Zählen Sudetinnen und Sudeten als eigenständiges Volk?

Habe mich mal etwas auf der Homepage der „Sudetendeutschen Landsmannschaft in Österreich" (SLÖ) umgesehen.
Ich wollte mal wissen welche berühmten Persönlichkeiten aus dem Sudentenland stammen.
Da kommt man echt ins stauen.

Zum Beispiel zugeordnet „Kunst und Kultur“.
Das steht an 1. Stelle Peter Alexander. Genannt wird da auch Marie Eber Eschenbach, auch Falco wird genannt, Franz Kaffka, Gustav Mahler, Rainer Maria Rilke, Franz Schubert, Adalbert Stifter, Bertha von Suttner usw.

In der Rubrik „Wirtschaft“ z.B.: Ferdinand Porsche, Daniel Svarovski usw.

In der Rubrik „Wissenschaftler, Ärzte, Techniker, Ingenieure“ z.B.: Sigmund Freud, Ernst Mach, Georg Mendel, Josef Resssel usw.

Alles klangvolle Namen.

Und in der Übersicht „Wer sind die Sudetendeutschen“ werden 3 Ursachen der Vertreibung genannt:
· Das Verlangen der Nationalisten in der Tschechoslowakei, einen tschechoslowakischen Nationalstaat zu schaffen,
· die vorangegangene Aggressionspolitik und somit Wegbereitung durch Hitler und
· die Absicht Stalins, Millionen Ost- und Sudetendeutsche in das restliche Deutschland und nach Österreich zu pferchen, um dort ein soziales Chaos zu schaffen, das die Vorstufe zu einer kommunistischen Machtergreifung sein sollte.
 
Das war das hier: Aurel Popovici – Wikipedia
Vereinigte Staaten von Groß-Österreich – Wikipedia
Ein reichlich unrealistischer Plan ohne ernsthafte Aussichten auf eine realpolitische Umsetzung, vor allem da er eine Zerschlagung Ungarns erfordert hätte. Aber auch die Tschechen hätten eine Zerschlagung Böhmens und Mährens vermutlich nicht gerade gut gefunden, und den Polen hätte die Zerschlagung Galiziens und Lodomeriens (bei dem es sich gewissermaßen um einen von den polnischen Teilungen übriggebliebenen Teil Polens mit innerer Autonomie handelte), in dem sie den Ton angaben, wohl auch nicht geschmeckt.


Schon Kronprinz Rudolf hatte den Traum, im Vielvölkerstaat Österreich-Ungarn das Ideal Victor Hugos von den „Vereinigten Staaten von Europa“ zu verwirklichen. Das äußerte er gegenüber dem französischen Politiker Georges Clemenceau im Dezember 1886 bei einem persönlichen Treffen in der Hofburg, das der Journalist Moritz Szeps organisiert hatte. Es wäre interessant zu wissen, wie Kronprinz Rudolf regiert hätte, wäre er jemals Kaiser geworden. Ihm wäre es eher zuzutrauen gewesen als Franz Ferdinand, das zu erreichen, weil er eine liberale, antiklerikale, antifeudale und antinationalistische Haltung hatte. Franz Ferdinand dachte konservativ, klerikal und radikal.
 
Auch ein Kaiser Rudolf hätte nicht nach eigenem Gutdünken den Staat umkrempeln können. Österreich-Ungarn war keine absolute Monarchie mit gefügigen Untertanen, in der der Kaiser schalten und walten konnte wie er wollte. Es gab Verfassungen, gewählte Parlamente und Regierungen. Gegen den Widerstand Ungarns wäre realistischerweise gar nichts gegangen, es sei denn man unterdrückt ihn gewaltsam. Ungarn hätte aber nie und nimmer seiner eigenen Zerschlagung (der "Länder der Stephanskrone") zugestimmt. (Noch Hitler konnte Horthy mit der vagen Aussicht auf eine Wiederherstellung ködern.)
 
Ich wollte mal wissen welche berühmten Persönlichkeiten aus dem Sudentenland stammen.

