WK-1: "Deutschland trug zweifellos große Schuld am Kriegsausbruch"

@Guilemus

Hör doch bitte einfach auf hier solchen Bockmist zu schreiben und zu provzieren. Selbst dir sollte eigentlich die Bedeutung einer Mobilmachung klar sein.
 
darf ich in diesem Zusammenhang auf mein kleines Benutzerbildchen aufmerksam machen? (ich hab es sogar selber fotografiert) Es zeigt ein Gebäude, welches 1912 errichtet wurde; russ. Architekten hatten es auf poln. Boden gebaut. ...na kurzum: die Fortifizierung der Narewlinie diente nicht dem Friedenserhalt...

wie auch überhaupt die massiven Festungsbauprogramme von 1890 an nicht gerade den Eindruck erwecken, dass man damit den Friedensnobelpreis erringen wollte. Bedenkt man dazu, dass der Festungsbau des frühen 20. jh. nicht mehr allein defensiv konzipiert war... kann man ins grübeln kommen.
 
Es geht darum wer konkret handelte um einen Krieg herbeizuführen, nicht um abstrakte Planungen...

Auch wird einfach übesehen, wie sich die innenpolitischen Verhältnisse der Dritten Republik gestalteten, z.B. gab es eine starke antirusse Arbeiterschaft,
Na, ja, konkret handelten die franz. Verantwortlichen - und nahmen auf die von dir postulierte "starke antirussische Arbeiterschaft" keine Rücksicht:

"Vom 20. bis 23. Juli besuchten Frankreichs Staatspräsident Raymond Poincaré und Ministerpräsident René Viviani die russische Hauptstadt St. Petersburg und sicherten den Gastgebern ihre volle Unterstützung zu. Es herrschte die einvernehmliche Auffassung, dass Serbien für die Morde keine Verantwortung trage, die (im Prinzip schon bekannten) Forderungen an Belgrad illegitim seien und die Entente gegen die Mittelmächte standhaft bleiben werde."
Erster Weltkrieg ? Wikipedia
Insgesamt war die französische Politik nicht auf einen Angriffskrieg auf Deutschland aus, reagiert auf den deutschen Überfall auf französisches Gebiet vor der Kriegserklärung auch nicht mit einer Kriegserklärung.
Hier muss relativiert werden. Einen Angriffskrieg konnte Frankreich gar nicht riskieren, dafür war das DR zu mächtig. Aber die eigenen Interessen im Rahmen der Entente realisieren, das war realistisch. Und seit Napoleon III. wußte man sicherlich noch, wie moralisch negativ eine Kriegserklärung wirken kann...

Grüße
excideuil
 
Turgot schrieb:
Hör doch bitte einfach auf hier solchen Bockmist zu schreiben und zu provzieren. Selbst dir sollte eigentlich die Bedeutung einer Mobilmachung klar sein.
Wie üblich keine Fakten, nur Gemeckere...ich bin mir schon bewusst was es bedeutet, wenn das deutsche Militär am 25.Juli 1914 die Kontrolle über die Eisenbahnen übernimmt, am 28. Juli die Militärangehörigen in Urlaub in die Kasernen zurückruft, am 29. Juli die Gefechtsbereitschaft der Festungen herstellt, das Militär am 30. Juli die Grenzkontrollen übernimmt (Aufstellung des Grenzschutzes) und am 31. Juli die drohende Kriegsgefahr verkündet, was nichts weiter als eine mehr oder weniger verdeckte Mobilisierung ist. (Geschichte der Mobilmachung in Preußen und Deutschland Teil 2: 1871 - 1918.)
Auch war der Überfall auf Belgien lange im Voraus geplant, und keine kurfristige aus der Not heraus geborene Maßnahme.
Eroberung von Lüttich (1914) ? Wikipedia

Köbis17 schrieb:
Richtig, sinnvoller wäre es wohl nachzufragen, wer hat versucht einen Krieg zu verhindern?
Es wäre dann sinnvoll, wenn man sich bisher nicht die Mühe gemacht hat, ein bißchen darüber zu lesen - z.B. hier im Strang.
Es gab mehrere Anläufe der britischen Diplomatie, um einen Krieg zu verhindern - alle scheiterten an Berlin (Potsdam) und Wien.
Es war in London völlig klar, daß ein Krieg Ö-U gegen Serbien Krieg mit Russland bedeuten würde, deswegen bat Außenminister Grey die deutsche Regierung einen Vorschlag zu machen, wie man einen Krieg Ö-U mit RUS vermeidet. Erfolglos, wie wir wissen.
(...)
I urged that the German Government should suggest any method by which the influence of the four Powers could be used together to prevent war between Austria and Russia. France agreed, Italy agreed. The whole idea of mediation or mediating influence was ready to be put into operation by any method that Germany could suggest if mine was not acceptable. In fact, mediation was ready to come into operation by any method that Germany thought possible if only Germany would "press the button" in the interests of peace.

