Kalkriese als Ort der Varusschlacht zweifelhaft

Dann hätte der Kampf eher abseits des Walles stattfinden müssen. Die Kampfspuren direkt am Wall deutet eher daraufhin, daß die Römer ihn angegriffen haben.
Überleg mal wie generell, losgelöst von jeglichem Varuskontext, Kampfspuren vor einem Wall interpretiert werden. Wer ist der Angegriffene und wer der Verteidiger.

Wer sagt denn, dass es nur Kämpfe am Wall gab?
Von der Varusschlacht ausgehend: wie hätten sich denn die Soldaten am Wall verhalten, als sie merkten, dass es kein Vor und kein Zurück mehr gibt? Man greift an oder flieht!


Für den Varuskontext wäre es also wichtig den Weg zweifelsfrei nachzuweisen und daß die Römer ihn auch benutzt haben.
Beides ist meiner Meinung nicht zweifelsfrei gelungen.

Oh je, was ist hier schon zweifelsfrei? Wenn ich denn Beweis in Händen halten würde, säße ich hier nicht am PC! ;)

Was den Marschweg des Varus angeht, so gibt es doch Suren entlang der Linie Osterkappeln>Schwagstorf>Venne! Habe aber leider keine Infos über die Art der Funde!

hier nochmal die Karte:
http://www.geschichtsforum.de/605386-post2687.html

Beste Grüße
Andreas
 
Zum Wall und anderen Aspekten gab es schon einzelne Threads. Ich habe alle mit der Stichwortfunktion jetzt bis Seite 35 dieses UFs zusammengeführt mit dem Stichwort "varusschlacht". Vielleicht macht es dieses extrem oft bemühte Thema ja zumindest ein bisschen übersichtlicher. Viel Spaß aber auch bei Wiederholungen, die nicht ausbleiben können. :winke:
 
Wer sagt denn, dass es nur Kämpfe am Wall gab?
Von der Varusschlacht ausgehend: wie hätten sich denn die Soldaten am Wall verhalten, als sie merkten, dass es kein Vor und kein Zurück mehr gibt? Man greift an oder flieht!

Kämpfe gab es entlang der 7-8km langen Hauptkampflinie. Am Wall waren sie nach der Funddichte am intensivsten. Deutet das jetzt daraufhin, daß genau dort die Germanen am stärksten angegriffen haben? Die tapfersten Römer hier standen ?
Oder der Wall das eigentliche Angriffsziel der gesamten 7km langen Formation war ?
Ich weiß es auch nicht :weinen:


Was den Marschweg des Varus angeht, so gibt es doch Suren entlang der Linie Osterkappeln>Schwagstorf>Venne! Habe aber leider keine Infos über die Art der Funde!

Wenn diese Funde signifikant über eine realistische Angriffsbreite von 3-4 Legionen hinausgehen würden, wäre das für den Nachweis des Marschweges akzeptabel. Bei Schwagsdorf ist ein Pass durchs Wiehengebirge. Dort sind glaube ich römische Hufeisen gefunden worden.
Die könnten auch von einem Versuch der römischen Reiterei zeugen den auf dem Kalkrieser Berg eingeschnürten Germanen in den Rücken zu fallen.
So ein Manöver wurde bei Idistaviso von Tacitus geschildert.

Gruss
jchatt
 
Ganz richtig. Die Zugbreite muss 6er-Reihen erheblich überschritten haben, Teile des Trosses in der Mitte.
...
Die Untergrenzen von 1000-1500 Pferden und 2500 Maultieren, zusammen rd. 4000, sind für den Zug des Varus doch dann recht plausibel.
Stimmt. Ich hatte die Zahl der Vierbeiner auf der Basis der 16.000 Mann geschätzt, die in der Diskussion genannt wurden. Vermutlich waren es nicht so viele Leute, da Varus Truppen für die Sicherung diverser Lager zurückgelassen hatte. Die Legionen waren sicher nicht in voller Stärke vor Ort. Man kann nur rätseln, ob es 10.000 Leute und 3000 Vierbeiner oder 12.000 und 4000 oder oder oder.. waren.

Unabhängig von der tatsächlichen Zahl bleibt aber die Erkenntnis, dass - allein um Platz für die Pferde, Mulis und Gespanne zu haben - der Zug ziemlich breit gewesen sein muss, damit er nicht gefährlich lang wurde. Ich will da keine Schätzungen wagen, aber ich würde mich nicht wundern, wenn die Legionen auf dem Marsch die begehbaren Flächen so weit wie möglich ausgenutzt hätten. Logische Folge: An Engstellen kam es zwangsläufig zu "Stauungen". So jedenfalls meine Theorie.

