Was genau sind Regesten? Und inwiefern helfen diese den Mediävisten?

O

Ostpreußen

Gast
Guten Abend,

weiß jemand von Ihnen, was unter lateinischer Kursivschrift in mittlerer Schwierigkeit zu verstehen ist.
Zudem was ist ein Regest?


MfG

Vielen Dank im Voraus
 
In der Paläographie meint Cursiva (etc.), dass eine Schrift nachlässig geführt wurde, also das Gegenteil einer Schönschrift, wie wir das ja eigentlich aus alten Dokumenten (Schreiben war ein feierlicher Anlass, man schrieb auf wertvollen Materialien, die Schrift diente repräsentativen Zwecken) kennen.

Man hat irgendwann mal angefangen, Urkunden von Herrschern zu sortieren. Danach konnte man einerseits das Itinerarium des Herrschers (also den Weg durch die Pfalzen, den er Laufe seiner Regierungszeit genommen hatte) nachvollziehen, andererseits aber auch die gefälschten Urkunden ausssortieren. Wenn Karl der Große im Oktober bereits auf dem Weg nach Rom war und im Dezember dort zum Kaiser gekrönt wurde, konnte er nicht im November Reims beurkunden (fiktives Bsp.). Insofern hat man Regesten angelegt, das sind kurze Abschnitte über die einzelnen Urkunden mit Austellungsort und -datum und den beurkundeten Sachverhalten. Das ist gerade dann, wenn die Urkunden in der MGH in der DD-Reihe (Diplomata) noch nicht erschienen sind bzw. bevor die erschienenen Bände der MGH digitalisiert wurden, sehr hilfreich (gewesen).
 
Sehr geehrte Mitglieder des Geschichtsforums,
mich würde mal interessieren, inwiefern Regesten den Mediävisten damals/heute als Hilfsmittel dienen konnten. Wenn ich das richtig verstehe, sind Regesten eine Art Lexikon (?), die aber im Spezifischen wie als Hilfsmittel dienen können?

Ich muss nämlich ein 10-minütiges methodisches Referat dazu halten, weiß aber nicht, wie ich die Minuten füllen soll...

Ich habe mal gegooglet und auch auf Wikipedia steht herzlichst wenig über Regesten, auch Hinweise zu Literatur gibt es, soweit ich feststellen konnte, kaum - bis gar nicht. Kann mir vielleicht jemand da aufschlußreichere Informationen zu geben?

Grüße
ZiziziIV
 
Die Regesten sind im Prinzip eine Sammlung von Urkunden eines Herrschers, die in verschiedenen Archiven liegen können. Sprich Urkunde 1 liegt im Archiv des Klosters A, Urkunde 2 im Stadtarchiv B, Urkunde 3 ist im Urkundenbuch des Klosters C erhalten und daher nur als Abschrift auf uns gekommen.
Anhand der Regesten kann man diese disparaten Urkunden ordnen und sogenannte Itinerarien erstellen (du weißt schon: Reisekönigtum...). Wenn also ein König oder Kaiser heute in Aachen urkundet, morgen in Köln, in zwei Wochen in Nürnberg und drei Wochen später in Rom, dann kannst du den Reiseweg nachverfolgen, du weißt also, wo er war. Das ist die erste Funktion des Regests. Die zweite Funktion des Regests ist die Zusammenfassung des Urkundeninhalts. Die dritte Funktion des Regests hat sich eher zufällig ergeben, kehren wir dazu zum Reisekönigtum zurück. Unser König oder Kaiser befindet sich nun also ausweislich einer Urkunde des 20. Mai des Jahres X in Rom und am 21. Mai desselben Jahres ist plötzlich eine Urkunde in Osnabrück ausgestellt. Dann hast du erst einmal ein Problem, denn Autos, Züge oder Flugzeuge hatte der König oder Kaiser unseres Wissens noch nicht und von Aliens findest du auch keine Spur. Also muss eine Urkunde falsch sein... Das lässt sich anhand der Regesten schnell herausfinden. Du entwickelst dann zwei Hilfswissenschaften, nämlich die Kodikologie und die Paläographie. Die Paläographie ist die Lehre von den alten Schriften, die Kodikologie die Lehre von den Formen, welche eine Urkunde in einer Zeit einnimmt. An diesen Dingen kannst du dann erkennen, ob einer Urkunde gefälscht oder verunechtet ist bzw. ob eine gefälschte Urkunde zeitnah verfälscht wurde, oder drei Jahrhunderte später.
 
