1. Dank der von mir unterstellten Unzulänglichkeit der historischen und politischen Wissenschaften ist es zur "herrschenden Meinung" geworden, dass der Erste Weltkrieg ausgebrochen ... ist, weil "das Militär" Amok gelaufen ist...
2. Es war die Politik, die Amok gelaufen ist...
3. Das Militär hatte von dem Augenblick an auch gar nicht mehr die Freiheit, zu sagen "Lassen wir es lieber..."
4. Dass damals nur die Offensive "gedacht" worden sein soll, schließt man heute nur daraus, dass Deutschland angegriffen hat.
5. Zuvor gab es knapp 45 Jahre, in denen das deutsche Militär existierte und NICHT angegriffen hat.
6. Das deutsche Militär hat folglich in jenem Zeitraum defensive Strategien verfolgt...
7. Es war immerhin die Verteidigung, die den größten Teil des Blutbades angerichtet hat.
8. Eine "Idee" für die Lösung des "Problems" war das, was heute als "Kult der Offensive" fehlinterpretiert wird.
Interessante Thesen. Womit würdest Du das im Detail belegen?
Interessante Frage. Ich dachte, ich hätte das zumindest in Teilen schon mit dem Beitrag selbst erklärt. Aber bitte gern Punkt für Punkt:
Zu 1: Das deutsche Militär hatte nur innerhalb Deutschlands eine festgelegte Rolle mit festgelegten Befugnissen. Völkerrechtlich war es nicht befugt, im Namen Deutschlands zu sprechen. Zum Beispiel hatte es nicht das Recht, Kriegserklärungen auszusprechen. Dem Angriff gegen Frankreich ist aber eine Kriegserklärung vorausgegangen, die völkerrechtlich akzeptiert wurde. Also muss diese Kriegserklärung von der Politik ausgesprochen worden sein. Präziser: Vom Kaiser.
Sollte sich Deine Frage auf meine Behauptung bezogen haben, dass die Wissenschaft hinsichtlich der Beurteilung von Kriegshandlungen in der jüngeren Vergangenheit Defizite aufwies, gib mir bitte einen Hinweis. Dann antworte ich darauf gesondert.
Zu 2: Ergibt sich eigentlich aus 1. Trotzdem chronologisch:
- Am 6. Juli 1914 hat der Kaiser (nicht das Militär) die "Blankovollmacht" ausgefertigt.
- Am 28. Juli erfolgte die Kriegserklärung Österreichs an Serbien (ausgefertigt durch Politiker, nicht durch Soldaten; diesen Hinweis spare ich mir im Folgenden).
-Am 1. August erfolgte die Kriegserklärung Deutschlands an Russland.
- 3. August Kriegserklärung Deutschlands an Frankreich.
Danach diverse Gegenkriegserklärungen. Alles "politische" Entscheidungen. Und erst am 26. August, also mehr als drei Wochen später, hat der erste Soldat eine Waffe gehoben und abgefeuert.
- Zu 3: Ich hätte gedacht, dass das sich von selbst erklärt. Wer Soldat wurde, trug "des Kaisers Rock" und hat des Kaisers Befehle ausgeführt. Wenn der Kaiser einen Krieg befahl, dann stand es den Soldaten nicht frei, einfach mal zu sagen "Nö, hab gerade keinen Bock...". Diese Aussage ist so trivial, dass die Beweispflicht eher bei den Leuten liegt, die glauben, dass das Militär das Recht oder die Macht gehabt hätte, dem Kaiser zu befehlen.
Zu 4: Ich stelle fest, dass es in der modernen Geschichtswissenschaft herrschende Meinung ist, dass der WKI eine Folge des deutschen Militarismus ist und dass der Kriegsausbruch mit einem angeblichen "Kult der Offensive" erklärt wird. Demnach sollen Militärs (und nicht nur deutsche sondern ALLE!) geglaubt haben, dass allein die Offensive militärischen Erfolg möglich gemacht habe. So jedenfalls steht es im ersten Beitrag dieser Diskussion. Hier zur Erinnerung:
Wieso breitete sich der Gedanke im Vorfeld des Weltkriegs bei allen Protagonisten auf der grausigen Bühne aus, der Schlüssel zum militärischen Erfolg sei in der Offensive zu sehen?
Nur zur Klarstellung: Ich will hier nicht den Foristen @hatl zum Deppen erklären! Ich zitiere das nur, weil es der Ausgangspunkt der Debatte war.
