Was hat sich in diesen 9 Jahren seit 1905, bzw 7 Jahren seit 1907 in Russland getan, damit das Land im Ausland, speziell in Großbritannien, als aufsteigende Macht und potentieller Gegner wahrgenommen wurde?
Gegner Großbritanniens war Russland ja das ganze 19. Jahrhundert über gwiesen.
Das es 1907 zur Verständigung zwischen Russland und Großbritannien über die kolonialen Einflussphären kam, wird man letztendlich vor allem auch als Produkt des Umstands sehen können, dass beide Mächte Anfang des 20. Jahrhunderts eine Konsolidierungsphase benötigten.
Großbritannien, hatte sich im 2. Burenkrieg ziemlich verausgabt und blamiert, mit der Konsequenz, dass es sein Landheer reorganisieren musste, man befand sich im Flottenwettrüsten mit Deutschland, was auch für Großbritannien einen finanziellen Kraftakt darstellte, spätestens seit der letzten Dekade des 19. Jahrhunderts und der Ablehnung der 2. Home-Rule-Bill 1893 verschärfte sich das Konfliktpotential in Irland, so dass Großbritannien hier zunehmend vor einer schwelenden innenpolitischen Krise stand.
Außerdem stand Großbritannien auch im Hinblick auf sein politisches System in der ersten Dekade des 19. Jahrhunderts vor Schwierigkeiten, insofern das überkommene Veto-Recht des House of Lords in Fragen der Gesetzgebung zunehmend als unzeitgemäß empfunden wurde (1911 abgeschafft) was sich 1906/1907 bereits abzeichnete und am Ende der Dekade an den Rand einer Verfassungskrise führte.
Russland hatte 1905 den Krieg gegen Japan verloren, hatte die Revolution zu verkraften, musste seine Armee und Flotte reformieren und stand zunächst mal vor ruinierten Staatsfinanzen, die saniert werden mussten.
Insofern haben beide 1907 einen Interessenausgleich aus einem Momentun der Schwäche heraus geschlossen um ein Problemfeld los zu werden, oder jedenfalls zeitweise zu suspendieren.
Wenn man die Problematik Deutschland und Russland aus der britischen Perspektive betrachtet, sollte man sicher auch auf dem Schirm haben, dass Deutschland durch den notorischen Ärger, den es mit Frankreich hatte bei allem, was es tat immer auch gleich seinen eigenen Gegenspieler mitbrachte.
Russland hatte zwar mit dem Habsburgerrich und Japan auch zwei ernstzunehmende Rivalen von denen die Donaumonarchie allerdings zunehmend auf dem absteigenden Ast war und selber immer mehr Probleme mit seine Nachbarn Italien, Serbien und Rumänien bekam, aber da war Frankreich doch ein etwas anders Kaliber.
Man konnte sicherlich die Grenzverschiebungen auf dem Balkan infolge der Balkankriege und den sich abzeichnenden Niedergang des Osmanischen Reiches als potentielle Machtsteigerung Russlands verstehen.
Außderdem unterschieden sich natürlich die Gefahrenpotentiale, die von Deutschland und Russland für Großbritannien und sein Empire ausgehen konnten, dadurch, dass Deutschland den Briten nur über den Seeweg potentiell Ärger bereiten konnte. Diese Gefahr war für Großbritannien mit entsprechenden Flottenrüstungen bearbeitbar.
Russland aber hatte natürlich die Möglichkeit auf dem Landweg Truppen an die Grenzen Persiens und Afghanistans und damit in potentiell in Reichweite Indiens zu schaffen.
Das war relativ ungefährlich, so lange es auf russischer Seite keine vernünftig ausgebauten Bahnlinien nach Zentralasien gab, die es ermöglichten wirklich große Truppenkontingente dort zu versorgen und in Richtung Britisch-Indien operieren zu lassen.
Natürlich musste London im Zeitablauf aber damit rechnen, dass Russland solche Infrastruktur früher oder später implementieren würde und dagegen war die britische Seemacht machtlos. Man musste sich in London, also darauf einstellen, mit Russland in einen Landkrieg um Persien, Afghanistan oder an Ende Indien geraten zu können, oder an den Rand einer solchen Konfrontation, wenn Russland das erstmal umgesetzt hätte und darauf war Großbritannien nicht vorbereitet.
Auch boten sich in einer potentiellen Konfrontation Großbritanniens mit Deutschland und Russland für Großbritannien verschiedene Möglichkeiten.
