Was ich schon immer über Traian wissen wollte... (Rezension)

Marcia

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(Dieser Beitrag ist mir ernster geraten als geplant, deshalb habe ich ihn nicht in den Smalltalk gestellt. Wenn er hier deplaziert wirkt, könnte er immer noch dorthin verschoben werden.)

Nein, das soll kein Verriss sein, denn wie schon Ovid wusste: ut desint vires tamen est laudanda voluntas.
Und ehrlich bemüht hat sich Hubertus Prinz zu Löwenstein in seinem historischen Roman „Traianus, Weltherrscher im Aufgang des Christentums“, 1981 bei Langen Müller erschienen, zweifellos. Er hat gründlich recherchiert und sich, wie aus dem Vorwort ersichtlich ist, von Fachleuten beraten lassen, hat viele Detailinformationen – davon einige recht geschickt – in den Roman eingearbeitet. Das Buch, eine Fleißarbeit von 400 Seiten, hat auch literarische Stärken. Insgesamt viel Positives. Aber auch einiges, was unbegreiflich scheint.
Im Vorwort gibt der Verfasser einen Überblick über die Zeit, die er im Roman behandelt. Da es im Sachbuchstil verfasst ist, muss der Leser annehmen, dass es Sachinformationen enthält, in Wahrheit ist es gespickt mit teilweise gewagten Hypothesen. Am Ende wird der antike Ausruf „felicior Augusto – melior Traiano“ zitiert, mit der Anmerkung, dass man diesen Wunsch „manchem der heutigen Machthaber gleichfalls zurufen möchte“. An dieser Stelle wird es für mich problematisch. Aber dazu später.
Ein Adoptivsohn und Neffe des jüngeren Plinius namens Caius Plinius Calpurnius Secundus hat Traians Memoiren, die dieser ihm vor seinem Tod diktiert hat – der jüngste Plinius war nämlich „als Sekretär bei ihm angestellt“ – vor sich und will sie – mit Erlaubnis Hadrians – herausbringen. Und er empfängt nicht nur Hadrians Lob, sondern auch ein paar Arbeitsanweisungen und die Aufforderung, seinen eigenen Senf dazuzugeben. Die berichtenden Passagen Traians, ergänzt um die des Plinius und allerlei teils zensierende, teils ergänzende Kommentare Hadrians ergeben eine reizvolle Erzählperspektive, die sich zumindest dazu eignet, den spärlichen Stoff - die Überlieferung ist ja sehr mager - von verschiedenen Seiten zu beleuchten.
Richtig interessant wird es, wenn Traian über seine Kindheit in Italica erzählt:
„Lesen und Schreiben hat mir meine Schwester beigebracht, die mich auch auf dem Schulweg zur Legionsschule begleitete“
„Unsere Familie war nicht reich, aber es fehlte uns an nichts.“
An dem Tag, als Vespasian und Titus ihren Triumph über die Juden feiern,
„nahm mich mein Vater mit dem Rang eines Fahnenträgers in seine Legion, die X. Fretensis, auf“.
Von da an geht es rasant weiter: Traian nimmt an so gut wie allen kriegerischen Auseinandersetzungen seiner Zeit teil, erst in Germanien (wo er Militärtribun wird), dann zusammen mit seinem Vater in Syrien, wo der gerade Zwanzigjährige eine siegreiche Schlacht gegen die Parther schlägt, später bekämpft er Banden in Nordafrika, wird schließlich zu Petilius Cerialis nach Britannien versetzt, was ihn resümieren lässt: „In Rom nannte man mich den Tribunus vigilium, den Feuerwehrhauptmann“.
Auch wenn das im übertragenen Sinn gelesen werden soll: Die Vorstellung von einem im Feuerwehrkostüm durchs Imperium hastenden Traian lässt mich seitdem nicht los und sorgt immer mal für Lachkrämpfe mittlerer Stärke.
Das Ärgste sind die Dialoge zwischen dem Kaiser und Plinius dem Jüngsten, der nicht nur Privatsekretär und Memoirenschreiber, sondern auch, in Gesellschaft von Tänzern, Pantomimen und anderen hübschen Jungs, sozusagen ein Lustknabe ohne Lust, aber mit besonders keckem Mundwerk ist. Dem entsprechend sind die Gespräche, die dem Zweck dienen, die menschliche Seite des Herrschers zu enthüllen, erstaunlich freizügig. So fragt Plinius der Jüngste, ob Traian sich im Vergnügungsviertel von Antiochia auch gut unterhalten hätte.
„Sei nicht so vorlaut, kecker, kleiner Junge. Was geht es dich an?“
„Es ist wichtig für deinen Lebensbericht, Caesar. Der soll dich doch auch von der menschlichen Seite zeigen – nicht immer nur von Schlachten und Eroberungen handeln!“
„Also gut! Ich war damals zwanzig Jahre alt.“
„Nur Vergnügungen, oder hast du auch jemanden geliebt?“