Den kompletten Wortlaut findet man hier unter Dokument 263
Gooch 251-270


DER SPIEGEL*22/1964 - Jetzt oder nie - Die Julikrise 1914
 
excideuil schrieb:
Na, ja, konkret handelten die franz. Verantwortlichen - und nahmen auf die von dir postulierte "starke antirussische Arbeiterschaft" keine Rücksicht: (...)
Na ja, man kann aber auch die Hälfte weglassen, und so ein ganz anderes Bild zeichnen...
Was soll F auch anderes tun, als zum Bündnis mit RUS zu stehen, der wichtige Punkt ist: Viviani bat (am 30. Juli 1914) Russland möge KEINE Maßnahmen zu ergreifen, die Deutschland als Vorwand nutzen könnte, eine teilweise oder vollständige Mobilisierung durchzuführen.
" (...) défense auxquelles la Russie croit devoir procéder elle ne prenne immédiatement aucune disposition qui offrît à l'Allemagne un prétexte pour une mobilisation totale ou partiale de ses forces."

Der komplette Text ist hier unter No.294.
Viviani à M. Paul Cambon.
Index: Gooch and Temperley, Origins of the War

Jean Jaurès, ohne dessen Sozialisten die französische Regierung nichts tun konnte (die Dritte Repubublik hatte kein semipräsidentielles Sytem mit einem straken Präsidenten so wie heute), machte es für die französische Regierung um so notwendiger eine vorsichtige Diplomatie zu üben (auch gerade nachdem er von radikalen Nationalisten ermordet wurde). Parallel dazu würdest du ja auch nicht behaupten, die deutsche Reichsregierung hätte keine Rücksicht auf die Sozialdemokraten nehmen müssen - sie hatten zwar nicht die politische Macht wie die Sozialisten in Frankreich, dennoch wurde ihre Zustimmung zu den Kriegskrediten mit den angeblichen Überfall Russlands erschwindelt.
excideuil schrieb:
Hier muss relativiert werden. Einen Angriffskrieg konnte Frankreich gar nicht riskieren, dafür war das DR zu mächtig. Aber die eigenen Interessen im Rahmen der Entente realisieren, das war realistisch. Und seit Napoleon III. wußte man sicherlich noch, wie moralisch negativ eine Kriegserklärung wirken kann...
F wollte weder einen Angriffs-, noch einen Verteidigungskrieg. Die deutsche Kriegspropaganda zielte darauf ab, Deutschland als die angegriffene Partei zu präsentieren (und 1939 nochmal genau das gleiche Spiel), was ist so schwer daran es zu durchschauen?
 
...
F wollte weder einen Angriffs-, noch einen Verteidigungskrieg. Die deutsche Kriegspropaganda zielte darauf ab, Deutschland als die angegriffene Partei zu präsentieren (und 1939 nochmal genau das gleiche Spiel), was ist so schwer daran es zu durchschauen?

Die Sache wird ja nicht dadurch einfacher durchschaubar, indem man zweifelhafte Analogien bemüht.
 
Guilemus schrieb:
Wie üblich keine Fakten, nur Gemeckere.
Ach ja. Anscheinend hast du den Satzteil hinter dem Komma überlesen. Die Russen begannen deutlich früher mit ihren militärischen Maßnahmen. Am 24.Juli begannen die versteckten Maßnahmen zur Mobilmachung. Am 26.Juli begann die Kriegsvorbereitungsperidode für die Destrikte Warschau, Wilna, Kasan, Kiew, Moskau und Odessa, also nicht nur denen, die Österreich-Ungarn gegenüberlagen.

Zum Vergleich. Wilhelm II. hat das deutsche Äquivalent, nämlich die drohende Kriegsgefahr, erst am 31.Juli 1914 verkündet.
 
Na ja, man kann aber auch die Hälfte weglassen, und so ein ganz anderes Bild zeichnen...
Was soll F auch anderes tun, als zum Bündnis mit RUS zu stehen, der wichtige Punkt ist: Viviani bat (am 30. Juli 1914) Russland möge KEINE Maßnahmen zu ergreifen, die Deutschland als Vorwand nutzen könnte, eine teilweise oder vollständige Mobilisierung durchzuführen.
" (...) défense auxquelles la Russie croit devoir procéder elle ne prenne immédiatement aucune disposition qui offrît à l'Allemagne un prétexte pour une mobilisation totale ou partiale de ses forces."

