Diese Behauptung solltest Du aber näher erklären. Dein Beitrag ist zwar schön mit Fremdwörtern und einer erklärenden Schreibweise dargelegt, doch reicht dies nicht aus,
diesen genannten Spagat zu erklären.
Was ist an Punk eine radikale Reduktion? Aus musikalischer Sicht, wirken die Stilelemente das Punk minimalistisch und werden oft als Gegensatz der langen „Rockhymnen“ der 70iger Jahre gewertet.
Aber der Punk in seinem musikalischen Grundaufbau entsprach jeder anderen Musikrichtung, mit den Grundelementen bei Gesang und den Instrumenten.http://www.badischer-kunstverein.de/index.php?Direction=Presse
Das sind sehr gewichtige Fragen.
ein Spagat wenn nicht gar ein Widerspruch besteht zwischen dem Anspruch bzw. Programm und der musikalisch-technischen Realisierung. Zwar wird im Vergleich mit den "Rockhymnen" instrumentaler Aufwand reduziert, aber es verbleiben dennoch recht artifizielle und komplizierte musikalische Techniken an Bord: da wäre zunächst die
Rhythmik zu nennen.
Um das zu erklären, muss ich ein wenig weiter ausholen: die Unterhaltungsmusik des frühen 20. Jh. begann, afrobrasilianische Elemente zu integrieren - Synkopierungen der melodisch zentralen Zieltöne und innerhalb des alla breve wie auch vier Vierteltaktes asymetrische Aufteilungen (das ist jetzt wirklich ganz furchtbar allgemein gesagt, ich will vermeiden, zu viel zu technisch zu erklären). Parallel hierzu etablierte sich ausgehend vom frühen Jazz eine Bevorzugung von Septimakkorden (hierbei hat sich das Bluesschema zu einem eigenen Kadenzersatz entwickelt). Finden sich in den Roaring Twenties diese Elemente in so heterogenen Bereichen wie Operette, Tanzmusik, Jazz, Blues, Sinfonik, auch "Schlager" und Filmmusik, so entwickelten sich diese Musikrichtungen dennoch auseinander: die Operette versimpelte und wurde vom Musical abgelöst, die Tanzmusik wurde standardisiert, der Schlager setzte nur sehr vorsichtig die afrobrasilianische Rhythmik ein (um sich bzgl. seiner Adressaten von einer anderen Musiksorte abzugrenzen, die grob gesagt nach dem Zweiten Weltkrieg auftauchte: die Rockmusik, auf die ich noch zu sprechen komme), Jazz und Blues gingen immer eigenere Wege (sehr verkürzt gesagt), auch die Sinfonik (etc) war schon seit dem späten 19. Jh. in zahlreiche Richtungen aufgeteilt. --- auf jeden Fall aber blieb die übrigens recht komplexe, da prinzipiell polyrhythmische afrobrasilianische Anregung bestehen, allerdings nun nicht mehr quasi koloristisch oder folkloristisch. Vereinfacht gesagt unterstützt durch die neuen Medien (Rundfunk, Schallplatte) waren diese rhythmischen Modelle und etliche Musiksorten schon sehr weit verbreitet und wurden vor dem Zweiten Weltkrieg oft mit "amerikanisch" assoziiert (über Jazz und lateinamerikan. Musik im bürgerlichen Konzertsaal, in Oper und Kammermusik nur die Anmerkung, dass sich das bei vielen der "frühmodernen" Komponisten findet, Ravel, Hindemith, Strawinski, Weill, Krenek u.v.a) - nach dem Zweiten Weltkrieg dann eroberte die neue (sic!) Musikrichtung Rock`n`Roll weltweit (sic!) große Marktanteile an der immer umfangreicher gewordenen Musikindustrie. Für unser Thema relevant hierbei: auch diese neue populäre Richtung innerhalb der zunehmend mehr von Platte und Rundfunk verbreiteten Unterhaltungsmusik wurzelt rhythmisch in der erwähnten afrobrasilianischen Herkunft.
