Widersprüchliche Persönlichkeiten der Geschichte

H

Hulda

Gast
Widersprüchliche Persönlichkeiten der Geschichte
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Mir schwebt eine Sammlung von Personen mit deutlichen Widersprüchen im Denken und Handeln kreuz und quer durch alle Epochen vor. Falls ich einen solchen Bereich bei der Durchforstung des Forums übersehen haben sollte, so kann dieser Beitrag einfach gelöscht werden.
Ich mache den Anfang mit Jean Jacques Rousseau (1712 – 1781).
Bekannt ist Rousseau als Philosoph der französischen Aufklärung, als deren Überwinder er aber auch zugleich gilt. Mit seiner Gefühlsetik und Naturfrömmigkeit wurde er zum „Inspirator für die Romantik.“ (H. Blankertz, S. 70)
Die genetische Erklärung der menschlichen Wirklichkeit bildet die innere Systematik der Philosophie Rousseaus. (vgl. M. Rang, S. 31) Hierbei muss man die Zustände des Ancien régime vor Augen haben:
Der ursprünglich gute, einsame Wilde, der „bon sauvage“, - hier tritt Rousseau in Gegensatz zu Hobbes ( der im Naturzustand den Krieg aller gegen alle annahm) – denaturiert zum vom Bösen geleiteten Gesellschaftsmenschen. ( Der „zweite Diskurs“ (1755) befasst sich mit der Entstehung des Gesellschaftszustandes.)
Als Ausweg aus dem gesellschaftlichen Dilemma bietet Rousseau nun nicht den Weg zurück in den Urzustand an – wie oft fälschlich angenommen (vgl. H. Blankertz, S.71) – sondern er bietet Utopien an: den „Contrat social“ und den für die Geschichte der Pädagogik so bedeutsamen Erziehungsroman „Emile oder über die Erziehung“.
Im „Contrat social“ entwirft Rousseau eine ideale Gesellschaftsform, in der der Mensch unabhängig und frei bei sich selbst sein kann, indem er die Gesetze, denen er sich unterwirft, selbst bestimmt. Hier wird von einer überschaubaren Größe des Staatswesens ausgegangen (Schweiz als Vorbild), das Delegationsprinzip lehnt Rousseau ab. (vgl. M. Rang, S. 162) Was aus der „volonté générale“ in Zeiten des Terrors noch werden sollte, ist nicht Gegenstand meiner Betrachtung.
Mir geht es vielmehr um die aus Rousseaus Vorstellungen von einer natürlichen Erziehung, die gleichberechtigt neben der im „Contrat social“ entworfenen politischen Erziehung steht, resultierenden Ergebnisse.
Die Entwicklung des fiktiven Jungen „Emile“ dient als Objekt für die Erkenntnis der individuellen Menschwerdung. (vgl. M. Rang, S. 102)
Hier soll nicht der Inhalt dieses Erziehungsromans wiedergegeben werden, vielmehr soll aufgezeigt werden, dass Rousseau nicht nur als erster das Eigenrecht des Kindes herausgestellt hat, d. h. dem Bewegundsdrang des Kindes, der Altersgemäßheit der Anforderungen, dem Spieltrieb, der Stärkung der Kräfte muss Rechnung getragen werden, sondern dass er – und das erscheint der Argumentation Blankertz’ folgend (vgl. ders., S. 70) noch bedeutsamer – erstmals nach dem Wesen und Ziel der Erziehung fragte, die zuvor immer als selbstverständlich im Sinne der Überlieferung des Verhaltens von einer Generation auf die nächste angenommen worden war.
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„Die Rousseausche Frage nach dem eigenen Ziel der Erziehung aber änderte das Urteil. Denn danach musste die Erziehung den Menschen zur Mündigkeit, zur Selbständigkeit, zu eigenem Urteil, zur Vertretung dessen, was er selber war, wollte und nach Maßen des in ihm selbst liegenden Gesetzes sein mußte, führen.“ (H. Blankertz, S. 70)<o:p></o:p>
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Nicht gerade wenig, was der Herr Philosoph fordert.
Doch was macht er mit seiner eigenen Brut? Steckt sie ins Waisenhaus!!!!!!!!!!!!!!!!!! :autsch::rofl::devil:
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Literatur:
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Blankertz, Herwig: Die Geschichte der Pädagogik, von der Aufklärung bis zur Gegenwart, Wetzlar 1982
Cassierer, Ernst: Die Philosophie der Aufklärung, Tübingen 1932
Fetscher, Iring: Rousseaus Politische Philosophie: Zur Geschichte des demokratischen Freiheitsbegriffs, Neuwied 1960
Rang, Martin: Rousseaus Lehre vom Menschen, Göttingen 1959
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und natürlich Rousseaus Schriften
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Liebe Geschichtsfans,
da ich von Geschichte nur bedingt Ahnung habe und mich (und viele andere) gerne durch das Wissen anderer bereichern lassen möchte, würde ich mich darüber freuen, wenn wir hier widersprüchliche Charaktere der Geschichte sammeln könnten. Für mich wäre das ein Ansporn, mich dann näher mit der Epoche zu beschäftigen, der die jeweilige Person entstammte.
Der Schreibstil meines "Rousseau" wirkt vermutlich nicht übermäßig einladend, ist wohl "furztrocken", bitte um Nachsicht, übe noch!! :winke:
 
Alle Menschen sind mehr oder weniger widersprüchlich. Nicht alle sind zwangsläufig berühmt, auch sind die Auswirkungen unterschiedlich.
Ein Gesichtspunkt der Geschichte ist doch die Beschäftigung mit Widersprüchlichkeit .
 