Der komplette Text ist hier unter No.294.
Viviani à M. Paul Cambon.
Index: Gooch and Temperley, Origins of the War
Wieder so eine Nebelkerze! Was ist denn an dem Schreiben wichtig?

Tatsächlich wichtig ist, dass Frankreich Rußland bei der Reise (20-23. Juli) des Präsidenten und des Regierungschefs nach St. Peterburg einen Blankocheck ausgestellt hat (demonstrativer kann man den Schulterschluss wohl nicht dokumentieren!):

"...Frankreich werde seine Bündnisverpflichtungen ohne Abstriche voll erfüllen. Der franz. Ministerpräsident gab damit seinerseits der Regierung des Zaren eine Handlungsvollmachtfür den Fall eines Angriffs Österreichs auf Serbien, wie sie ähnlich die Führung in Berlin an Wien gegeben hatte. Die franz. Zusage musste die russische Regierung ermuntern, durchzuhalten; ...[1]

Das heißt, Frankreich hatte sich bereits vor dem Angriff von Österreich auf Serbien mehr oder weniger von einer diplomatischen Lösung des Konfliktes verabschiedet und war bereit, einen Krieg inkauf zu nehmen.

Und die Russen haben wohl auf den franz. Freifahrtsschein gewartet:

Am 24.Juli begannen die versteckten Maßnahmen zur Mobilmachung. Am 26.Juli begann die Kriegsvorbereitungsperidode für die Destrikte Warschau, Wilna, Kasan, Kiew, Moskau und Odessa, also nicht nur denen, die Österreich-Ungarn gegenüberlagen.

Am Tag nach der Abreise der Franzosen begannen also die Maßnahmen. Und das haben die - nach deiner Meinung so friedfertigen - Franzosen weder ahnen, noch wissen können?

Grüße
excideuil

[1] Grevelhörster, Ludger: Der Erste Weltkrieg und das Ende des Kaiserreiches. Geschichte und Wirkung, Aschendorff Verlag, Münster, 2008, Seiten 31-32
 
Na ja, man kann aber auch die Hälfte weglassen, und so ein ganz anderes Bild zeichnen...

Der komplette Text ist hier unter No.294.
Viviani à M. Paul Cambon.
Index: Gooch and Temperley, Origins of the War

Es sind jetzt mehrfach Zitate ohne Kontext in diese Diskussion eingeworfen worden. So auch hier, ohne den Zusammenhang aufzuzeigen.

Für die Sache trägt das nichts bei. Wer einzelne Zitate bringt und als Argumentation verwenden will, hat eine Bringschuld, die dazu vorliegende gängige Interpretation zu liefern. In diesem Fall ist das erneut grundlegend Schmidt, Frankreichs Außenpolitik in der Julikrise 1914. Das Zitat erklärt sich aus mehreren Faktoren und steht kurzgefasst in folgendem Kontext:

deutsche diplomatische Warnung, insbesondere die unklare Haltung Großbritanniens, und einer vorhergegangenen Nachtsitzung der französischen Akteure über die weiteren Eskalationsgefahren. Schmidt weist daran nach, dass es hier lediglich um Zeitgewinn gegangen ist - bzgl. der französischen Haltung in der Julikrise ist das ohne jeden Aussagewert.

Das Telegramm ist überdies - wie Schmidt minutiös nachgewiesen hat - für die russische Entscheidung zur Generalmobilmachung unbedeutend gewesen, weil es wegen der Übermittlungsdauer nicht rechtzeitig vorlag.

In der Diskussion ist - nach meinem Eindruck, vielleicht sehe das andere auch anders, dann bitte Hinweise - zunehmend die Tendenz vorhanden, einzelne Quellen, die nicht einmal einen an sich separierbaren Vorgang wie hier zum Beispiel die französische Haltung in der letzten Woche der Julikrise vollständig umschreiben, herauszuschälen.

Das führt lediglich zu Zitatschlachten ohne Kontextualisierung, und damit wertlos für die Argumentation.

Ein weiterer Aspekt, den @hatl zuvor angemerkt hat: man sollte auf Vergleiche von nicht vergleichbaren Vorgängen wie 1914 und 1939 verzichten. Das mag in Politikforen üblich sein, sich so etwas um die Ohren zu schlagen, hier ist das jedoch in seriösen Diskussionen nicht üblich und wird auch nicht toleriert, weil Off Topic und lediglich geeignet, Diskussionen zu zerschießen.
 
