Wie haben sich Römer eigentlich angeredet?

Eichelhäher

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Ich ärgere mich selbst, dass ich das fragen muss, aber je mehr ich weiß, desto verwirrter werde ich. Welche(n) der drei Namen benutzen die Römer, wenn sie sich anredeten?

Unter Freunden und Familie den Vornamen, klar. Naja, und Polybios spricht in seiner putzig-griechischen Art im Schlachtengewirr von -zig Gnaei und Marci.

Unter Erwachsenen hätte ich auf den Gentilnamen getippt und habe das auch mal so gelernt, aber tatsächlich scheint der am seltensten vorzukommen, wenn ich mir die Literatur angucke, jedenfalls nicht alleine.

Livius schreibt fast durchgängig von Cognomina. Macht natürlich Sinn - Scipio und Lentulus sind viel eindeutiger als Cornelius und Cornelius. In wörtlicher Rede sprechen sie sich dann mit Praenomen und nomen gentile an - "L. Aemilius", "Q. Fabius".

Dann lassen einige (Cicero und teilw. Livius) den Gentilnamen dauernd weg. Cicero spricht Caesar als C. Caesar an, spricht von M. Claudius Marcellus nur als M. Marcellus, Livius nennt Cn. Cornelius Lentulus nur Cn. Lentulus. Das, wie gesagt, verwirrt mich komplett. Bei Livius wittere ich dahinter vielleicht einen Versuch, die gens Cornelia aus der schmachvollen Schlachtbeschreibung von Cannae rauszuhalten? Er tut das sonst eher nicht.

Weiß da jemand noch mehr zu, oder machte der Römer das nach Lust und Laune, je nachdem, was er grade betonen wollte oder nicht? Zwei Namen zu nennen, darunter das praenomen, scheint aber schon zum guten Ton zu gehören?
 
Ich könnte (!) mir vorstellen, dass auch in der Kaiserzeit innerhalb von Römern zumindest künstlich Klientel- / Freundschafts- / Patronatsverhältnisse thematisiert wurden, also als patron etc. amicus oder auch Vornamen? Oder auch mit dem jeweiligen Titel?

Das betonen zum hervorheben von Nähe / Abstand / auctoritas könnte ich mir auch vorstellen aber wie gesagt... das sind alles Schüsse ins Blaue meinerseits.:scheinheilig:
 
Titel wäre mir jetzt tatsächlich nicht bekannt. Kein consul, domine oder sonstwas. habe ich nirgendwo gefunden. Das fand ich grade interessant an den Römern, dass man auch den Konsul einfach mit Namen anredet, ohne Amts- oder Ehrenbezeugung.

Ach ja, ich vergaß zu erwähnen - meine Frage zielt auf die Republik ab. :)
 
Bei "Drittpersonen" ist mir aber durchaus untergekommen das sie durch ihr gewesenes Amt definiert wurden, zumal das Alter, die inne gehabten Ämter und Wiederholungen durchaus von Bedeutung waren. So ist es ja auch ein gewesener Prätor der "zufällig" die Himmelfahrt des Augustus bezeugt.. das ist mir jetzt als Beispiel mal "republikanisch" genug ;)

Daher würde ich es zumindest für möglich halten... kumpelhafte Plaudereien sind mir allerdings nicht bekannt, wer weiß ob Cato der Ältere von seinen Höhergestellten Klienten auch mal als "alter Suffkopf" bezeichnet wurde ;)

Allerdings bin ich über die Verwendung von Vornamen schon gestolpert, so heute in Suetons Leben der Caesaren der einen (eventuell auch erfundenen) Brief von Augustus an Agrippina die Jüngere in dem Caligula als "Gaius" bezeichnet wird. Bei Standesgrenzen bezweifle ich allerdings, dass eine Nennung des Vornamens angebracht gewesen wäre.

Der Kaiser hatte ja auch nur "Freunde" in jedem Stand, und konnte diese dann eventuell auch so anreden? Eine unbefriedigende Lösung, auch wenn ich in die Kaiserzeit abdrifte, da nicht des Kaisers Freund zu sein eine Aufforderung zum Selbstmord war.

Aber wie gesagt, ich spekuliere, wenn ich mich durch das Lesepensum gekaut habe suche ich Quellen!
 
Interessantes Thema - zu dem ich leider auch keine echte Antwort weiß.

Interessant - und unheitlich - sind die Anreden in Briefen: Plinius redet seine Adressaten im Briefkopf meist mit dem Geschlechts- und dem Familiennamen an, manchmal aber auch nur mit dem Familiennamen, den Kaiser immer mit "Traianus Imperator". Cicero redet seine Adressaten meist nur mit dem Familiennamen an, seinen Bruder aber natürlich mit dem Vornamen. Bei Amtsträgern allerdings führt er zusätzlich den aktuellen Amtstitel (aber auch "consul designatus") an.
 
Ich weiß nicht, ob Briefköpfe da repräsentativ sind - die sind ja schließlich auch noch eine Art Postadresse. Am interessantesten finde ich wirklich direkte Anreden, in Geschichtswerken oder Reden.

