hatte.
Das 1870 die Stimmung so war, ist richtig. Allerdings in der nationalen Hochstimmung 1870/1871 dürfte die katholische Mehrheit in Süddeutschland auch noch von der Vorstellung ausgegangen sein ungeachtet ihrer Religion als gleichwertige Teile der deutschen Nation auch akzeptiert zu werden.

Nur wie das beim emotionalen Überschwang einmal so ist, hin und wieder folgen dann Ernüchterung und Katerstimmung.

Ein Teil derer die 1870/1871 die Gründung des Reiches wollten und sich ausrechneten darin einen gleichberchtigten Platz zu haben bekamen dann als Lohn dafür den Kulturkampf und ihre gesellschaftliche Abwertung und als Begleitmusik dazu gab es dann ab 1873 mit dem Gründer-Crash noch eine wirtschaftliche Stagnationsphase, die auch vieles an die Zukunftserwartungen, die man 1870/1871 haben konnte enttäuscht haben dürfte.

Ich halte das für gar nicht so unwahrscheinlich, dass zumindest Teile der katholischen Bevölkerung in Süddeutschland, die 1870/1871 für die Reichseinigung waren 5 Jahre später nicht mehr so angetan davon waren und sich möglicherweise die Frage stellten, ob das klug war, oder man es vielleicht besser rückabwickeln sollte.
 
Mich würde mal interessieren, warum das Deutsche Reich, sprich Kaiserreich, nach seiner Gründung, keine aktive und anerkannte Neutralitätspolitik verfolgt hat bzw. verfolgen konnte?

Es wurde ja dem Reich vorgeworfen, dass man keine feste Bündnispolitik verfolgt hat! Oder besser gesagt, unter Wilhelm dem 2. kam es ja zu einer Politik, von der man behauptet, sie hätte zum 1. Weltkrieg geführt. Bismarck, hat zwar versucht, so etwas zu etablieren. Diese Politik endete aber mit seiner Entlassung. Und dennoch verstehe ich nicht, warum Deutschland nicht geschafft hat, was Schweden nach dem nordischen Krieg gelang.

Das Reich hatte ja an sich genug eigene Probleme! Auf fast allen Gebieten! Wirtschaftlich, sozial, und finanziell. Somit war Deutschland, an sich, keine Bedrohung. Weder, für Frankreich noch für England. Beide Nationen, hatten ja durchaus einen enormen Vorsprung, auf allen wichtigen Gebieten. Auch wenn, Deutschland es im Laufe des 19. Jahrhunderts geschafft hat, zu einem Konkurrenten zu werden!

Der Kaiser war ja nicht gänzlich von der Meinung des Volkes unabhängig. Ferner, gab es ja zu Anfang, einen starken Widerstand gegen jede Form von Kolonialismus. Schweden, hat es ja auch geschafft, ohne Kolonien auszukommen. Dem nordischen Land, scheint seine Neutralität ja nicht geschadet zu haben. Heute ist ja bewiesen, dass es keineswegs notwendig war, Kolonien zu besitzen. Die Probleme des Landes hätte man auch anders lösen können. Leider, haben sich die Befürworter des Kolonialismus durchgesetzt.
:(

Immerhin, begann man damit, in die Menschen zu investieren. Oder besser gesagt, in die Bildung der Menschen. Auch der Kaiser war ja sehr an der Wissenschaft, Technik interessiert. Neutralität oder wohlwollendes Desinteresse, sofern es ehrlich gemeint ist, kann ja von niemandem als Bedrohung empfunden werden. Die Schweiz hat ja damit gute Erfahrungen gemacht.

Um deine Frage sinnvoll zu beantworten, müsste man sich fragen, was eine eine aktive und anerkannte Neutralitätspolitik gewesen wäre. Wie sah die aus?

Dann scheinst du auch den Kolonialismus für die Quelle aller Probleme zu halten. Der Erste Weltkrieg ist aber nicht wegen Kolonialstreitigkeiten ausgebrochen, und es war in Deutschland auch keineswegs so, dass Kolonialerwerb besonders unpopulär gewesen wäre. Als Deutschland seine ersten Kolonien erwarb, da hat man von Hererokrieg und "Hottentotten-Aufstand noch nichts geahnt, von Kongo-Gräuel nichts wissen können. Bei der Erforschung Afrikas haben auch deutsche Wissenschaftler und Abenteurer wichtige Beiträge geleistet, und es gab da auch erfreulichere Persönlichkeiten als Carl "Hänge"-Peters von dem einige Zeitgenossen sagten, dass er "Eingeborene wie Affen abschoss". Gerhard Rohlfs aus Bremen hatte die Sahara und den Fezzan erforscht, bevor er einen Forschungsauftrag bekam, hatte er auf eigene Faust und eigene Rechnung die Sahara bereist als Arzt und Heilpraktiker, hatte sich als Kameltreiber verdingt. Heinrich Barth, Georg Schweinfurt, Gustav Nachtigall haben bei der Kartographierung Afrikas Pionierarbeit geleistet. Die vielleicht interessanteste Persönlichkeit aber war vielleicht Eduard Schnitzler alias Emin Pascha. Er stammte aus Schlesien und war zuerst vom Judentum zum Protestantismus, später zum Islam konvertiert. In osmanischen Diensten und bei den Khediven war er bis zum Pascha und Gouverneur der Provinz Äquatoria gebracht. Er trat später wieder in deutsche Dienste und kam 1890 im Kampf gegen arabische Sklavenhändler um. Eine Begründung für die Kolonialisierung war die Bekämpfung der Sklaverei, und trotz aller Auswüchse war diese Begründung keineswegs völlig verlogen und unbegründet. Forscher wie Mungo Parks oder David Livingstone hatten sich vor allem durch die Bekämpfung der Sklaverei zu ihren Reisen motivieren lassen, und Livingstone sah in der Kolonialisierung die einzige Möglichkeit, den ostafrikanischen Sklavenhandel zu beseitigen. Mit Ausnahme vielleicht der Sozialdemokraten gab es in Deutschland keine Partei, die Kolonien kritischer sah oder gar den Erwerb von Kolonien grundsätzlich ablehnte. Abgeordnete wie August Bebel kritisierten das Auftreten von Leuten wie Peters, sahen auch die Kosten kritisch, aber bis weit in die Sozialdemokratie gab es eine Akzeptanz für Kolonien, und "Kolonialwaren" erfreuten sich großer Beliebtheit, es gab Sammelobjekte mit Kolonialmotiven, es gab Vereine, und der Erwerb von Kolonien war in weiten Teilen der Bevölkerung überaus populär. Konrad Adenauer beispielsweise war noch in den 1920er Jahren ein Befürworter von Kolonien.

