Wirtschaft im europäischen Mittelalter

rique

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Im späten Mittelalter gab es in Europa zwei herausragende Zentren der Entwicklung. Auf der einen Seite die norditalienischen Städte und andererseits die niederländische Region. Beide sind verbunden über das Rhonetal und die Alpenpässe-Rhein.

Mir ist klar, woher die oberitalienischen Städte ihre Wirtschaftskraft zogen, aus dem Monopol des Orienthandels. Aber bei Holland sehe ich keine vergleichbare Einnahmequelle, obwohl ich weiß, daß die Holländer eine starke Seefahrernation waren.

Wer weiß, welchen Handel (Produkte und Routen) sie kontrollieren? Über die Angabe geeigneter Quellen würde ich mich sehr freuen.
 
Sind die Holländer nicht erst mit der Loslösung von Spanien und der Gründung der East India Companie als wirklich große Handelsnation aufgesteigen...im Mittelalter berherrschte wenn was mit Holland zu tun hat Flandern den Textilhandel!
 
Gut, damals hieß dieser Landstrich natürlich noch nicht Holland und war noch Teil des römischen Reiches deutscher Nation bzw. Frankreichs. Nennen wir sie die niederrheinischen Städte, Brügge, Gent und Antwerpen. Sie waren mindestens ab dem 12. Jahrhundert eine (lokale?) Handelsmacht (flämische Hanse), der sich 1130 auch Kölner Kaufleute anschlossen, woraus später die deutsche Hanse entstand ...

Aber die ganzen politischen Fakten finden sich zuhauf in der Bibliothek oder im Netz, leider wenig zu wirtschaftlichen Daten. Dabei taucht der Wollhandel mit England als angebliche Haupteinnahmequelle immer wieder auf. Mir scheint das nicht ausreichend für den Reichtum zu sein. Hohe Renditen konnte man damit wohl kaum erzielen. Zumal Tuche aus Flandern höchstens im europäischen Bereich als qualitativ wertvoll gelten konnten.

Das dies (hohe Renditen) aber der Fall war, zeigt sich nicht nur in der reichen Kultur dieser Zeit, sondern auch die Tatsache, daß immer wieder reiche Schenkungen an den militärischen Adel flossen.

Außerdem waren ihre großartigen Schiffe sicher nicht nur für die kurze Überfahrt über den Ärmelkanal ausgelegt. Hinunter in den stürmischen Atlantik scheinen sie sich damit aber doch nicht allzuoft gewagt zu haben.

Deshalb war meine Frage, welche(s) Handelsgut(er) machte sie so reich und auf welchen Wegen kamen sie an den Niederrhein. Es kann eigentlich nur etwas aus dem irischen oder skandinawischen Raum sein, vielleicht auch aus dem Ostseeraum.

Anmerkung zum Kontext:
In der Zeit zwischen der Invasion der Babaren (deutsch: Völkerwanderung) und den Kreuzzügen wurde der innereuropäische Fernhandel zu Land von jüddischen Händlern dominiert, die sich später auch in einigen Städten fest niederließen. Ihr gewinnträchtigstes Handelsgut aus Europa waren im übrigen Eunuchen und andere Sklaven.

Mit den stabiler werdenden politischen Verhältnissen führte der Handel bald zu sichtbarem Reichtum. Das wiederum brachte lokale Konkurrenz hervor, aus der dann u.a. die babarischstämmigen Patrizierfamilien im oberitalienischen, süddeutschen und niederdeutschen Raum hervorgingen.

Erst mit den verbesserten Schiffen am Ende des Mittelaltes konnten die Händler die weit bequemere Seerote ins Mittelmeer nutzen. Folgerichtig brach der Handel über die Alpenpässe ein und die Fürsten versuchten das fehlende Geld durch höhere Abgaben bei den Bauern zu holen. Das Ende vom Lied waren Aufstände, fremde Söldner und ein von fremden Mächten verherrtes Zentraleuropa.

[Sicher eine aus der Sicht der Deutschen etwas stark vereinfachte Darstellung.]
 
Der Rhein stellte eine bedeutende Verkehrsader dar, auf dem die Waren aus den Tuchzentren Flanderns verschifft und umgeschlagen wurden. Flußaufwärts reichten die Routen bis zur mittleren Donau, flußabwärts in Nord- und Ostsee und über den Lanweg wurden Waren bis in den Harz ausgeliefert. Die bedeutendsten Güter Anfang des 12. Jahrhunderts waren neben Tuch, Leinen, Wolle, Zinn, Fett und Speck.

