Man sollte vielleicht gar nicht zu viel hineininterpretieren. Die Motivationen sind zumeist eher animalisch, wie Angst, Futterneid und die daraus resultierenden Agressionen. Man steigerte sich zum Teil in eine Art Blutrausch. Der Begriff Hexenjagd trifft es dann vielleicht am besten, also Jagdfieber usw. Man griff wild um sich und erlegte, was man ins Visier bekam.
Ich kann nicht anders, ich muß des Teufels' Advokat spielen.
(Das Wortspiel war nicht beabsichtigt. :still
Bis zu einem gewissen Grad stimme ich zu, daß der Anlaß vermutlich nicht deutlich als 'Soziale Kontrolle' wahrgenommen wurde, aber ich denke, daß die Auswirkung als solche erkennbar ist. In einem Klima in dem man schnell und mit katastrophalen Folgen zum Ziel werden kann, wird man versuchen sich so gut wie möglich an soziale Normen anzupassen und alles zu unterlassen was Verdacht erregen könnte, auch wenn dieser Verdacht eigentlich willkürlich ist. Insofern sind meines Erachtens nach Hexenprozesse immer eine Art der sozialen Kontrolle, auch wenn dies nicht explizit ist oder so wahrgenommen wird. Damit will ich eigentlich sagen, daß es meiner Einschätzung nach, zwei Ebenen gibt auf denen man Hexenprozesse von sozialer Warte aus betrachten kann.
Fallbeispiel: (Hab' ich gerade erfunden und ist stark vereinfacht.) Im Dorfe Hintertupfingen kommen der Bauer Meier und der Bauer Mayer und seine Bäuerin, die Mayerin schon seit Jahr und Tag nicht besonders gut miteinander aus. Wie das halt manchmal so ist, versteht man sich eben nicht. Über Mayer und Mayerin wird außerdem gemunkelt, daß bei denen nicht immer alles mit rechten Dingen zugeht.
Eines Tages fällt Bauer Meiers Kuh tot auf der Weide um. Es gibt keinen erkennbaren Grund. Niemand kann sich erklären, was genau mit dem Tier passiert sein soll. Mayer und Mayerin werden der Hexerei angeklagt, verurteilt und die Gerechtigkeit nimmt ihren Lauf. Im Dorfe Hintertupfingen ist damit alles wieder gut, und nicht nur das, man weiß auch ganz genau woran die Kuh gestorben ist.
Als Sozialtheoretikerin aber sieht man hier einen Negoziierungsprozeß der Normen des dörflichen Zusammenlebens, bei dem ein geschehenes Unrecht den normalen Gang der Dinge stört, woraufhin in der dörflichen Gesellschaft einen Prozeß in Gang gesetzt wird, der nach dem Gang durch die Instanzen die bisher gültigen Normen entweder bestärkt oder umdefiniert.
Wenn man davon ausgeht, daß es sich bei Hexenprozessen im Verständnis der Beteiligten um Justiz handelt, dann geht es bei dieser Justiz um die Wiederherstellung der gesellschaftlichen Harmonie und des Rechtes. Unrecht ist geschehen, es muß wieder gut gemacht werden, die einzige Art und Weise auf die das geschehen kann ist eine öffentliche Hinrichtung, womit das gesellschaftliche Zusammenleben in der Theorie dann wieder seinen harmonischen Gang nehmen könnte.
Hat es jemanden getroffen der/die als Querulant/in bekannt war, dann werden alle anderen ihr Verhalten bis zu einem gewissen Grad anpassen, um die Wahrscheinlichkeit zu vermindern, daß man selbst ins Visier gerät. Ob bewußt oder unbewußt, wurde damit Einfluß auf das Sozialverhalten und die Gruppendynamik genommen, womit soziale Kontrolle ausgeübt wurde, aber auf der lokalen Ebene werden wenige das so abstrahieren.
Will heißen, daß in Hintertupfingen vermutlich niemand irgendwas von sozialer Kontrolle sagt. Da a) Hexerei eine Tatsache ist, die es wirklich gibt, b) dadurch Schaden und Unrecht zugefügt wurde, c) dieses Unrecht nach Gerechtigkeit schrie (Oder eher der Bauer Meier), und d) diesem Verlangen nachgekommen wurde. Aber, auf einer vielleicht unbewußten Ebene ist es eine Warnung an alle anderen die sich mit dem Gedanken der Hexerei tragen, es tunlichst zu unterlassen. Also könnte man eigentlich so weit gehen zu sagen, daß hier auch ein Signal an alle Hexen gesandt wird. Hexerei ist im Rahmen der Gesellschaft inakzeptabel und strafbar.
Der letzte Satz hört sich vielleicht lächerlich an, aber wenn man die Paralelle zu moderner Hexerei in Teilen Afrikas zieht, dann sieht es schon etwas anders aus. Mir ist gerade nur ein Fall bekannt an dem eine meiner Bekannten, in nicht zaubernder Tätigkeit, beteiligt war. In dieser Gegend werden Hexen lokal nicht mit dem Tod bestraft, aber es muß Wiedergutmachung geschehen um das gemeinschaftliche Leben harmonisch zu gestalten. Hexerei passiert, ist aber ähnlich wie andere Aktivitäten verpönt und unterliegt Strafen. Um dem Ganzen zu entgehen passt man sein Verhalten dem an was als akzeptabel betrachtet wird um den Verdacht der Hexerei gar nicht erst zu erregen. Hier wird also auf der theoretischen Ebene sozial kontrolliert, wenn es auch nicht explizit gemacht wird, wohingegen auf der praktischen und lokalen Ebene niemand einen Hexenprozeß als Form der 'Sozialen Kontrolle' konzipiert, weil es genauso wie Diebstahl ein Vergehen ist, es also um Gerechtigkeit geht.