Warum widmet Machiavelli den "Fürst" Lorenzo II. de’ Medici

sevillia

Neues Mitglied
Hallo Leute,

ich hätte da mal eine Frage zu meiner Überschrift.
Machiavelli wurde durch Lorenzo II. de’ Medici einer Verschwörung verdächtigt und unter Hausarrest auf seinen Landsitz gestellt, wo er dann "Der Fürst" verfasste und ihn Lorenzo II. de’ Medici widmete. Ausgerechnet dem, der ihn undankbarer weise verbannte, WARUM?

Ich hoffe Ihr könnt mir helfen, hab dazu leider nichts gefunden.

Vielen Dank!
Stan
 
Hast Du Dir schon einmal die "Dedica" (Zuneigung) durchgelesen, die dem Werk voransteht? Hier wird deutlich, was die Motive Machiavellis sind: Es handelt sich um eine klassische captatio benevolentiae, die sich hier mit geschickter Eigenwerbung mischt. Etwa der letzte Satz:

"Und wenn sich die Blicke Eurer Hoheit zu diesem niederen Ort wenden, so werdet ihr erkennen, wie ich unverdient eine schwere und andauernde Ungerechtigkeit des Geschicks ertrage." (Übersetzung von Gottlob Regis, 1849)

Machiavelli wollte wieder in Anstellung kommen, so einfach ist das. :winke:
 
Der Thread ist zwar alt, das Thema aber zeitlos.

Machiavelli wurde durch Lorenzo II. de’ Medici einer Verschwörung verdächtigt und unter Hausarrest auf seinen Landsitz gestellt, wo er dann "Der Fürst" verfasste und ihn Lorenzo II. de’ Medici widmete. Ausgerechnet dem, der ihn undankbarer weise verbannte, WARUM?

Von "Hausarrest" kann keine Rede sein, da sich Machiavelli nach der dreiwöchigen Gefangenschaft wegen angeblicher Verschwörung (1513) in der Umgebung seines ererbten toskanischen Landguts frei bewegen konnte. Die Verbannung aus Florenz wurde nach zwei Jahren wieder aufgehoben, was ihm ermöglichte, in Florenz im Palast seines Freund Cosimo Rucellai vor einem gebildeten Publikum Vorträge zu halten, für die ihn seine Gönner bezahlten, und auch an Diskussionen teilzunehmen, aus denen u.a. sein Hauptwerk, die ´Discorsi´ (Erörterungen der ersten zehn Livius-Bücher), hervorging. Zweien seiner Gönner, Zanobi Buondelmonti und dem schon genannten Cosimo Rucellai, hat Machiavelli die Discorsi 1517 gewidmet. Darüber hinaus hatte Machiavelli neben seiner Ehe mit Marietta Corsini (sechs Kinder) zahllose von Marietta geduldete Affären mit anderen Frauen.

Die Hypothese des Machiavelli-Biografen Maurizio Viroli über eine angebliche Bisxualität Machiavellis hat keine verlässliche Grundlage. Laut Viroli soll er eine Beziehung zu Riccio, einem Geliebten von M.s homosexuellem Freund Donato, gehabt haben, was aus zwei vieldeutigen Briefen herausinterpretiert werden kann, aber nicht muss. 1510 fing sich M. eine anonyme Anzeige wegen heterosexueller Sodomie ein, also Analverkehr mit einer Frau, was in der Zeit der Renaissance unter Strafe stand, hauptsächlich weil diese Praxis als ´Einstiegsdroge´ für verbotenen homosexuellen Analverkehr galt, der zu dieser Zeit in Florenz mit befristeter Verbannung oder Geldstrafe geahndet wurde. Auch oraler Sex war verboten, sowohl mit Prostituierten als auch mit der Ehefrau.

Aber zurück zum Thema:

Warum hätte Lorenzo II. Machiavelli gegenüber "Dankbarkeit" zeigen sollen? M. war 1498 als 29jähriger, fast aus dem Nichts, zum Zweiten Kanzler eines republikanischen Florenz gewählt worden, also sechs Jahre nach der Vertreibung der anti-republikanischen Medici (und fünf Tage nach der Verbrennung Savonarolas, ohne die M. den Posten gar nicht bekommen hätte).

Seine dreiwöchige Gefangenschaft verdankte Machiavelli der Naivität von Verschwörern, die seinen Namen ohne sein Wissen auf einer Liste mit Namen von (ihrer Ansicht nach) potentiellen Unterstützern der Verschwörung vermerkt hatten. Alle Namensträger, auch Machiavelli, wurden der Folter durch Aufhängen an den hinter dem Rücken zusammengebundenen Handgelenken unterworfen, was zur Auskugelung der Schultergelenke führt. Machiavelli beharrte auf seiner Unschuld und wurde im Zuge einer Generalamnestie für alle Beschuldigten freigelassen, als den Medici die Bedeutungslosigkeit der Namensliste endlich klargeworden war.

Warum Machiavelli den ´Principe´ 1513 zunächst generell den Medici und spätestens ab 1516 speziell dem Lorenzo (d.h. Lorenzino de Medici, Neffe von Lorenzo ´il Magnifico´) widmete, hat zwei Gründe.