Die Entstehung eines einheitlichen Deutschen Reichs mit einer Bevölkerung von 60 Millionen war eine beachtliche Verschiebung des Gleichgewichts der Kräfte in Europa.

Schweden, die Schweiz, Belgien oder die Niederlande konnten, selbst wenn sie das gewollt hätten, ihre Nachbarn nicht bedrohen. Nach ihrer Bevölkerungszahl, ihrer Wirtschaftskraft hatten sie ganz einfach ein anderes Gewicht in der europäischen Politik. Frankreich hatte es zuvor mit mehr als 300 deutschen Ländern zu tun gehabt, nun hatte man es mit einem geeinten, starken Deutschland zu tun.

GB konnte die Reichsgründung gelassener sehen. Deutschland galt nicht als Bedrohung, und bis zum Flottenbau war das Image Deutschlands in GB ein recht positives.

Es war ja auch keineswegs so, dass das Deutsche Reich 1871-1914 keine Bündnispolitik betrieben hätte. Dass es unter Bismarcks Nachfolgern diese Politik nicht viel Erfolg hatte, heißt ja nicht, dass es keine gegeben hätte oder dass besser geklappt hätte, sich gar kein Bündnis anzuschließen und so zu tun, als sei Deutschland sich selbst genug.

Wie schon gesagt, könnte man die Politik der freien Hand als eine Art von Bündnisscheu interpretieren. Im Gegensatz zu seinen Nachfolgern war Bismarck die gefährdete Lage Deutschland bewusst, und er versuchte, diese durch Bündnisse zu sichern.

I. 1879-1918 Zweibund mit Österreich-Ungarn Defensivbündnis Beistand bei unprovoziertem Angriff einer 3. Macht, II.. Dreikaiserbündnis 1881-87 zwischen D, Ö-U und Russland Neutralitätsabkommen, bei unprovoziertem Angriff einer 4. Macht bleiben die anderen neutral, III. 1882 Dreibund zwischen D, Ö-U und Italien, Defensivbündnis, Beistand bei unprovoziertem Angriff einer vierten Macht, IV. 1883 Rumänien tritt dem Dreibund bei, Defensivbündnis, V. 1887 Rückversicherungsvertrag zwischen D und Russland, Neutralitätsabkommen bei unprovoziertem Angriff, geheime Unterstützung russischer Interessen auf dem Balkan und VI. Mittelmeerabkommen zwischen GB, D, F, I und Ö-U Sicherung des Bestands des Osmanischen Reichs. Mit diesem Bündnissystem gelang es Bismarck, das Reich zu sichern und Frankreich zu isolieren.


Bismarcks Nachfolger, vor allem Bülow und Holstein beurteilten die politische Lage Deutschlands viel zu rosig. Sie gingen davon aus, dass es zwischen GB und Russland zu viele Konfliktpunkte gab, als dass sie zusammenkommen können, dass D zuviel Gewicht hatte, um übergangen zu werden und dass D mit einer Politik der freien Hand aus einer Vermittlerrolle zwischen den Großmächten am meisten profitieren würde. Vor allem ließ Holstein den Rückversicherungsvertrag platzen. Noch im 2. Burenkrieg und während des Boxeraufstands war auch ein Bündnis mit GB noch im Bereich des Möglichen gewesen. Bülow und Holstein hatten aber die Sorge, vor den Karren der britischen Politik gespannt zu werden , und wollten den Vorteil der freien Hand nicht aufgeben, glaubten, dass diese Politik in den kommenden Jahren reiche Erträgnisse abwerfen würde, und glaubten, nur warten zu müssen, bis die Briten mit noch besseren Vorschlägen kämen. In der Annahme, dass GB angesichts der Schwierigkeiten mit RU gar nicht anders könne, als mit einem besser dotierten Bündnis an D heranzutreten, antwortete die Wilhelmstraße ein britisch-deutsches Defensivbündnis sei zu wenig und GB sollte formell dem Dreibund beitreten, und lehnte kurz darauf auch ein russisches Bündnisangebot ab.

Noch im März 1902 fand Holstein, soweit man gegenwärtig sehen könnte, gäbe es keinen Grund, die Politik der freien Hand aufzugeben. Diese Einstellung erwies sich als verhängnisvoll. Erst durch die Entente Cordiale wurde man aus dieser Selbstzufriedenheit aufgeschreckt.
 
Naja, aus sicht der Monarchen der Einzelstaaten schon, immerhin mussten sie Teile ihrer Rechte als Souveräne abtreten.
Aus Sicht des Großherzogs von Baden, dem Schwiegersohn Wilhelm I., den er in Versailles zum deutschen Kaiser ausrief?

König Karl von Württemberg, dem angeheirateten Neffen des Kaisers?

