Züschen (Fritzlar)

Sepiola

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In Züschen, nur ein paar Kilometer von Alt-Geismar entfernt, hat meine Oma gelebt. Der Ort wurde um 850 als "Tuischinum" erwähnt

Das bezweifle ich. Die Lautverschiebung T>Z war da schon eine Weile her. Dass die Züschener diese nicht mitbekommen hatten und erst nach 850 nachgeholt haben, halte ich für ausgeschlossen. Was ist das für eine Quelle, die um 850 "Tuischinum" erwähnt, und wie sicher ist die Identifikation mit Züschen?
 
Das bezweifle ich. Die Lautverschiebung T>Z war da schon eine Weile her. Dass die Züschener diese nicht mitbekommen hatten und erst nach 850 nachgeholt haben, halte ich für ausgeschlossen. Was ist das für eine Quelle, die um 850 "Tuischinum" erwähnt, und wie sicher ist die Identifikation mit Züschen?
Das findet man so tatsächlich bei Wikipedia, mit Verweis auf Johann Adolf Theodor Ludwig Varnhagen: Grundlage des Waldeckischen Landes und Regentengeschichte, Vandenhoeck und Ruprecht, Göttingen 1825, S. 9.
Das Historische Ortslexikon des Landesgeschichtlichen Informationssystems Hessen führt als Erstbeleg des Toponyms allerdings eine Urkunde des Jahres 1081, die bereits die Form Zuschinum hat. Allerdings werden auch vier Belege aus dem 13., und je einer aus dem 14. und 15. Jhdt. genannt, die auf T- anlauten. https://www.lagis-hessen.de/de/subjects/idrec/sn/ol/id/4980
 

Ja. Dennoch bleiben die späteren Zeugnisse mit T erklärungsbedürftig. Nördlich oder sehr nahe an der Isoglossenlinie kann es später angeglichen worden sein. Die sind ja weder immer ganz exakt noch unbeweglich.
 
Liegt Züschen nördlich der Benrather, bzw. Linzer Linie?
Nein, südlich davon, wenn auch nicht viel.

Mein Vater hat diese Herleitung über einen Gott "Ziu" noch in der Schule gelernt. Ich habe es so bei wiki bestätigt gefunden. Danke für die Hinweise, dass diese Etymologie über "Tuischinum" zweifelhaft ist und der tatsächliche erste Beleg von 1085 ein "Zuschinun" mit Z ist.
 
Das Schwanken zwischen niederdeutschen und hochdeutschen Schreibweisen kommt in Nordhessen durchaus öfters vor.
Zierenberg und Zwesten wurden im Mittelalter auch wechselnd mit T oder Z geschrieben.

Züschen gehörte lange Zeit zur Grafschaft Waldeck. Es handelte sich um einen Grenzort zur Landgrafschaft Hessen und zum Fürstbistum Mainz.
Im Kerngebiet Waldecks wird Waldecker Platt gesprochen, d.h. ein niederdeutscher Dialekt. (Linguistische Bezeichnung: westfälisch) In Züschen selbst wird hingegen (zumindest in der Gegenwart) der nordhessische Dialekt gesprochen.

Karte zu den Dialekten in Hessen (ausgehend von den Verhältnissen im 20. Jahrhundert)
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BIldnachweis: Hessenschau
 
Der eingangs von mir verlinkte wiki-Artikel zu Züschen kommt mir immer seltsamer vor:
"Die Chatten unterhielten in Züschen eine Kultstätte, und der Ortsname ist von dem chattischen Gott Ziu abgeleitet.[3]" Fußnote 3 verweist auf das Steinkammergrab Züschen, ein Galleriegrab der jungsteinzeitlichen Wartberg-Kultur aus dem 3. und 4. Jahrtausend vor Chr.
Wie kommt man darauf, dieses Grab mit einer chattischen Kultstätte in Verbindung zu bringen? Zu der Zeit fehlte von Chatten jede Spur. Es wäre ein Riesenzufall, wenn es eine mehrtausendjährige Siedlungskontinuität von der Wartberg-Kultur zu den Chatten in Züschen gäbe. Hinweise darauf fehlen. Wir wissen nichts genaues über die Religion in der Wartberg-Kultur, geschweige denn wie sie ihre Götter nannten. Deswegen frage ich mich, ob der "chattische Kultort" in Züschen nicht auch eine Fehlinterpretation ist und ob der Name des Ortes tatsächlich auf einen paganen Gott zurückzuführen ist.
 