Von Bedeutung für den Aufschwung der Händler aus Flandern und Brabant ist eine Verfügung des Kaisers Friedrich I. aus dem Jahr 1173, die besagt, dass die Händler aus Brabant und Flandern rheinauf- und abwärts und auf anderen Wasser und Landwegen im HRRDN freien Zugang haben sollten.

Köln stellte - wie bereits erwähnt - einen wichtigen Handelsstützpunkt für die "Niederländer" dar, von dort wurden Tuch- und Metallerzeugnisse und v.a. Wein bezogen, der weiter nach England verkauft wurde.

Zudem bedeutend für die "niederländischen" Städte war der Nord-Süd-Handel. Sie stellten in unserer heutigen Begrifflichkeit einen Zwischenhändler zwischen den norditalienischen und den Ostseestädten dar. Von Süd nach Nord liefen v.a. Gewürze, Waffen und Stoffe, von Nord nach Süd v.a. Bernstein, Wachs und Honig.
 
Flandern gewann seine kaum zu unterschätzende Bedeutung für die mittelalterliche europäische Wirtschaft durch seine handelsstrategische Lage als Dreh- und Angelpunkt für nahezu alle Handelsströme in Nord- und Westeuropa.

Die bedeutendste Rolle hierbei kam sicher dem hansischen Handel zu: Flandern war der westliche Endpunkt des von den Hansestädten kontrollierten Wirtschaftssystems. Flandern war vergleichsweise stark verstädtert und wies bereits (namentlich in der Tuchherstellung) protoindustrielle Züge auf. Die Region brauchte also Rohstoffe und lieferte gewerbliche Waren. Osteuropa hingegen konnte eine große Menge von Rohstoffen bieten, wies aber zugleich immer einen Bedarf nach gewerblichen Produkten auf. Getreide, Fisch, Vieh, Holz, Wachs, Asche, Kupfer, Eisen, Pelze u.a. wurde aus Skandinavien, dem Baltikum, Russland und der südlichen Ostseeküste nach Flandern importiert; in die Gegenrichtung liefen Fertigwaren und - alles andere überragend - Tuch.

Um Tuch herstellen zu können, brauchte es Wolle, und diese Wolle bekamen die flandrischen Städte aus England, das im Gegenzug an den kontinentalen Handel angeschlossen wurde. Auch dieser Handel lag zumeist in den Händen hansischer Kaufleute.

Desweiteren war Flandern der Endpunkt französischer und italienischer Kaufleute, die über die Atlantikküste oder die Rheinschiene die Region mit ihrer großen Nachfrage an Verbrauchs- wie Luxusgütern erreichten. Salz und Orientwaren sind hier nenenswerte Produkte. Es sollte nicht unerwähnt bleiben, dass Flandern zudem eine bequeme geographische Nähe zu den großen Messen in der Champagne zu bieten hatte.

Desweiteren war primär der Rhein auch die Verbindung zum oberdeutschen Wirtschaftsraum mit seinen Zentren in Augsburg oder Nürnberg (wobei hier die Kontakte nicht so intensiv waren wie etwa in Nordeuropa), als wichtige Ware aus der Rheingegend ist Wein zu nennen.

In Flandern und seinen großen Städten trafen sich also Kaufleute aus ganz Europa; der Beiname Brügges, der "Stapel der Christenheit", zeugt von der immensen Bedeutung dieser Region für den mittelalterlichen Handel.


rique schrieb:
Sie waren mindestens ab dem 12. Jahrhundert eine (lokale?) Handelsmacht (flämische Hanse), der sich 1130 auch Kölner Kaufleute anschlossen, woraus später die deutsche Hanse entstand ...

Die flämische Hanse ist kein direkter Vorläufer dessen, was wir schließlich als die Hanse kennen. Es ist dasselbe Organisationsmodell, aber es lässt sich keine direkte Kontinuitätslinie ziehen. Hansen gab es im Mittelalter viele, die dudesche hense oder hansa theutonicorum sollte aber so bedeutend werden, dass sie diesen Begriff quasi allein an sich zog.


rique schrieb:
Dabei taucht der Wollhandel mit England als angebliche Haupteinnahmequelle immer wieder auf. Mir scheint das nicht ausreichend für den Reichtum zu sein. Hohe Renditen konnte man damit wohl kaum erzielen. Zumal Tuche aus Flandern höchstens im europäischen Bereich als qualitativ wertvoll gelten konnten.