Im Großherzogtum Hessen-Darmstadt war der Thronfolger Neffe des preußischen Kronprinzen.

Selbst des Kinis Mutter war eine Prinzessin von Preußen.

Die beiden Königreiche erhielten ja noch etliche Sonderrechte, die dem 4. Königreich im Reich, Sachsen, verwehrt blieben.

Um die Monarchen brauchte man sich keine Sorgen machen, sie blieben was sie waren, verheirateten ihre Kinder, winkten dem Volk zu.
 
Bismarcks Nachfolger, vor allem Bülow und Holstein beurteilten die politische Lage Deutschlands viel zu rosig. Sie gingen davon aus, dass es zwischen GB und Russland zu viele Konfliktpunkte gab, als dass sie zusammenkommen können, dass D zuviel Gewicht hatte, um übergangen zu werden und dass D mit einer Politik der freien Hand aus einer Vermittlerrolle zwischen den Großmächten am meisten profitieren würde. Vor allem ließ Holstein den Rückversicherungsvertrag platzen.
Holstein kommt mir in der Beurteilung etwas zu negativ weg, weil die Vorstellung, dass Großbritannien und Russland zu einer Einigung kommen könnten, mindestens in den 1890er Jahren tatsächlich eher abwegig war.

Beim Rückversicherungsvertrag ist wie gesagt ohnehin fraglich, ob der wegen der Balkan-Klausel mittelfristig überhaupt eine Prspektive gehabt hätte, immerhin verpflichtete diese beide Vertragsparteien auf den Status Quo und damit auf den Erhalt des Osmanischen Reiches auf dem Balkan.

Damit konnte man von deutscher Seite gut leben, dass wäre in Russland aber bei der zunehmenden Popularität der slawophilen und panslawischen Ideenwelt und Strömungen sehr wahrscheinlich selbst dann massiv unter Beschuss gekommen, wenn es den russisch-japanischen Krieg und seine Folgen nicht gegeben hätte.
Die zarische Autokratie konnte sicherlich noch mehr ohne die Zustimmung der öffentlichen oder gar gegen diese machen, als das in den meisten anderen europäischen Staaten der Fall war, aber komplett gegen die Interssen der Öffentlichkeit zu handeln wurde auch immer schwerer.

Die Selbstverpflichtung für die deutsche Neutralität jeder Machtexpansion am Balkan und die Unterstützung der "slawisch-orthodoxen Befreiungbewegungen", bzw. Nationalbewegungen der Südslawischen Staaten und ihrer Expansionsbestrebungen, zu entsagen war strategisch sicherlich klug (so lange man anderswo expandieren konnte), aber sicher nicht populär.
Nach 1905, nachdem Ostasien als Expansionsfeld verbaut war, wäre es weder strategisch klug noch populär gewesen.

Letztendlich hatte im politischen System des Kaiserreichs in Sachen Außenpolitik ohnehin der Reichskanzler das letzte Wort, nicht die Beamten des Auswärtigen Amtes.

Und die jeweiligen Kanzler scheinen Holsteins Ideen nur zum Teil aufgegriffen zu haben, insofern in Holsteins Denken wohl auch die Idee eines Präventivkrieges gegen Russland zeitweise eine Rolle spielte.
Insofern würde ein Fragezeichen an die Beurteilung Holsteins als "bösen/verderblichen Geist" der der deutschen Außenpolitik machen, weil unklar ist, wie es gelaufen wäre, wären seine Ideen tatsächlich im großen und ganzen umgesetzt worden, staat nur einen Teil des Konzepts zu adaptieren.

Da sehe ich die Verantwortung wirklich eher bei den Reichskanzlern im Besonderen bei Bülow, bei denen die letztendliche Entscheidungsbefugnis lag.



Die beiden Königreiche erhielten ja noch etliche Sonderrechte, die dem 4. Königreich im Reich, Sachsen, verwehrt blieben.
Mag sein, aber ihre Möglichkeit eine eigene Außenpolitik zu betreiben, war futsch, die Möglichkeit über Krieg und Friend noch mit zu entscheiden arg eingeschränkt, etc. etc.

Ob das die einzelnen Monarchen wurmte hängt sicherlich davon ab (und so genau kenne ich die Persönlichkeiten nicht), wie sie ihre eigene Regierungsbefugnisse und ihre Rolle verstanden.
Für Monarchen, die sich mit der konstitutionellen Rolle ganz gut abfinden konnten, wird das eher kein Problem gewesen sein. Für Monarchen mit dem Anspruch selbst eine gestaltende Rolle einzunehmen (da hätte ich vor allem "Bayern-Kini" auf dem Zettel) dürfte das, Verwandtschaft mit dem preußischen Königshaus hin oder her nicht ganz einfach zu schlucken gewesen sein.
 
Mag sein, aber ihre Möglichkeit eine eigene Außenpolitik zu betreiben, war futsch, die Möglichkeit über Krieg und Friend noch mit zu entscheiden arg eingeschränkt, etc. etc.

Ob das die einzelnen Monarchen wurmte hängt sicherlich davon ab (und so genau kenne ich die Persönlichkeiten nicht), wie sie ihre eigene Regierungsbefugnisse und ihre Rolle verstanden.
Für Monarchen, die sich mit der konstitutionellen Rolle ganz gut abfinden konnten, wird das eher kein Problem gewesen sein. Für Monarchen mit dem Anspruch selbst eine gestaltende Rolle einzunehmen (da hätte ich vor allem "Bayern-Kini" auf dem Zettel) dürfte das, Verwandtschaft mit dem preußischen Königshaus hin oder her nicht ganz einfach zu schlucken gewesen sein.
Im europäischen Konzert spielten die süddeutschen Monarchien doch seit dem Wiener Kongress keine außenpolitische Rolle mehr. Und wirtschaftspolitisch, sofern man davon sprechen kann, hingen siel als Zollvereinsmitglieder sowieso an Preußen.