Deutschland war wirtschaftlich wesentlich import- und exportabhängiger als Russland, weil es wenig Rohstoffe, dafür aber gut entwickelte Industrien hatte
Eine Blockade Deutschlands wie im ersten Weltkrieg und das völlige Abschneiden des Landes von Rohstoffen hätte Großbritannien im Konfrontationsfall sicherlich nicht bewirken können, es hätte aber vor allem dem exportorientierten Handel Deutschlands im Krieg schweren Schaden zufügen können, während umgekehrt Berlin nicht in der Lage war mit gleichen Mitteln zu antworten, was wiederrum für Berlin stets ein Grund sein musste diesen Konflikt eigentlich vermeiden zu wollen, zumal damit zu rechnen war, dass sich Frankreich im Fall eines solchen Konfliktes extrem wohlwollend gegenüber London zeigen würde.
Gegen Russland konnte ma auf der Ebene aber nicht viel machen. Russsland besaß selbst zu vile Rohstoffvorkommen, als dass man es davon hätte abschneiden können.
Das Einzige, dass es in relativ großem Maßstab exportierte, waren Agrar- und frostwirtschaftliche Produkte (zunehmend aber erstmal auf niedrigem Niveau auch Öl, was für die Briten selbst nicht ganz unbedeutend war) .
Wenn nun aber ein Krieg zwischen Großbritannien und Russland, abgesehen davon, dass Großbritannien die Landwege nicht verlegen konnte, die Abwicklung der russischen Getreide- und Lebensmittelausfuhr qua Blockade der Seerouten unterbunden hätte, hätte das in weiten Teilen Europas schlagartig die Lebensmittelpreise nach oben getrieben.
Das einzige, was die Briten damit erreicht hätten, wäre wahrscheinlich gewesen, dass halb Europa infolgedessen ziemlich sauer auf London gewesen wäre, weil anziehende Kosten für Grundnahrungsmittel natürlich das Potential haben Unruhen auszulösen und dass hätten Neutrale kaum ignorieren oder wohlwollend quittieren könnnen.
Und dann sollte man vielleicht auch über die Problematik Japan nachdenken.
Japan war seit 1902 mit Großbritannien verbündet und das Bündnis zwischen beiden bestand auch nach dem russisch-japanischen Krieg und auch nach dem britisch-russischen Ausgleich von 1907 weiter.
Das bedeutet aber, dass Großbritannien sich in Ostasien insofern in einer unmöglichen Lage befand, insofern es Bündnisse bzw. bündnisähnliche Absprachen mit zwei verschiedenen potentiell miteinander verfeindeten Mächten unterhielt.
Das konnte so lange gut gehen, wie sowohl Russland als auch Japan auf dem Standpunkt standen, dass ein erneuter Konflikt gegenwertig nicht im eigenen Interesse war, aber wie lange konnte das halten?
London musste damit rechnen, dass es jederzeit sowohl von St. Petersburg, als auch von Tokyo in die Lage gebracht werden konnte sich für einen dieser beiden Partner entscheiden zu müssen.
Bei einem Bruch mit Russland im Interesse der Allianz mit Japan hätte London sich die Sicherheit seiner Besitzungen und Einflusszonen in China mit einem offenen Konfliktfeld in Persien und Zentralasien unter potentieller Gefährdung seiner indischen Besitzungen erkauft, hätte man sich für den Ausbau der Zusammenarbeit mit Russland entschieden, hätte man die eigenen Positionen in China dem japanischen Expansionsdruck ausgesetzt.
Es gab durchaus gute Gründe für London, sich über Russland den Kopf zu zerbrechen. Und auch dafür es für das Empire für ähnlich gefährlich zu halten wie Deutschland.
Deswegen taugt mMn die Vorstellung eine Partnerschaft mit Russland wäre für GB eine dauerhafte Notwendigkeit gewesen nicht. Diese Vorstellung macht eigentlich nur dann Sinn, wenn man davon ausgeht, dass London paradigmatisch auf nichts anderes fixiert gewsen wäre, als Deutschland klein zu halten.
Im Interesse seines Empire musste Großbritannien eigentlich eher daran gelegen sein, dass die Machtpotentiale Deutschlands und Russlands vergleichbar blieben und dass sich diese beiden Mächte aneinander abarbeiteten und damit gegenseitig lähmten und, dass falls irgendmöglich Russland seine Positionen in Zentralasien wieder los würde, weil dass diejenige Bedrohung war, gegen die Großbritannien nichts machen konnte, da durch die Flotte nicht abschirmbar.