Um zur Diskussion über den Kontext der Telegramme noch ein Schlaglicht zu werfen, Clark, Schlafwandler:

„Diese Antwort wird gelegentlich als Beweis dafür zitiert, dass die französische Regierung alarmiert auf die russischen Maßnahmen reagiert habe und bereit gewesen sei, im Namen des Friedens die Sicherheitsvorkehrungen des französisch-russischen Bündnisses zu gefährden. Für Viviani hatte es mit Sicherheit ganz diesen Anschein: Bei einem Treffen mit dem ehemaligen Außenminister Gabriel Hanotaux am selben Abend beklagte er sich, dass die Russen »uns vor vollendete Tatsachen stellen und uns kaum einmal überhaupt um Rat fragen«. Doch der eigentliche Zweck der Note war weit komplexer. Sie sollte die Briten überzeugen, dass sich Frankreich alle Mühe gab, seinen Bündnispartner zurückzuhalten – mit diesem Hintergedanken wurde eine Kopie der Nachricht sofort an Paul Cambon in London geschickt. Die Verknüpfung mit der englisch-französischen Entente geht ausdrücklich aus Poincarés Tagebuch hervor, das dokumentiert, dass die Nachricht an St. Petersburg »mit Blick auf die zwiespältige Haltung Englands« formuliert wurde. Gleichzeitig wurden jedoch de Margerie und Messimy von Poincaré angewiesen (allem Anschein nach ohne Vivianis Wissen), gegenüber Iswolski das eigentliche Wesen der Absichten der französischen Regierung deutlich zu machen. Iswolskis Bericht über die Gespräche mit dem Diplomaten und Minister schwächte den Einfluss des früheren Telegramms, in dem zur Zurückhaltung gemahnt worden war, erheblich ab“

Man kann der grundsätzlichen Relativierung Clarks folgen, wenn auch im Detail Clark hier umstrittene Wertungen setzt (Kurzzitat aus dem Poincare-Tagebuch). Bei Schmidt findet sich seitenlang die Kontextualisierung dergestalt, dass die bis zu der Stunde verweigerte britische Zusage auf Unterstützung Frankreichs nach der Nachtsitzung nach vermutlich hitzigen Debatten dazu führte, wegen der fehlenden Rückendeckung einen Mäßigungsversuch zu unternehmen.

Die Motive der russischen Teilmobilmachung bzw. Kriegsvorbereitung sind wieder ein anderes Thema.
 
Zuletzt bearbeitet:
Auch war der Überfall auf Belgien lange im Voraus geplant, und keine kurfristige aus der Not heraus geborene Maßnahme.
Ist auch nicht in Frage gestellt worden. Der Einmarsch in Belgien war bestandteil des Schlieffenplans.

Es gab mehrere Anläufe der britischen Diplomatie, um einen Krieg zu verhindern - alle scheiterten an Berlin (Potsdam) und Wien.
Großbritannien, genauer Grey, hat ziemlich lang benötigt, um den Ernst der Lage zu erfassen. Primäres problem war Irland. Der erste Vorgschlag Grey zielte darauf, das sich Russland und Österreich-Ungarn in direkten Gesprächen verständigen mögen. Dies wurde vom russischen Botschafter in London Benckendorff abgelehnt. Darauf ventiliete Grey den Vorschlag einer konferenz der nicht interessierten Großmächte und dieer wurde vom Deutschen Reich zurückgewiesen.

F wollte weder einen Angriffs-, noch einen Verteidigungskrieg. Die deutsche Kriegspropaganda zielte darauf ab, Deutschland als die angegriffene Partei zu präsentieren (und 1939 nochmal genau das gleiche Spiel), was ist so schwer daran es zu durchschauen?

Weswegen hat Frankreich den Russen den Rücken so stark gemacht, wenn man nichts als den Erhalt des Friedens wünschte?
Und betrachte doch bitte einmal das Verhalten Frankreichs am Vorabend des Ersten Weltkrieges. Dieses war sicher auch nicht gerade durch Rücksichtnahme geprägt. Und weiter, weshalb rüstete Frankreich denn so beeindruckend personell und materiell auf und unterstütze Russland mit umfänglichen Krediten für deren militärische Aufrüstung?
Frankreich war auch nicht unschuldig am ersten Weltkrieg.

Sämtliche Kriegsteilnehmer waren bemüht dem Feind alle Schuld zuzuweisen und sich als Opfer zu stilisieren. Interessant sind u.a. die USA mit ihren "Kreuzug für die Demokratie" und der gleichzeitigen diskriminierenden Behandlung der ihrer Afroamerikaner.

Deine These von der Alleinschuld des Deutschen Reiches und Österreich-Ungarn ist schon seit langer Zeit durch die Wissenschaft widerlegt und überhaupt nicht haltbar.
 
