Was wollte Kaiser Wilhelm II

Q

Querdenker

Gast
Mein Sohnemann soll für ein Projekt der 9. Klasse (1. Weltkrieg) folgende Frage erörtern.

Was wollte Wilhelm II?

Da ich mit Sicherheit der Ansprechpartner seiner Wahl sein werde, möchte ich gerne mein lückenhaftes Laienwissen von Euch überprüfen und vertiefen lassen. Zumal meine Schulzeit jetzt schon 25 Jahre zurückliegt und ich keinen blassen Schimmer habe worauf es „heute“ bei so einem Projekt ankommt. :weinen:

Ich denke im Grunde kann man diese Frage doch in drei Punkten beantworten, -oder?

1)Sein erstes Ziel nach Amtsantritt war doch die Arbeiterschaft für die Monarchie zu gewinnen.

Dieses Ziel hat jedoch keinen direkten Bezug zum ersten Weltkrieg und von daher bin ich mir nicht sicher ob er es in das Projekt einbringen sollte.

2)Ein wesentliches Merkmal war das Streben des Kaisers das deutsche Reich als wichtige politische Größe unter den bestehenden Weltmächten zu etablieren.

Hier habe ich Erklärungsnot. Das deutsche Reich zählte doch meines Erachtens zu den fünf Großmächten. Kann man die Großmächte anhand ihrer Wichtigkeit „durchnummerieren“?
Nach dem Motto:

1. Großbritannien
2. Frankreich
3. Deutsches Reich
4. Österreich-Ungarn
5. Russland

Dann könnte man anhand der Platzierung ihre Stellung bewerten.

3)Weiterhin wollte Kaiser Wilhelm doch die Innen, - und die Außenpolitik wesentlich stärker als sein Großvater beeinflussen.

Bestimmte in der Monarchie der Kaiser nicht so oder so, unabhängig von Ministern, die Politik? Und worin bestand der Unterschied zwischen den beiden Regenten?

Da sein Projektblatt insgesamt 19 Punkte beinhaltet werde ich mich mit Sicherheit noch mit der einen oder anderen Frage an Euch wenden.
Ich danke Euch auf jeden Fall schon mal für Eure Mithilfe.
 
Die Frage kann man sicher anhand von Einzelaspekten und Quellen dazu diskutiert werden. Interessant ist aber auch, wie die Politik und die deutschen Ziele von außen wahrgenommen wurden.

Ich möchte eine Einschätzung bzw. Wahrnehmung von Francois-Poncet einbringen, späterer frz. Botschafter in Berlin 1931-1938, zur Zeit des wilhelminischen Deutschland u.a. Germanistik-Student, der eine Zeit vor 1914 in Deutschland (Berlin und München an Universitäten) verbrachte. Vielleicht ist es doch nützlich, wie von außen die Ziele Wilhelms II. eingeschätzt wurden.

Er stellte in Vorträgen usw. mehrere Thesen auf, die vor dem Hintergrund seines zweigeteilten Deutschland-Bildes zu sehen sind. Deshalb fand ich das interessant: das Erschrecken des Franzosen vor dem militarisierten wilhelminischen Deutschland einerseits und der bezeugte Respekt vor der Kultur und den Repäsentanten andererseits (die Deutschen teilte er in Boches und Allemands, quasi in Böse und Gute).

Die Ziele des wilhelminischen Deutschen Reiches, "der" (fast) unaufhaltsam aufstrebenden Macht in Kontinental-Europa nach seiner Auffassung schlechthin, charakterisierte er wie folgt:

1. Streben nach Überlegenheit über die anderen europäischen Mächte
2. Imperialismus und koloniale Ausdehnung.
3. Militarisierung der Gesellschaft
(4. ergänzend der Hinweis auf die Flottenpolitik, die weniger Frankreich, als vielmehr Großbritannien betraf)

Vor diesem Hintergrund warnte er 1914 vor einer Verständigung Frankreichs mit dem Deutschen Reich, da es für Frankreich auf längere Sicht "einer Selbstaufgabe gleichkomme". Konfliktpotentiale sah er, weit über Elsaß-Lothringen hinaus, generell in dem für ihn zweifelsfrei erkennbaren deutschen Imperialismus bzw. Vormachtstreben. Im Krieg als Leutnant, schrieb er dann über die deutschen militärischen Leistungen und den Durchhaltewillen der Deutschen. 1916 bis 1919 verbrachte er mit diplomatischem Auftrag des frz. Außenministeriums in der Schweiz.

Sein Deutschland-Bild ist insoweit klischeehaft, als er von der scharfen Trennung geprägt war, dass der an sich friedliebende, sympathische Durchschnittsdeutsche von den preußischen Reformen militarisiert worden sei, die eine Konzentration gerade in Wilhelms Deutschland auf alles Militärische gefördert haben, so dass das wilhelminische Deutsche Reich nunmehr "ganz auf einen Krieg ausgerichtet sei." Gleichzeitig sah er mit Erschrecken in "dem Sieger von Sedan" das Vorbild, auch später wirtschaftlich und politisch ein Erfolgskonzept.


