Es sind also nicht DEUTSCHE "Stämme" zu einem DEUTSCHEN Volk vereinigt worden, sondern mittelalterliche gentes entwickelten in einem regna eine eigene DEUTSCHE Identität.
Das ist schlichtweg falsch! Es gibt derzeit bestenfalls Minderheitenpositionen, die derartige Thesen aufstellen. Wie Scales, der aber eher die "Deutschen" herbeischreibt, indem er den Begriff "Deutsch" für alles benutzt, was sich im geographischen Umfeld des heutigen "Deutschlands" bewegt. Und das ist die "konstruierte" Sicht, wie Anderson es beschreibt und auch kritisiert.
Folgt man M. Weber, dann ist eine Ethnie folgendes:
„Wir wollen solche Menschengruppen, welche auf Grund von Ähnlichkeiten des äußeren Habitus oder der Sitten oder beider oder von Erinnerungen an Kolonisation und Wanderung einen subjektiven Glauben an eine Abstammungsgemeinschaft hegen, derart, dass dieser für die Propagierung von Vergemeinschaftungen wichtig wird, dann, wenn sie nicht ‚Sippen’ darstellen, ‚ethnische’ Gruppen nennen, ganz einerlei, ob eine Blutsgemeinschaft objektiv vorliegt oder nicht.“
In diesem Sinne ist die Identität einer Ethnie ein Konstrukt, "das in Teilen einer Gruppe von Personen als zusammenhängende Überzeugungssyseme erzeugt wird. Es ist ein "kulturelles Gebilde", das im wesentlichen auf der Übertragung von Normen und Werten beruht.
Und diese Werte und Normen, im Sinne einer politischen Sozialisation, sind bis ins späte 18. Jahrhundert für die Mehrheit der Bevölkerung im Bereich des HRR relativ frei von irgendwelchen Inhalten, die sich als "deutsche Identität" ausdrückt.
Ansonsten, das Agends-Setting durch einzelne historische Dokumente ist
a. kein Beleg für eine kollektive Identität
b. ein Grund, quellenkritisch den Kontext des Dokuments zu beleuchten und nicht die unkritische, affirmative Sicht zu übernehmen.
Und deswegen belegt ein Dokument absolut keine "deutsche Identität", sondern das kann bestenfalls nur die komplexe Analyse der Ideologie der Eliten und der "Überzeugungssysteme" der Bevölkerung leisten, indem die komplexe Interdependenz beider untersucht wird! Also genau das getan wird, was derzeit die sozialkonstruktivistischen Gistoriker / Theoretiker der Nationenbildung tun.
Und in diesem Sinne wird die Identität im Mittelalter primär geprägt durch ein fest gefügtes "internationales" Werte- und Normensystem der Kirche, dem regionalen feudalen System, das hierarchisch in den Werten, Normen und der Loyalität auf den jeweiligen Fürsten bezogen ist, und genau den "Partikularismus" benennt, der im Zentrum der Kritik der Einigungsbefürworter um 1814 stand, und der sehr beschränkten und sehr eingeengten unmittelbaren Primärerfahrung aus dem unmittelbaren Umfeld einer ums permanente Überleben kämpfenden mittelalterlichen Gesellschaft.
Die Identität der ländlichen oder städtischen Bevölkerung ist geprägt durch regionale Zugehörigkeit, die absolut keinen Bezug zu dem Konstrukt "Deutsch" oder Deutschland aufweist.
Und ich wiederhole meine Kritik an denen hier im Forum, die von einer "deutschen Identät" im Mittelalter fabulieren, dass sie:
1. sich im Gegensatz zur derzeitigen anerkannten, dem "Mainstream", Sicht auf die Nationenbildung bewegen und ihrerseits keine entsprechende Positionen in Form von Literatur anführen
2. Das der Begriff der "Identität" als sozialpsychologischen Konstrukt nicht richtig verstanden worden ist und auf der gesellschaftlichen Konstruktion von Realität basiert, siehe beispielsweise Berger & Luckman (Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit).
3. Und den Begriff der Identät als leere Hülse benutzen, ohne die Prozesse, die zu einer angeblichen "deutschen Identität" führen, unter den mittelalterlichen Umständen rekonstruiert haben.
Vielleicht deshalb zur Erinnerung über was eigentlich geredet wird der Hinweis auf die entsprechenden sozialpsychologischen Konstrukte.
Identität ? Wikipedia
Theorie der sozialen Identität ? Wikipedia
Kulturelle Identität ? Wikipedia