Das würde der Länge der Hauptkampflinie entsprechen, und gleichzeitig bedeuten, daß die Römer auf der gesamten Länge doch sehr dicht postiert waren. Was einer schlachtmäßigen Aufstellung schon recht nahe gekommen wäre.
Hauptkampflinie? Egal. Dass die Römer in dieser Marschformation schon annähernd gefechtsmäßige Aufstellung hatten, halte ich für sehr zweifelhaft. Man kann davon ausgehen, dass sie - ganz so wie es auch heute noch beim Militär üblich ist - nach Einheiten (Centurien, evtl. Manipel) sortiert und zu Kolonnen zusammengefasst marschiert sind, mit großzügigen Abständen zwischen diesen Kolonnen. Mit Sicherheit gab es festgelegte und eingeübte Verfahrensweisen, wie sich die zusammen marschierenden Centurien im Alarmfall zu Manipeln, die Manipel zu Kohoren und die Kohorten zu Legionen formieren sollten. Dafür brauchten sie Platz. Ich bezweifele, dass sie den angesichts der Breite der Marschsäule und der Enge des Weges hatten - besonders wenn noch Tross-Abteilungen mitten im Gewühl steckten, wie der Dio-Bericht über den Varus-Zug vermerkt.

Die Nachhut marschierte sicher als gefechtsmäßig formierter Verband. In der Marschsäule selbst war das wohl eher nicht der Fall. Dort blieben die Truppen in Teileinheiten (vermutlich Centurien) zersplittert. Das reichte gerade, um den Störangriffen in die Flanke des Zuges standzuhalten.

Ich habe keinen Überblick über die archäologische Fundlage. Meine laienhafte Skepsis begründet sich auf der Vorstellung, dass es unwahrscheinlich sein dürfte, allein anhand einer Fundlage auf Brennpunkte der Schlacht zu schließen, wenn das Schlachtfeld 2000 Jahre anthropogenen und geogenen Einflüssen ausgesetzt gewesen ist. Es dürfte selbst bei jüngeren Schlachten scheitern, den Ablauf anhand von Bodenfunden nach Jahrhunderten zu rekonstruieren.
Das ist das große Problem bei Kalkriese. Es gibt zwar zahlreiche Funde, aber fast keine, die Rückschlüsse auf den Ablauf der Kampfhandlungen zulassen. Das verschüttete Maultier dürfte so ziemlich der einzige Fund sein, den man direkt dem Kampfgeschehen zuordnen kann. Vielleicht noch die Kiste in dem Spitzgraben. Alles andere sind Spuren von Vorgängen, die erst nach der Schlacht abliefen. Plünderungen nämlich.

Am Little Big Horn zum Beispiel konnte man anhand der Häufung von Patronenhülsen an bestimmten Punkten die Kampfstellungen identifizieren und anhand von Projektilhäufungen die Stellungen erkennen, die verstärkt beschossen wurden. So ließ sich der Ablauf der Schlacht nachvollziehen. Bei Kalkriese gibt es solche Spuren nicht. Da kann man nur anhand der Fundhäufung erkennen, dass im Bereich am Wall zahlreiche Gefallene liegen blieben, die nicht geborgen werden konnten. Und dass der Kampf östlich und westlich des Walls anders geführt worden ist als am Wall selbst. Man kann nicht mal sagen, ob die Opfer dort gefallen sind, wo sie später geplündert wurden. Das Schlachtfeld ist nach dem Kampf zu stark verändert worden, um Abläufe rekonstruieren zu können.

MfG
 
Am Little Big Horn zum Beispiel konnte man anhand der Häufung von Patronenhülsen an bestimmten Punkten die Kampfstellungen identifizieren und anhand von Projektilhäufungen die Stellungen erkennen, die verstärkt beschossen wurden. So ließ sich der Ablauf der Schlacht nachvollziehen. Bei Kalkriese gibt es solche Spuren nicht. Da kann man nur anhand der Fundhäufung erkennen, dass im Bereich am Wall zahlreiche Gefallene liegen blieben, die nicht geborgen werden konnten. Und dass der Kampf östlich und westlich des Walls anders geführt worden ist als am Wall selbst. Man kann nicht mal sagen, ob die Opfer dort gefallen sind, wo sie später geplündert wurden. Das Schlachtfeld ist nach dem Kampf zu stark verändert worden, um Abläufe rekonstruieren zu können.

Am LBH sind natürlich nicht diese Einflüsse gegeben, so dass sich ein Abbild der Schlacht durch das Fundbild ergibt.