Du täuscht dich. Der Wollhandel war in der Tat höchst lukrativ. Flandrische Tuche waren höchst nachgefragt und in Nordeuropa die Massenware schlechthin. Mit Tuch begründete Flandern seine extraordinäre Stellung und bei allen anderen Waren, die noch dazukamen, blieb Tuch doch immer das wichtigste Produkt. In Südeuropa mögen andere Tuche diese Rolle eingenommen haben und außereuropäische Waren können wegen ihrer Seltenheit und ihres Preises wohl nicht als Vergleichsmaßstab genommen werden.


rique schrieb:
Deshalb war meine Frage, welche(s) Handelsgut(er) machte sie so reich und auf welchen Wegen kamen sie an den Niederrhein. Es kann eigentlich nur etwas aus dem irischen oder skandinawischen Raum sein, vielleicht auch aus dem Ostseeraum.

Das stimmt allerdings genau, siehe oben.


Erst mit den verbesserten Schiffen am Ende des Mittelaltes konnten die Händler die weit bequemere Seerote ins Mittelmeer nutzen. Folgerichtig brach der Handel über die Alpenpässe ein und die Fürsten versuchten das fehlende Geld durch höhere Abgaben bei den Bauern zu holen. Das Ende vom Lied waren Aufstände, fremde Söldner und ein von fremden Mächten verherrtes Zentraleuropa.

[Sicher eine aus der Sicht der Deutschen etwas stark vereinfachte Darstellung.]

Das ist so stark vereinfacht, dass es die Realität in höchstem Maße verzerrt. Aufstände (auch aus wirtschaftlichen Gründen) gab es zu jeder Zeit, ebenso fremde Söldner, und ein von fremden Mächten verheertes Zentraleuropa - na ja, wenn das eine Anspielung auf den dreißigjährigen Krieg sein soll; der hat zwar sicherlich auch eine wirtschaftliche Komponente, allerdings sind die ausschlaggebenden Motive hierfür sicherlich nicht im ökonomischen Bereich zu suchen. Und die Fahrt ins Mittelmeer (die immer schon relativ problemlos möglich war) hat keinen kausalen Zusammenhang mit der Nutzung von Alpenpässen, da über diese Routen größtenteils andere Waren transportiert wurden.
 
Vielen Dank Lilli und Herold

für den guten Überblick über das Spektrum der Waren und die Handelswege. Kennt ihr auch ein paar Quellen dazu?

Vielleicht sollte ich noch einmal die Zeit genau eingrenzen. Mir geht es um das 10. bis 14. Jahrhundert, also um die Zeit als durch die beginnende Stabilisierung der politischen Herrschaft Handel wieder attraktiv wurde.

Interessant der Hinweis von Lili zu den Schutzprivilegien. Auch wenn diese nicht als Ursache für den wirtschaftlichen Aufschwung sondern eher als Folge anzusehen sind. Handelsprivilegien werden immer erkauft, sie sind also eher eine Form der Schutzgelderpressung und damit ein starker Hinweis auf den Reichtum.

Ebenso die Verbindung in den Donauraum.

Köln war ja vor allem deshalb ein Stapelplatz, da hier auf kleinere und flachere Kähne umgeladen werden mußte. Kam das Tuch und die Metallwaren vielleicht aus dem Süddeutschen Raum? Und warum boten sich die Städte an der Küste als Zwischenhändler für fremde Tuche an, wenn sie ihre eigene Produktion vekaufen wollten. Oder gab es hier schon eine Spezialisierung?

Herold meint das Metall käme aus (oder über den) Ostseeraum? Dort kenne ich gar keine Hüttenindustrie.

Der dreißigjährige Krieg und die Zeit darum herum ist aus der Ferne betrachtet nichts weiter als das Zusammenbrechen der Herrschaft mit anschließendem Herrausreißen von Stücken aus dem Kadaver, wie man es immer wieder in der Geschichte und auch heute (gerade aktuell in mehreren Regionen der Welt) beobachten kann.

Kriegerische Unternehmungen haben immer wirtschaftliche Gründe. Und wie jede 'friedliche' Handelsunternehmung, die oft nur schwer von ersterer zu unterscheiden ist, sollen sie sich rechnen. Die Mär von den Religionskriegen steht zwar in jedem Lehrbuch, ist aber nichts weiter, als die zur Geschichtsschreibung geronnene Propaganda dieser Zeit. Aber das kennt man ja eigentlich auch aus unseren Tagen.

