Gandolf
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Fischer war wohl der erste deutsche Historiker, der sich eingehend mit der deutschen Kriegszielpolitik beschäftigte.Dieser Umstand findet auch in Fischers "Griff nach der Weltmacht" Erwähnung. Es sollte, soweit ich mich erinnere, den bay.-pr. "Dualismus" ausgleichen.
Auf deutscher Seite fanden sich 1914/15 viele Stimmen, die "Holland in ein engeres Verhältnis zum Deutschen Reich" (Bethmann Hollweg, Schreiben an Delbrück vom 9.9.14) bringen wollten: Thyssen in seiner von Erzberger überreichten Denkschrift vom Sept. 14; Krupp in seiner Kriegszielschrift; Ludendorff in seinem Vorschlag vom Aug. 14; etc.
Speziell auf bayerischer Seite erhoffte man sich durch einen "Beitritt" der Niederlande zum Deutschen Reich, das preußische Übergewicht ausgleichen und auf diesem Wege die bayerische Eigenständigkeit fördern zu können. Fischer nannte das übrigens m.W. "Trialismus" (Pr.-Bay.-Ndl.), nicht Dualismus.
Es gibt einen gewichtigen Unterschied zwischen dem Propagandabild der Briten von den "abgehackten Händen" und den "gekreuzigten Soldaten" einerseits und den in dem Link dargestellten Untaten andererseits: das erstere ist frei erfunden, das letztere tatsächlich geschehen.tekker schrieb:Zu deinem Link:
Auch dort wird in der Einleitung ein imho einseitiges "Greuelbild" gezeigt, von dem aus die von dir erwähnten "abgehackten Hände" nicht mehr weit sind.
Wie soetwas zustande kommt, ist leicht erklärt. Explizite Erwähnung findet nicht das "tägliche Besatzungsgeschehen", sondern die "herausragenden Ereignisse". Von daher sollte man mit einer Beurteilung der Gesamtsituation nicht so schnell bei der Hand sein.
Gerade das "tägliche Besatzungsgeschehen" wird in dem Link angesprochen: das Leben in den zerstörten Dörfern und Städten sowie in den durch Schützengräben verwüsteten Gebieten des Westens, die systematische Ausplünderung der belgischen Wirtschaft zu Gunsten der deutschen Kriegswirtschaft, etc. Auch die Deportation von mehr als 120.000 Belgiern zur Zwangsarbeit (ab 1916) stellte für die Betroffenen und ihre Familien kein "herausragendes Ereignis" sondern ein bis zu 2 Jahren anhaltender Dauerzustand dar.
Nun ja, das Völkerrecht entwickelt sich halt weiter (Stichworte: Einfluss der Menschenrechte, Schutz der Zivilbevölkerung, Schutz des Eigentums, etc).Eigentlich nicht.
Einen solchen "Entschädigungsanspruch" gab es ja bis dahin im Völkerrecht nicht. Die von Napoleon oder vielen anderen Herrschern mit Krieg überzogenen Völker haben auch nie einen Pfennig Entschädigung bekommen.
Wer gewinnt, kriegt Beute, das war die Regel - noch die "Kriegsentschädigung" 1870/1871 folgte trotz dieser Bezeichnung dieser alten Denkweise.
Lansing in seiner vierten Note vom 5.11.1918 an Wilhelm Solf:
"Ferner hat der Präsident in den in seiner Ansprache an den Kongreß vom 8. Januar 1918 niedergelegten Friedensbedingungen erklärt, daß die besetzten Gebiete nicht nur geräumt, sondern auch wiederhergestellt werden müßten. Die alliierten Regierungen sind der Ansicht, daß über den Sinn dieser Bedingungen kein Zweifel bestehen darf. Sie verstehen dadurch, daß Deutschland für allen durch seine Angriffe zu Wasser und zu Lande und in der Luft der Zivilbevölkerung der Alliierten und ihrem Eigentum zugefügten Schaden Ersatz leisten soll" (Quelle: Klaus Schwabe, Quellen zum Friedensschluss von Versailles, Nr. 17).