Zuletzt bearbeitet:
Das Telegramm ist überdies - wie Schmidt minutiös nachgewiesen hat - für die russische Entscheidung zur Generalmobilmachung unbedeutend gewesen, weil es wegen der Übermittlungsdauer nicht rechtzeitig vorlag.

Davon einmal abgesehen war nicht Vivani, sondern Poincarré in Frankeich der entscheidene Mann. Das übersieht @Guilemus möglicherweise.
 
Die Juli-Krise wird in der Literatur über strategische Probleme als Beispiel angeführt für ein sogenanntes „Brinkmanship“. Ausführliche Darstellungen beispielsweise bei Lebow und Copeland [1] [2]

Brinkmanship ? Wikipedia

Betrachtet man die Ausgangssituation in 1914 auf dem Balkan, dann war der Balkan seit der Bosnienkrise 1908 und den Balkan – Kriegen 1912/13 ein lokaler Kriegsherd, der zusätzlich eine gravierende politische, militärische und nicht zuletzt auch ene zunehmende ökonomische Bedeutung für die europäischen Großmächte hatte.

Diese lokale Konfliktlinie wurde überlagert durch den Konflikt zwischen Ö-U und R in Bezug auf die regionale Hegemonie über den Balkan und das Erbe des Osmanischen Reichs. Und sie wurde zudem überlagert durch die europäische Konfliktlinie zwischen dem DR und R und der Frage, welche der beiden Mächte die zukünftige hegemoniale Macht in Klein-Asien sein soll und als „Erbe“ die Kontrolle über den Bosporus und somit den Zugang in das Schwarze Meer ausüben sollte.

Neben dieser Ebene einer unmittelbaren geographischen Anbindung an Interessen spielten Status-Probleme der drei Großmächte eine überragende Rolle, da dieses unter anderem massive Auswirkungen auf ihre zukünftige Bündnisattraktivität hatte und natürlich sich auch auf den internen Zusammenhalt der europäischen Bündnisse auswirkte.

Die Motivation der einzelnen Konfliktparteien war somit sehr unterschiedlich strukturiert. Zum einen hinsichtlich der Zielsetzungen und zum anderen hinsichtlich der Bereitschaft, die entsprechenden Mittel dafür einzusetzen. Für die beiden lokalen Kontrahenten ergab sich folgende Ausgangssituation:

Die Serben verfolgten seit dem Balkan-Krieg von 1912/13 [7,S.206 ff] [8, S. 353 ff] [R. Hall: Serbia; in: 9] eine nationalistische Einigungspolitik im Rahmen der Pan-Slawismusbewegung. In dieser Haltung wurden sie durch St. Petersburg unterstützt und waren grundsätzlich bereit, diese nationalistischen Ziele auch im Rahmen kriegerischer Aktionen durchzusetzen. Neben der Errichtung eines „Groß-Serbiens“, als direkte Konkurrenz für Ö-U auf dem Balkan, sollte gleichzeitig die Schutzmachtfunktion von R auf dem Balkan durchgesetzt werden. Auch mit dem Ziel der Absicherung seiner Interessen als Besatzungsmacht über den Bosporus und somit der einzige legitime historische Nachfolger als „drittes Rom“ über Konstantinopel. Die unmittelbare Bedeutung der Kontrolle des Bosporus sehen Bobroff und Reynolds nicht als primäre Motivation für das Engagement von R in der Juli Krise an. [11][12].

Die Ausgangssituation für O-U war in 1914 durchaus kompliziert. Zum einen erzeugten die multiethnischen Strukturen von Ö-U nicht unerhebliche innenpolitische Reibungspunkte. Zum anderen war es durch Serbien in seiner Rolle als regionale Schutzmacht herausgefordert. [7, S. 187ff] [G.Tunstall: Austria Hungary in: 9]

Durch das Attentat in Sarajewo erhielt diese Konfrontation ihre Dynamik und mündete in den WW1 ein. Dabei stellt sich die Frage, warum im Jahr 1914 die Krise eskalierte, während sie in 1912/13 durch das DR und GB konsensual gelöst werden konnte.

Wie oben bereits erwähnt, ist die Juli-Krise ein Beispiel für eine „Politik am Abgrund“, die im wesentlichen auf den Bluff und die Abschreckung setzt. Die Eskalation der Krise läßt sich dabei in unterschiedliche Phasen einteilen.

