Also ich habe mal etwas weiter in der Fachliteratur nachgeschlagen, was man dort von den hohen Zahlenangaben hält. Unter anderem in der schon von mir genannten Literatur.
Mich würde deswegen sehr interessieren, ob jemand genauere Zahlen über die Gesamtbevölkerung Chinas zur Zeit der Qin-Dynastie kennt.
Die Zahlen die ich für die Qin-Zeit um 220 v. Chr. gefunden habe, schwanken zwischen 20 und 30 Millionen Einwohnern. Das ist natürlich eine Schätzung, denn das Problem ist, das die erste halbwegs verlässliche Zahlenangabe aus der Antike, der erste kaiserliche Zensus von 2 n. Chr. ist. Dieser schätzt die Einwohnerzahl auf 50 Millionen. In den vergangenen 200 Jahren war die chin. Bevölkerung kontinuierlich gewachsen, da keine innere Krise mehr anhielt und die Gesellschaft unter den westlichen Han stabile Bedingungen vorfand.
So soll der Erste Kaiser auf seinen Feldzugen zur Eroberung Chinas zeitweise eine Million Soldaten und Hilfskräfte aufgeboten haben (die Römische Republik schickte zur selben Zeit grademal 80.000 Mann gegen Karthago).
Da ergibt sich ein Problem. Die größte Zahlenangabe in den antiken Quellen ist nämlich 600.00. Und die Literatur ist sich wohl einig darin, dass genau diese Zahl viel zu hoch ist. Die realistische Größe der Qin-Armee unter König Zheng dürfte 200.000 Mann niemals überschritten haben. Damit war sie aber dennoch eine der größten Armeen ihrer Zeit. Die größten Kriegszüge in der Endphase der Streitenden Reiche überstiegen nie 100.000 Soldaten, auch wenn die antiken Quellen gern was anderes erzählen, da werden auch mal 500.000 Mann, jeweils auf beiden Seiten, in nur einer Schlacht genannt.
Battle of Changping - Wikipedia, the free encyclopedia
Völlig unrealistische Übertreibung!
Qin benutzte in der zweiten Hälfte des 3. Jahrhunderts v. Chr. zur Eroberung der anderen Königreiche ein operatives Heer von durchschnittlich etwa 100.000 Mann. So erklärt sich auch, warum Qin nicht alles gleich auf einmal eroberte, sondern die anderen voneinander trennte und dann jeden einzeln angriff. War ein Land besiegt, wurde ein Armeeteil als Besatzungsmacht zurückgelassen und der Rest formierte sich wieder, um konzentriert den nächsten Feind zu überrennen. Qins Weg zum Sieg war eben nicht nur die Größe seiner Streitmacht, sondern seine sehr gute ökonomische Basis. Qin konnte seine Truppenverluste schnell ausgleichen, viel schneller als der Feind. So konnte kontinuierlich ein Heer von 200.000 Soldaten aufrecht erhalten werden und die resultierende Schlagkraft machte Qin zum Endsieger des Krieges. Danach kam es auch rasch zur militärischen Deeskalation in China. Das Qin-Heer wurde wieder abgespeckt und auf eine besser zu versorgende Größe reduziert. Einhundert Jahre später, unter dem kriegerischen Han-Kaiser Wudi, gilt dann eine einzelne Armee mit 50.000 Mann als sehr groß. Mit diesen Zahlen wurden auch der Gansu-Korridor und das Taklamakan-Protektorat erobert. Eine Truppenstärke von 600.000 oder sogar 1 Million war für Qin wahrscheinlich nicht zu versorgen, das gehört ins Reich der Chronisten-Propaganda.
Nimmt man nun diese sehr viel realistischeren Zahlen zur Grundlage, dann sind die zeitgleichen Truppendimensionen der Punischen Kriege im Mittelmeer gut mit den chin. Verhältnissen zu vergleichen. 80.000 Männer in einen Kriegszug zu schicken entspräche ziemlich exakt dem Vorgehen chin. Staaten während der Endphase der Streitenden Reiche.
Naja, in ich finde die Zahlen auch enorm hoch. Jedoch muss man, meiner Ansicht nach berücksichtigen, dass die Bevölkerungsangaben die aus heutiger Sicht über die damalige Größe gemacht werden weitaus glaubwürdiger sind, als die Truppenzahlen der griechischen Schriftsteller über die Perserkriege.
An der Stelle muss ich deutlich entgegenhalten, dass das genaue Gegenteil der Fall ist. Die alten Chinesen standen in dieser Hinsicht den alten Griechen in nichts nach. Da wurde maßlos übertrieben und völlig irrwitzige Zahlenangaben gemacht. Diese Art der positiven Propaganda gehörte während der ganzen chin. Geschichte zum guten Ton. Beispielsweise sind Angaben, dass eine 50.000 Mann-Armee einen 400.000 Mann-Gegner besiegt hätte durchaus normal im alten China, nur stimmt das zahlenmäßig mit Sicherheit nicht, auch wenn uns alte Chroniken vom Gegenteil überzeugen möchten. Selbst in einem populärwissenschaftlichen Magazin wie Geo Epoche (Thema: Erster Kaiser) findet man als Fußnote folgenden Satz:
Diese Ziffern stammen, wie die meisten Zahlenangaben, aus der traditionellen chinesischen Geschichtschreibung, in der die Angaben aus propagandistischen Gründen oft stark übertrieben sind. In Wirklichkeit waren chin. und westliche Heeresstärken und deren Chronisten während der Antike also durchaus sehr ähnlich.
Anderes Beispiel:
List of Chinese battles - Wikipedia, the free encyclopedia
Nahezu alle Zahlenangaben zum alten China, die in diesen Artikeln genannt werden, kannst du konsequent in die Tonne schmeißen. Allesamt viel zu hoch, da war die Fantasie und nicht die Realität Mutter des Gedanken.