Zuletzt bearbeitet:
Die genannten Felsritzungen sind im Artikel Riesenstein nicht bekannt, allerdings eine "geomantische Mulde".

Da gibt es wohl einiges zu tun.
 
Die genannten Felsritzungen sind im Artikel Riesenstein nicht bekannt, allerdings eine "geomantische Mulde".
Doch sie werden im Riesenstein-Artikel erwähnt: "Im Hauptfelsen befindet sich eine schalenartige geomantische Mulde mit Abfluss. Stark verwitterte Felsritzzeichnungen von Tieren befinden sich nahe der Mulde."
Riesenstein (Heiligenberg) – Wikipedia

Ich konnte die Ritzzeichnungen auch schon selbst in Augenschein nehmen. Ob die Mulde "geomantisch" ist, sei mal dahin gestellt. Jedenfalls gibt es eine Art Abflussloch.
 
Ich konnte die Ritzzeichnungen auch schon selbst in Augenschein nehmen. Ob die Mulde "geomantisch" ist, sei mal dahin gestellt. Jedenfalls gibt es eine Art Abflussloch.
Sattler schreibt in seinem Artikel in Fundberichte Hessen digital über Die Ausgrabungen am Riesenstein (2019), dass nicht klar sei, ob die Mulde anthropogen sei oder natürlichen Ursprungs:

Auf dem Stein befindet sich eine beckenartige Mulde mit rinnenartigem Abfluss von etwa 50 cm Durchmesser und 10–30 cm Tiefe (Abb. 3).6 Sie wird in der heimatkundlichen Literatur oft als „Opferschale“ bezeichnet7, wobei ihr Alter und der künstliche oder natürliche Charakter ihrer Entstehung offen bleiben. Sicher neuzeitlich ist eine am Fuß des Felsens in die Bergseite eingehauene Nische. Sie bietet genug Platz für eine erwachsene Person und soll um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert im Auftrag des Herrn von Buttlar in den Fels geschlagen worden sein.8​

Zu den nicht rezenten Ritzungen schreibt er:

Ritzlinien auf einem Steinblock am gegenüberliegenden Nordosthang des Ziegenrücks, für die eine Deutung als Runen ins Spiel gebracht wurde, hinterlassen aufgrund ihres unregelmäßigen Verlaufs eher einen natürlichen Eindruck.10 Sie folgen der Hangneigung und können daher beim Abrutschen eines benachbart gelegenen Felsens entstanden sein.​
 
Deswegen frage ich mich, ob der "chattische Kultort" in Züschen nicht auch eine Fehlinterpretation ist und ob der Name des Ortes tatsächlich auf einen paganen Gott zurückzuführen ist.
Die Sache mit dem germanischen Gott sich vor allem um eine alte Phantasie der Heimatforscher.
Sicherlich ist Name Züschen sehr und schwer deutbar.

Der einzige ernstzunehmende Hinweis auf einen germanischen Gott *Ziu ist der schwäbische Wochentagsnahme Ziestag - also schon ziemlich weit weg von der nordhessischen Kleinstadt.

Das jungsteinzeitliche Steinkammergrab Züschen wurde bereits 1894 entdeckt und regt seither zusätzlich die Phantasie an.
 
Zu den nicht rezenten Ritzungen schreibt er:
Den Eindruck von "Runen" hatte ich nicht. Mir kamen diese Ritzungen eher wie geometrische Muster vor. Ich kann mir schwer vorstellen, dass sie natürlich entstanden sind. Wenn sie anthropogen sind, bleibt das Alter immer noch vollkommen offen. Es ist aber inzwischen auch schon mehr als 15 Jahre her, dass ich das letzte Mal dort war.

Bei besserem Wetter kann ich demnächst mal einen kleinen Ausflug zum Riesenstein machen und ein paar Fotos der Mulde und der Ritzungen einstellen, wenn Interesse besteht.
 
Inzwischen wird vermutet, dass der Riesenstein bereits Ende des 18. Jahrhunderts romantisch oder im wahrsten Sinne des Wortes esoterisch aufgewertet wurde.