Im ersten Schritt erfolgte durch das Ultimatum von Ö-U an Serbien eine „blackmail“ (Erpressung), die Forderungen enthielt, die den zentralen politischen Zielsetzungen von Serbien und von R zuwiderliefen. Durch die Zusage von R, die Autonomie von Serbien zu gewährleisten, ging R eine Verpflichtung ein, die zwei mögliche Ergebnisse erbringen würde. Sofern die Zusage durchgesetzt werden konnte, würde R gestärkt als Schutzmacht der Slawen in Erscheinung treten und seine Bedeutung als wiedererstarkte Großmacht nach dem verlorenen Krieg gegen Japan in 1904/5 und der Demütigung von 1908 (Bosnien-Krise) unter Beweis gestellt haben. Eine Zurücknahme der Zusage an die Serben hätte für die Rolle von R als Schutzmacht der Slawen und als europäische Großmacht massiven Schaden bewirkt. Zusätzlich hätte es die Entente massiv beschädigen können und das komplette europäische Gleichgewicht destabilisieren können [1, S. 57 ff].

Das Problem des Ultimatums an die Serben war, dass es im Rahmen einer allgemeinen Abschreckungslogik (vgl. auch nukleare Abschreckung) formuliert war. Die einzelnen Passagen waren für die Serben in unterschiedlicher Weise akzeptabel und manche waren so formuliert, dass sie die nationale Autonomie Serbiens bedrohte und somit die Schutzmacht als Garant der nationalen serbischen Unabhängigkeit herausgefordert wurde (vgl. zur Logik die Spieltheorie wie beispielsweise [4, S. 125 ff Nukleare Abschreckung]).

Die Logik für die Motivation von Ö-U basierte zum einen auf den Erfahrungen der Bosnien-Krise von 1908, in der R nicht in der Lage war, seiner Rolle als Großmacht die entsprechende militärische Glaubwürdigkeit zu verleihen. Zudem war die Haltung von Ö-U an zwei Bedingungen gebunden, die Kaiser Franz Joseph als notwendige Voraussetzung für den „internen“ Willen zum Krieg als zentral angesehen hat. Zum einen die Unterstützung durch das DR und zum anderen die Unterstützung durch den ungarischen Ministerpräsidenten Tisza.

Vor diesem Hintergrund traf das Ultimatum an die Serben auf folgende Situation in Bezug auf R. Anders als in 1908 war R in 1914 bereit, die Eskalation des Konflikts zu akzeptieren.

..................................................................Bosnien 1908 ......Juli Krise 1914
War die Zusage präzise formuliert? .........................Ja .....................Ja
War die Zusage erkennbar ausgesprochen worden .... Ja .....................Ja
War die Zusage militärisch zu verteidigen................ Nein.................... Ja
War eine Bereitschaft zur Verteidigung vorhanden .... Nein................... Ja
Quelle: [1, S. 93]

Die alleinige Bereitschaft von R zur Unterstützung von Serbien hätte den Konflikt lokalisieren können und hätte zu einer begrenzten „Strafaktion“ führen können, die auch akzeptabel für die Russen gewesen wäre. Diese Lokalisierung war auch das eigentlich Interesse von Bethmann Hollweg aus der politischen Sicht.

Nach dem 20.Juli 1914 setzten eine Reihe von Mechanismen ein, die die schräge Ebene der Bedrohung und Gegendrohung im Neigungswinkel verschärfte und die Krise eskaliert.

Von Ö-U wurden die Vorbereitungen zur militärischen Intervention fortgesetzt, aber entscheidender war, dass durch die russische Dechiffrierabteilung eine Botschaft von Berlin an Wien abgefangen wurde, die die Unterstützung für Wien verdeutlichte. Vor diesem Hintergrund ist zu erklären, warum St. Petersburg seine Zusage an die Serben durch entsprechende militärische Maßnahmen im Rahmen der Teil-Mobilisierung unterstützte. Und man teilte dem DR mit, dass dieses keine Maßnahmen sind, die gegen das DR gerichtet sind.

In dieser zweiten Phase verschärfte sich die Eskalation. Im Rahmen der Erhöhung der Glaubwürdigkeit des Brinkmanship mußte R die Serben unterstützen, nachdem sich R während des Besuchs von Poincare der Unterstützung im Rahmen der Entente versichert hatte. Von Berlin erfolgte bis zum 28.07. ebenfalls eine eindeutige Unterstützung der Position von Ö-U, sodaß von beiden Seiten durch die Eskalation der Drohung, die Politik am Abgrund bis 28.07 verschärft wurde.

Die dritte Phase ist durch eine plötzliche Neuausrichtung der Positionen von KW II und in der Folge auch von Bethmann Hollweg gekennzeichnet. In dieser Phase zeigt die Drohung des russischen Brinkmanships eine gewisse Wirkung. Zu diesem Zeitpunkt, auch unter dem Eindruck, so Trachtenberg, der zunehmenden Signale aus R, die Mobilisierung einzuleiten und durch die zunehmende Gewißheit, dass GB sich nicht neutral verhalten würde, greift Bethmann-Hollweg den Vorschlag von KW II für einen „Halt in Belgrad“ auf und mahnt das erste Mal Wien zur Zurückhaltung bei der weiteren Eskalation der Krise.[10] Eine Aktion, die jedoch deutlich macht, dass weder KW II noch Bethmann Hollweg an einer Eskalation über den lokalen Bereich des Balkan hinaus interessiert waren.

