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Liebe Forumsmitglieder.

Ich stehe vor einem Problem in Bezug auf mein Referat "wie rechter Terrorismus" die Gesellschaft verändert. Das Thema wurde mir vor etwa einem Monat zugeteilt und ich hab mir auch schon einiges an Literatur zu dem Bereich durchgelesen (u. a. Blut und Ehre: Geschichte und Gegenwart Rechter Gewalt in Deutschland), aber ich schaffe es nicht von den historischen Fakten direkt eine Brücke zu realen, darauffolgenden gesellschaftlichen Veränderungen zu schlagen und auch die Treffer meiner Internetrecherche waren wenig zufriedenstellend.

Wenn ich jetzt beispielsweise die NSU-Anschläge hernehme, so kann ich nach der Aufdeckung anschließend keine wirkliche Veränderung in der deutschen Gesellschaft feststellen oder liege ich da falsch?

Hat irgendwer von euch Ahnung von der Thematik Rechtsterrorismus und kann mir dementsprechend vertiefendes Material verlinken oder hat jemand anderweitig Tipps.

Vielen Dank schonmal im Voraus. :)
 
Darf ich fragen, in welchem Fach dieses Referat gehalten wird?

Persönlich tue ich mir mit der Fragestellung Deiner Lehrer oder Dozenten schwer, weil sie aus meiner Sicht eigentlich nur mit Abstand zum Geschehen zu beantworten wäre.

So könnte man argumentieren, dass der NSU-Skandal die Gesellschaft tatsächlich nicht verändert hat – man könnte aber auch einwenden, dass solche Veränderungen (man denke etwa daran, wie viel Zeit das Parlament benötigt, um neue Gesetze zu erlassen) gar nicht binnen weniger Jahre zu erwarten wären.

Mein Rat wäre, ziehe die Verfassungsschutzberichte zu Rate. Lese Dich ein in den Abschlussbericht zum NSU-Untersuchungsausschuss, um die Schlussfolgerungen der großen Parteien mitzunehmen. Auch die Bundeszentrale für politische Bildung sollte interessantes Material bereitstellen können.

Ich muss gestehen – aber das ist ausdrücklich nur meine persönliche Meinung –, dass ich an Deiner Stelle mich auf Stimmen aus der Mitte der Gesellschaft beschränken würde und solche von den Rändern allenfalls der Vollständigkeit halber, aber explizit so gekennzeichnet, in meine Arbeit einfließen lassen würde.

Es liegt nämlich meiner Meinung nach in der Natur der Sache, dass von Akteuren wie etwa der AfD auf der einen Seite, aber auch bspw. der Amadeu-Antonio-Stiftung auf der anderen Seite, kaum objektive Einschätzungen zu bekommen sind, welche Konsequenzen die Gesellschaft gezogen hat bzw. ziehen sollte.
 
Ich würde schon vor dem NSU-Komplex beginnen und den Anschlag auf Dutschke, die Wehrsportgruppe Hoffmann und das Oktoberfestattentat mitberücksichtigen. Ich bin gespannt auf deine Untersuchungsergebnisse.
 
Ich würde schon vor dem NSU-Komplex beginnen und den Anschlag auf Dutschke, die Wehrsportgruppe Hoffmann und das Oktoberfestattentat mitberücksichtigen.
Im Sinne des historischen Kontexts gewiss, aber mir scheint, die genannten Beispiele sind zu isoliert (oder wurden zumindest so wahrgenommen), als dass gesellschaftliche Veränderungen leicht von ihnen hätten ausgehen können.

Diese Beobachtung hat man auch im Bereich des Linksextremismus bzw. Islamismus gemacht. Man könnte sagen, die Anschläge vom 11. September hätten dieses Land bei Weitem nicht so verändert wie die Angriffe von Islamisten in den Jahren 2015 und 2016, die doch selbst in summa nicht dieselbe Intensität erreichten.