Welche außenpolitischen Rollen hätten sie auch spielen sollen? Einen "Süddeutschen Bund" gründen, mit dem rückständigen Agrarstaat Bayern an der Spitze? Welcher süddeutsche Bismarck hätte das zustandegebracht? Oder als Pufferstaaten wie Belgien oder zu große Luxemburgs?

Die einzige Außen"politik", zu der diese Kleinstaatenfürsten in der Lage waren, bestand, wie ich schon kurz erwähnt hatte, sich "nach oben" zu verheiraten, also England, Russland, Österreich oder eben Preußen.

Ja, Ludwig II. musste erstmal kräftig bestochen werden, um sein OK zum Deutschen Reich zu geben, aber seine "gestaltende" Rolle sah er wohl eher im künstlerischen als im politischen Bereich.

Letztendlich war der Beitritt der süddeutschen Länder "alternativlos", um die erste Nachfolgerin Bismarcks zu zitieren.
 
Im europäischen Konzert spielten die süddeutschen Monarchien doch seit dem Wiener Kongress keine außenpolitische Rolle mehr. Und wirtschaftspolitisch, sofern man davon sprechen kann, hingen siel als Zollvereinsmitglieder sowieso an Preußen.
Naja, der Zollverein hatte allerdings den Vorteil, dass man den, wenn man der Meinung gewesen wäre dass er den eigenen Interessen nicht mehr entspräche, wieder hätte kündigen können.
Imerhin verlegte diese Zollunion natürlich die Möglichkeit das Anschieben einer eigenen, stärkeren Industrialisierung zweitweise durch ein protektionistisches Zollregime zu unterstützen.
Auch hatte der anders als das Reich natürlich keine Gesetzgebungskompetenz bzw. keine Kompetenzen, die über Fragen des Handeslrechts und Handesverkehrs hinausgingen, die den Spielraum der Regierungen der Einzelstatten qua Bundesrecht eingeschränkt hätten.

Natürlich spielten die süddeutschen Monarchen im Europäischen Konzert der Großmächte allenfalls eine Nebenrolle. Auf der anderen Seite war die Welt des Europäischen Hochadels aber auch eine in der Statusfragen eine sehr hohe Bedeutung hatten.
Es gab ja durchaus eine relativ klare Trennlinie, im Status zwischen altem, aber mediatisiertem Hochadel und Angehörigen regierender adliger Dynastien.
Nun konnte man sich natürlich aus Statusgründen durchaus Sorgen darüber machen, gegenüben anderen kleineren Monarchien, wie den Niederlanden, Belgien, Dänemark, Portugal etc. dadurch ins Hintertreffen zu geraten, eben nicht mehr vollwertige Souveräne dergestalt zu sein, dass sie de facto unabhängige Königreiche oder Fürstentümer regierten.

Welche außenpolitischen Rollen hätten sie auch spielen sollen? Einen "Süddeutschen Bund" gründen, mit dem rückständigen Agrarstaat Bayern an der Spitze? Welcher süddeutsche Bismarck hätte das zustandegebracht? Oder als Pufferstaaten wie Belgien oder zu große Luxemburgs?
Nun, wenn man es so betrachtet hätten und es eh egal gewesen wäre, dann hätte man sich auch gleich 1867 dem Norddeutschen Bund anschließen können? Warum tat man das nicht?
Offensichtlich war man damals mit der Rolle eines unabhängigen Kleinstaates noch durchaus einverstanden.

Die Vorstellung, dass sich da mittelfristig auch ein südlicher Bund hätte bilden können, wäre die Reichseinigung nicht zustande gekommen halte ich durchaus nicht für abwegig.

Die einzige Außen"politik", zu der diese Kleinstaatenfürsten in der Lage waren, bestand, wie ich schon kurz erwähnt hatte, sich "nach oben" zu verheiraten, also England, Russland, Österreich oder eben Preußen.
Ob eine kleine bis mittelgroße Macht die Möglichkeit hat im Spiel der größren Mächte in Wort mitzureden hängt davon ab, ob sie strategisch interessant genug ist, für die größeren Mächte bündnisfähig zu sein. Das kann man sowohl aus der Geschichte der Süddeutschen Staaten, als auch Preußens durchaus lernen (Spanischer Erbefolgekrieg, Österreichischer Erbfolgekrieg, Nopoléonik).
Die Süddeutschen Staaten verdankten die Hälfte ihrer Territorien und ihren Rang als Königreiche und Großherzogtümer dem Umstand, dass sie strategisch bedeutsam und interessant genug waren, dass sich sowohl Napoléon, als auch später die antinapoléonische Koalition für sie interessierte und sich um sie bemühte.

Wäre der Norddeutsche Bund ein auf den Raum nördlich des Mains reduzierter Akteur geblieben (oder wieder auf diese Größe zurechtgestutzt worden) hätten sich die Machtpotentiale dieses nördlichen Deutschlands und Frankreichs möglicherweise wesentlich länger die Wage gehalten (evt. wäre mit Österreich-Ungarn auch noch ein dritter Großakteur wieder hinzugestoßen).
Wäre das eingetreten hätten die Süddeutschen Staaten in Konflikten zwischen diesen Mächten das Zünglein an der Waage sein können. im Besonderen, wenn sie bereit gewesen wären ihre Streitkräfte deutlich aufzurüsten um ihr strategisches Gewicht in der Region zu erhöhen.

