Zuverlässigkeit von Gefallenen- und Vermisstenmeldungen in deutschen Kriegen ab ca. 1866 - 2021

rrttdd

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Hallo,

in irgendwelchen Historiendramen in Filmen kam es nach meinem Eindruck zuletzt häufiger zu dem Plot:

Armer deutscher Kriegsgefangener kommt, am besten 1955, nach jahrelanger Kriegsgefangenschaft nach Hause. Er hat sich so auf seine Frau und sein Kind gefreut, welches wohl im letzten Fronturlaub entstanden sein muss.

Zu Hause wird er aber nicht von seiner Frau begrüßt, sondern von seinem besten Kumpel, der seine Frau geheiratet hat. Man dachte nämlich, er sei tot. Der Kumpel hat sich dann rührend um die vermeintliche Witwe gekümmert, sie geheiratet und hat inzwischen noch zwei weitere Kinder mit ihr. Jetzt steht der eigentliche Mann plötzlich, gleichsam wie von den Toten auferstanden, relativ zerlumpt, aber eben lebend, wieder vor seinem Haus...

In einem Filmdrehbuch kann man da natürlich tolle Verwicklungen im Jetzt und in der Vergangenheit konstruieren.

Mich würde mal interessieren, ob es irgendwo Erhebungen gibt darüber, wieviele als gefallen oder tot erklärte Soldaten in den Kriegen mit deutscher Beteiligung am Ende nach ihrem juristischen Ableben doch noch wieder aufgekreuzt sind.

-im Deutsch-Österreichischen Krieg
-im Deutsch-französischen Krieg
-im 1. Weltkrieg
-im 2. Weltkrieg
-im Afghanistankrieg

Gibt es Kriege, wo der Anteil signifikant höher oder tiefer war als im Schnitt? Ich könnte mir vorstellen, dass in Afghanistan alle gefallenen leider wirklich tot sind, da die Anzahl der involvierten Soldaten überschaubar war und man eine moderne Verwaltung hat. Dagegen herrschte im 2. Weltkrieg spätestens in Stalingrad zunehmend Chaos und es kam spätestens nach dem D-Day zu fortschreitenden Auflösungserscheinungen, was letztlich im totalen Untergang und Stunde Null endete. Es waren aber viele Soldaten beteiligt. Daher würde ich vermuten, dass der oben skizzierte Plot hier etwas realistischer sein dürfte...? Aber wie sah es bei den Kriegen zuvor aus?
 
Ich könnte mir vorstellen, dass in Afghanistan alle gefallenen leider wirklich tot sind, da die Anzahl der involvierten Soldaten überschaubar war und man eine moderne Verwaltung hat.
Es gibt keine Vermisstenfälle in diesem Krieg. Alle Bundeswehrsoldaten, die seit 1956 im Dienst umgekommen sind, werden im "Wald der Erinnerung" namentlich genannt.

Im Falle des Afghanistankrieges (vor Jahren hatte ich auf der Wikipedia dazu Daten zusammengetragen) waren es 57 Soldaten, davon 35 durch Feindeinwirkung, die übrigen v.a. durch Unfälle.

Interessanterweise wurde keine zentrale Statistik zur Zahl der Verwundeten geführt, diese konnte ich nur aus der Presse entnehmen, wobei teils Zuordnungsschwierigkeiten bestanden. Meiner Ansicht nach liegt sie bei etwa ±600, nicht eingerechnet Fälle post-traumatischer Belastungsstörung.
 
Mich würde mal interessieren, ob es irgendwo Erhebungen gibt darüber, wieviele als gefallen oder tot erklärte Soldaten in den Kriegen mit deutscher Beteiligung am Ende nach ihrem juristischen Ableben doch noch wieder aufgekreuzt sind.

Wahrscheinlich nicht, weil das außerhalb der Weltkriege eher die Ausnahme gewesen sein wird.