Es sei denn natürlich, man wollte sich der Meinung o.g. Stiftung anschließen (deswegen habe ich überhaupt davon angefangen) und bspw. in den Ausschreitungen von Lichtenhagen oder Hassverbrechen gegen Ausländer und Anhänger der linken Szene allgemein "terroristische" Taten erblicken.

Ich halte das für abwegig. Die gängige Terrorismus-Definition, die sich vor allem auf die öffentliche Tatbegehung und den Versuch stützt, durch die Erzeugung von Angst und Schrecken gesellschaftliche Veränderungen zu erzwingen, kann solche Taten nicht erfassen.

Deswegen haben manche Forscher auch, wohl nicht völlig zu Unrecht, die Bezeichnung der NSU-Taten als "Terrorismus" kritisiert: Immerhin hatte dieses Mörder-Trio ja bis zuletzt keinen ernsthaften Versuch unternommen, die Öffentlichkeit von seiner Existenz auch nur in Kenntnis zu setzen.

Was den NSU anlangt, fühle ich mich auch selbst eher an die Fememorde und die extremistische Geheimbündelei der Weimarer Republik erinnert als an eine Terrororganisation im Sinne der Definition.

Deswegen würde es mich auch gar nicht wundern, wären die Taten im Sinne eines gesellschaftlichen Wandels folgenlos geblieben. Es fehlte der heilsame Schock des "Live-Erlebens"; die Gesellschaft, die immer v.a. auf Bilder und Symbole reagiert, sah sich nicht unter Druck gesetzt, angegriffen.

Das ist wegen der Opfer beklagenswert, aber psychologisch leider nachvollziehbar.
 
Oder aber man lässt die Bundesrepublik vollkommen aussen vor und bezieht sich auf die Weimarer Republik mit den Morden an Erzberger, Rathenau, Eisner, etc. Da die Täter sehr lasch geahndet wurden, hat dies das gesellschaftliche Klima verändert. Die Frage ist, ob so eine Eingrenzung zulässig ist.
 
Zuletzt bearbeitet:
Ich halte das für abwegig. Die gängige Terrorismus-Definition, die sich vor allem auf die öffentliche Tatbegehung und den Versuch stützt, durch die Erzeugung von Angst und Schrecken gesellschaftliche Veränderungen zu erzwingen, kann solche Taten nicht erfassen.
Also ist deiner Meinung nach nicht der Anschlag an sich und ggf. seine Schwere dafür ausschlaggebend, ob es sich um Terror handelt, sondern ob die Gruppe/Person ein Kommuniqué verfasst hat?
Ich halte das für keine sinnvolle Terrorismusdefinition.

Was ist Terrorismus? Terrorismus ist eine Handlung, die dazu dient, die Bevölkerung oder zumindest einen Teil davon in eine mindestens diffuse Angst davor zu versetzen, dass sie/er (die Bevölkerung/der Bevölkerungsteil) ständig damit rechnen muss, brutal aus dem Leben gerissen zu werden. M. E. bedarf es dazu keiner Kommuniqués, sondern nur der diffusen, aber realen Bedrohungslage (wenn auch mit einer i.d.R. äußerst geringen Wahrscheinlichkeit für das Individuum, direkt betroffen zu werden).

Ob der Terrorismus sein Ziel tatsächlich erreicht, ist dann noch eine andere Frage.

Deswegen haben manche Forscher auch, wohl nicht völlig zu Unrecht, die Bezeichnung der NSU-Taten als "Terrorismus" kritisiert: Immerhin hatte dieses Mörder-Trio ja bis zuletzt keinen ernsthaften Versuch unternommen, die Öffentlichkeit von seiner Existenz auch nur in Kenntnis zu setzen.
Die Rohfassung eines - zumindest nach innen in die Szene gerichteten - Bekennervideos gab es ja.
 