Um die Situation noch weiter deutlich zu machen - ich schreibe eine Kurzgeschichte/Graphic Novel/FSK-12-Bilderbuch über die Schlacht bei Cannae, und überlegte, wie sich Konsuln und Kriegstribunen anreden. Die Karthager sind da ja einfacher. ;)
 
Zu den Karthagern haben wir aber keine Quellen aus erster Hand, da wissen wir überhaupt nicht, wie z. B. ein Unterfeldherr Hannibal angesprochen hat.

Bei der Frage, wie sich Römer im direkten Gespräch gegenseitig angesprochen haben, haben wir leider ein bisschen das Problem der Quellenarmut. Die wenigen erhaltenen römischen Dramen (Plautus, Terentius, Seneca) spielen alle in Griechenland, wo ohnehin nur ein Name für die Anrede zur Auswahl stand.

In der 1. Rede gegen Catilina, in der Cicero Catilina direkt ansprach, redete er ihn als "Catilina" an. In den Reden, die er an Caesar richtete, sprach er diesen mit "Gaius Caesar" an.

Wenig hilfreich sind Gedichte: Wenn Catull in einem Gedicht eine Person direkt ansprach, dann teilweise mit dem Geschlechts-, teilweise mit dem Familiennamen, meist aber mit dem Geschlechtsnamen. Martial ist ebenfalls uneinheitlich, aber bei ihm überwog eher der Familienname.
 
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Danke für die weiteren Beispiele! Passen zu dem, was ich hatte, ohne wirklich was zu entscheiden. ;)

Die Karthager, meinte ich, sind leichter, weil sie immerhin nur einen Namen haben (bis auf wenige Ausnahmen). Wobei sich auch da eine spannende Frage aufwirft. Die römische Tendenz, sich mit normalem Namen statt mit Titeln anzusprechen, spricht ja sehr stark von einer auf einem Gleichheitsgedanken basierenden Gesellschaft ohne Hoheitsallüren. (Dass sie nicht egalitär war, ist klar, aber die Art der Ansprache sagt eine Menge darüber aus, wie die Römer von sich selbst dachten.) Das war mir schon in der Serie "Rome" aufgefallen, dass mich das ständige "Doohminus" störte, mit dem da um sich geworfen wurde. Das wirkt einfach distinktiv unrömisch.

Für die Karthager könnte ich mir beide Extreme vorstellen. Die Karthager waren mindestens so stolz auf ihre Demokratie (lies: mehr oder weniger gut getarnte Oligarchie), und so könnte ich mir da einen ähnlich egalitären Charakter vorstellen, und sei es nur in der Form der Anrede. Andererseits wirkt die karthagische Gesellschaft recht förmlich, von den wenigen Zeugnissen her, die wir haben, und das würde eher für das Gegenteil sprechen. Was immerhin heißt, ich habe mangels Quellen freie Hand.
 
Bei der Frage, wie sich Römer im direkten Gespräch gegenseitig angesprochen haben, haben wir leider ein bisschen das Problem der Quellenarmut.

Ich habe hier ein Heftchen, in dem in anderem Zusammenhang der Wortlaut von ein paar röm. Graffitti (in Übersetzung) geboten wird, in denen jemand direkt angeredet wird (wenn auch, um ihn zu verspotten). Das wären zumindest Alltagsquellen, welche die Namens-Anrede auf der Straße einigermaßen authentisch wiederspiegeln könnten:

"Perarius, du bist ein Dieb!" (CIL IV 4764)
"Oppius, du Hanswurst [...]" (CIL IV 1949)
"Aephebus, du bist ein Windbeutel!" (CIL IV 4533)
"Macer, dein Hirn ist locker!" (CIL IV 10243)
"Mino Carpo, platze!" (CIL IV 8422)
"Chius, ich wünsche dir [...]" (CIL IV 1820)

Wenn ich's richtig sehe, ist da vornehmlich der Cognomen verwendet. Die waren sicher am individuellsten und somit am eindeutigsten.
 
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Oh cool! An die hatte ich gar nicht gedacht! Hm, Macer ist ein cognomen, Oppius ein nomen gentile. Aephebus und Chius klingen griechisch, könnten aber auch als ursprüngliche Vornamen geführte Cognomina griechischer Freigelassener sein (in welchem Fall ihr erworbener Gentilname uneindeutig wäre). Perarius könnte ein Campanisches nomen gentile sein. Mino Carpo ist... komisch. :D

Also, alles beim Alten, aber stützt die These, dass es nicht einheitlich war!
 
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Ich nehme an, dass es für die Ansprache gar keine richtigen Regeln gab. Selbst Kaiser gingen mit je einem der 3 Namen in die Geschichte ein. Tiberius mit dem Praenomen, Claudius mit dem Nomen Genitile und Nero mit dem Cognomen. Alle drei hießen Tiberius Claudius Nero.
Bei den Flaviern dasselbe. Vespasian und Domitian mit dem Beinamen und Titus mit dem Vornamen. Alle Drei trugen aber den Vornamen Titus. Ich kann mir auch nicht vorstellen wie die Mutter ihre Söhne rief, wenn beide und der Vater den gleichen Vornamen hatten. Hätte sie "Titus" gerufen wären alle Drei erschienen.
 