Letztendlich war der Beitritt der süddeutschen Länder "alternativlos", um die erste Nachfolgerin Bismarcks zu zitieren.
Wenn er alternativlos gewesen wäre, und das die einheillige Meinung gewesen wäre, hätte man bereits 1867 sehr ernsthaft darüber verhandelt und das zeitnah vollzogen.

Warum sollte er alternativlos gewesen sein? Du hast oben leicht verächtlich über eine Rolle als Kein- oder Pufferstaaten gesprochen, dabei aber übergangen, das offenbar diverse Gesellschaften/Kleinstaaten damit ganz gut leben konnten und können.
Luxemburg und seine Bewohner haben z.B. aus dem Ende des Deutschen Bundes nicht die Konsequenz gezogen, der Meinung zu sein, sich einem der drei größeren Nachbarstaaten anschließen zu müssen.
Warum hätte das auf Dauer etwa für Bayern oder Würtemberg so abwegig sein sollen?

1870/1871 war als Nebenerscheinung des Krieges und der Siegeseuphorie in der Bevölkerung der Wunsch zur Vereinigung dar. Aber bedeutet das, dass dieser Zustand automatisch angehalten hätte, wäre die Vereinigung nicht zustande gekommen?
Oder bedeutet das automatisch, dass ein paar Jahre später, als sich zeigte, dass das mit der Vereinigung für viele nicht so lief, wie sie sich das vorgestellt hatten, die Idee das rückabzuwickeln unvorstellbar/undenkbar gewesen wäre?

ich meine nein.
 
Zuletzt bearbeitet:
Dieses Reich war auf Kosten Dänemarks, Österreich-Ungarns und Frankreichs gegründet worden.
Dänemark war vielleicht klein genug, dass man es nicht fürchten musste. Aber Österreich hatte seinen gesamten traditionellen Einfluss in Süddeutschland verloren und Frankreich Elsass-Lothringen.

Hätte sich Berlin nicht einige Zeit nach der Reichsgründung um Verbündete bemüht, hätte es mittelfristig eine Koalition der beiden Verlierer von 1866/1867 und 1870/1871 und einen Revanchekrieg geradezu herausgefordert.
Sowohl Frankreich als auch Österreich-Ungarn hätten sicherlich gern das Ergebnis minndestens von 1870/1871 rückabgewickelt.

Eine Koalition von Ö-U mit Frankreich, mit der 3. Republik ausgerechnet unter Kaiser Franz Joseph das fällt zumindest mir sehr schwer, mir vorzustellen, die Beziehungen der Habsburger Monarchie mit Frankreich waren ja nun auch alles andere, als unbelastet, noch 1859 war man in Italien heftig aneinandergeraten.

Ein Bündnis der Donaumonarchie mit der Französischen 3. Republik wäre ein ziemlich radikaler Bruch der traditionellen Linie der österreichischen Außenpolitik und Bündnispolitik eine völlige Neuausrichtung mit einem nicht unproblematischen Bundesgenossen, mit dem die Beziehungen keineswegs sich sehr harmonisch gestaltete.

Bei der Mentalität und politischen Einstellung von Kaiser Franz Joseph I. ist eine solche völlige Kehrtwende in der Bündnispolitik doch gerade unter ihm nur sehr schwer vorstellbar.

Das die Reichsgründung mit sehr gemischten Gefühlen in Wien und Paris aufgenommen wurde, halte ich für wahrscheinlich, nicht unwahrscheinlich auch der Wunsch, nach Rückabwicklung.

Nach der Reichsgründung 1871 war die Einigung des Reiches aber nun einmal eine Tatsache, Der Dualismus Preußen-Österreich war endgültig entschieden. Österreich F hatten den kürzeren gezogen, als sie es nur mit Preußen zu tun hatten.
Im Siebenjährigen Krieg wäre im Fall einer Niederlage es möglich gewesen, dass die Sieger Preußen wieder auf eine Mittelmacht zurück stutzten, und 1806/07 wäre Preußen beinahe von der Karte verschwunden wie es Kurhessen 1806 und 1866 geschah.

Das nun geeinigte Reich war aber ein anderes Kaliber als Preußen, und Ö-U und Frankreich zu schwach, als dass sie in der Lage gewesen wären, einen (siegreichen) Revanchekrieg gegen das nun geeinte Deutsche Reich zu führen und den Status quo ante wiederherzustellen, abgesehen davon, dass bei der Persönlichkeit von Franz Joseph ein Bündnis mit der Französischen Republik eher unwahrscheinlich war.
 
So viel zu entgegnen, Shinigami:

Zollverein, den hatte man ja schon ein paar Jahrzehnte vorher gegründet und kannte die Vorteile, die er bot. Um 1866 eine eigenständige Industrie aufzubauen, brauchte es zu der Zeit vor allem Eisenerz und Kohle, die es in Süddeutschland quasi nicht gab (das Saargebiet war preußisch).

Im 18. Jhdt. waren die kleinen Fürstentümer vor allem eins, Schlachtfelder der Großmächte, gerade Frankreich tat sich da hervor. Aber mit ihren paar Männeken keine wertvollen Verbündeten (Bayern vielleicht gerade so).

Der Rheinbund veränderte die Situation etwas, weil a) Napoleons Frankreich übermächtig war, b) Habsburg-Österreich Gebietsverluste zu erleiden hatte (Vorderösterreich, Tirol, italienische Besitzungen) und c) Preußen auf ein mittlere Macht heruntergestuft wurde. Aber nach 1815 war Preußen größer und "deutscher" wiederhergestellt worden.

Dänemark, die Niederlande und Portugal waren immer souveräne Staaten gewesen (Belgien in der kurzen Zeit ab 1830 auch). Die süddeutschen Monarchien waren hingegen immer Teil eines größeren Gebildes, HRR, Rheinbund, Deutscher Bund. So souverän wie die 4 vorgenannten Staaten waren sie nur zwischen 1866 und 1870.