@El Quijote Nicht notwendigerweise ein formelles Bekennerschreiben; aber es hat seinen Grund, dass die Terrorismus-Definition des deutschen Strafrechts (vgl. Münchner Kommentar/Schäfer, 3. Aufl. 2017, StGB § 129a, Rn. 24 ff.) die Herstellung von Öffentlichkeit und eine politische Zielsetzung verlangt.

(Wobei Letzteres allgemein zu verstehen ist, d.h. bezogen auf die rechtmäßigen gesellschaftlichen Entscheidungsfindungsprozesse, die durch Gewalt oder Androhung von Gewalt beeinflusst werden sollen.)

Ohne diese Kriterien käme man, denke ich, in die Verlegenheit, dass Straftaten der Terrorismus-Definition unterfielen, die man dem Terrorismus nicht zurechnen wollen wird – z.B. die Anschläge, mit denen die 'Hells Angels' Mitglieder rivalisierender Banden aus "ihren" Städten verjagen wollen.

Wie Du richtig bemerkt hast, müssen die "zu Terrorisierenden" schon wissen, dass sie potentielles Angriffsziel sind, aber auch, warum, und dieses "warum" muss m.E.n. politischer Natur im o.g. Sinne sein.

Eine "mindestens diffuse Angst davor", Opfer von Gewalt zu werden, hat bspw. auch so manche Frau nächtlicherweile in der Stadt, und sie weiß auch, warum sie zur Zielscheibe werden könnte.

Nach allem, was wir im NSU-Prozess gehört haben, glaubten nicht einmal alle Angehörigen der Opfer an ein fremdenfeindliches Verbrechen; umso weniger Bevölkerungsteile mit Migrationshintergrund im Allgemeinen.

Und von der Verbindung zwischen den Morden konnte niemand wissen, da die Polizei dabei versagte, einen möglichen Zusammenhang zu ermitteln.

Ich denke auch, dass Du hinsichtlich der von Dir favorisierten Definition nicht umhinkommen wirst, mehr als nur eine "diffuse" Bedrohung zu verlangen.

Denn in der Realität müssen Menschen mit Migrationshintergrund leider ohnehin in dem Bewusstsein leben, dass sie tagtäglich Opfer einer fremdenfeindlichen Straftat werden könnten – sei es aufgrund eigenen Erlebens, oder weil sie durch Dritte von fremdenfeindlichen Straftaten hören.

Würde dann aber nicht jede fremdenfeindliche Straftat zu einer terroristischen, und damit der Terrorismus als Tatmodus zum Status Quo erhoben?
 
Liebe Forumsmitglieder.

Ich stehe vor einem Problem in Bezug auf mein Referat "wie rechter Terrorismus" die Gesellschaft verändert. Das Thema wurde mir vor etwa einem Monat zugeteilt und ich hab mir auch schon einiges an Literatur zu dem Bereich durchgelesen (u. a. Blut und Ehre: Geschichte und Gegenwart Rechter Gewalt in Deutschland), aber ich schaffe es nicht von den historischen Fakten direkt eine Brücke zu realen, darauffolgenden gesellschaftlichen Veränderungen zu schlagen und auch die Treffer meiner Internetrecherche waren wenig zufriedenstellend.

Wenn ich jetzt beispielsweise die NSU-Anschläge hernehme, so kann ich nach der Aufdeckung anschließend keine wirkliche Veränderung in der deutschen Gesellschaft feststellen oder liege ich da falsch?

Hat irgendwer von euch Ahnung von der Thematik Rechtsterrorismus und kann mir dementsprechend vertiefendes Material verlinken oder hat jemand anderweitig Tipps.