Ach ja? Obwohl die Flamen in ihrer großen Mehrheit hinter dem belgischen Staat standen (z.B. für ihn als belgische Soldaten im 1. WK gegen die Deutschen kämpften; es gab nur wenige flämische Desserteuere) und die "großniederländische Bewegung" kaum unterstützten? Viele "Vorkämpfer der Freiheit" flohen nach dem Krieg nach D, um so ihrer Bestrafung als "Verräter" zu entgehen.R.A. schrieb:Wie das bei solchen Bewegungen anfangs immer der Fall zu sein pflegt.
Wäre Flandern selbständig geworden, wären das heute die Vorkämpfer der nationalen Freiheit ...
Unterstützung für einen selbständigen flämischen Staat: ja. Anschluss Flanderns an die Niederlande: vielleicht. Beitritt der Niederlande zum Deutschen Reich: Nein.R.A. schrieb:Was den Luddendorf-Vorschlag betrifft: Gab es denn dafür auch nur andeutungsweise eine realistische Basis in den Niederlanden?
In Deutschland war man davon überzeugt, dass die Niederlande nach dem gewonnenen Krieg gar nicht anders könne, als sich dem Deutschen Reich anzuschließen: "Daß es die Waffen gegen uns erheben wird, in dem Augenblicke, wo wir einen Kriege gegen die ganze Welt siegreich bestanden haben, wird niemand im Ernste glauben" (Denkschrift von Tirpitz an Jagow, 19.10.1915 - zitiert nach Frey [s. # ], S. 65).
Zunächst einmal ist es so, dass zwei Sekundärquellen den Vorschlag von Ludendorff aus dem Jahr 1914 erwähnen. Bei dem Buch von Frey handelt es sich um eine Dissertation. Bei dem Autor des zweiten Beitrags, Lode Wills, handelt es sich um einen angesehenen emeretierten Professor der Universität Löwen, der sich eingehend mit der großflämischen Bewegung beschäftigt hat. Wenn Dich die genaueren Hintergründe des Ludendorff-Vorschlags interessieren, könnte ich mich vielleicht dazu überreden lassen, auch noch ein drittes oder viertes Buch heranziehen. Aber du müsstest mich dann schon ganz freundlich darum bitten.Die Rolle Ludendorffs bei der Eroberung Lüttichs ist ja soweit bekannt, allerdings "Oberquartiermeister beim Armeeoberkommando 2" klingt ungewohnt. Ich dachte er sei Brigadekommandeur gewesen.
Aber OK, auf jeden Fall sind politische Vorschläge solcher Tragweite nie und nimmer Sache von Generalen der 2. Reihe. Und ob die Niederländer in den paar Tagen bis Ludendorff definitiv in Ostpreußen ganz andere Probleme zu lösen hatte, schon einen Geschäftsträger für das "besetzte Belgien" ernannt haben, möchte ich auch in Frage stellen.
Für das Jahr 1917 wäre das alles irgendwie nachvollziehbar, aber nicht für 1914.
Vielleicht solltest Du Dich von der Vorstellung lösen, dass die deutschen Verhältnisse das Maß aller Dinge sind. Die Belgier haben sich 1830 von einem Land gelöst, das seit 1648 eigenständig ist. So betrachtet, war Belgien 1914-1918 noch ein junger Staat. Im Beitrag wird übrigens auch genannt, was die belgische Identität nachhaltig prägte: das "Martyrium" im 1. WK.Gelegentlich habe ich auch Links zu dieser BpB-Internetseite gesetzt.
Doch so langsam halte ich von denen recht wenig.
Dass im Link Belgien ein "noch junger Staat" im 1.Weltkrieg genannt wird (seit 1830) halte ich für völlig bekloppt, wenn man bedenkt, wie alt das geeinte Deutschland (seit 1871) im 1.Weltkrieg war.
Eine nationale Identität sei damals bei Belgien noch nicht so ausgeprägt - so der Link weiter. Ich frage mich, seit wann hat denn überhaupt Belgien eine nationale Identität entwickeln können, wenn sie damals noch keine hatte?
Auch die Texte zum 2.Weltkrieg sind manchmal haarsträubend bei denen.