Das Soldaten vermisst wurden und später wieder auftauchten ist ja vor allem dem Phänomen der Kriegsgefangenschaft geschuldet.

-im Deutsch-Österreichischen Krieg
Sofern du den Preußisch-Österreichischen (die Mehrzahl der deutschen Staaten standen da eher auf Österreichischer Seite), bzw. "Deutschen Krieg" meinst:

Dieser Krieg dauerte was die eigentlichen Kampfhandlungen betrifft lediglich einige Monate (die juristische Beendigung nach dem Waffenstillstand zog sich noch einige Zeit hin).

Mit dem schnellen Kriegsende konnten Gefangene auch schnell wieder entlassen werden, die Schäden, die dieser Krieg anrichtete hielten sich für einen industrialisierten Krieg noch ziemlich in Grenzen, also war es unatraktiv Soldaten länger in Gefangenschaft zu halten (zumal das mit dem Friedensvertrag ohnehin wegfiel), schließlich wollen Kriegsgefangene auch ernährt und versorgt werden.

Im Deutsch-Französischen Krieg sah es ähnlich aus. Die Schäden in Deutschland hielten sich in Grenzen und man hatte ein Interesse diesen Krieg möglichst schnell zu beenden, also hat man die Kriegsgefangenen recht zügig abgewickelt.



Spielt in einer ganz anderen Liga, als die vorangegangenen Kriege, weil er zum einen recht lange dauerte und zum Anderen zunehmend zwangsarbeiter benötigt wurden um die zum Kriegsdienst eingezogenen Arbeiter in Industrie und Landwirtschaft zu ersetzen.

Gleichzeitig gab es im 1. Weltkrieg allerdings verhältnismäßig wenig Kesselschlachten, so dass in der Regel nicht gleich ganze Einheiten in Gefangenschaft gingen (Tannenberg und die Belagerungen von L'wow und Przemysl sind da eher Ausnahmen), außerdem bemühte man sich im ersten Weltkrieg, vor allem in den ersten Monaten noch um Humanität (das ging z.B. an der deutsch-russischen Front so weit, dass man von deutscher Seite her die Überführung des Leichnahms des russischen Generals Sasonow mit Ehrengeleit nach Russland genehmigte), insofern würde ich für den Ersten Weltkrieg und im Besonderen die Ersten Monate stark vermuten (ohne das ad hoc nachweisen zu können), dass man den gefangengenommenen Soldaten ermöglichte (sofern sie des Lesens und Schreibens mächtig waren) wenigstens einmal an die Familie zu schreiben um sie vom Verbleib der Angehörigen in Kenntnis zu setzen.
Wenn das auf direktem Weg nicht möglich war, möglicherweise auch über den Umweg der neutralen Länder, müsste ich mich mal schlau machen.


Der stellt aus mehreren Gründen eine Ausnahmesituation dar:

1. Er war ein Bewegungskrieg, was im Gegensatz zum Ersten Weltkrieg dazu führte, das häufig wirklich ganze Einheiten geschlossen in Gefangenschaft gingen.
2. Er wurde, im Besonderen im Osten als Vernichtungskrieg außerhalb aller kriegsrechtlichen und humanitären Konventionen geführt, d.h. dass ganz konkret auch mit Gefangenentötung (siehe z.B. "Kommissarbefehl") gerechnet werden musste, womit die Grenzen zwischen Gefangenschaft und Tod verschwammen.
3. Der wurde unter Extrembedingungen geführt, wenn jemand beim Rückzug bei -40° verletzt liegen bleibt und abhanden kommt, wird der wesentlich schneller für tod erklärt, als wenn das bei sommerlichen Temperaturen 1916 in Flandern passiert wäre.
4. Neben der Wehrmacht kämpften im 2. Weltkrieg auch allerhand Gruppen, die nicht unbedingt zu den regulären Streitkräften zu zählen sind, so dass die Konventionen des Kriegsrechts hier auch aus anderen Gründen noch hinfällig sein konnten.
5. Wegen der massiven Zerstörungen hatte natürlich gerade auch die Sowjetunion ein massives Interesse an Arbeitskräften zum Wiederaufbau.
6. Der Umstand dass es zwischen der Sowjetunion und Deutschland, oder mindestens dem westlichen Deutschland, mit der DDR schloss die Sowjetunion nachträglich einen, keinen formellen Friedensvertrag gab, bedeutete, dass de jure der Krieg lange nicht als beendet angesehen wurde, was dann natürlich für die Sowjets relativ wenig Veranlassung gab die Kriegsgefangenen zu entlassen, im Besonderen, so lange man keinen friedensvertrag hatte, der die Reparationsfrage zu Gunsten der Sowjetunion klärte.