Vielen Dank schonmal im Voraus. :)

Ein paar Ideen, die dir vielleicht helfen können:
- Ziehe Vergleiche mit großen terroristischen Bewegungen mit anderer ideologischer Färbung, z.B. Links-Terrorismus (Stichwort: RAF) und islamischer Terrorismus (z.B. Münchener Olympia-Attentat 1972 oder Al-Kaida-Attentate seit 2001)
- Ein Faktor bei Rechts-Terrorismus, wie z.B. den NSU-Morden war, dass man lange Zeit gar nicht von Rechts-Terrorismus ausging, sondern in andere Richtungen ermittelte, weil es angeblich organisierten Rechts-Terrorismus in Deutschland nicht gab; diese Sichtweise ist praktisch ausgestorben, das könnte z.B. eine Änderung in der Gesellschaft sein
- Wenn es politisch werden soll (wobei hier Vorsicht geboten ist, Neutralitätsgebot), könnte man versuchen einen "Dreiklang" darzustellen - "Rechts-Ideologie, Rechts-Radikalismus, Rechts-Terrorismus" - und das Aufkommen von Rechts-Terrorismus mit einem gleichzeitigen Aufstieg an rechter politischer Ideologie und Rechtsradikalismus zu erklären. Viele Jahrzehnte lang gab es keine "rechte Partei" in deutschen Parlamenten; damit war Deutschland eine Ausnahmeerscheinung in Europa. Kurzfristiges "Aufflackern" von NPD, DVU usw. war mit langfristigen Erfolgen wie z.B. "Front National" in Frankreich nicht zu vergleichen. Aber seit vielen Jahren gibt es ja mittlerweile die AfD, die dieses Spektrum abdeckt. Aber wie gesagt: Vorsicht! Das soll am Ende nicht so klingen, als wäre jeder AfD-Wähler oder -Politiker ein potentieller Rechtsterrorist. Der Ansatz sollte eher sein: "Rechtes politisches Gedankengut ist in den letzten Jahrzehnten stärker geworden" und dies zeigt sich eben in einer Verstärkung von rechten politischen Gruppierungen, einer stärkeren rechtsradikalen Szene und eben auch Rechtsterrorismus.

Im "Kleinen" kann man da ja eine Parallele zum Trumpismus in den USA ziehen, welcher ja auch eine Form von rechter Ideologie ist. Dieser tritt in der Form politischer Gruppierungen auf (Trump und seine politischen Unterstützer), trumpistisch-radikale Gruppen (Einzelgruppierungen, die sehr aktiv in den sozialen Netzwerken sind) und gewaltbereite Anhänger mit dem Potential zu Terrorismus (wie eben bei der Kapitol-Erstürmung, was von einigen Medien und Politikern, u.a. President-Elect Biden als "home-grown terrorism" bezeichnet wurde).

Wichtig bei einem solchen Thema ist eine möglichst neutrale Sprache und Darstellung, damit es eben nicht wie eine persönliche Meinung oder Bewertung aussieht. Von daher ist ein Stützen auf Fakten und Aussagen Dritter (Medien, Politiker, Spezialisten) absolut notwendig.

Ich hoffe, damit ein paar Ideen gegeben zu haben; und sorry an die Foren-Leitung für die eher politische als historische Betrachtungsweise.
 
Erstmal vielen Dank für Eure Antworten, Ihr habt mir alle sehr dabei geholfen erste Verbindungen zu sehen.

Darf ich fragen, in welchem Fach dieses Referat gehalten wird?
Ich hol gerade mein Abitur an einer BOS nach und hier gibt es das Fach GSK, also quasi Geschichte und Sozialkunde zusammengesetzt.

, ziehe die Verfassungsschutzberichte zu Rate. Lese Dich ein in den Abschlussbericht zum NSU-Untersuchungsausschuss
Das ist eine wirklich gute Idee, ich wusste tatsächlich nicht dass die Berichte öffentlich einsehbar sind.