Zum Schluß noch eine Bemerkung zur Atlantikroute:

Herold schrieb:

Und die Fahrt ins Mittelmeer (die immer schon relativ problemlos möglich war
Entspringt diese Aussage einer Meinung oder hast du dafür konkrete Hinweise? Ich halte sie für ziemlich unwahrscheinlich. Im folgenden eine (kurze) Begründung.


Bevor ich zu den Fakten komme, eine These: Handelswege erzeugen immer eine Kette von Städten (als Umschlagplatz, sicherern Hafen für die Nacht usw.). An einigen Stellen des Netzwerks blühen diese zu Superknoten auf. Ohne genauer auf die mathematischen Modelle einzugehen, gibt es einen groben Zusammenhang zwischen Durchflußmenge und Blütengröße (dazu brauche ich im übrigen die Produkte).

Die europäische Atlantikküste war (und ist) jedoch eher arm an an Handelsplätzen. Hier dominieren Fischer und (Piraten).

Die Schiffe konnten damals nur bestimmte, ziemlich kurze Hüpfer machen und hangelten sich wegen der beschränkten Fähigkeiten zur Navigation meist an den Küsten entlang, was man im Mittelmeer und anderen Randmeeren gut sehen kann. Dies trifft auf Handelsschiffe, die ja aus Gründen der Gewinnmaximierung eher risikoscheu operieren mußten, besonders zu. Den Horror vor der offenen See findet man in vielen Seefahrergeschichten.

Dazu kommt die Konstruktion und Ausrüstung der Schiffe. Diese waren bis ins 14. Jahrhundert (und in einigen Regionen weit darüber hinaus) große, mit Segeln ausgestatte, Ruderboote (Galeere bzw. die veschiedenen Typen der Wikingerschiffe). Wer schon mal bei etwas rauerer See gerudert hat weiß, was das heißt.

'Die See' ist im Nordatlantik aber eine ganz andere, als in den vergleichsweise ruhigen Gewässern der Nord und Ostsee oder im Mittelmeer. Selbst heute, wo es in diesen Gewässern wenig Piraterie gibt und Wettervorhersagen und GPS ist die Fahrt für einen Segler nach der Durchquerung des Englischen Kanals immer noch eine Herausforderung.

Auch an den vorkommenden Schiffstypen und deren Bauweise zeigt sich übrigens eine deutliche Trennung der Seefahrtsgebiete im Mittelmeer von denen im skandinavieschen und Ostseeraum.

Nicht unerwähnt bleiben soll die Kogge, vermutlich um 1130 in Bremen entstanden und eindeutig ein Handelsschiff, läßt sich erst ab dem Beginn des 14. Jahrhunderts im Mittelmeer (1304) das erste Mal nachweisen. Sie war ziemlich schwerfällig und den schnellen Booten der Piraten weitgehend schutzlos ausgeliefert. Erst die später erfolgte Bewaffnung der Handelsschiffe mit Kanonen und einige technische Verbesserungen brachte für kurze Zeit einige Sicherheit, bis die Piraten auch aufrüsteten.

Erschwerend kommt auch hinzu, das die Straße von Gibraltar lange unter der Kontrolle der Araber stand. Eine fette Beute wie eine vollbeladene Kogge kam da sicher selten ungeschoren hindurch.

Und nun: "Aber die Chroniken berichten anderes ..." Sie berichten, "das schon die Phönizier zu den Britischen Inseln fuhren". Auch von Expeditionen der Khartager ... Aus der anderen Richtung kennt man die Wikinger, die sogar in Sizilien ein Königreich errichteten. Das alles ist richtig, aber sagt nichts über einen regelmäßigen Handel in wirtschaftlich relevanten Mengen. Und darum geht es hier.

Gelegegentliche Abstecher (Expeditionen, Raubzüge) in die jeweils anderen Gewässer führen zwar auch zu einem 'Austausch' von Gütern, sind aber langfristig wesentich unrentabler als echter Handel.

Ein regulärer Handel auf dieser Route im Mittelalter paßt da jedenfalls nicht ins Bild. Ich gehe davon aus, das der Handel zwischen der Mittelmeerregion und dem Norwesteuropäischen Raum überwiegend über das Inland (Flüsse und Pässe) abgewickelt wurde. Oder weiß jemand was (konkretes) Gegenteiliges?
 
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