Besitzer von Züschen, Heimarshausen u.a. und damit auch der Steinformation im Wald war Heinrich von Meysenbug. Ausgehend von seinem Schloss in Riede ließ er einen weitläufigen frühromantischen Landschaftspark mit esoterisch angehauchten Bauwerken - gleich mehrere "Tempel". Meysenbug war Rosenkreuzer. Die meisten Bauwerke spielten vor allem auf die klassische Antike an, der Strohtempel jedoch auf die neu entdeckte Südsee.

Die große Nische am Riesenstein wird auf Meysenbugs Baumaßnahmen zugeschrieben. Was für Meysenbug am Riesenstein geschaffen wurde, ist heute leider unbekannt. Archäologisch nachgewiesen sind Tonpfeifen aus dieser Epoche. Damit ist zumindest klar, dass man sich dort mal zum Pfeife rauchen traf. Der Rest bleibt Meysenbugs Geheimnis. Der Riesenstein war Ende des 18. Jahrhunderts vielleicht ein esoterisches Heiligtum.

Der Wochentagsname ist aber durchaus weit verbreitet, vgl. englisch tuesday < altenglisch tiwesdæġ, altnordisch týsdagr usw.
Und trotzdem heißt dieser Wochentag in Hessen schlicht Dienstag, woraus man schließen könnte, dass der Mars der Chatten Thincsus hieß und eben nicht *Ziu.

Selbst wenn Züschen nach *Ziu benannt sein sollte, heißt das noch lange nicht, dass es dort ein Heiligtum des germanischen Gottes gab.
Laut dem Missionar Bonifatius gab es im 8. Jahrhundert ein paar Kilometer weiter eine dem "Jupiter" heilige Eiche. Trotzdem nannte man jenen Ort mit Donar-Heiligtum schlicht Geismar bzw. Fritzlar und nicht *Donarschen nach der Gottheit.
 
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Und trotzdem heißt dieser Wochentag in Hessen schlicht Dienstag, woraus man schließen könnte, dass der Mars der Chatten Thincsus hieß und eben nicht *Ziu.

Selbst wenn Züschen nach *Ziu benannt sein sollte, heißt das noch lange nicht, dass es dort ein Heiligtum des germanischen Gottes gab.
Laut dem Missionar Bonifatius gab es im 8. Jahrhundert ein paar Kilometer weiter eine dem "Jupiter" heilige Eiche. Trotzdem nannte man jenen Ort mit Donar-Heiligtum schlicht Geismar bzw. Fritzlar und nicht *Donarschen nach der Gottheit.
Wenn ich Sepiola richtig verstanden habe, lehnt Sepiola die Herleitung Züschens von Ziu ab. Lediglich hat er deinem Skeptizismus widersprochen, dass Ziu eine vollkommen isolierte Form des Gottesnamens sei. Da die Form Ziu belegt ist, muss sie auch nicht mit einem Asterisk versehen werden, das gilt in der Etymologie und Historiolinguistik nur für erschlossene, aber nicht belegte Formen.
 
Thincsus wird nur als Beiname im Sinn eines Attributs überliefert. (Ohne, dass ich hier Tiu/Ziu das Wort reden will.)
 
Karl Ernst Demandt – Wikipedia vertritt einen Zusammenhang zwischen Züschen und Ziu, lässt aber Tuischinum elegant links liegen (auf der Landkarte betrachtet 50km nordwestlich).

Der Name des benachbarten Züschen aber darf wohl auf den Gott Ziu bezogen werden, was selbst dann gilt, wenn die Formen des frühen 9. Jh. Thurisloun und Tuischinum nicht unsere Dorla und Züschen meinen, sondern die bei Obermarsberg gelegenen Wüstungen Dorslo und Tuisne, denn sprachlich bleiben sie trotzdem identisch...
Geschichte des Landes Hessen, 1972, S.87

Das Tuisne erscheint in Urkunden der Probstei Marsberg im 14. Jh. auch als Twesine, Twisne, Twissene oder Tuißener.

Ich bin gespannt, ob hier jemand sprachliche Erklärungen geben kann, denn ich sehe mal wieder wenig, jedenfalls nichts identisches.
 
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