Es liegt nämlich meiner Meinung nach in der Natur der Sache, dass von Akteuren wie etwa der AfD auf der einen Seite, aber auch bspw. der Amadeu-Antonio-Stiftung auf der anderen Seite, kaum objektive Einschätzungen zu bekommen sind, welche Konsequenzen die Gesellschaft gezogen hat bzw. ziehen sollte.
Wie Du selber schon erwähnt hast, werde ich das vielleicht kurz erwähnen aber der Hauptaugenmerk liegt auf der breiten Masse der Gesellschaft.

Wehrsportgruppe Hoffmann
Die Wehrsportgruppe Hoffmann ist ein wirklich interessantes Thema aber geschichtlich betrachtet doch eher eine Randnotiz oder?

Ich bin gespannt auf deine Untersuchungsergebnisse.
Ich hoffe dass ich überhaupt irgendwelche sinnvollen Ergebnisse zustande bringe. :)

Ich halte das für abwegig. Die gängige Terrorismus-Definition, die sich vor allem auf die öffentliche Tatbegehung und den Versuch stützt, durch die Erzeugung von Angst und Schrecken gesellschaftliche Veränderungen zu erzwingen, kann solche Taten nicht erfassen.
Mit den Definitionen ist das immer so eine Sache, denn im Unterricht ist letztendlich immer die des Lehrers die einzig richtige. :D Dementsprechend werde ich da nochmal mit der entsprechenden Lehrkraft Rücksprache halten.

Die Rohfassung eines - zumindest nach innen in die Szene gerichteten - Bekennervideos gab es ja.
Weißt Du ob das irgendwo aufzufinden ist? Ich hab nur ein Transskript und überkommentierte Fassungen gefunden.

Erzberger, Rathenau, Eisner, etc. Da die Täter sehr lasch geahndet wurden, hat dies das gesellschaftliche Klima verändert. Die Frage ist, ob so eine Eingrenzung zulässig ist.
Eine Einschränkung darauf würde wohl auf Themaverfehlung zählen, aber ich werde beim Ausarbeiten des Skriptes sehen ob ich drauf irgendwie eingehen kann oder nicht. Bisher habe ich mich damit ehrlich gesagt noch gar nicht befasst und vielleicht führt das dann auch zu weit.

"Rechtes politisches Gedankengut ist in den letzten Jahrzehnten stärker geworden"
Aber kann man das wirklich auf rechte Terroranschläge zurückführen? Die Gründe darin liegen doch eher in den Flüchtlingsproblematiken oder?

Ich hoffe, damit ein paar Ideen gegeben zu haben
Auf jeden Fall! :)
 
Aber kann man das wirklich auf rechte Terroranschläge zurückführen? Die Gründe darin liegen doch eher in den Flüchtlingsproblematiken oder?

Nein, das Erstarken rechten Gedankenguts ist nicht auf rechte Terroranschläge zurückzuführen.
Ich würde das eher nebeneinander stellen - rechtes politisches Gedankengut, Rechtsradikalismus und rechter Terror sind allesamt stärker geworden und "präsenter", als dies vor 25 oder 50 Jahren der Fall war. All das zusammen hat unsere Gesellschaft verändert. Ich weiß nicht, ob man das isoliert voneinander betrachten kann.

Andere extremistische Strömungen, wie z.B. Linksextremismus oder Islamismus, kommen ja auch nicht alleine und isoliert vor. Es gibt immer diejenigen, die dies als Weltanschauung, Lebensweise oder politische Ideologie betrachten (nennen wir sie die "Gewaltlosen"), dann die Radikalen oder Extremisten (nennen wir sie die "potentiell Gewaltbereiten") und dann eben die Terroristen (die "Gewalt anwendenden"). Alle drei Gruppen kommen aus der gleichen weltanschaulich-ideologischen Ecke, wenden sie aber anders an. Je nach Umfang der Arbeit würde ich das nicht ins Zentrum der Arbeit stellen, aber im Anfangs- oder Schlußteil, um die Arbeit in einen gesamt-gesellschaftlichen Kontext zu stellen.

