Hamburg 1673- 1799 (arbeitende/besitzlose Frauen)
Quelle: M. Lindemann (1984) 'The Principles and Practice of Maternity Care in Eighteenth Century Hamburg' in Journal of Family History, 9 (44).
Der Artikel bezieht sich in erster Linie auf die sich verändernde Einstellung gegenüber schwangeren Frauen im Bezug auf das 'Spinnhaus', welches an das 'Werk-, Zucht-, und Armenhaus' angeschlossen war, in dem 'böse Leute, wie Huren und Diebe [...] zur Arbeit gezwungen und die Gottesfurcht gelehrt' wurden. Das 'Spinnhaus' wurde anscheinend Ende des 17. Jahrhunderts gegründet und bescherte umgehend Schwierigkeiten was werdende Mütter betraf, da man anscheinend keine Vorsorge für den Fall schwangerer Insassinnen getroffen hatte.
Hamburg erlebte , laut Lindeman, im Laufe des 18. Jahrhunderts einen enormen Zufluß von Bewohnern, und gleichzeitig einen Anstieg in der Anzahl der unehelichen Schwangerschaften. Lindeman gibt eine Statistik an, die sie aus dem 'Hamburgisches Diarium von Anno... Die... Woche/von... bis... Enthaltend die Zahl derjenigen Personen/so Wochentlich in jedem Kirchenspiel sind geboren/proclamiert, als auch Copuliert und gestorben.' (Hamburg, 1711-1715) und aus den 'Adreß-Comptoir-Nachrichten' (Hamburg, 1767- 1826) hat. Im Jahre 1712 wurden 2971 eheliche Kinder geboren, 47 uneheliche, also lag die Rate der Illegitimität bei 1.56%.
1799 wurden 3158 eheliche Kinder geboren, und 498 uneheliche Kinder, also lag die Rate der Illegitimität bei 12.2 %. In jener Statistik zeigt sich ein stetiger Anstieg der unehelichen Geburten, während die legitimen Geburten ihren Tiefststand mit 2343 im Jahr 1775 erreichen (illegitime Geburten: 263) sich aber immer um ca 2500 bewegen.
In dieser Zeit wurde es möglich sich freiwillig im Spinnhaus einzufinden um dort zu gebären. Eine Polizeierfassung (von 1801), die Lindemann zitiert, zeigt an, daß 177 Frauen die sich meldeten um im Spinnhaus zu gebären, 83 Dienstmägde waren. Über die Väter sagt die Erfassung nichts, wohl aber das die Polizei drei von ihnen wieder aus der Stadt eskortiert hat, weil sie schon schwanger nach Hamburg kamen. 27 Frauen wurden nach der Entbindung 'in Ammendienst gebracht', 8 gingen zurück zu ihren Eltern, 6 zu ihrer vorigen Herrschaft, weitere 27 zurück zu ihrer 'Wohn oder Schlafstelle'.
Anscheinend kam es nicht selten vor, daß Frauen im Armenhaus geschwängert wurden und dann zur Geburt ins Spinnhaus verlegt wurden. Ebenso wurden Frauen die des Kindsmordes verdächtigt wurden, sowie solche die sich strafbar gemacht hatten indem sie versucht hatten eine Schwangerschaft zu verbergen, im Spinnhaus bis zur Geburt untergebracht. Anfangs als Zuchthaus gedacht, zeigen die Aufnahmebücher an, daß die Zahl der Wöchnerinnen zwischen 1673 bis 1799 stetig anstieg, von 5.5 % der Insassinnen die Wöchnerinnen waren, zu einem Anteil von 96.15%. (Anmerkung: dies heißt nicht, daß die Anzahl der illegitimen Geburten anstieg, sondern illustriert eher die Veränderung in der Benutzung des Spinnhauses.)
Ab 1698, nachdem sich mehrere Kindsmorde im Spinnhaus ereignet hatten, wurde die Regelung eingeführt, daß die dort geborenen Kinder sofort dem Waisenhaus übergeben wurden, wo die Überlebenschancen der 'Spinnhauskinder' ebenso schlecht waren. Erst ab 1772 wurden die Gebärenden von den anderen getrennt, und in einem einzigen Raum untergebracht in den man auch die Sterbenden brachte. Die Spinnhauskinder die nicht starben wurden sobald wie möglich in Lehre gegeben oder wurden Mägde.
Die Mütter konnten bis zu sechs Monaten vor ihrer Entbindung ins Spinnhaus gehen und sollten im Grunde bis zu 18 Monaten im Spinnhaus festgehalten werden. Bis zur Entbindung musste gearbeitet werden, also spinnen, nähen oder stricken etc. In der Realität wurden die Mütter meist kurz nach der Entbindung wieder auf freien Fuß gesetzt, wogegen anscheinend 1770 einer der Gefängnisverwalter protestierte, da er meinte, daß hier nichts unternommen werde um die ledigen Mütter zu bestrafen, sondern stattdessen über Monate hinweg für sie gesorgt werde, und dann gingen sie einfach wieder (und überließen der Stadt im Waisenhaus auch noch die finanzielle Bürde der Kinder). Ein Fall, einer Magdalena Klefman wurde anscheinend besonders angeprangert als Beispiel wie sehr dieses gemeinnützige System ausgenutz wurde. Anscheinend hielt sie sich zwischen ihrem 17. und 21. Geburtstag dreimal im Spinnhaus auf, und gebar drei uneheliche Kinder.
In einem anderen Fall bat anscheinend eine Frau um Aufnahme ins Spinnhaus mit der Begründung, sie sei von ihrem Verlobten verlassen worden, und vetraute sich später der Frau eines Wärters an, zugebend, daß ihre Verwandten sie nach Hamburg gebracht hatten um sich des Kindes zu entledigen. In den Aufnahmebüchern stehen laut Lindemann weitere Gründe für Aufnahme: 'sie war arm und schwanger', 'sie wurde vom Ehemann verlassen, ist mittellos und schwanger', oder eine Frau wurde aufgenommen weil 'sie entband in einem öffentlichen Durchgang'.
Lindeman befasst sich in ihrem Artikel in erster Linie mit der Entwicklung des Spinnhauses zur karitativen Entbindungsstation und weniger mit der Bestrafung der ledigen Mütter, aber sie gibt Hinweise, daß es strafbar war Schwangerschaft zu verbergen, daß eine Strafe für uneheliche Schwangerschaft von bis zu 18 Monaten im Spinnhaus möglich war, und das die Ordnungshüter so weit wie möglich versuchten Schwangere die von außerhalb kamen auch wieder dorthin zurückzuschicken. Die Frauen mit denen sie sich befaßt scheinen in erster Linie zum arbeitenden Volk gehört zu haben (Mägde etc), nur leider erwähnt sie die Väter nicht, außer um darauf hinzuweisen, daß nach Ende des Siebenjährigen Krieges die Bevölkerung durch Zuwanderung von Soldaten anwuchs, und anscheinend damit auch die Rate der unehelichen Geburten.
Über Verhütungsmittel sagt Lindeman nichts, ebensowenig über Gründe, abgesehen vom Bevölkerungszuwachs, wie es zur Steigerung der unehelichen Geburten im Gegensatz zum relativen Gleichbleiben bei ehelichen Geburten kam, sondern versucht eher Einsichten zu vermitteln wie sich die Einstellung zu unehelichen Kindern geändert hat, will heißen, daß sich laut ihrer Meinung nach ein langsamer Wandel im Denken über uneheliche Kinder eingestellt habe, der die Sorge um die Mütter beeinflußte.