Und dann fallen mir noch folgende VIPs ein:
- die Mutter von Attila und Paul Hörbiger stammte aus Böhmen
- die Mutter von Egon Schiele war aus Krumau (er selbst war oft dort)
- der Vater von Oskar Kokoschka war aus Prag
- der Vater von Gustav Klimt war aus Böhmen
- der Eltern von Harald Schmid waren Sudetendeutsche
 
Die Frage ist doch: Wieso sollten sich die Ethnien mit autonomen Teilstaaten zufriedengeben? Dass das auf die Dauer nicht gut funktioniert, sieht man an historischen Beispielen: Jugoslawien wurde nach dem 2. WK einigermaßen entlang ethnischer Grenzen (ausgenommen insbesondere Bosnien und Herzegowina) föderalisiert, aber sobald es auch einigermaßen demokratisiert wurde, machten sich die Teilstaaten ganz aus dem Staub. Ähnlich die Tschechoslowakei. Auch die Sowjetunion hatte nicht dauerhaft Bestand. In Teilen Spaniens, Großbritanniens und Indiens knirscht es ebenfalls ganz ordentlich.
Föderalisierte Vielvölkerstaaten funktionieren einigermaßen, wenn sie autoritär regiert werden (was dann freilich die regionalen Autonomien entwertet) wie China, aber sobald die autonomen Teilstaaten tatsächlich ihre Regionalparlamente und -regierungen selbst wählen dürfen, besteht die Wahrscheinlichkeit, dass über kurz oder lang Politiker und Parteien an die Macht kommen, die sich lieber ganz aus dem Staatsverband verabschieden möchten. Dann kann die Zentralregierung versuchen, sie gewaltsam zu hindern (wie in Jugoslawien und Indien; weniger drastisch in Spanien), oder sich friedlich mit ihnen einigen und eine Abspaltung akzeptieren (wie in der Tschechoslowakei; ähnlich in Großbritannien und Kanada, wo den abspaltungswilligen Teilstaaten Unabhängigkeitsreferenden zugestanden wurden).

Ich weiß nicht, ob man das in der Form generalisieren kann. In Belgien funktioniert es. Ist zugegebenermaßen etwas kleiner, aber man scheint sich damit arrangieren zu können.
Populistisches Geschwätz in Richtung Abspaltung gibt es ja auch durchaus in ganz anderen staatlichen Konstrukten, wenn man etwa nach Italien schaut.
 
Ich erinnere mich vor sehr langer Zeit mal Kreisky in einem Interview gehört zu haben, der meinte, Österreich-Ungarn hätte aus ökonomischen Gründen eine Zukunft haben müssen. Hätte es sich zu einem EU-ähnlichen Gebilde entwickeln können? Vielleicht hat die ja auch keine Zukunft, das wäre für uns alle aber ziemlich schlecht.
Da klingt für mich die "Donauföderation" stark durch.
Müssen hätte überhaupt nichts. Wahrscheinlich hätte es aus ökonomischen Gründen tatsächlich Sinn gemacht. Nur ist das ja nicht unbeingt das, woran Bevölkerungen ann0 1920 als erstes dachten.
 
Ich erinnere mich vor sehr langer Zeit mal Kreisky in einem Interview gehört zu haben, der meinte, Österreich-Ungarn hätte aus ökonomischen Gründen eine Zukunft haben müssen. Hätte es sich zu einem EU-ähnlichen Gebilde entwickeln können?
1990/1991 fabelten manche europäischen Politiker von einer Umwandlung Jugoslawiens in eine "Balkan-EG", um den kompletten Zerfall zu verhindern. (Wobei auch die EG/EU kein Bundesstaat war oder ist.) Die Geschichte rollte über solche Gedankenspiele hinweg. Wer die volle Souveränität will und durchsetzen kann, gibt sich eben nicht freiwillig mit halben Lösungen zufrieden. Man denke auch an den missglückten (ebenfalls maßgeblich von der EU gesteuerten) Versuch, Rest-Jugoslawien als "Serbien und Montenegro" zu erhalten.
 
Es wäre interessant zu wissen, wie Kronprinz Rudolf regiert hätte, wäre er jemals Kaiser geworden. Ihm wäre es eher zuzutrauen gewesen als Franz Ferdinand, das zu erreichen, weil er eine liberale, antiklerikale, antifeudale und antinationalistische Haltung hatte. Franz Ferdinand dachte konservativ, klerikal und radikal.

Die Einschätzung würde ich so nicht teilen, weil mit liberalen Erklärungen man es kaum geschafft hätte die Widerstände in Ungarn zu brechen. Das ernsthaft zu versuchen, würde ich schon eher dem Franz Ferdinand zugetraut haben, alleine schon weil dieser mit den Ungarn nicht unbedingt auf gutem Fuß stand.
Ob ein solcher Versuch aber etwas gefruchtet hätte, steht dann auch einem anderen Blatt.
 
Habe mich mal etwas auf der Homepage der „Sudetendeutschen Landsmannschaft in Österreich" (SLÖ) umgesehen.
Ich wollte mal wissen welche berühmten Persönlichkeiten aus dem Sudentenland stammen.
Da kommt man echt ins stauen.
Ich habe mir die Homepage auch angeschaut. Ins Staunen kam ich leider öfters.
Das Geschichtsbild der Sudetendeutschen Landsmannschaft in Österreich hat einige Lücken und bietet andererseits kreative Deutungen, die in Richtung Schuldumkehr gehen. Für Massaker von Lidice machen sie sogar Beneš verantwortlich.