El Quijote hat schon einiges dazu geschrieben. Zu einem Punkt in den sonst völlig zutreffenden Ausführungen möchte ich noch folgendes sagen: Eine reine Sammlung (physisch gesehen) von Urkunden stellt noch keine Regestierung dar.
Im Prinzip sind Regesten eine Form der Quellenedition, von mittelalterlichen und neuzeitlichen Urkunden. Gelegentlich findet man auch ein Regest von Akten oder Amtsbuchinhalten, aber in 95 % der Fälle betrifft es Urkunden. Daher solltest du für dein Referat auch wissen, was in diesem Falle genau mit Urkunde gemeint ist. Hier sind die Basics ganz gut erklärt:
Diplomatik (1/3) | Seminar für mittelalterliche Geschichte der Universität Tübingen

Ein Regest würde ich mit eigenen Worten im Prinzip als Hilfsmittel bezeichnen, damit auch diejenigen die Inhalte mittelalterlicher Urkunden verstehen können, welche die alten Schriften nicht mehr lesen und/oder die Urkundensprache (häufig Mittellatein) nicht mehr verstehen können.


Wie detailreich ein Regest ist, variiert enorm.
Es gilt schon als Regest, wenn als Überschrift so etwas zu lesen ist "Graf X schenkt Dorf Y an Kloster Z" und dann der transkribierte Originaltext der Urkunde wiedergegeben wird.
Es gibt aber auch so genannte Vollregesten, bei denen detailreich der Urkundeninhalt wiedergeben wird, wie z.B. hier bei dieser Urkunde des Klosters Fulda aus dem Staatsarchiv Marburg, im Original in Latein geschrieben:


Identifikation (Urkunde)
Datierung
1259 August 9
Originaldatierung
Datum anno Domini M° CC° LIX° V° Idus Augusti
Vermerke (Urkunde)
(Voll-) Regest
Die Brüder Johann und Ludwig von Reichenberg überlassen mit Zustimmung ihrer Ehefrauen dem [Heinrich von Erthal], Abt von Fulda, ihre Güter bei Zellingen (Cellingen). Johann von Reichenberg überlässt außerdem zum Ersatz für den Abt [Heinrich] im Dorf Hundsfeld zugefügten Schaden zehn Morgen seines Weingartens (vinetum) bei Reichenberg und empfängt diesen Weingarten zu Lehen zurück. Der Weingarten liegt (in veteri monte). Siegelankündigung. (siehe Abbildungen: Vorderseite, Rückseite)
Zeugen
Ludwig, Schultheiß von Thüngen

H. Weibeler der Ältere, dessen Söhne C. und H., Johannes Leopardus, Reinhard von Himmelspforten, dessen Bruder C., H. Hermelin, C. Kaufmann (Caufman), C. Most, dessen Bruder Folclinus, H. Zichelin und dessen Bruder H.
Siegler
[Johann von Reichenberg und Ludwig von Reichenberg]
Formalbeschreibung
Ausfertigung, Pergament, mit Pergamentstreifen angehängtes Siegel (fehlt)
Weitere Überlieferung
StaM, Kopiare Fulda: K 432, f. 206v
Druckangaben
Der zweite Teil der Urkunde ist bei Schannat, Fuldischer Lehn-Hof, Nr. 427 gedruckt.
Informationen / Notizen

https://arcinsys.hessen.de/arcinsys/detailAction.action?detailid=v2927072

Im Link sieht es besser aus als im Direktzitat, aber die Verlinkung auf die Plattform funktioniert nicht immer so gut. Dort kannst du auch Digitalisate der Originalurkunde finden.
 
Der ingenioso hidalgo ist noch in einem weiteren Punkt zu korrigieren, da die Lehre von Form und Aufbau einer Urkunde nicht die Kodikologie ist, sondern die Diplomatik.
 
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