Eine Idee, die ich noch hatte: Der Rechtsterrorismus hat "aufgerüttelt". Wie bereits erwähnt, ging man ja gerade bei den NSU-Morden anfangs von ganz anderen Tatmotiven aus. Als klar wurde, dass hier eine rechts-terroristische Zelle agierte, gab es ein ungläubiges Erstaunen nach dem Motto "Echt, sowas gibt's bei uns?". In vielen Kreisen ging man offenbar davon aus, dass diese Episode - mit einigen isolierten Ausnahmen, Stichwort: Einzeltäter - seit 1945 für Deutschland abgeschlossen ist. Die Erkenntnis, dass gesellschaftliche Errungenschaften mit jeder neuen Generation immer wieder neu erkämpft und gesichert werden müssen, war eine schmerzhafte.
 
Wie Du richtig bemerkt hast, müssen die "zu Terrorisierenden" schon wissen, dass sie potentielles Angriffsziel sind, aber auch, warum, und dieses "warum" muss m.E.n. politischer Natur im o.g. Sinne sein.

Eine "mindestens diffuse Angst davor", Opfer von Gewalt zu werden, hat bspw. auch so manche Frau nächtlicherweile in der Stadt, und sie weiß auch, warum sie zur Zielscheibe werden könnte.
Moment, hier kehrst du mir meine Definition im Munde um: ich schrieb von Terrorismus als einem Verbrechen, welches mittels Gewalt zum Ziel hat, Menschen dem Gefühl einer diffusen Bedrohungslage auszusetzen. Das heißt aber im Umkehrschluss nicht, dass - weil sich jemand zu Recht bedroht fühlt - von Terrorismus zu sprechen ist. Es gibt eine gewisse geringe Wahrscheinlichkeit Opfer eines Gewaltverbrechens zu werden, aber von der Zielsetzung der Täter mit dem Verbrechen in die Gesellschaft hineinzuwirken hängt es ab, ob das als Terrorismus zu verstehen ist. Da ist es auch nicht erheblich, ob NSU-Opfer(-Angehörige) den fremdenfeindlichen Hintergrund erkannt haben oder nicht.
 
All das zusammen hat unsere Gesellschaft verändert. Ich weiß nicht, ob man das isoliert voneinander betrachten kann.
Das gibt mir zu denken, ehrlich gesagt bin ich mir gerade unsicher ob die Themastellung der Lehrkraft überhaupt so sinnvoll ist, ich werde da diesbezüglich heute nochmal Rücksprache halten. Das Thema "wie rechtes Gedankengut die Gesellschaft verändert mit Schwerpunkt auf terroristischem Handeln" wäre wohl sinnvoller als eine ausschließliche Betrachtung von Terrorakten.
Eine Idee, die ich noch hatte: Der Rechtsterrorismus hat "aufgerüttelt"
Vielen Dank, das kann ich auf jeden Fall verwenden. :)
 
Ich muss gestehen – aber das ist ausdrücklich nur meine persönliche Meinung –, dass ich an Deiner Stelle mich auf Stimmen aus der Mitte der Gesellschaft beschränken würde und solche von den Rändern allenfalls der Vollständigkeit halber, aber explizit so gekennzeichnet, in meine Arbeit einfließen lassen würde.

Es liegt nämlich meiner Meinung nach in der Natur der Sache, dass von Akteuren wie etwa der AfD auf der einen Seite, aber auch bspw. der Amadeu-Antonio-Stiftung auf der anderen Seite, kaum objektive Einschätzungen zu bekommen sind, welche Konsequenzen die Gesellschaft gezogen hat bzw. ziehen sollte.