Empfehlenswert halte ich auf jeden Fall ein Abgleich der teils merkwürdigen Informationen mit weniger parteiischen Abhandlungen, z.B. mit diesem kurzen Text zur Geschichte der Deutschen in der Tschechoslowakei des Bundeszentrale für politische Bildung:
https://www.bpb.de/izpb/9638/republik-unter-druck?p=all

Zu den größten Irrtümern gehört, dass von Geschichtsrevisionisten übersehen wird, dass die "Sudetendeutsche Partei" eine lupenreine Nazi-Organisation war.
Im Grunde wurde diese Partei bereits als Nazi-Tarnorganisation gegründet. Das Adjektiv "sudetendeutsch" sollte die großdeutschen Absichten und die enge Anlehnung an die Nazis im Deutschen Reich verschleiern. Der Name ist der reinste Etikettenschwindel und die darauf basierende Lüge wird bis heute von Geschichtsrevisionisten weiter verbreitet.

Für die Nazis in der Tschechoslowakei war es 1933 eng geworden. Die Regierung der Tschechoslowakei hatte die Gefahr der Nazis im eigenen Land erkannt und es drohten entsprechende Parteiverbote. Da haben die Nazi der Tschechoslowakei ihre Partei "Deutsche Nationalsozialistische Arbeiterpartei" (DNSAP) eilg selbst aufgelöst und die harmlos klingende "Sudetendeutsche Volksfront" gegründet, die so klingt als habe man sich von großdeutschen Anschlussplänen verabschiedet. So wird die SdP zum Unschuldslamm, das von den bösen Tschechen und Slowaken in die Arme der Nazis getrieben wurde. Tatsächlich war die SdP von Anfang an ein Wolf im Schafspelz.
 
1919 in Versailles, sollen Beneš und Masaryk für die Tschechoslowakei noch von einem Staat nach dem Vorbild der Schweiz gesprochen haben. Masaryk lebte ja auch eine Weile in der Schweiz und kannte das System. Später will er dann mehr an Belgien gedacht haben.
Theoretisch wäre die Tschechoslowakei aus vielerlei Gründen (Größe, noch nie da gewesenes Gebilde, ökonomisch) für eine Föderation prädestiniert gewesen. Doch dazu gehören eben Bundesgenossen, die das wollen. Ich sehe weder bei den Tschechen, noch bei den Sudetendeutschen, am meisten noch bei den Slowaken, den Willen, es tatsächlich zu versuchen.
Wie ein Zeitzeuge berichtete, war die Idee mit der Schweiz bis zu den Sudetendeutschen vorgedrungen und einige hätten sich damit anfreunden können, doch dafür war schon der Name des neuen Staats falsch gewählt. Wie das Beispiel des Burgenlands zeigt, fehlte es 1919 für Namensgebungen nicht an Kreativität. Mir allerdings schon.
Dazu Michael Havlin: Die Rede von der Schweiz. 2011
Die Rede von der Schweiz — recensio.net
 
Ich habe kürzlich in Oskar Kokoschkas Biographie gelesen, daß er die Jahre 1934 bis 1938 in Prag verbrachte und während dieser Zeit Thomas Masaryk malen durfte. M. vertraute ihn an, daß, wäre es nach ihm gegangen, die habsburgische Monarchie nicht hätte aufgelöst werden müssen, sondern daß man sie zu einem föderalistischen Verband der Völker hätte umgestalten können. Über Benes schrieb Kokoschka wörtlich folgendes: „Leider hat Dr. Benes, der nach dem Rücktritt Masaryks von der Nationalversammlung gewählt wurde, einen schweren Fehler gemacht. Er war fast einstimmig von den vier Völkern der Republik zum Präsidenten gewählt worden. Ich habe noch die Extrazüge gesehen, welche die Grenzdeutschen bei der Wahl zur Nationalversammlung nach Prag gebracht haben und von denen man zu Unrecht gefürchtet hat, daß sie umfallen und etwa für die Henlein-Partei stimmen würden. Benes hat es ihnen schlecht gedankt. Einer seiner ersten politischen Schritte nach dem 2. Weltkrieg war die Enteignung und Ausweisung der deutschsprachigen Bürger seines Landes.“

Diese Aussage, daß die Deutschen Benes anstatt Henlein gewählt haben, fand ich bemerkenswert, habe sie aber nicht überprüft.
 