Zum Thema: Ich habe schon in vorangegangenen Beiträgen darauf verwiesen, dass die Behauptung, Militärs hätten die Offensive für "stärker" als die Defensive gehalten, einfach sachlich falsch ist. Kein Soldat hat je sowas geglaubt. Die wussten es alle besser. Schon die Römer wussten das und haben nach jedem Marschtag ein befestigtes Lager errichtet. Alle Soldaten wussten zu allen Zeiten, dass es gesünder ist, in einer befestigten Stellung auf den feindlichen Angriff zu warten als selbst gegen einen Feind anzurennen, der in einer befestigte Stellung wartet. Das hat schon Sun Tzu geschrieben, und der war nicht der erste der es wusste.
Clausewitz hat diese Erkenntnis expressis verbis formuliert, erläutert, gestützt auf empirische Daten begründet und zudem prognostiziert, dass dieses strukturelle Übergewicht der Defensive durch weiter wachsende Feuerkraft weiter zunehmen würde. Die (von der Wissenschaft implizierte) Behauptung, dass Militärs - und zwar ALLE! - stumpfsinnig auf Offensive gesetzt hätten, ist widersinnig.
Zudem habe ich schon darauf hingewiesen, dass das behauptete Primat der Offensive im militärischen Denken schon dadurch widerlegt ist, dass die angeblichen Urheber des angeblichen Primats gar nicht angegriffen sondern verteidigt haben. Wer dem widerspricht, mag Belege dafür nennen, dass die Franzosen als Urheber des angeblich so wirksamen Kults der Offensive den Krieg offensiv geführt haben.
Zu 5: Mir sind keine Hinweise darauf bekannt, dass deutsche Truppen zwischen 1871 und 1914 Frankreich angegriffen hätten. Wenn sie nicht angegriffen haben, müssen sie also einen möglichen Angriff des Feindes "abgewartet" haben. Dieses Abwarten hat Clausewitz als wichtigstes Merkmal der "Defensive" definiert.
Zu 6: siehe "Zu 5".
Zu 7: Die "wirkungsvollsten" Waffen im Stellungskrieg waren Artillerie und - in noch höherem Maße - Maschinengewehre. Beide Waffen waren damals groß und schwer, wenig mobil und entsprechend ortsgebunden. Ihr taktischer Einsatz erforderte es zumeist, auf den Angriff des Feindes zu warten. Siehe Clausewitz-Definition für "Defensive" unter "Zu 5". Beleg für das Übergewicht der Defensive ist auch die Tatsache, dass all die vielen Sturmangriffe nicht zu nennenswerten Geländegewinnen geführt haben. Sie wurden fast alle blutig abgewiesen. Und selbst die "erfolgreichen" Sturmangriffe waren nicht nachhaltig. Der Stellungskrieg hat sich eben dadurch ausgezeichnet, dass die Stellungen unverrückbar blieben. Meine Behauptung: Die Masse der Todesopfer im WKI ist auf die Wirkung des Abwehrfeuers gegen stürmende Infanteristen zurückzuführen und nicht auf das Grassieren der Ruhr oder anderer Seuchen.
Zu 8: Zum wiederholten Male: Die Wirkung des Feuers auf dem Gefechtsfeld war so übermächtig geworden, dass es kaum noch Chancen gab, im Wirkungsbereich des Feuers überleben zu können. Die Soldaten damaliger Zeit waren nicht blöd genug, trotz dieser erlebten Realität auf den Schlachtfeldern zu glauben, dass Offensive erfolgversprechender als Defensive sei. Also können sie nur nach Mitteln gesucht haben, um die Offensive trotz aller Widerstände doch irgendwie "möglich" zu machen. Ein Weg dahin war der Versuch, den Soldaten zu erzählen, dass das "Stürmen" ein Ausdruck höchster Tapferkeit und höchster Moral ist. Lieber tot als stehenbleiben. Vielleicht kommt auf die Weise ja einer von hundert durch... Deshalb ist man immer wieder unter Hurrah-Geschrei gegen feindliche MGs in feindlichen Gräben angerannt, hat sich zusammenschießen lassen, ist blutig zurückgekrochen und hat sich gesagt: "Morgen! Morgen klappt es..." So entstand die dünnsinnige Idee vom "Kult der Offensive". Geprägt von Leuten, die über die Funktionalität der Mittel im Krieg nicht nachdenken, weil Krieg abgeschafft gehört und deshalb keines Gedankens wert ist. Deswegen wird gar nicht mehr der Versuch unternommen, empirisch-analytisch zu ergründen wann und unter welchen Umständen Mittel der Gewaltanwendung "effektiv" sind.
Und womit würdest Du jetzt im Detail belegen, dass ich mich täusche? Bin gespannt auf Deine Antwort.
MfG