Dänemark, die Niederlande und Portugal waren schon 1866 Kolonialmächte, alle hatten Seehäfen. Belgien war das, was die Süddeutschen zu vermeiden suchten, ein Pufferstaat.

Der Süddeutsche Bund war tatsächlich ein Vorschlag Bismarcks, aber keiner der drei anderen Staaten wollte mit den Bayern zusammengehen.

Welche ernstzunehmende Armee sollte ein Süddeutscher Bund aufbauen, mit 10 Millionen Einwohnern, ohne eigene Rüstungsindustrie, eingekreist von 3 Großmächten? Wäre es so neutral wie Belgien gewesen oder gar Partei für die Franzosen ergriffen haben???

Es gab Bestrebungen, dem Norddeutschen Bund beizutreten, vor allem in Baden (als dem gefährdetsten Staat). Bismarck wollte das (noch) nicht, auch weil Preußen noch genug damit zu tun hatte, die annektierten Länder zu integrieren.

Luxemburg hatte keine Wahl, sich irgendjemandem nach 1866 anzuschließen. Schon mal was von der Luxemburgkrise 1867 gehört? Die Luxemburger Neutralität und das Schleifen der Bundesfestung waren das Ergebnis davon. Hinzu kommt, dass der niederländische König bis 1890 auch Großherzog von Luxemburg war, die staatsrechtliche Situation nicht mit Baden oder Hessen vergleichbar war. Es blieb bis 1919 auch Mitglied im Deutschen Zollverein.

Und zuguterletzt, was ist im Deutschen Reich nach 1871 "schiefgelaufen"? Gut, eine kurzfristige wirtschaftliche Krise 1873, der Kulturkampf, der sich hauptsächlich in Preußen abspielte, die Sozialistengesetze (die es in Süddeutschland nicht gegeben hätte??).

Aber alles in allem war die Reichsgründung bis 1914 eine unglaubliche Erfolgsgeschichte. Vom Nachzügler zur führenden Macht in Europa, militärisch und wirtschaftlich, die Einführung der Sozialversicherungen, Kolonien (wenn auch nur die "Restposten"), die besten und modernsten Universitäten etc..vDas Deutsche Reich war, so erstaunlich das heute klingen mag, in vielerlei Hinsicht ein Modellstaat, an dem sich andere Länder orientierten (oder es neidisch betrachteten).

Warum sollten also ausgerechnet die süddeutschen "Brüder und Schwestern" sich nicht hingezogen fühlen? Ich meine ebenfalls nein.
 
Eine Koalition von Ö-U mit Frankreich, mit der 3. Republik ausgerechnet unter Kaiser Franz Joseph das fällt zumindest mir sehr schwer, mir vorzustellen, die Beziehungen der Habsburger Monarchie mit Frankreich waren ja nun auch alles andere, als unbelastet, noch 1859 war man in Italien heftig aneinandergeraten.

Ein Bündnis der Donaumonarchie mit der Französischen 3. Republik wäre ein ziemlich radikaler Bruch der traditionellen Linie der österreichischen Außenpolitik und Bündnispolitik eine völlige Neuausrichtung mit einem nicht unproblematischen Bundesgenossen, mit dem die Beziehungen keineswegs sich sehr harmonisch gestaltete.
Ein gewisses Maß an Wiederannäherung ergab sich ja bereits durch das französische México-Abenteuer und den Versuch der Installation Maximilians v. Habsburg als dortigem Kaiser.

Außerdem stellte Italien als Faktor in gewissem Maße für beide Seiten ein Problem dar. Für Österreich-Ungarn wegen der verbliebenen italienischsprachigen Minderheiten /Territorien der Monarchie, für Frankreich wegen der Kirchenstaat-Problematik (das Einkassieren des verbliebenen Kirchenstaats durch das Königreich Italien konnten auch selbst die progressiven Teile Frankreichs, die nichts mit dem ostentativen Katholizisus der Konservativenn zu tun hatten, als Herausforderung betrachten, da hier immernoch Frankreich als Schutzmacht dieses Staates und damit als imperialer Akkteur düppiert worden war).
Und zum anderen, vor alle ab den 1880er Jahren, wegen der zunehmenden Rivalitäten zwischen Italien und Frankreich um Einfluss in Tunesien, in geringerem Maße sicherlich auch wegen Korsika.

Natürlich wäre ein französisch-österreichisches Bündnis ein Bruch mit der traditionellen Linie der Östrreichiche Außenpolitik gewesen.
Aber das waren die historischen Bündnisse mit dem vorherigen Dauerrivalen Preußen, in Gestalt des von Preußen dominierten neuen deutschen Reichs und Italien, gegen das Österreich-Ungarn Seit Franz-Josephs Regierungsantritt zwei Kriege geführt hatte auch.

Man könnte hier argumentieren, dass durch die Veränderung der europäischen Staatenordnung die kontinentalen Akteure ohnedies gezwungen waren die traditionellen Tendenzen ihrer Außenpolitik in weiten Teilen abzulegen.


Bei der Mentalität und politischen Einstellung von Kaiser Franz Joseph I. ist eine solche völlige Kehrtwende in der Bündnispolitik doch gerade unter ihm nur sehr schwer vorstellbar.
Aber letztendlich hat er doch realiter eine sehr ähnliche außenpolitische Wendung vollzogen.

Er fängt als Kaiser von Österreich mal als Alliierter und bevorzugter Partner Russlands an und als Widersacher Preußens und Sardinien-Piemonts gegen die und deren Bestrebungen den deutschsprachigen, bzw. italienischsprachigen Raum unter ihrer Führung zu einigen (oder zumindest ihren Anteil daran auf Kosten Österreichs zu vergrößern), und Endet als mehr oder weniger als Verbündeter Deutschlands und Italiens mit denen er sich inzwischen arrangiert hatte und als Dauerrivale Russlands.