Ich habe kürzlich in Oskar Kokoschkas Biographie gelesen, daß er die Jahre 1934 bis 1938 in Prag verbrachte und während dieser Zeit Thomas Masaryk malen durfte. M. vertraute ihn an, daß, wäre es nach ihm gegangen, die habsburgische Monarchie nicht hätte aufgelöst werden müssen, sondern daß man sie zu einem föderalistischen Verband der Völker hätte umgestalten können. Über Benes schrieb er wörtlich folgendes: „Leider hat Dr. Benes, der nach dem Rücktritt Masaryks von der Nationalversammlung gewählt wurde, einen schweren Fehler gemacht. Er war fast einstimmig von den vier Völkern der Republik zum Präsidenten gewählt worden. Ich habe noch die Extrazüge gesehen, welche die Grenzdeutschen bei der Wahl zur Nationalversammlung nach Prag gebracht haben und von denen man zu Unrecht gefürchtet hat, daß sie umfallen und etwa für die Henlein-Partei stimmen würden. Benes hat es ihnen schlecht gedankt. Einer seiner ersten politischen Schritte nach dem 2. Weltkrieg war die Enteignung und Ausweisung der deutschsprachigen Bürger seines Landes.“

Diese Aussage, daß die Deutschen Benes anstatt Henlein gewählt haben, fand ich bemerkenswert, habe sie aber nicht überprüft.
 
Diese Aussage, daß die Deutschen Benes anstatt Henlein gewählt haben, fand ich bemerkenswert, habe sie aber nicht überprüft.
Das kann man nicht verallgemeinern, weil die Deutschen in der Tschechoslowakei nicht nur eine einzige Partei wählten. Es gab zwei große politische Strömungen bei den Deutschen in Tschechoslowakei: Aktivisten und Negativisten
Die Negativisten lehnten eine Zusammenarbeit mit der Regierung in Prag ab. 1935 war dies die Sudetendeutsche Partei, die nach dem Verbot der Deutschen Nationalpartei (DNP) und der Deutschen Nationalsozialistischen Arbeiterpartei (DNSAP) in der Tschechoslowakei aus diesen beiden Parteien entstanden war.
Ab 1926 beteiligten sich der Bund der Landwirte und die Deutsche Christlich-Soziale Volkspartei, ab 1929 auch die Sozialdemokraten (DSAP), an der Prager Regierung. Diese deutschen Parteien waren also Aktivisten.
Bei den Wahlen von 1935 unterstützen die Aktivisten weiterhin die Prager Regierung. Allerdings wählten 1935 67% der Deutschen in der Tschechoslowakei die Sudetendeutsche Partei, die eine Zusammenarbeit mit der Prager Regierung verweigerte und sich an der NSDAP in Deutschland orientierte.
 
Zuletzt bearbeitet:
Die Vertreibung der Deutschen aus Osteuropa wurde auf der Jaltakonferenz im Februar 1945 beschlossen, habe ich irgendwie in Erinnerung. In Wikipedia habe ich das nicht gefunden. Wer weiß das?
 
Die Vertreibung der Deutschen aus Osteuropa wurde auf der Jaltakonferenz im Februar 1945 beschlossen, habe ich irgendwie in Erinnerung. In Wikipedia habe ich das nicht gefunden. Wer weiß das?

Das ist im Artikel XII des Potsdamer Abkommens geregelt:

Potsdam Agreement - Wikisource, the free online library (engl.)

Bei der Konferenz von Jalta wurde die Grenze zwischen Polen und der SU festgelegt:

Auf der Konferenz von Jalta im Februar 1945 setzte Josef Stalin die Abtrennung der bereits 1939 bis 1941 sowjetisch besetzten polnischen Ostgebiete an die Sowjetunion durch. Ostpolen war im Zuge des Friedensvertrags von Riga 1921 polnisch geworden. Das Gebiet hatte bis 1793 zu „Altpolen“ gehört. Mit dem polnisch-sowjetischen Geheimvertrag vom 27. Juli 1944 (geschlossen mit dem Lubliner Komitee) hatte die sowjetische Regierung anerkannt, dass „die Grenze zwischen Polen und Deutschland auf einer Linie westlich von Swinemünde zur Oder, wobei Stettin auf polnischer Seite bleibt, weiter den Lauf der Oder aufwärts zur Mündung der Neiße und von hier an der Neiße bis zur tschechoslowakischen Grenze festgelegt werden soll“; auch der zweite Grenzvertrag vom 16. August 1945 mit der Polnischen Provisorischen Regierung der Nationalen Einheit enthielt diese Festlegung.​

Flucht und Vertreibung Deutscher aus Mittel- und Osteuropa 1945–1950 – Wikipedia
 
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