Quelle: (lese ich nämlich gerade): Schäfer, André Francois-Poncet als Botschafter in Berlin (1931-1938), Pariser Historische Studien Band 64, München 2004.

EDIT: Scorpios Einschätzung der militärischen Stärkeverhältnisse würde ich zustimmen.
 
Zuletzt bearbeitet:
In der Wertigkeit der Grossmächte würde ich das Deutsche Reich noch weiter höher einstufen. Als Industriemacht hatte das Reich um die Jahrhundertwende Grossbritannien eingeholt, wenn nicht überholt. In der chemischen Industrie hatte Deutschland damals bereits eine führende Stellung. Militärisch verfügte Deutschland wohl über den leistungsfähigsten Militärapparat und war mit Sicherheit die stärkste Kontinentalmacht, stärker als jede einzelne Grossmacht, allerdings schwächer, als sie alle zusammen. Ich würde daher Grossbritannien und Deutschland auf Platz 1 und 2 setzen, dahinter, mit deutlichem Abstand Frankreich und Russland und als deutliches Schlusslicht Österreich Ungarn, das eigentlich nur noch nominell eine Grossmacht war und mit starken zentrifugalen Tendenzen zu kämpfen hatte.
 
In der Wertigkeit der Grossmächte würde ich das Deutsche Reich noch weiter höher einstufen.
Da stimme ich dir zu. Deutschland stand imho nur was Kolonien/Flotte/Stützpunkte angeht eben nicht an dieser "Spitzenposition", und genau darauf zielte der Kaiser ("folgerichtig") ab.
Ö.-U. würde ich nicht einmal mehr "nominell" mit aufzählen wollen, aber das nur am Rande. :)
 
in der Innepolitik hatte Wilhelm II. durchaus Verständnis für die Arbeiter, er sprach sich gegen Militäreinsatz gegen Streiks im Rhurgebiet aus- in Oppposition zu Bismarck und lockerte die Sozialistengesetze. Er hoffte, die Arbeiter für Christentum und Patriotismus zu gewinnen und versprach sich viel von der Partei des Hofpredigers Stöcker.

In der Politik ging es ihm um "Weltpolitik" und das beinhaltete Kolonialbesitz und eine starke Flotte, während Bismarck nicht viel von Kolonien hielt und glaubte, je mehr Saharasand Frankreich bekommen würde, umso sicherer sei die Position des Reichs in Europa, das als Mittler zwischen den britischen und russischen Interessen profitieren würde. Bismarcks Prinzip der "freien Hand", das, mit Kolonialpolitik und Flottenbau, auch Bülow und Holstein durchzusetzen wollten, wobei sich dann freilich in der 1. Marokkokrise das Scheitern dieser Politik und die Isolierung des Reichs abzeichnete.

Dabei waren die deutschen Kolonien und auch die Flotte eigentlich vor allem Renomierprojekte, und der Kaiser konnte wohl gar nicht so recht verstehen, warum die Briten ihm die nicht gönnen wollten.
 
Sehr richtig. Nimmt man die Zahlen, so war die deutsche Marine weit davon entfernt, Großbritannien Konkurrenz machen zu können.
Interessant fand ich eine Bemerkung (Name wird ergänzt), englischer Historiker seines Zeichens, in seinem Buch "Der falsche Krieg", daß sich die Briten mit ihren wirklichen und potentiell gefährlichen Konkurrenten (Frankreich, Rußland) verständigten.
Auch kursierten, allerdings ebenso in Deutschland, schier unglaubliche Romane. In einem tritt ein Brite eine Weltreise an und findet seine Heimat bei seiner Heimkehr von den Juden an die Deutschen verraten und durch letztere besetzt wieder!
 
Wo wir gerade bei den Zahlen sind.
Ist es richtig das 110 Kolonien dem britischen Empire zugeordnet wurden und nur acht dem deutschen Reich. Frankreich hingegen es jedoch auf 54 Kolonien brachte.

Das Flottenverhältnis England - Deutschland betrug in etwa 10 : 6 und das Verhältnis Frankreich – Deutschland soll bei 3 : 1 gelegen haben.

[FONT=&quot]Kann mir jemand diese Zahlen verlässlich bestätigen? – weil so ganz glaube ich diesen Internetquellen ja doch nicht. Ich habe leider schon zuviel Blödsinn bei Wiki gefunden. :autsch:
[/FONT]
 
Dem Vergleich der Größe und Bedeutung der Kolonien würde ich zustimmen, Frankreich besaß wohl das zweitgrößste Kolonialreich nach Großbritannien.


Wo wir gerade bei den Zahlen sind.
Verhältnis Frankreich – Deutschland soll bei 3 : 1 gelegen haben.

Frankreich besaß bei Kriegsausbruch 11 Schlachtschiffe in der Dreadnought-Kategorie,
http://www.warshipsww2.eu/tridy.php?language=&stat=FRA&typ=BB

das Deutsche Reich 13 Schlachtschiffe (plus 4 der König-Klasse, fertig gestellt kurz nach Kriegsausbruch, somit 17)
(Großbritannien ab Colossus-Klasse bis Revenge 28, bis zur QE-Klasse kurz nach Kriegsausbruch 23)

Schon deshalb kann das 3:1 Verhältnis nicht stimmen. Die Kaiserliche Marine war der Französischen in der Vorstellung einer Schlachtlinie überlegen, ohne jetzt im einzelnen Artilleriebestückung, Kaliberwahl, Panzerung und Geschwindigkeit zu vergleichen.