Kluge Frauen, die alten Römerinnen. Einmal rufen, alle am Tisch. Traumhaft. :D Aber dasselbe praenomen unter Brüdern war doch unüblich, oder? Mir ist jetzt kein Fall bekannt. Vater und Sohn, klar.

Das mit Tiberius Claudius Nero und den "Titi" ist mir tatsächlich nie in dieser Deutlichkeit aufgefallen! Ich hatte es immer drauf geschoben, dass der alte Name "verbraucht war (wer wollte sich schon Claudius der 2. nennen?), aber es stützt auch wieder die Willkür bei der Nennung.
 
Kluge Frauen, die alten Römerinnen. Einmal rufen, alle am Tisch. Traumhaft. :D Aber dasselbe praenomen unter Brüdern war doch unüblich, oder? Mir ist jetzt kein Fall bekannt. Vater und Sohn, klar.
Vielleicht waren die Flavier besonders einfallslos bei der Namensvergabe ihrer Söhne oder Papas Vornamen war einfach zu schön um ihn nicht gleich zweimal weiterzuvergeben.:grübel:
Es gab aber offenbar den Fall, dass der Vornamen zweimal vergeben wurde, wenn einer der Brüder dafür ein anderes Cognomen bekam, wie das bei Domitian der Fall war. Ich nehme an, dass er auch von seinen Angehörigen mit dem Beinamen angesprochen wurde.
Claudius war offenbar weniger verbraucht als Julius. Selbst Caligula nannte sich nur noch Gaius Caesar Germanicus und ließ den Julius weg. Offenbar war hier der Beinamen Caesar an Stelle des Familiennamens getreten.
 
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Der Bruder Vespasians hieß auch Titus. Auch hier waren die Cognomen verschieden, der Eine das der Mutter Vespasia ,der Andere das des Vaters Sabinus. Titus Flavius Vespasianus und der Bruder Titus Flavius Sabinus. Bei Titus und Domitian verhielt es sich ebenso, Titus nach dem Vater Vespasianus und Domitianus nach der Mutter Domitilla.
 
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Ich glaube irgendwo nicht, dass die Römer das so verwirrend fanden wie ich, beim Ansehen von Stammbäumen der Kaiser denkt man schon "Wer zum Geier hatte da den Überblick", wenn man Ehrbezeichnungen, Rufnamen (die nicht immer mit dem Cognomen gleich sein mussten) bzw. das Alter berücksichtigt konnte man sich aber dennoch zurechtfinden denke ich.
 
Als Claudius noch kein Kaiser war ,wurde er vermutlich mit Tiberius angesprochen denn in Briefen an seine Frau Livia schrieb Augustus immer vom jüngeren Tiberius, wenn er Claudius meinte.
Es ist auch etwas kurios, dass der Kaiser, der als Nero in die Geschichte einging, der einzige aus der Familie war, der den Namen in seiner Kindheit noch gar nicht besaß. Er hieß Lucius Domitius Ahenobarbus und erst nach der Adoption durch Claudius ,Tiberius Claudius Nero.
 
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... und hätte sich dann, um die Verwirrung von Geschichtsschülern komplett zu machen, eigentlich Domitian nennen müssen. ;)
 
Als Claudius noch kein Kaiser war ,wurde er vermutlich mit Tiberius angesprochen denn in Briefen an seine Frau Livia schrieb Augustus immer vom jüngeren Tiberius, wenn er Claudius meinte.
Es ist auch etwas kurios, dass der Kaiser, der als Nero in die Geschichte einging, der einzige aus der Familie war, der den Namen in seiner Kindheit noch gar nicht besaß. Er hieß Lucius Domitius Ahenobarbus und erst nach der Adoption durch Claudius ,Tiberius Claudius Nero.

Im Bezug auf die "Position" der Adoption in der römischen Gesellschaft (die bei weitem nicht so "besonders" bzw. "selten" wie heute ist (ehrlichgesagt, ich weiß nicht wie selten Adoptionen in Dtl. sind, sehe sie aber dennoch als etwas eher "besonderes" im Vergleich zum RR an), nicht verwunderlich, man sehe sich nur mal Lucius Verus an der aufgrund der Adoption seines eigenen Vaters durch Hadrian, dann aufgrund der eigenen Adoption durch Pius, dann aufgrund der Miterhebung zum Kaiser die Namen wechselte, und der Spaß den man erst generell hat wenn man sich mit den Adoptivkaisern beschäftigt.

Was Nero angeht so hatte seine Familie in den vorigen Generationen wenigstens noch eine (wenn auch recht merkwürdige) Tradition was die Namen der männlichen Familienmitglieder anging, wobei Namensgleichheit zwischem Erstgeborenen und Vater ja nicht selten waren.
 
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