Insofern hatte er sich eigentlich, innerhalb von 3-4 Jahrzehnten außenpolitisch komplett um 180° herumgedreht. Sicherlich mehr unter dem Druck der Ereignisse, als aus seinen eigenen Wünschen heraus, aber letztendlich verwundert mich die Zuschreibung mangelnder außenpolitischer Flexibilität hier doch etwas.

Nach der Reichsgründung 1871 war die Einigung des Reiches aber nun einmal eine Tatsache, Der Dualismus Preußen-Österreich war endgültig entschieden.
Naja, zu einem Dualismus in Gesamtdeutschland oder gar einer österreichischen Vorherrschaft in gesamtdeutschland gab es sicherlich keinen Weg zurück mehr.
Das weite Teile Norddeutschlands sich mit der Vorstellung der preußischen Vormacht arrangieret hatte, hatte letztendlich schon die Episoder der "Erfurter Union" gezeigt und von dem her wäre der Versuch Preußen nördlich des Mains wieder zu reduzieren, ohne gleichzeitig das Thema Polen anzupacken, wahrscheinlich realistisch eher nicht machbar gewesen.

Aber die Reichseinigung selbst war so lange nicht völlig zementiert, wie noch erhebliche Teile der Bevölkerung das gannze skeptisch sahen und das zu tun, lieferter die Kulturkampf-Politik ja einige Gründe.
Nachdem, der späte Bismarck gezwungen war, das teilweise zu revidieren und auf die Zentrumspartei zuzugehen und spätestens nachdem Bismarck als potentielle Reizfigur von der politischen Bühne verschwand, dürften sich die entsprechenden Sentiments in Süddeutschland allmählich verflüchtigt haben.
Und wahrscheinlich war das Kaiserreich irgendwann im Verlauf der 1890er, spätestens aber zur Jahrhundertwende so weit zusammengewachsen, dass eine Rückabwicklung keine ernsthaften Chancen gehabt hätte.
Aber in den 1870er und 1880er Jahren, sah das möglicherweise noch etwas anders aus.


Und zuguterletzt, was ist im Deutschen Reich nach 1871 "schiefgelaufen"? Gut, eine kurzfristige wirtschaftliche Krise 1873, der Kulturkampf, der sich hauptsächlich in Preußen abspielte, die Sozialistengesetze (die es in Süddeutschland nicht gegeben hätte??).
Naja, so ganz kurzfristig war das mit der Krise ja nicht, wenn man bedenkt, dass die zwar für die meisten nicht existenzbedrohend war, die wirtschaftliche Entwicklung Deutschlands aber bis in die 1890er Jahre hinin eher stagnierte, bevor es dann mit der folgenden Boom-Phase anfing richtig erfolgreich zu werden.
Ich denke man darf nicht übersehen, dass bei der Reichsgründung auch viel an optimistischen Zukunftserwartungen im Spiel war und auf der wirtschaftlichen Ebene dauerte es eine ganze Zeit, bis das eingelöst werden konnte.

Es ist richtig, dass der Kulturkampf sich zum größten Teil in Preußen abspielte. Nur zum einen, würde ich durchaus davon ausgehen, dass es im katholischen Süddeutschland zum einen so etwas wie ein Solidaritätsgefühl für die Katholiken, im Besonderen in Rheinpreußen gab, zum anderen konnte man ja durchaus befürchten, dass Preußen nur die Blaupause für das sein könnte, was möglicherweise im gesamten Reich folgen könnte.

Theoretisch verbot die Reichsverfassung solche Eingriffe in die Belange der Einzelstaaten zwar, andererseits, hatte Bismarck in seiner politischen Karriere im Streit um die Heeresverfassung auch die preußische Verfassung gebrochen und sich über andere Verträge Preußens mit den anderen Deutschen Staaten (Bundesakte) hinweggesetzt, als er sich mächtig genug dazu fühlte.
War einem solchn Mann nicht zuzutrauen, dass er das möglicherweise bei Gelegenheit wieder versuchen würde?

Das nun geeinigte Reich war aber ein anderes Kaliber als Preußen, und Ö-U und Frankreich zu schwach, als dass sie in der Lage gewesen wären, einen (siegreichen) Revanchekrieg gegen das nun geeinte Deutsche Reich zu führen und den Status quo ante wiederherzustellen
Das bezweifle ich.

abgesehen davon, dass bei der Persönlichkeit von Franz Joseph ein Bündnis mit der Französischen Republik eher unwahrscheinlich war.
Im Kern nicht unwahrscheinlicher als ein Bündnis der französischen Republik mit der reaktionärsten Macht Europas in Form des russischen Zarentums.
 
Zollverein, den hatte man ja schon ein paar Jahrzehnte vorher gegründet und kannte die Vorteile, die er bot. Um 1866 eine eigenständige Industrie aufzubauen, brauchte es zu der Zeit vor allem Eisenerz und Kohle, die es in Süddeutschland quasi nicht gab (das Saargebiet war preußisch).

Eine große Montanindustrie ließ sich in Süddeutschland sicherlich nicht so ohne weiteres aus dem Boden stampfen, aber man konnte Mitte des 19. Jahrhunderts ja durchaus schon beobachten, dass sich neben der alten Txtil- und Montanindustrie allmählich auch eine chemische Industrie herauszubilden begann, die z.T. etwas andere Vorraussetzungen hatte unter denen sie zu funktionieren begann. Für die Elektrotechnik war es sicherlich noch zu früh.