Das alles war ein wenig anders, als in den vorangegangenen Kriegen, darin unterscheidet sich die Situation ganz gravierend.

-im Afghanistankrieg

Sofern du den am Beginn der 2000er Jahre meinst die afghanischen Kräfte aggierten vor allem aus dem Untergrund heraus.
Das bedeutet, sie mussten schnell verschwinden können und konnten dementsprechend kein Interesse daran haben sich mit Gefangenen zu belasten, die man ohnehin nicht hätte freigeben können, weil sie die eigenen Operationsbasen und Sympathisanten in der Zivilbevölkerung veraten hätten.

Dagegen herrschte im 2. Weltkrieg spätestens in Stalingrad zunehmend Chaos und es kam spätestens nach dem D-Day zu fortschreitenden Auflösungserscheinungen, was letztlich im totalen Untergang und Stunde Null endete. Es waren aber viele Soldaten beteiligt.

Wie gesagt, der 2. Weltkrieg dürfte da in jeder Beziehung eine Ausnahmeerscheinung sein, zumal im Gegensatz zu allen anderen genannten Kriegen nicht so ganz einfach ist festzustellen, wann der Kriegszustand eigentlich endete.

1945 wurden zwar die Kämpfe eingestellt, aber eine handlungsfähige deutsche Staatsmacht, mit der man die Konditionen der Abwicklung des Krieges hätte verhandeln können, gab es ja nicht und als 1948 dann gleich 2 handlungsfähigen Deutsche Staaten auf der Bildfläche erschienen, die sich gegenseitig nicht anerkannten und beide behaupteten die politische Alleinvertretung Deutschlands zu sein, erleichterte das die Angelegenheit nicht unbedingt.
De facto wurden die Kämpfe 1945 eingestellt, aber wenn man der Interpretation folgt, dass letztendlich der 2+4 Vertrag eine Art Ersatzfriedensvertrag darstellt ohne diesen Begriff explizit in den Mund zu nehmen, dauerte der Kriegszustand de jure bis Ende der 1980er Jahre an und so lange der Kriegszustand de jure andauert, ist es natürlich auch legitim Kriegsgefangene weiterhin festzusetzen.

In diesem Sinne müsste man mit dem Begriff "Stunde Null" etwas vorsichtig sein.
1945 war in keinerlei Hinsicht eine Tabula Rasa, auch wenn das aus der deutschen Perspektive gerne so dargestellt wird.
 
Das bedeutet, sie mussten schnell verschwinden können und konnten dementsprechend kein Interesse daran haben sich mit Gefangenen zu belasten, die man ohnehin nicht hätte freigeben können, weil sie die eigenen Operationsbasen und Sympathisanten in der Zivilbevölkerung veraten hätten.
Das stimmt freilich nicht ganz.
Die Taliban waren durchaus bestrebt, Koalitionssoldaten gefangen zu nehmen, was ihnen in mindestens einem Fall auch gelang; Bowe Bergdahl, ein US-Amerikaner, geriet 2009 in Gefangenschaft, als er sich von seinem Außenposten entfernte, um mit einem Afghanen zu sprechen, mit dem er sich angefreundet hatte.