(1)

Einen Grund hat schon ´Lukrezia Borgia´ oben festgestellt: Der Text war ein Bewerbungsschreiben. M. hatte zwei Leidenschaften, die Politik und die Sexualität. Letztere lebte er, wie gesagt, ungehemmt aus, erstere aber war ab 1512 langfristig auf Eis gelegt. Erst 1521 erlangte M. unter dem Medici-Papst Clemens VII. in Florenz wieder ein politisches Amt. verlor dieses nach der zweiten Vertreibung der Medici im Jahr 1527 aber wieder, diesmal aus den umgekehrten Gründen wie 1512, also wegen Kollaboration mit Tyrannen statt wie zuvor mit Republikanern. Die erneute Frustration war so unerträglich, dass M. noch im gleichen Jahr mit 58 Jahren starb.

(2)

Der zweite Grund ist Machiavellis Ansinnen, Lorenzo nach dem (fragwürdigen) Modell des Cesare Borgia zu einem Verwirklicher der von M. herbeigesehnten nationalstaatlichen Einheit Italiens aufzubauen, die zu verwirklichen er in Kap. 26 des ´Fürsten´ aufruft .

Einen Machiavellis Werk ausführlicher diskutierenden Thread bereite ich gerade vor.
 
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Ob Machiavelli tatsächlich aus Frust über seine zweite Verbannung starb? So verlockend die Idee ist, halte ich es für wahrscheinlich: Es könnte so gewesen sein, aber es muss nicht so gewesen sein. (Oder anders ausgedrückt: etwas, was Romanautor/in ruhig verwenden kann, solange dass Buch gut ist, aber wo Historiker/in sich besser nicht festlegen sollte "Zwinkern")

Ansonsten scheint sich da nicht viel gegenüber heute geändert zu haben - Vitamin P (Protektion) war offensichtlich sehr, sehr wichtig ...
 
Ob Machiavelli tatsächlich aus Frust über seine zweite Verbannung starb? So verlockend die Idee ist, halte ich es für wahrscheinlich: Es könnte so gewesen sein, aber es muss nicht so gewesen sein. (Oder anders ausgedrückt: etwas, was Romanautor/in ruhig verwenden kann, solange dass Buch gut ist, aber wo Historiker/in sich besser nicht festlegen sollte "Zwinkern")

Natürlich ist eine Kausalität nicht beweisbar, aber auffällig ist doch, dass Machiavelli nur 11 Tage nach seiner gescheiterten Wahl zum Zweiten Kanzler (am 10. Juni 1527 - nur 12 Ja-Stimmen von 567) an dem schweren Magenleiden Peritonitis starb (21. Juni). Als generelle Ursachen dieser Krankheit werden heutzutage genetische und psychosomatische Faktoren diskutiert, wobei die Ursache auch rein psychosomatisch sein kann. Machiavelli litt zwar schon über längere Zeit darunter und wurde auch falsch behandelt (schädliche Pillen); dass der Tod aber so kurz nach der für M. existentiellen Niederlage eintrat, macht eine akute psychosomatische Krise sehr wahrscheinlich.

Er wurde übrigens nicht ein zweites Mal verbannt, wie du anzunehmen scheinst. Sein Problem war ´nur´ das endgültige Aus in der aktiven Politik.
 
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Ausgerechnet dem, der ihn undankbarer weise verbannte, WARUM?
Vielleicht wollte er ihm nur eines auswischen? So gut kommt er da nicht weg... Machiavelli bezeichnet in seiner Geschichte von Florenz die Machteroberung und Machtausübung der Medici als zutiefst illegal und moralisch verwerflich.
 
Vielleicht wollte er ihm nur eines auswischen? So gut kommt er da nicht weg... Machiavelli bezeichnet in seiner Geschichte von Florenz die Machteroberung und Machtausübung der Medici als zutiefst illegal und moralisch verwerflich.

Machiavellis "Geschichte von Florenz" wurde erst 1525 als Auftragswerk (von Giulio de Medici) fertiggestellt und posthum 1532 gedruckt. Zum Zeitpunkt von Machiavellis Verbannung (1513) konnte Lorenzo den Text also gar nicht kennen, außerdem starb er schon 1519. Der Grund für die Verbannung war einfach Machiavellis 14jähriges intensives politisches Engagement für das von den Medici verabscheute republikanische Florenz.

Solltest du dich mit dem "nicht gut da wegkommen" auf etwas anderes beziehen, bitte ich um Aufklärung.
 
Die Frage war nach il Principe und nicht die Geschichte von Florenz
 
Und das meinte ich damit. Hab leider die Geschichte zu schnell verwendet. Sorry
 
Die Frage war nach il Principe und nicht die Geschichte von Florenz

Auch im "Principe" gibt es keine negativen Anspielungen auf die Medici, was angesichts von Machiavellis Ansinnen und Widmung ohnehin kontraproduktiv gewesen wäre. Im Detail können wir dieses Werk im Rahmen meines Machiavelli-Threads (coming soon) über seine Hauptwerke, den "Principe" und die "Discorsi", gerne weiter diskutieren.

Vielleicht wollte er ihm nur eines auswischen? So gut kommt er da nicht weg... Machiavelli bezeichnet in seiner Geschichte von Florenz die Machteroberung und Machtausübung der Medici als zutiefst illegal und moralisch verwerflich.

Nachtrag: Das kann deswegen nicht sein, weil ein Medici die "Geschichte" in Auftrag gegeben hat und Machiavelli darauf bedacht war, die Medici bei Laune zu halten. Ich kenne dieses Werk im Moment noch nicht so genau, aber so viel kann ich dazu doch sagen.
 
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