Die Amadeu-Antonio-Stiftung an den Rand der Gesellschaft zu verorten, ist für mich irritierend, nicht zuletzt auch wegen der Kooperation mit dem "stern". Gehört die auch an den "Rand"? Die "Amadeu-Antonio-Stiftung" setzt sich gegen Antisemitismus und Rechtsextremismus ein und für die Stärkung der emanzipativen Elemente - wie Frauenbewegung - in der Zivilgesellschaft. Diese in einer Äquidistanz von der sogenannten "Mitte" zur AfD zu vermuten, die sich zunehmend radikalisiert und in den Bereich einer Überwachung durch den Verfassungsschutz gerät und Gefahr läuft, verboten zu werden, ist für mich ein dubioses politischer Befund. Ich hoffe er beruht auf Unkenntnis.

Für eine Diskussion über Rechtsextremismus in seiner historischen Ausprägung in der BRD wäre ein breiteres Verständnis des Rechtsextremismus notwendig. Und da ist die "Wehrsportgruppe Hoffmann" und ein "Kühnen" nur einzelne Meilensteine. (vgl. Sunderm

Zur Bedeutung rechtsradikaler Einstellungen in der deutschen Gesellschaft

Wehrsportgruppe Hoffmann – Wikipedia

Michael Kühnen – Wikipedia

Wichtig bei einem solchen Thema ist eine möglichst neutrale Sprache und Darstellung, damit es eben nicht wie eine persönliche Meinung oder Bewertung aussieht. Von daher ist ein Stützen auf Fakten und Aussagen Dritter (Medien, Politiker, Spezialisten) absolut notwendig.

Richtig! Es werden viele Behauptung zur Diskussion gestellt, für die noch nicht einmal im Ansatz Belge vorgelegt werden. Aus diesem Grund wenigstens ein Verweis auf eine Auswahl an Literatur zu dem Themenkomplex.

Ansonsten strukturiert sich das Thema entlang der historischen Entwicklung zentraler rechter Denker, den konkreten historischen Vorbildern aus der Weimarer Zeit und der NS-Periode. Nicht erst seit Mohler umgangreich dokumentiert und mit Evola, Carl Schmitt, Möller van den Bruck etc. im Rahmen der "Neuen Rechten" wieder aktiv diskutiert.

Das vor allem auch deswegen, da sich Rechtsextreme in einer historischen Tradition sehen, die sich ideologisch, symbolisch und verhaltensmäßig manifestiert. Und auf die sie in ihren Weltbildern immer wieder sich besinnen.

Es ist zudem zu Berücksichtigen, und an diesem Punkt ergeben sich Parallelen zum Terrorismus von angeblichen "Linken", dass das Konstrukt eines politischen Kontinuums im Prinzip zutrifft. Es sind Übergänge von der konservativen Mitte zu nationalistischen Konservativen bis hin zur "Neuen Rechten" bzw. zu "Neo-Nationalsozialisten".

Und die Frage, ob rechter Terrorismus die Gesellschaft verändert hat, kann man sicherlich mit ja beantworten. Es wird aber auch andersherum ein Schuh daraus. Die Ausdifferenzierung der Gesellschaft in die Nähe rechter Ideologien hat eine Voraussetzung geschaffen für die kollektive Akzeptanz von Gewalt bzw. im instrumentellen Sinne als Terrorismus. Es ist ein Interaktionsverhältnis, das in der Literatur auch beschrieben wird. Die "Schreibtischtäter" liefern die entsprechenden Motive bzw. Feindbilder, die dann von den etwas schlichteren Zeitgenossen in Aktionen - sprich Morde, Gewalt, Mobbing im Web etc., umgesetzt werden.

Und an diesem Punkt ergeben sich sicherlich Parallelen in der Rolle der Hugenberg-Presse und den Morden in der Weimarer Republik und dem publizistischen Verhalten moderner rechter Demagogen.

Historisch:
McGowan, Lee (2002): The radical right in Germany. 1870 to the present. London: Longman
Pfahl-Traughber, Armin (1998): Konservative Revolution und neue Rechte. Rechtsextremistische Intellektuelle gegen den demokratischen Verfassungsstaat. Opladen: Leske + Budrich.
Sedgwick, Mark (Hg.) (2019): Key thinkers of the radical right. Behind the new threat to liberal democracy. New York, NY: Oxford University Press.