„Wenn du es unbedingt wissen willst: Es gab einen jungen Pantomimen, ich glaube, er hieß Battylos, der mir nicht gleichgültig war.“
Kommentar überflüssig.
Der Roman hat eine klare Botschaft, die Plinius der Jüngste enthüllt: Traian war, ohne es zu wissen, selbst ein Christ:
„Die Christiani – ich sage dir, ich habe Freunde unter ihnen – (Plinius der Jüngste) sind der Meinung, du gehörtest zu ihnen, auch wenn du es nicht weißt.“
„Das wird mir jetzt zu viel!“
Da kann man dem Kaiser nur zustimmen.
Ich will und kann nicht alle Pannen und Ausrutscher aufzählen, die von kleineren Irrtümern bis hin zum groben Unfug reichen, so zum Beispiel, dass der Kaiser die Augusta Plotina nach einer Fehlgeburt „im Legionsspital von Aquincum zurücklassen“ musste.
Immerhin hat der Autor mit Aquincum einen Ort gewählt, wo zur betreffenden Zeit wirklich eine Legion stationiert war, ich werde aber den Verdacht nicht los, dass es sich um einen Zufallstreffer handelt. Tacitus, das erfährt man am Rande, war jahrelang Geheimsekretär Hadrians.
Traurig wird es am Ende des Romans, und zwar in doppeltem Sinne. Traian verlässt im August 117 gesundheitlich angeschlagen das syrische Antiochia. Nach langen Spekulationen an Bord des kaiserlichen Schiffes, ob denn an der kilikischen Küste ein Legionsspital vorhanden sei, legt man guter Hoffnung in Selinus an. Der Kaiser (der zu diesem Zeitpunkt, wie Cassius Dio berichtet, teilweise gelähmt war), besichtigt zunächst die Stadt und den Hafen, um sich dann ins Militärspital zu begeben, wo er sich untersuchen lassen und nach einigen Tagen Aufenthalt „gesund schreiben lassen“ will. Aber dazu wird es, wie man weiß, nicht kommen. In der letzten Stunde seines Lebens nimmt Traian, von einem Wundermedikament aufgeputscht, noch eine große Truppenparade ab, bei der ihm kaum jemand etwas anmerkt und trotzdem alle weinen. Dann adoptiert er – perfektes Timing – Hadrian, führt in letzter Minute ein Opfer durch und stirbt auf sehr ästhetische und würdevolle Weise.
Bei aller Ambivalenz, mit der man einem fast absoluten Herrscher der Antike gegenübersteht: So viel unfreiwillige Komik um sein Hinscheiden hat Traian nicht verdient. Ich glaube nicht einmal, dass mangelnder Fleiß zu diesem Ergebnis geführt hat, zumal der Autor geradezu an den Quellen zu kleben scheint und manche Textstellen fast wörtlich wiedergibt. Das Problem ist anderer Natur.
„Ich wäre glücklich, wenn ich durch dieses Werk zum Ruhme des Mannes beitragen könnte, den der Name Optimus vor allen anderen Herrschern der Weltgeschichte auszeichnet und dessen Beispiel wahrer Herrschertugend heute nötiger ist denn je.“ (Hubertus Prinz zu Löwenstein 1981 im Vorwort zu „Traianus“)
Dass bei Streifzügen in die Geschichte nicht nur Abenteuer, Heldentaten und große Namen, sondern auch persönliche und kollektive Schatten lauern, dass diese Schatten nicht immer als solche erkennbar sind, sondern ein hehres und verführerisches Gesicht zeigen können, muss zu dem Zeitpunkt, als das Buch verfasst wurde, schon bekannt gewesen sein. Ich habe zumindest beim Lesen von „Traianus“ den Eindruck, dass der Autor, 1984 verstorben, davon nichts wusste. Das ist, da Hubertus Prinz zu Löwenstein vom Nationalsozialismus ins Exil getrieben wurde, umso unbegreiflicher. Ich vermute, dass er auf der Suche nach neuen Idealen in alte Untiefen geraten ist.
Das Buch ist, dies sei nur am Rande vermerkt, auch schlicht langweilig. Der memoirenähnliche Aufzeichnungsstil lässt die Personen und die Zeit nicht wirklich nahe rücken, es wird nicht erzählt und geschildert, sondern doziert und berichtet. Der Leser kann Geschichte nicht erleben, ihm wird vielmehr eine Überdosis an Faktenmaterial vorgesetzt, das er besser den Quellen selbst entnehmen sollte, zumal ihm dann die Fehler, die immer dort auftauchen, wo der Autor der Überlieferung etwas hinzuzufügen hat, erspart blieben.
Hubertus Prinz zu Löwenstein hat mehrere historische Romane und Sachbücher geschrieben, so „Tiberius – Der Republikaner auf dem Cäsarenthron“ und „Seneca – Kaiser ohne Purpur“. Beide Romane würden mich thematisch interessieren, aber lesen werde ich sie wahrscheinlich nicht.
 
