Anstatt "Wir schließen es aus, weil uns keine schriftlichen Hinweise vorliegen" müsste es heißen: "Wir können es nicht ausschließen, aber es liegen uns keine schriftlichen Hinweise vor!"
Unterschied erkannt? :winke:
Neben dem schriftlich fixierten Gesetz gab es noch das oral geltende Gesetz (im Sinne von Brauchtum). In diesem Kontext würde ich das Ius primae Noctis sehen. Dass diese heidnischen Hinterlassenschaften vom Klerus bekämpft wurden, versteht sich von selbst.
Noch etwas zum Minnesang und zur Achtung der Frau:
Wenn die Ritter des MA eine solche Hochachtung vor Frauen hatten, wer hat dann die Gräueltaten während der Kreuzzüge verübt? Etwa nur die Knappen?
Nein, auch die Volksgesetze (Sachsenspiegel, Deutschenspiegel, Schwabenspiegel) sind ja zum Teil schriftlich überliefert worden und ein Hinweis auf ein
ius primae noctis findet sich darin nicht. Da die antiken Völkerschaften sich aus Freien zusammensetzen, die sich durch Willensbildungsprozesse zusammensetzten und einem Herrscher anschlossen oder ihm die Gefolgschaft versagten, spricht auch nichts dafür, dass ein
ius primae noctis in den alten Stammesgesetzen existiert hätte, dann aber verloren gegangen sei. Auch gerade der lateinische Name dieses
ius deutet darauf hin, dass seine Erfinder der katholischen Kirche etwas anhängen wollten, denn das Lateinische steht für das römische Recht, dass mit der kirchlichen Mission verbreitet wurde. Wir können also ganz klar sagen, dass es dieses
ius nicht gab, weder im schriftlich, noch im mündlich tradierten Gesetz.
Abusi gab es natürlich immer. Ein interessantes Detail: Die hispanochristliche Literatur des Mittelalters sieht die arabische Invasion zum Untergang des Westgotenreiches u.a. als ein göttliches Strafgericht wegen der Sünden des Westgotenherrschers Rodrigo. Dieser soll unter anderem ein Schürzenjäger gewesen sein und die Tochter seines Statthalters in Tanger, Julián vergewaltigt haben, was dieser nun zum Anlass genommen haben soll, sich mit den "Mauren" zusammenzutun.
Kommen wir nun zu den Greueltaten. Wie schon festgestellt wurde, richteten diese sich nicht explizit gegen Frauen, sondern gegen die gesamte Bevölkerung. Überhaupt war es in der mittelalterlichen Kriegführung üblich, die Bevölkerung des Gegners zu schädigen, die Mediävistik benutzt hier den Begriff der Fehde, die auf dem Rücken der Bevölkerung ausgetragen wurde. Genau hierin bzw.
in der Bekämpfgung dieser Umstände in einer insbesonders in Südfrankreich herrschenden Phase der Anarchie, als die Königsmacht sich auf die Île de France beschränkte, liegt der geistige Urspung des Rittertums (Stichwort:
Gottesfriedensbewegung). Die ordnenden Aufgaben des Königs wurden, da dessen Macht nicht ausreichte, unter Federführung der Kirche von Adeligen übernommen. Und damit schließt sich dann wieder der Kreis zu diesem Beitrag, den Du ja auch oben teilwiese zitiert hast:
http://www.geschichtsforum.de/328370-post43.html
Mit der
ius primae noctis, also dem 'Herrenrecht', hat die Fehde aber nichts zu tun.