Vielleicht ein Versuch: Martin Luther 1483 - 1546
Im Ergebnis der Reformation erhoben sich vielerorts die Bauern. Es kam zum Bauernkrieg. Aber da distanzierte sich Luther von den Bauern.
 
Luther, ein unpolitischer Mensch

Vielleicht ein Versuch: Martin Luther 1483 - 1546
Im Ergebnis der Reformation erhoben sich vielerorts die Bauern. Es kam zum Bauernkrieg. Aber da distanzierte sich Luther von den Bauern.

Danke für den Beitrag. Melde mich nach längerer Pause zurück und versuche ein paar Gedanken hinzuzufügen.
Meines Erachtens war Luther ein rein religiös und mitnichten politisch motivierter Mensch, der mit "Freiheit" die "Freiheit eines Christenmenschen" meinte, die unabhängig von äußeren Gegebenheiten Gültigkeit besaß.
Ich denke, Luther hätte angesichts der Bauernkriege mit Berechtigung sagen können: Ich habe es nicht gewollt.
Über Meinungen zu meinen Gedanken würde ich mich sehr freuen, zumal ich mich mit Luther nicht wirklich auskenne.
 
der klerus, welcher feist und pausbäckig von der glückseligmachenden wirkung eines einfachen, armen lebens predigte (die bettelorden klammere ich hiermit aus.) - wobei hier der unterschied wohl weniger im denken und handeln sondern in der empfehlung für andere und im eigenen tun lag.

zur Luthersache stimm ich dir zu: er distanzierte sich mE nach von den kriegerischen auswüchsen - die er nicht gewollt, aber zweifelsohne erahnt hatte, nicht aber von seinen reformationsgedanken.
 
Zuletzt bearbeitet:
der klerus, welcher feist und pausbäckig von der glückseligmachenden wirkung eines einfachen, armen lebens predigte (die bettelorden klammere ich hiermit aus.) - wobei hier der unterschied wohl weniger im denken und handeln sondern in der empfehlung für andere und im eigenen tun lag.

zur Luthersache stimm ich dir zu: er distanzierte sich mE nach von den kriegerischen auswüchsen - die er nicht gewollt, aber zweifelsohne erahnt hatte, nicht aber von seinen reformationsgedanken.

Luthers reformatorische Ambitionen richteten sich doch gegen den obengenannten Klerus. Welchen Sinn hätte es aus seiner Sicht gehabt, sich von seinen Gedanken zu distanzieren? Er wollte eine Rückkehr zur in der Bibel festgehaltenen Lehre.
 
Hulda
(...) Meines Erachtens war Luther ein rein religiös und mitnichten politisch motivierter Mensch, der mit "Freiheit" die "Freiheit eines Christenmenschen" meinte (...)
Da gebe ich dir recht. Das eigentliche Ziel Luthers war es in seinen Thesen den Ablasshandel zu kritisieren. Wohlweislich hat er seine Meinung auf lateinisch niedergeschrieben um mit Gelehrten und Magistern seiner Zeit über diesen Missstand in der katholischen Kirche zu diskutieren.
Grund genug hatte Luther allemal. Hinzu kommt die Tatsache, dass der Petersdom nur durch das Geld des Ablasshandels finanziert wurde.
Doch die Bauern ereiferten sich und sahen in der Kritik des Ablasshandels die Kritik an Feudalwesen und Obrigkeit. Luther war schon zu den Bauern "distanziert" bevor der Bauernkrieg ausbrach. Denn er sah die Verbrechen der Leute als "Schandtaten unter dem Missbrauch des Glaubens". Thomas Müntzer war derjenige welcher der die radikale Reformation unterstützte. Martin Luther prägte die erste Phase der Reformation und hatte nie gewollt, dass es zum Krieg kam (friedliche Reformation).
 
Zuletzt bearbeitet:
der klerus, welcher feist und pausbäckig von der glückseligmachenden wirkung eines einfachen, armen lebens predigte (die bettelorden klammere ich hiermit aus.) - wobei hier der unterschied wohl weniger im denken und handeln sondern in der empfehlung für andere und im eigenen tun lag.


Da muss ich aber ganz massiv widersprechen! Mag es sein, dass du hier auf die kirchliche Oberschicht anspielst und alles in einen Topf wirfst?

Der durchschnittliche Pfarrer musste genau so viel arbeiten wie jeder andere Bauer auch. Er erhielt kein "Gehalt", wie es heute bei Geistlichen üblich ist, sondern er musste auch einen Bauernhof bewirtschaften, der zu seiner Pfarrstelle gehörte. Bei schlechten Ernten oder dergleichen war er genauso arm dran wie der Rest der Dorfgemeinschaft.

...und ich möchte sogar behaupten, dass die Bettelorden kurz vor der Reformation auch nicht mehr von der Hand in den Mund lebten. Schließlich waren sie es, die in den Testamenten der spätmittelalterlichen Bürger besonders bedacht wurden, weil sie ja insbesondere in den großen Städten wirkten.
 
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