Fatalerweise (sic!!)
ist diese Rhythmik sehr komplex und kompliziert -- wer hobbymäßig ein Instrument halbwegs spielt, wird verärgert feststellen, dass es alles andere als einfach ist, gleichzeitig ein Taktmetrum oder off-Beat-Metrum zu halten und eine kompliziert synkopierte Melodie zu bringen!! In der Praxis trennte sich die oft (nicht immer) in kleinerer Besetzung aufgeführte Unterhaltungsmusik konsequent in Rhythmusgruppe und Akkordik/Melodik/Instrumentalgruppe, was die Überlagerung von rhythmischen Strukturen vereinfachte. Hierbei etablierte es sich in der Praxis insgesamt, dass lustigerweise die Rhythmusgruppe für den eisern gehaltenen Takt zuständig war, während Instrumentalparts und Gesang die komplizierten Synkopierungen und asymetrischen Teilungen ausführten.
Dass sich
musikalisch Punk aus dem Rock- und Popbereich der späten 60er frühen 70er Jahre des 20. Jhs. entwickelte, dürfte überwiegend auf relative Übereinstimmung hier stoßen (also aus der Dodekaphonie oder der Kirchenmusik kommt Punk gewiß nicht) und hatte das musikalische Programm bzw. den Anspruch, sich von der weltweit etablierten Rock- und Popmusik abzugrenzen bzw. eine neue Alternative zu bieten. Hierbei wurden die musikalischen Formen (prinzipiell eine schlichte Liedform mit Strophen und Refrain) beibehalten --- hier nochmals zur Erinnerung: sehr weit verbreitete Unterhaltungsmusik bedarf der Wiedererkennbarkeit, wozu überschaubare Form und gestisch-melodische Typisierung zuständig sind --- aber "entschlackt", ebenso wurde das reduktionistische Programm der "three Chords" als Vereinfachung der Harmonik benannt,
aber die Rhythmik blieb weiterhin in der Melodik/Gesang kompliziert synkopiert.
Nun könnte man einwenden, dass die lange Erfolgsgeschichte bzw. praktische Geschichte von Rhythmen bzw. rhythmischen Mustern wie Swing, Groove, afrobrasil. Synkopierung etc sich gleichsam eingeprägt und verslebständigt haben -- dem aber widerspricht generationenlang die Praxis: mitklatschen, mitsingen funktioniert ohne weiteres, aber auf einem Instrument diese Rhythmen spielen entzieht sich dem einfachen ersten Zugriff.
Innerhalb der populären Untrhaltungsmusik hat sich aber Punk dennoch als eigenständige Variante oder Seitenzweig etabliert - wiedererkennbar und einflussreich. Das liegt musikalisch nicht in Rhythmik, Form und Harmonik, sondern in der durchaus extremen Darstellung bzw. Spielweise. Aber wie sich gezeigt hat, sind die Grundlagen und rhythmischen Muster eben doch nicht soooo einfach, dass man mit Blick in die Noten von einer tatsächlichen minimalistischen Reduktion überzeugt sein kann. Weitere, teils absichtliche, teils unbeabsichtigte typische Merkmale legen den Vergleich mit Fauvismus und art brute nahe wie auch mit dem musikal. Minimalismus. Den nicht unerheblichen Rest an Typisierung besorgen außermusikalische Wirkungsmittel.
Und diese Mixtur kam an! Das erstaunliche ist, dass sicher nicht allein der musikalischen Verarbeitung, sondern der Mischung aus Haltung, Text und Musik geschuldet dieser Seitenzweig der populären Unterhaltungsmusik identitätsstiftend für nicht unerhebliche Bevölkerungsanteile gewirkt hat. Und wie sich gezeigt hat, steckt mehr musikal. und instrumentales Können in dieser Musik, als die programmatischen Absichtserklärungen vermuten lassen.
Natürlich ist eine Überbetonung der rhythmischen Elemente (hämmernde Taktmetrik mit asymetrischen Akzenten) gerne als musikal. Mittel zur Darstellung von
unbändiger Wildheit, Agression eingesetzt und gedeutet worden - man denke an Berlioz marche au supplice oder Strawinskis Tanz der jungen Männer (sacre du printemps) - und natürlich sind es gerade bei populären einfachen Formen die Rhythmen, das Mitreissen durch Rhythmen, das in Bewegung versetzen durch Rhythmen, welche zum Erfolg und zur Beliebtheit beitragen --- wie erklärt sind diese Rhythmen nicht unbedingt "einfach".
Ansonsten gilt für alle Musik, egal ob Sonate oder Rocksong, Sinfonie oder Punkmusik: es gibt gelungene und es gibt mehr misslungene Werke. Das generationenüberdauernde Prädikat "Kunst" hat freilich nicht jede Musiknummer automatisch erworben