Gerade US-Soldaten waren ein "gefragtes" Ziel, weil man sie gegen gefangene Aufständische, die sich im Gewahrsam der afghanischen Zentralregierung oder der Amerikaner (Guantanamo Bay) befanden, hätte eintauschen können.

In zumindest einem Fall wurde auch versucht, eine kleine Gruppe französischer Soldaten gefangen zu nehmen, um sie medienwirksam zu ermorden. Das war 2006. Als eine britische Quick Reaction Force den umkämpften Beobachtungsposten der Franzosen erreichte und diese zu retten versuchte, wurden die Männer erstochen.
 
Meine Oma (Jahrgang 1922) erhielt im Sommer 1944, als die Ostfront zusammenbrach, einen schwarzumrandeten Brief mit dem Inhalt, dass mein Opa nahe Bobruisk für "Großdeutschland gefallen" sei.

Es muss ein furchtbares Chaos geherrscht haben, und die 129. hessisch-thüringische ID wurde zum großen Teil aufgerieben. Mein Opa gehörte wohl zu einem Rest von versprengten Truppen, denen auf eigene Faust gelang, aus dem Kessel auszubrechen und sich mit anderen Versprengten durch die Pripjet-Sümpfe durchzuschlagen.

Im 1. und 2. Weltkrieg gab es eine Menge Soldaten, die einfach weg waren, von denen kein Lebenszeichen, nicht einmal mehr Überreste vorhanden waren, wo sich nicht mehr rekonstruieren ließ, was mit ihnen passiert war. Sie wurden nach einiger Zeit für vermisst erklärt, und den Angehörigen wurde mitgeteilt: "im Einsatz vermisst"-manchmal wurde noch mitgeteilt: "In Anbetracht der Umstände muss mit seinem Tod gerechnet werden."

Wenn, was durchaus vorkam, Soldaten zu unrecht für vermisst oder gefallen erklärt wurden, klärte sich das meist im Verlauf von einigen Tagen-manchmal sogar Wochen auf. Meine Oma erfuhr aus einer Radio-Sendung der BBC, vom Soldatensender West, dass Teile der 129. ID ausbrechen konnten und bekam dann noch einmal Feldpostbriefe woraus sie rekonstruieren konnte, dass ihr Mann nach dem Zeitpunkt der Vermisstenmeldung noch einmal schreiben konnte.

Unter Umständen konnte es tatsächlich Wochen dauern, bis sich eine irrtümliche Todes- oder Vermisstenmeldung aufklärte. Das weckte natürlich auch bei Angehörigen teils unrealistische Hoffnungen, dass Vermisste noch leben könnten. Sehr viele Angehörige sagten aus, dass ein Todmeldung weniger belastend, als "vermisst im Einsatz". Bei Toten wusste man schließlich, dass sie tot waren, man wusste, wo sie ums Leben gekommen waren, und es existierten bei vielen Soldaten Gräber.

Fälle wie die oben zitierten, in denen ein Vermisster zurückkehrt, nur um festzustellen, dass Ehen, Beziehungen zerbrochen waren, dass die Partnerinnen sich neue Partner gesucht haben, dürften relativ selten gewesen sein.

Es sind aber tatsächlich viele Beziehungen daran zerbrochen, dass sich die Lebensrealitäten von Front und Heimatfront total unterschieden, dass Männer und Frauen gleichermaßen traumatisiert waren, durch Erlebnisse an der Front und Heimatfront, aber keine Ebene der Kommunikation mehr fanden und sich entfremdeten.

Es gab Männer, die große Schwierigkeiten hatten, im Nachkriegsdeutschland anzukommen, die nicht darüber hinwegkamen, dass ihre Welt und ihr Besitz nicht mehr existierte, Leute. deren Heimat der Krieg und die Armee geworden waren und für die es nun im zivilen Leben keine Verwendung mehr gab.
 
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