In der vierten Phase greift vor allem Falkenhayn aber auch zunehmend Moltke ein. Diese Situation um den 28. Juli aufgreifend argumentiert vor allem Copeland [2 & 3], in Anlehnung an Mombauer,[6] dass es zunehmend Moltke ist, der seine Sicht von der präventiven Notwendigkeit eines Waffengangs gegen R zur Geltung bringt, um den endgültigen strategischen Ausbau der russischen Eisenbahnstrecken nicht abzuwarten und der Modernisierung der russischen Armee für ca. 1916/17 zuvorzukommen. Von ihm wird, nachdem die 16. Infantrie-Div. kurzfristig auch auf Drängen von KW II, angehalten wurde, der Schlieffen-Moltke-Plan in seiner präzisen bürokratischen Logik dann umgesetzt. Auch, obwohl Groener später konzidierte, dass es logistisch durchaus möglich gewesen wäre, auch kurzfristig einen Aufmarsch Ost zu gewährleisten.

Und an diesem Punkt sind es die Automatismen der deutschen Mobilisierung, die sich von den anderen Ländern in der Planung unterscheiden, bei der die Mobilisierung zwangsläufig via Schlieffenplan auch zum Krieg führt

Die letzte Phase der militärischen Eskalation ist durch eine defensive Geste der Franzosen gekennzeichnet. Sie versichern, dass sie die Grenze als erste nicht im Rahmen offensiver Aktionen überschreiten werden, solange sich andere Länder auch an die Richtlinie halten.

Fazit: Die damaligen Großmächte betrieben vor 1914 im Prinzip eine Status quo orientierte Gleichgewichtspolitik. Jede Verschiebung der Einflussbereiche war für die Akteure ein „Nullsummenspiel“ und deswegen achteten sie darauf, dass es nicht einseitig manipuliert wurde.

Die Blackmail von O-U an die Serben zielte auf eine begrenzte Umverteilung ab. Die wahrscheinlichen Gewinne für Ö-U aus einem erfolgreichen Ultimatum im Juli 1914 wären aus einer Vielzahl von Gründen begrenzt gewesen. Die Kosten für R wären dagegen schwer zu kalkulieren gewesen. Sowohl die innenpolitischen wie auch die außenpolitischen und man befürchtete, zu einer Regionalmacht in Süd-Ost-Europa zu werden. Mit gravierenden Konsequenzen für die Erwartungen in Richtung auf das zerfallende Osmanische Reich.

In diesem Sinne kannte R aus einer Reihe von Gründen, im Gegensatz zur Bosnien-Krise 1908, vermutlich schwerer wie andere Möchte während der Juli-Krise 1914 nicht deeskalierend wirken. Obwohl gerade auch an den Telegrammen zwischen KW II und Nikolaus deutlich wird, dass sie subjektiv diesen Krieg in den zu erwartenden Dimensionen und Konsequenzen vermutlich nicht wollten.

[1] R.N. Lebow: Between Peace and War. 1981
[2] D.C. Copeland: The Origins of Major Wars. 2001
[3]D.C. Copeland: International relations theory and the three great puzzles of the Fist World War, S. 167ff, in: J.S. Levy & J. Vasquez: The Outbreak of the First World War: Structure, Politics, and Decision-Making, 2014
[4] A.Dixit & B. Nalebuff: Spieltheorie für Einsteiger. 1995
[5] A. Mombauer: Juli 1914. 2014
[6] A. Mombauer: Moltke, 2008
[7] A. Mombauer: The Origins of the First World War. 2002
[8] S. Fay: The Origins of the World War, Vol. 1, 1928 / 1966
[9] R. Hamilton & H. Herwig: The Origins of World War I, 2003
[10] M. Trachtenberg: The Meaning of Mobilization 1914, International Security Vol. 15, No. 3, 1990-1991, S. 120-150
[11] R. Bobroff: Roads to Glory. 2006
[12] M. Reynolds: Shattering Empires. 2011
 
Zuletzt bearbeitet:
@Thane
alles klasse dargelegt!
Betrachtet man die Ausgangssituation in 1914 auf dem Balkan, dann war der Balkan seit der Bosnienkrise 1908 und den Balkan – Kriegen 1912/13 ein lokaler Kriegsherd, der zusätzlich eine gravierende politische, militärische und nicht zuletzt auch ene zunehmende ökonomische Bedeutung für die europäischen Großmächte hatte.