Eine sehr gute Kritik, die stilistische wie konzeptionelle Eigenarten und Eigentümlichkeiten des Werks hervorhebt. Vielen Dank.
Mich würde interessieren, ob die beiden anderen Bücher nicht so sämtliche Merkmale eines zu-hohen-Alterswerks zeigen.
 
Danke für die Kritik der Kritik. :)

Es ist gut möglich, dass die anderen Romane besser sind. Ich möchte mich aber vorerst von ihnen fernhalten, nicht nur, weil ich durch das Leseerlebnis vorbelastet bin, sondern weil meine Kenntnisse der frühen Kaiserzeit nicht mehr so frisch sind - das Risiko, etwas aufzuschnappen, was ich vielleicht besser überlesen sollte, ist mir zu groß.
Wenn jemand anders einen der Romane gelesen und dazu etwas (Postitiveres) zu sagen hat, ist mir das willkommen.
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„Zur Wahrnehmung und ihrer schöpferischen Aufnahme in Geschichten, Romanen und Leben brauchen wir die größtmögliche Unabhängigkeit des erwachsenen Individuums, die größtmögliche Abwesenheit von Druck.“
Sten Nadolny : Das Erzählen und die guten Ideen – Die Göttinger und Münchener Poetik-Vorlesungen, Piper Verlag, S. 168

[FONT=&quot]Dieses so zutreffende Zitat, auf das ich kürzlich gestoßen bin, will ich Geschichtsforum- Lesern nicht vorenthalten, auch wenn sich mein Thema hier „nur“ um Belletristik dreht. Über die letzten Worte (die größtmögliche Abwesenheit von Druck) kann man streiten, über das andere meiner Ansicht nach nicht. [/FONT]
 
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