Auch beim rest d'accord.
Wichtig wäre dennoch, das Fundbild Szenarien zuzuordnen. Diese Szenarien sind, wie ich das eingeschränkt übersehe, nur durch zwei Aspekte herleitbar:

- den Schriftquellen
- der (jedenfalls im Ganzen, mit Ausnahme des Moores und geringfügig der Vegetation) Topographie

Schlüsse, die daraus gezogen werden, können dann anhand der Fundbilder plausibilisiert oder verworfen werden. Umgekehrt können solche Szenarien Anregungen für die Grabungen geben.

So habe ich die Versuche oben verstanden. Die Kalkrieser Kuppe wird interessant, ebenso wie die Durchlaßstellen im vermuteten Anmarschweg nördlich des Wiehengebirges.
 
... Bei Schwagsdorf ist ein Pass durchs Wiehengebirge. Dort sind glaube ich römische Hufeisen gefunden worden.
Die könnten auch von einem Versuch der römischen Reiterei zeugen den auf dem Kalkrieser Berg eingeschnürten Germanen in den Rücken zu fallen.
...

Oder es könnte auf einen Marsch des Varus hinweisen! ;)
 
P.S. Ist es sinnvoll, die Überlegungen zum möglichen Ablauf der Ereignisse vor dem Kalkrieser Berg bzw. Wall abzutrennen und in ein gesondertes Thema einzustellen?
 
Oder es könnte auf einen Marsch des Varus hinweisen! ;)

Jepp!

Aber wie ich oben schon geschrieben habe.
Mit jedem neuen Fund, der nicht eindeutig der einen oder anderen Schlacht zugeordnet werden kann, gewinnt rein statistisch das detaillierter beschriebene Szenario an Wahrscheinlichkeit, da es leichter zu wiederlegen wäre. :devil:


Gruss
jchatt
 
Dagegen kann man die wesentlich detailliertere Caecina-Schlacht auf die Kalkrieser Funde projezieren. Daß die Topographie passt, räumen sogar die Ausgräber selber ein.

Die Topographie vielleicht, die Geographie hat aber eine gewichtige Stelle gegen sich:

Tac., Ann. I., 63,3:
Dann führte er (Germanicus) das Heer an die Ems zurück und ließ die Legionen mit der Flotte, wie er sie herangebracht hatte, zurückbefördern; ein Teil der Reiterei erhielt Befehl, entlang dem Gestade des Ozeans zum Rhein zu ziehen; Caecina, der seine eigenen Leute führte, wurde angewiesen, obwohl er auf bekannten Wegen zurückmarschierte, die langen Brücken möglichst rasch hinter sich zu bringen.

Diese Stelle spricht doch recht eindeutig von der Rückkehr zum Rhein und der Teilung des Heeres an der Ems. Demnach wären die pontes longi westlich der Ems zu suchen.

Was machst du mit dieser Textstelle?
 
...aber in den letzten X Beiträgen wird mehr oder weniger Kalkriese = Varusschlacht vorausgesetzt. Was erst mal zu beweisen wäre. So lange ist grau alle Theorie wie ehedem unser Maultier.

So hatte ich das nicht verstanden. Mir lag eigentlich daran, aus dem Wall, der Topographie und den Funden einer Schlacht einen plausiblen Ablauf herzuleiten. Dazu sind ja nun auch von anderen verschiedene Versionen vorgetragen worden. Auf welche Beschreibung der Schriftquellen diese passen, wurde doch kontrovers zur Caecina-Schlacht diskutiert.
 
Dass die Römer in dieser Marschformation schon annähernd gefechtsmäßige Aufstellung hatten, halte ich für sehr zweifelhaft. Man kann davon ausgehen, dass sie - ganz so wie es auch heute noch beim Militär üblich ist - nach Einheiten (Centurien, evtl. Manipel) sortiert und zu Kolonnen zusammengefasst marschiert sind, mit großzügigen Abständen zwischen diesen Kolonnen. Mit Sicherheit gab es festgelegte und eingeübte Verfahrensweisen, wie sich die zusammen marschierenden Centurien im Alarmfall zu Manipeln, die Manipel zu Kohoren und die Kohorten zu Legionen formieren sollten. Dafür brauchten sie Platz. Ich bezweifele, dass sie den angesichts der Breite der Marschsäule und der Enge des Weges hatten - besonders wenn noch Tross-Abteilungen mitten im Gewühl steckten, wie der Dio-Bericht über den Varus-Zug vermerkt.

Da halte ich mit Frau Gilliver gegen. In Ihrem Buch unterscheidet Sie sogar zwischen Formationen die sich zur Schlachtordnung wenden liessen und reinen Marschformationen.
Dazu zitiert sie unter anderem auch Anl. II,16:
"Und alles war gespannt und bereit, so wie der Zug geordnet war sich zur Schlacht zu wenden" (Idistaviso)

Gruss
jchatt
 
Das musst du näher erklären.