Neue Recht Übersicht
Pfahl-Traughber, Armin (2018): Rechtsextremismus in der Bundesrepublik Deutschland. In: Eckhard Jesse und
Tom Mannewitz (Hg.): Extremismusforschung. Handbuch für Wissenschaft und Praxis. 1. Auflage. Baden-Baden: Nomos , S. 303–338.
Kowalsky, Wolfgang; Schröder, Wolfgang (Hg.) (1994): Rechtsextremismus. Einführung und Forschungsbilanz. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.

Neue Recht:
Heitmeyer, Wilhelm (2018): Autoritäre Versuchungen. Signaturen der Bedrohung I. Erste Auflage, Originalausgabe. Berlin: Suhrkamp
Salzborn, Samuel (2014): Rechtsextremismus. Erscheinungsformen und Erklärungsansätze. 1. Aufl. Baden-Baden: Nomos (UTB, 4162).
Staud, Toralf (2005): Moderne Nazis. Die neuen Rechten und der Aufstieg der NPD. 1. Aufl. Köln: Kiepenheuer & Witsch
Weiss, Volker (2017): Die autoritäre Revolte. Die Neue Rechte und der Untergang des Abendlandes. Stuttgart: Klett-Cotta.
Zeit, online (Hg.) (2013): Neue deutsche Nazis. Wie Rechtsextremismus die Mitte der Gesellschaft erobert. Berlin: epubli GmbH.

Rechte Gewalt und rechter Terror:
Röpke, Andrea (2018): 2018 Jahrbuch rechte Gewalt. Hintergründe, Analysen und Ereignisse 2017. Chronik des Hasses. München: Knaur
Röpke, Andrea; Speit, Andreas (Hg.) (2013): Blut und Ehre. Geschichte und Gegenwart rechter Gewalt in Deutschland. 1. Aufl. Berlin: Links
Sundermeyer, Olaf (2012): Rechter Terror in Deutschland. Eine Geschichte der Gewalt. München: C.H. Beck

NSU und NSU-Prozess:
Le_rstellen im NSU-Komplex
438 Verhandlungstage sind nicht das Ende der Aufklärung. Zum Urteil im ersten NSU-Prozess

Die Rohfassung eines - zumindest nach innen in die Szene gerichteten - Bekennervideos gab es ja.

Das Video wurde von Zschäpe 12 Mal an Medien i Deutschland verschickt. Der als "Paulchen Panther" bekannt gewordene Film zeigt eine zynische und die Opfer verhöhnenden Darstellung der "Deutschlandtour" der NSU. Und beherrschte in 2011 rückwirkend die Sicht auf diese Terrorgruppe (vgl. Sundermeyer)
 
Zuletzt bearbeitet:
ich schaffe es nicht von den historischen Fakten direkt eine Brücke zu realen, darauffolgenden gesellschaftlichen Veränderungen zu schlagen

Wie wurde das Attentat auf Dutschke medial und gesellschaftlich auf- und wahrgenommen?
Wie wurde das Oktoberfestattentat medial und gesellschaftlich auf- und wahr genommen?
Wie wurden die NSU-Morde - vor ihrer Aufdeckung als NSU-Morde - medial und gesellschaftlich auf- und wahrgenommen? Wie danach?
(Die Liste ist willkürlich unvollständig.)

Warum wurden diese Ereignisse in der wahrgenommenen Art und Weise wahrgenommen?

Hat eines der Ereignisse zu einer Verhaltensänderung des Staats und seiner Organe geführt? Wie?
Hat eines der Ereignisse gesellschaftliche Debatten angestoßen? Welche?
Hat es institutionelle Veränderungen gegeben? Hat es Anpassungen im Strafrecht gegeben?
 
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