Im 18. Jhdt. waren die kleinen Fürstentümer vor allem eins, Schlachtfelder der Großmächte, gerade Frankreich tat sich da hervor. Aber mit ihren paar Männeken keine wertvollen Verbündeten (Bayern vielleicht gerade so).
Genügend von den Mittelstaaten konnten durchaus ein beachtlichs militärisches Hilfspotential darstellen.

Man beachte etwa den Umstand, dass mehr als die Hälfte von Wellingtons Armee bei Waterloo aus Truppen aus den (erweiterten) Niederlanden und den deutschen Kleinstaaten bestand.

In Feldzügen auf der Iberischen Halbinsel hatten auch Truppen aus den Kleinstaaten und portugisische Truppen unter britischem Kommando durchaus eine nicht unwichtige Rolle gespielt.

Von den Kleinstaaten waren sicherlich keine militärischen Wunderdinge zu erwarten. Aber in Kriegen und Auseinandersetzungen bei denen die Kontrahenten, was die Ressourcen betrifft einigrmaßen gleich auf waren (und das wäre Frankreich und nördliches Deutschland ohne die Gebiete südlich des Main gewesen) konnten sie zweifellos durchaus Gewicht haben.

Der Rheinbund veränderte die Situation etwas, weil a) Napoleons Frankreich übermächtig war, b) Habsburg-Österreich Gebietsverluste zu erleiden hatte (Vorderösterreich, Tirol, italienische Besitzungen) und c) Preußen auf ein mittlere Macht heruntergestuft wurde. Aber nach 1815 war Preußen größer und "deutscher" wiederhergestellt worden.
Auch vor dem Rheinbund hatten die mittelgroßen Staaten mitunter durchaus ein gewisses Gewicht.

Ich denke, das beste Beispiel dafür ist Preußen selbst, dass vor dem Österreichischen Erbfolgekrieg nicht viel mehr als eine mittlere Macht darstellte und zudem (bescheidene Bodenqualitäten) wirtschaftlich nicht besonders wolhabend war.

Aber es war dadurch, dass man sich eine verhältnismäßig große, professionalisierte Armee leistete für Frankreich und Großbritannien zu einem interessanten potentiellen Partner geworden, mit einem entsprechnen strategischen Gewicht.


Dem Beispiel hätte man jedenfalls in Bayern durchaus folgen können.

Welche ernstzunehmende Armee sollte ein Süddeutscher Bund aufbauen, mit 10 Millionen Einwohnern, ohne eigene Rüstungsindustrie, eingekreist von 3 Großmächten? Wäre es so neutral wie Belgien gewesen oder gar Partei für die Franzosen ergriffen haben???
10 Millionen Einwohner leißt sich vor dem Hintergrund heutiger Zahlen nicht wie besonders viel, bekommt aber eine etwas andere Dimension, wenn man sich vergegenwärtigt, dass sowohl, das neugegründet deutsche Kaiserreich, als auch Frankreich damals lediglich an die 40 Millonen Einwohner hatten.
Das heißt, ein auf den Norden beschränktes Deutschland (bei einem hypothetischen einigermaßen Zeitnahem Revanchekrieg oder einem Nicht-Beitritt der Süddeutschen Staaten) hätte eine Bevölkerung von about 30 Millionen Einwohnern gehabt.

Bei identischer Wehrgesetzgebung wäre ein potentieller Süddeutscher Bund also in der Lage gewesen, was Manpower betrifft, 1/3 dessenn aufzubieten, was Norddeutschland hätte aufbieten können und das hätte in einer Konfrontation durchaus Gewicht gehabt.

1/3 an Truppen gemäß der eigenen Stärke mehr auf der eigenen Seite oder gegen sich zu haben, hätte einen Unterschied gemacht.

Rüstungsindustrie hätte sich durchaus aufbauen lassen, da wäre es ja anders, als in der klassischen Montanwirtschaft nicht um die Gewinnung von Rohstoffen und die Produktion von Halbzeug im großen Stil gegangen, sondern vor allem um Weiterverarbeitung und Veredelung.
Das wiederrum hätte sich möglicherweise durchaus auf Basis von Importen in Sachen Rohmaterialien bewerkstelligen lassen.

Luxemburg hatte keine Wahl, sich irgendjemandem nach 1866 anzuschließen. Schon mal was von der Luxemburgkrise 1867 gehört? Die Luxemburger Neutralität und das Schleifen der Bundesfestung waren das Ergebnis davon. Hinzu kommt, dass der niederländische König bis 1890 auch Großherzog von Luxemburg war, die staatsrechtliche Situation nicht mit Baden oder Hessen vergleichbar war. Es blieb bis 1919 auch Mitglied im Deutschen Zollverein.
Das alles ändert nichts daran, dass die Luxemburger mit diesem Status offensichtlich sehr gut leben können.

Wenn die Luxmburger anno 1871, angesichts der Niederlage Frankreichs etwa auf die Idee gekommen wären, den Niederländischen König als Monarchen abzusetzen und einen Beitritt zum neuen deutschen Kaiserreich zu erbitten, wer hätte das verhindern sollen?

Im Zuge der nationalen Euphorie und vor dem Hintergrund der Popularität der deutschen Nationalbewegung, wäre es kaum möglich gewesen so etwas ohne reale Kriegsgefahr zurück zu weisen und die bestand nicht, so lange Frankreich geschlagen und nicht handlungsfähig war.

Hätten die Luxemburger, 1871 den Wunsch gehabt zum Deutschen Reich zu kommen hätte sich das sicherlich realisieren lassen.

1918/1919 gab es die ganz konkrete Konzeption eines Zusammenschlusses mit Belgien, der vor allem von der Entente sehr protegiert wurde, das war aber in Luxemburg selbst so unpopulär, dass das scheiterte.
 
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