Wismut AG, Staat im Staat?

Apvar

Premiummitglied
Hallo Zusammen

Gestern bin ich in einem Modellbahnkatalog über Lokomotiven der Wismut AG gestolpert. Die Lokomotive hat in dem Katalog ein anderes Farbschema als die Lokomotiven der DR (DDR).
Die Wismut AG war im Bereich des Erzgebirges tätig. Wismut, Johanngeorgenstadt, Klingenthal um nur einige Orte zu nennen.
Die Wismut AG wurde von der SU gegründet um Uranerz abzubauen, für AKW's und Atombomben.
Des weiteren hatte sie eigene Geschäfte, um die Arbeiter zu versorgen, höhere Löhne gezahlt um Leute in den Erzbergbau zu locken. sowie eigene Krankenhäuser.
Auf der anderen Seite durfte, laut Doku's, welche ich mal gesehen habe, nicht jeder ins Gebiet der Wismut AG.
Die Eisenbahn scheint auch in eigener Verwaltung gewesen zu sein.

Würde mich über mehr Informationen zu dem Thema freuen.

Apvar
 
Inwieweit man die SDAG Wismut als Staat im Staate ansehen kann, ist natürlich immer ein wenig Interpretationssache (wie immer halt :p). Es gibt aber durchaus Aspekte, die dafür sprechen.

Wenn mich mein Halbwissen nicht täuscht, dann hatten in der SDAG die Sowjets ziemlich den Daumen drauf und die DDR, in deren Gebiet die AG ja (ausschließlich oder überwiegend?) tätig war, hatte wenig zu melden.

Auf einen interessanten Aspekt bin ich kürzlich zufällig gestoßen. Im Bereich der Sozialversicherung (einer meiner Interessenschwerpunkte) hatte die DDR ja grundsätzlich eine regional gegliederte Einheitsversicherung, die schon zur Zeit der sowjetischen Besatzung in der Ostzone aufgebaut wurde, jedenfalls ab dem Zeitpunkt, ab dem die Zusammenarbeit im alliierten Kontrollrat nicht mehr funktionierte.

Die SDAG Wismut scheint sozialversicherungsrechtlich aus dieser Einheitsversicherung herausgelöst gewesen zu sein und ihre eigene Betriebssozialversicherung/Betriebskrankenkasse gehabt zu haben. Als Grund für diese Besonderheit wurde (im Westen) vermutet, dass man die erhebliche Anzahl der Arbeitsunfälle und Berufserkrankungen nicht öffentlich machen wollte. Diese hätten wohl die Statistik "versaut" und es ist auch denkbar, dass es zur Kritik an der Sowjetunion gekommen wäre. Da es sich beim Uranbergbau um eine durchaus gefährliche und unfallträchtige sowie strahlenbelastende Tätigkeit handelt, dürfte außer Zweifel sein, so dass der angenommene Grund m. E. nachvollziehbar und plausibel ist.

Quelle: Graf, Ernst-Richard: Gibt es Betriebskrankenkassen in der Sowjetzone? in: Deutsche Versicherungszeitschrift Heft 1 1955, S. 13 - 15

Viele Grüße

Bernd
 
Hallo Apvar,

ich war da Anfang der 80er zur Bewährung in der Produktion. Staat im Staat? Evtl eher eine Parallelgesellschaft, die sich aus der Überschneidung von sowj. (Arbeits-) und DDR - Recht ergab.
Die Versorgung, auch die medizinische, war besser, wobei die Grenzen immer mehr verwischt wurden. Auch die Nichtwismutbevölkerung kam in die Krankenhäuser und konnte in den Kaufhäusern einkaufen. Aber es war z. B. möglich, eine zweite Autoanmeldung über die Wismut abzugeben - bei ähnlicher Wartezeit, auch Wimutschnaps - Privilegien, wenn man so will.
Zu den Loks ("Taigatrommeln"??), kann ich dir nichts weiter sagen, hab ich nicht drauf geachtet, glaube mich aber dran zu erinnern, dass das Erz als Getreidetransport deklariert wurde.

Glück auf! ERZbengel
 
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Mal laut nachgedacht:

Wismut Aue war auch für jeden, der sich für DDR-Fußball interessierte, ein Begriff. Nur daß dort bis zur Wende eine größere Menge von Uranerzen für die SU abgebaut wurde, welche auch für Atomwaffen Verwendung fand, das erfuhr man tatsächlich erst nach der Wende. Sicher unterlag das aber auch einer militärischen Geheimhaltung - könnte ich mir denken.
 
Der Uranabbau war überhaupt kein Geheimnis. Die Schächte + die dazugehörigen Anlagen waren absolutes Sperrgebiet. Die Förderung des Erzes aber allseits bekannt. Vergleiche waren schwierig, so wurde gesagt, dass der Schacht 371 (bei Hartenstein) mit 2010m der dritttiefste der Welt sei. Die Arbeitsbedingungen waren auch für us Kumpel in den Anfangsjahren nicht rosig. Natürlich wurde "unser" Uran für den Erhalt des Weltfriedens, die Stromgewinnung und den Atomeisbrecher "Lenin" gefördert. "Mein Arbeitsplatz - mein Kampfplatz für den Frieden" - so die Propaganda. Tatsächlich lockte das Geld die Kumpel in den Schacht. Inoffiziell wurden die Lieferungen als Reparationsleistungen angesehen, ich habe aber noch keine Quelle gefunden, die das bestätigt oder verneint.
 