Diese lokale Konfliktlinie wurde überlagert durch den Konflikt zwischen Ö-U und R in Bezug auf die regionale Hegemonie über den Balkan und das Erbe des Osmanischen Reichs. Und sie wurde zudem überlagert durch die europäische Konfliktlinie zwischen dem DR und R und der Frage, welche der beiden Mächte die zukünftige hegemoniale Macht in Klein-Asien sein soll und als „Erbe“ die Kontrolle über den Bosporus und somit den Zugang in das Schwarze Meer ausüben sollte.
dennoch eine Ergänzung dazu:
im seit langem geteilten Polen belauerten sich die Großmächte D, Ö-U und R und rüsteten massiv - anders lässt sich im späten 19. und frühen 20. Jh. der gewaltige Festungsbau auf heute polnischem Boden nicht erklären. Das wurde von allen dreien wohl abseits der offiziellen Diplomatie als potenzieller Kriegsschauplatz eingeschätzt.
 
Für Österreich-Ungarn war die Situation nach den Balkankriegen schlicht als katastrophal zu bezeichnen. Der eigentlich Verbündete Rumänien, der dringend als Gegengewicht gegen Serbein benötigt wurde, der sich neuerdings immer stärker für das Schicksal ihrer Bürger in Ungarn interessierte. Des weiteren war an einer Aussöhnung zwischen Bulgarien und Rumänien nicht zu denken; schon gar nicht nach dem 2.Balkankrieg. Rumänien bewegte sich auf Petersburg zu. Wien war in die Enge getrieben, denn es blieb nur noch Bulgarien als potenzieller Verbündeter und entsprechend richtete der Ballhausplatz seine Politik aus.

Die Beziehungen zu Serbien waren jedenfalls nach den Balkankriegen reichlich gespannt und es stand die Frage in Raume, wie mit der Präsenz serbischer Truppen in Albanien umzugehen war. Man stand unter einen nicht unerheblichen Druck, denn die Schlappen vom Juli und August steckten den Beteiligten noch in den Knochen. Man beschloß jetzt nicht mehr in Einvernehmen mit den anderen Großmächten zu agieren. Darüber hinaus sollte militärisch aufgerüstet werden. Gegenübe belgrad wurde nunmehr die sogenannte Militärdiplomatie Berchtholds gegenüber Belgrad verfolgt. Am 18.Oktober wurde ein entsprechendes Ultimatum übergeben und am 20.Oktober reagierte Pasic mit dem Rückzug der serbischen Truppen.

Österreich-Ungarns Diplomatie machte aufgrund seiner prekären Situation auf dem Balkan immer stärker von dem Instrument der Kriegsdrohung Gebrauch und man lief dabei Gefahr zwischen einer eventuellen diplomatischen Niederlage, was den eigenen Großmachtstatus schwer geschädigt hätte, oder dann in den Krieg zu wählen, in dem dann die Situation vollkommen aus dem Ruder laufen kann.
 
Das gehört sicher alles in den "langen Weg" zum Krieg - die Festungen hier nur ein (in Relation zum Gesamtkomplex kleines) Beispiel für den Rüstungswettlauf der Großmächte über Jahrzehnte, der überdies nach 1900 nochmal forciert wurde.

Man könnte die Auswirkungen der Festungen auch in Bezug auf die bei allen Großmächten vorhandenen Kriegsplanungen darstellen. ME ergeben sich die Wirkungen - so verstehe ich den Hinweis von deku auch - nicht nur in den Defensivplanungen, sondern seit Moltke d.Ä auch bzgl. Der Offensivvorstellungen. Dazu gab es einen Thread, bei dem man das fortsetzen könnte: die Festungen iZm dem "Cult of Offensive", und dem Zeitdiktat der Mob-Pläne.
 
Turgot schrieb:
Österreich-Ungarns Diplomatie machte aufgrund seiner prekären Situation auf dem Balkan immer stärker von dem Instrument der Kriegsdrohung Gebrauch und man lief dabei Gefahr zwischen einer eventuellen diplomatischen Niederlage, was den eigenen Großmachtstatus schwer geschädigt hätte, oder dann in den Krieg zu wählen, in dem dann die Situation vollkommen aus dem Ruder laufen kann.

Diesen Aspekt könnte man auch unter einer zunehmenden (?) Diskrepanz zwischen dem Deutschen Reich und Österreich in den Vorstellungen zu Südosteuropa/Balkan und der von Thane angesprochenen deutschen Strategie/Aktivität in Bezug auf den Nahen und Mittleren Osten untersuchen.
 
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