Das habe ich unter den hier nicht konsensfähigen Voraussetzungen getroffen:

  • Caecina ist noch nicht wiederlegt
  • Varus noch nicht bewiesen
  • Caecina ist detaillierter tradiert als Varus
Daß das detailliertere Szenario rein statistisch leichter zu wiederlegen ist, dürfte klar sein. Je mehr Details man hat, umso mehr Chancen hat man zum Wiederlegen.
Ein nur dürftig beschriebenes Szenario lässt sich schwerer Wiederlegen mangels handfester Details. (-->700 Varustheorien)
Wenn man, so wie ich, der Meinung ist, daß die Fülle der hier vorgetragenen Argumente nicht zur Wiederlegung eines der beiden Szenarien geführt hat, dann hat sich das Caecina-Szenario besser geschlagen als die Varustheorie.

Gruss
jchatt
 
...
Ein nur dürftig beschriebenes Szenario lässt sich schwerer Widerlegen mangels handfester Details. (-->700 Varustheorien)
Wenn man, so wie ich, der Meinung ist, daß die Fülle der hier vorgetragenen Argumente nicht zur Widerlegung eines der beiden Szenarien geführt hat, dann hat sich das Caecina-Szenario besser geschlagen als die Varustheorie.
...


Und was ist mit Telas Einwand in diesem Beitrag: #2743 ?

Ein lästiges Detail?
 
Aber war es denn nicht so, dass alle 8 Legionen "seine" Legionen waren und dass sie nur im Felde getrennt von Germanicus und Caecina geführt wurden?

Das ist die Frage, was genau hier gemeint ist.
Generell bin ich der Meinung, daß in Germanien eigentlich immer zwei getrennte Heeresgruppen operierten.

  1. Tiberius im Jahr 5nChr. zusammen mit der Flotte
  2. Varus mit seinen 3 Legionen und Asprenas mit 2 Legionen
  3. Saturninus und Tiberius mit jeweils 6 Legionen gegen Marbod
  4. Der Alpenfeldzug mit 2-3 Heeresgruppen
  5. Germanicus und Caecina mit jeweils 4 Legionen
Bleibt Drusus, für den das eigentlich nicht explizt erwähnt wird.
Aber da Germanicus den "Spuren seinens Vaters folgte" (Tacitus) und er genau wie sein Vater mit Schiffen den Drususkanal und die Amisia befuhr liegt es nahe, diese Heeregruppentaktik auch für den Vater anzunehmen. Es gibt für eine zweite Heeregruppe zu Drusus Zeiten auch einen archäologischen Hinweis.
Das grosse augusteische Lager auf dem Hunerberg in Nijmegen
http://repository.ubn.ru.nl/bitstream/2066/27352/3/27352___.PDF
weist ähnliche Konstruktionsmerkmale wie das Lager in Oberaden auf. Es ist aber etwas kleiner. Dagegen scheinen die in Neuss gefundenen Reste des Lagers B? Castrum Novaesium
mit den Ausmassen und Umriss von Oberaden zu passen.
Also hätten wir auch hier "Hammer" und "Amboss". Wenn man für Oberaden 3 Legionen ansetzt und für Nijmegen 2 Legionen jeweils plus Hilftruppen ergänzt, erhält man dann passend die beiden Heeresgruppenstärken von Varus und Asprenas.

Darüberhinaus scheint es auch Probleme gegeben zu haben grössere Heeresgruppen (>6 Legionen) im Feld zu halten und zu führen.
Während des Pannonischen Aufstandes teilt Tiberius sein Heer in zwei 6 Legionen Gruppen, weil es zu unübersichtlich wurde (Velleius).
Die abgeteilte Heeresgruppe übernahm Germanicus.

Generell muß man sich auch fragen wie ein einzelnes Heer einen mobileren Gegner, der sich nicht zum Kampf stellt besiegen soll. Man braucht also eine Zangenstrategie um überhaupt erfolgreich sein zu können. Das musste auch Caesar feststellen. Seine Strategie war es zuerst, das Rückzugsgebiet der Germanen zur Plünderung durch angrenzende Völker freizugeben. Der anschliessende Feldzug über den Rhein erbrachte nichts, weil der Gegner sich nicht zum Kampf stellte.

Wirklich zusammen waren die 8 Legionen des Germanicus meiner Meinung nach nur, wenn eine Zange geschlossen wurde, oder der Gegner sich wider Erwarten zur Schlacht stellte (--> Idistaviso )

Wieso waren die Heeresgruppen 4 Legionen stark ? Weil sich 3 Varus Legionen als zu schwach erwiesen hatten um alleine den Germanen standzuhalten.

Auch hier hilft die Statistik weiter.

Gruss
jchatt
 
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