Hier kann man das anhand der weiteren Typenklassen vergleichen:
http://www.warshipsww2.eu/staty.php?language=E&period=E
 
3)Weiterhin wollte Kaiser Wilhelm doch die Innen, - und die Außenpolitik wesentlich stärker als sein Großvater beeinflussen.

Bestimmte in der Monarchie der Kaiser nicht so oder so, unabhängig von Ministern, die Politik? Und worin bestand der Unterschied zwischen den beiden Regenten?
Ja, das war so:

Wilhelm I. ließ eigentlich weitestgehend Bismarck freie Hand in der Politik - schließlich war er doch schon vor Gründung des Kaiserreiches die wichtigste Stütze seines Staates und Bismarck erlitt nie eine Schlappe. Selbst die Ausrufung des Kaiserreiches ging auf Betreiben Bismarcks zurück, während Wilhelm I. sich lange dagegen streubte. Ein berümter Satz Wilhelms I. in seiner Zeit als Kaiser soll gewesen sein: "Es ist nicht leicht, unter Bismarck Kaiser zu sein."

Wilhelm II. war da ganz anders und ich denke, das hat auch zur Entlassung Bismarcks zwei Jahre nach seinem Amtsantritt geführt. Er wollte in der Politik selbst bestimmen, auch, wenn ihm von den heutigen Historikern Wankelmütigkeit, ja teilweise Unentschlossenheit bescheinigt wird. Nach Bismarcks Entlassung hat sich mehr und mehr die Großindustrie an dessen Stelle gesetzt und hat die Entscheidungen des Kaisers maßgeblich beeinflußt.
 
Ist hier zwar OT, aber naja..

Ich soll und will Euch nur mal kurz den Dank meines Sohnes ausrichten.
Er hat Dank Eurer Hilfe sein Projekt abgeschlossen und eine gute Note bekommen. Die Informationen die er von Euch bekommen hat und das Hintergrundwissen welches er in diesem Forum gefunden hat kann man einfach nicht hoch genug bewerten.

Also nochmal in seinem Sinne, Danke
 
in der Innepolitik hatte Wilhelm II. durchaus Verständnis für die Arbeiter, er sprach sich gegen Militäreinsatz gegen Streiks im Rhurgebiet aus- in Oppposition zu Bismarck und lockerte die Sozialistengesetze. Er hoffte, die Arbeiter für Christentum und Patriotismus zu gewinnen und versprach sich viel von der Partei des Hofpredigers Stöcker.

Interessant hier ist noch, das Wilhelm in dieser Frage unter dem nicht zu verachtenden Einfluss seines ehemaligen Erziehers Hinzpeter stand. Eines von Wilhelms Motiven dürfte gewesen, sich beim Volk beliebt zu machen.
Holstein beispielseweise warf Hinzpeter vor, sich "neben dem Kaiser durch die soziale Frage berühmt werden" (1) zu wollen.

Wilehlms Mutter urteilte, " Er hört in diesen Fragen auf Hinzpeter, der ein sehr leidenschaftlicher Christlicher Sozialist ist." (2) Der Erzieher, so glaubte sie habe Wilhelm für sein sozialpolitisches Programm gewonnen, "er werde sich darin eine Fundgrube der Beliebtheit erschließen, die ihm zum großen Mann machen würde. (3)

Eulenburg klärte Holstein dahingehend auf, das er die Arbeiterfrage mit der Idee verbinde, den Kaiser zum Arbeiten zu veranlassen. (4)


(1) Eulenburgs Korrespondenz, I, Nr. 299 und Nr. 306, Holstein an Eulenburg vom 1. und 04.02.1890

(2) Kaiserin Friedrich am 15.02.1890 an Queen Victoria, RA Z47/32 hier zitiert nach Röhl, Wilhelm II Der Aufbau der Persönlichen Monarchie, S.301, München 2001

(3) Kaiserin Friedrich am 19.02.1890 an Queen Victoria, RA Z47/34 hier zitiert nach Röhl, Wilhelm II Der Aufbau der Persönlichen Monarchie, S.301, München 2001

(4) Eulenburg am 03.02.1890 an Holstein, Eulenburgs Korrespondenz, I, Nr. 299 und Nr. 306
 
Es gibt ein zeitgenössisches Zitat zu Wilhelm - ich weiß leider nicht mehr von wem - dahingehend, dass der Kaiser immer die Meinung dessen hat, mit dem er zuletzt gesprochen hat. Wenn man also wisse, mit wem sich der Kaiser als letztes unterhalten hat, dann wisse man auch, was er gerade will.

Was Punkt 2) betrifft, so war Deutschland zwar europäische Großmacht, aber keine Weltmacht wie GB, Russland und Frankreich. Es wollte/sollte aber Weltmacht werden.
 
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