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@Erzbengel

Alle Quellen habe ich zu diesem Thema noch nicht zusammen. Aber ersteinmal ein Anfang:

Bundesarchiv:

Findbuch DC 2, Amt für Reparationen 1950 bis 1957

Findbuch DO 3, Zentrale Deutsche Kommission für Sequestierung und Beschlagnahme, darin Liquidation des Restvermögens der SAG, 1945 bis 1956

Sonderbestand Stiftung "Parteien und Massenorganisationen der DDR", IG Wismut, Bestellsignatur 5.2.1.3.2.17

M.

o.t. Ich hoffe, daß ich in der nächsten Zeit dazu komme, einigermaßen alle Findbücher bzw. Bestestellsignaturen zu finden und zu posten-
 
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Die Akten der SED Gebietsleitung Wismut (entsprach in etwa einer Bezirksleitung der SED) befinden sich im Staatsarchiv Chemnitz, ebenso die Akten der Objektleitungen und der SED Grundorganisationen und zwar registriert unter der Bestellsignatur 32301 (ca. 100 lfm).

Staatsarchiv Chemnitz

M.
 
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Das eigentliche Firmenarchiv (DDR: Betriebsarchiv) der SDAG Wismut befindet sich in Verwaltung der heutigen Wismut GmbH. Online Findmittel gibt es nicht, wer auch immer darüber arbeiten möchte, muß mit der Abteilung Dokumentation und Archiv der Wismut GmbH direkt Kontakt aufnehmen

Wie nicht anders zu erwarten, gab es eine eigene Abteilung "Wismut" beim MfS, Bezirksdienststelle Karl-Marx-Stadt. In der verlinkten Beständeübersicht (Gliederung) S. VII, von dort geht es dann weiter.

http://www.bstu.bund.de/DE/InDerReg...eichnis_abt_wismut.pdf?__blob=publicationFile

M.
 
Der "Sonderfall" setzte sich dann auch 1990 fort.


Während die übrigen Unternehmen der DDR als VEBs und Kombinate unter Verwaltung des BMF mit Treuhandanstalt fielen, war die Wismut als Einzelfall beim BMWi geführt und wurde gesondert abgewickelt.
 
Der Uranabbau war überhaupt kein Geheimnis. Die Schächte + die dazugehörigen Anlagen waren absolutes Sperrgebiet. Die Förderung des Erzes aber allseits bekannt...

Also soweit ich mich erinnern kann (ja gut, mit der Erinnerung ist das manchmal so eine Sache ;) ), wurde uns in der Schule erzählt, außer Braunkohle und ein wenig Kalisalze gäbe es in der DDR sogut wie keine Bodenschätze. Alles müsse importiert werden. Lediglich Braukohle würde die DDR auch exportieren, weil wir allein davon reichlich davon hätten.
Daß es anscheinend auch Unmengen von Uran gab, ist mir erst seit kurzem bekannt. Und das liegt sicher nicht an Desinteresse oder so.
 
@Barbarossa

Ich glaube, da spielt Dir Dein Gedächtnis ein Schnippchen. Ich bin in Leipzig zur Schule gegangen und da war der Uranbergbau der SDAG Wismut durchaus ein Thema, sowohl im Geographieunterricht als auch im Geschichtsunterricht.

M. :winke:
 
Es ist schon etwas her, aber ich habe vom MDR mal einen DEFA-Film gesehen, da ging es um den Uranabbau in der DDR unter Aufsicht der sowjetischen Freunde.
Für mich persönlich war die Schlüsselszene in diesem Film, als ein noch nicht so vom Sozialismus überzeugter Grubenkumpel fragte, ob sich die Strahlung des Urans nicht doch auf seine Potenz auswirken könne. Da antwortete ihm ein Parteifunktionär lachend, danach könne er mit seiner Frau doppelt ...

Ach ja ... In dem Film waren Westspione die Bösen.
 
Hallo,

hab leider die Einladung zu spät erhalten, wurde am Dienstag vorgestellt:

"Rainer Karlsch, Rudolf Boch (Hg.)
Uranbergbau im Kalten Krieg
Die Wismut im sowjetischen Atomkomplex
2 Bände: Studien, Dokumente
Informationen zu den Bänden finden Sie unter:
http://www.christoph-links-verlag.de/direkt.cfm?titel_nr=653
http://www.christoph-links-verlag.de/direkt.cfm?titel_nr=654

Die ostdeutsche Wismut AG war der drittgrößte Uranproduzent der Welt. Sie ermöglichte den Aufstieg der UdSSR zur nuklearen Supermacht. Um den strategischen Rohstoff Uran zu gewinnen, entstand in der DDR ein »Staat im Staate«. Nirgends sonst auf der Welt wurde Uran mit einem derart immensen Aufwand gewonnen wie in Sachsen und Thüringen.
Auf der Grundlage erstmals zugänglicher Akten des sowjetischen Atomministeriums haben Historiker aus Russland und Deutschland den Stellenwert der Wismut AG im sowjetischen Atomkomplex und im internationalen Vergleich analysiert (Band 1). Sie beschreiben das rigide Sicherheitsregime und dessen Auswirkungen auf die Beschäftigten, fragen nach dem Strahlenschutz sowie den Effekten der betrieblichen Kultur- und Sozialpolitik. Im Band 2 werden in thematisch analoger Gliederung die entscheidenden Dokumente vorgestellt, wobei zahlreiche russische Quellen dem deutschen Leser erstmals zugänglich gemacht werden."

Viel Spaß beim Lesen!

PS.: Ich denke, die Westspione hatten keine Chance?! Sind halt keine "Kundschafter für den Frieden" wie Achim Detjen, alias Werner Bredebusch.
 
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