Christopher Clark hat eine Publikation zur Juli-Krise herausgebracht:...
Der Bezug zum Thema ergibt sich daraus, dass er sich darin (logischerweise) auch mit dem Poincare-Beruch in Petersburg beschäftigt, und diesen anhand der verfügbaren Quellen analysiert und ihm relativ breiten Raum widmet.
Zwei Schlussfolgerungen:
a) Bestätigung des geltenden Abkommens über den gegenseitigen Beistand, insoweit Normalität
Poincarre sagte den Russen schon einmal vorsorglich definitive Unterstützung zu; Bündnisfall war zwar nicht gegeben, das Russland nicht bedroht wurde und auch nicht angegriffen werden sollte, aber egal.
http://www.geschichtsforum.de/f62/r...voraussetzung-und-der-eintritt-den-ww1-48326/
Die Interpretation der vertraglichen Bindungen des Zweiverbandes ist in der Forschung höchst umstritten. Derzeitige Basis und sozusagen Ausgangspunkt des Streits ist die Analyse von George Kennan (siehe auch Schmidt, Julikrise und Keiger, France and the origins..., etc.).
Kennan hat herausgearbeitet, dass der Vertrag im Wortlaut der Artikel 1 und 2 widersprüchlich ist (ironisch mit "gegenseitiger Lüge" bezeichnet), außerdem und unbedingt (Artikel 2) gegenseitigen Beistand für den europäischen Krieg mit den Mittelmächten unabhängig von "Agression" oder Verursachung ansieht.
Anders als die Bedeutung des Vertrages für Russland ist der Vertragswert für Frankreich in einer existentiellen Lebensversicherung gegen den Konflikt mit dem Deutschen Reich einzuschätzen. Die 1912 (und 1909) bereits formulierte politische Linie der französischen Außenpolitik hatte die prinzipielle Vorstellung, dass eine Konfrontation von ÖU und RUS in jedem Fall die deutsche Mobilmachung auslösen würde.
Das ist wiederum der Bündnisfall gemäß Artikel 2.
Wie bereits zwischen FRA und RUS Mittel Juli 1914 formuliert, ging man (zutreffend!) davon aus, dass das Deutsche Reich hinter einem österreichischen Angriff auf Serbien stehen würde, für den Russland (das eigentliche Ziel von Bethmanns Risikopolitik und von Deutschlands Blankoscheck, der eine antirussische Zielrichtung hatte) beistandspflichtig wird.
Ein Teil der Literatur, der im Juli 1914 nun eine Erweiterung der Bündnispflichten FRAs gegenüber Russland sieht, bis hin zu einem französischen Blankoscheck, interpretiert diese Verträge
ausschließlich politisch-formal, und übersieht außerdem die geänderten politisch-militärischen Rahmenbedingungen gegenüber 1894. Die Vertragsrealitäten und
der materielle Gehalt des Vertrages werden vielmehr - üblich in der juristisch-vertraglichen Auslegung der Verpflichtungen - teleologisch ermittelt: Den europäischen Großmächten war 1914 völlig klar, dass eine
Generalmobilmachung die äußerste diplomatische Krise, kurz vor einem möglichen Krieg, bedeutet. Dafür bestand die Beistandsverpflichtung nach Artikel 2 unabhängig vom Anlass.
Die teleologische Auslegung des Vertrages wird aus dem Schriftwechsel 1909 deutlich:
a) Erhaltung des Friedens und des militärischen Gleichgewichts in Europa (
durch Abschreckung, eine vergleichbare Grundkonstellation wie die Bündnissysteme im Kalten Krieg)
b) Sicherung der gemeinsamen und dauerenden Interessen der beiden Länder (zu einzelnen Krisenfall definieren!).
Der materielle Gehalt des Vertrages bestand damit seit 1894 in einer
Abwägung.
FRA hat
zuvor in mehreren Krisen in genau dieser Abwägung signalisiert, es sehe den Bündnisfall nicht als gegeben an. Diese Abwägung musste im Juli 1914 anders ausfallen, in dem prognostizierten worst case: Krieg ÖU/RUS und sofortige Beteiligung des DR gegen RUS.
1914 war man sich klar, dass
a) das DR hinter der kriegskalkulierenden Haltung von ÖU "steckt"
b) dass wie 1911 (diplomatische "Blaupause" für die abschreckend-feste Haltung gegen das DR in Form der Mansion-House-Rede), somit ein Signal der Festigkeit gegenüber DR/ÖU den Krieg vermeiden würde
c) die Mittelmächte eine Interessenzone über Südosteuropa bis zu den Meerengen ausdehnen wollten (siehe Rose) und damit das europäische Gleichgewicht verschieben wollen.
In genau dieser Abwägung ist keine Ausdehnung/Erweiterung des Bündnisfalles des Zweiverbandes FRA/RUS gegeben, sondern die Anwendung seines Grundtatbestandes. Wie gesagt, diese Interpretation ist in der Literatur umstritten,
ebenso wie die konträre Auffassung, nach dem Wortlaut des Vertrages sei eine Erweiterung des Bündnisregelungen vorgenommen worden.
Es ist daher sicher nichts dagegen einzuwenden, die Position der "Erweiterung der frz. Bündnispflichten" mit Verweis auf einige Autoren zu vertreten (die Position "französischer Blankoscheck" ist mE völlig überzogen, weil hier allein der Vorbehalt einstand, dass GB ebenfalls eine harte Haltung und ggf. Beistand garantieren würde).
Der Position sollte man allerdings der Klarheit halber anfügen, dass sie in den Detailforschungen zu dieser Frage keine herrschende Auffassung darstellt.