Ich möchte mir gern ein genaueres Bild machen, wie, wann, wo und warum sich Hirten von Bauern trennten und welche Folgen diese Spezialisierungen auf Besitzstände, Lebens- und Geisteshaltung hatten.
Eigentlich interessieren mich alle Hirten, vom Schäfer in der Heide über den Senn in den Alpen und natürlich die eurasischen Reiternomaden.
Bekanntlich findet sich die Bezeichnung "
Nomaden" - d.h. Hirtenvölker bzw. Wanderhirten, die mit ihren Herden umherziehen - als terminus technicus bereits bei antiken Autoren wie Herodot oder Polybios.
Der Nomadismus ist eine sehr komplexe Lebens- und Wirtschaftsform, zu dessen Merkmalen Herdenviehzucht ohne Stallhaltung und jahreszeitlich bedingte Wanderzyklen zwischen Sommer- und Winterweiden zählen. Herdentiere sind - je nach Klima- und Vegetationszone - Schaf, Ziege, Rind, Kamel oder Yak.
Seit undenklichen Zeiten - du hast bereits auf die Bibel verwiesen - gibt es einen Antagonismus zwischen Bauern und Nomaden, zwischen friedlichen Ackerbestellern und kriegerischen oder räuberisch umherziehenden Menschengruppen. Denn wenn die Nomaden nicht selbst ausreichend Bodenbau betrieben, um sich mit pflanzlicher Zusatzkost zu versorgen, so suchten sie ihren Bedarf durch Tauschhandel, erzwungene Tributleistungen unterworfener Bevölkerungsgruppen und gegebenenfalld durch Raubzüge zu decken. Außerdem tauschten sie Vieh und tierische Produkte gegen Handwerkserzeugnisse, Waffen und Luxusartikel, die sie selbst nicht herstellten.
Die Frage nach der Entstehung des
Reiternomadentums konnte von der Forschung bisher nicht zufriedenstellend beantwortet werden, sodass man sich mit Hypothesen behelfen muss. Weder die Dreistufenlehre des Evolutionismus -
Wildbeuter-Hirten-Bauern - noch die These, nach der die reiterische Nutzung des Pferdes auf die Zucht und Haltung des Rentieres zurückzuführen sei, stieß in der Forschung auf einheitliche Zustimmung.
Sicher scheint nur, dass die Ausbreitung des Nomadismus in den Steppen Eurasiens eng mit der beginnenden Nutzung des Pferdes als Reittier verbunden war, während es sich beim Kamel- und Rentiernomadismus um spätere Erscheinungsformen handelt.
Ferner ist die Auffassung verbreitet, dass sich die Anfänge des Reiternomadismus aus einem frühen Steppenbauerntum auf Getreidegrundlage und mit Kleinviehhaltung herleiten. Erst die reiterische Nutzung von Pferden und Kamelen versetzte die Träger dieser Kulturen in die Lage, Steppen- und Wüstenzonen weiträumig zu durchstreifen.
Zu den ersten (bekannten) Reitern, die seit dem 8. Jh. v. Chr. in die Steppen vordrangen, zählen v.a. iranische Völker wie Saken und Skythen, die auf ihren Wanderungen bis in das Gebiet der heutigen Mongolei gelangten, wo sie auf autochthone protomongolische und alttürkische Ethnien stießen, die seit dem 5. Jh. v. Chr. ebenfalls zum Nomadentum übergingen.
Das harte Leben in der Steppe und die ständigen Auseinandersetzungen um Weideplätze und Herden stellten zusammen mit dem Verlangen nach Beute hohe Anforderungen an die Kampfbereitschaft der Reiternomaden. Begünstigt wurde die damit verbundene Expansion der Reiter durch eine überlegene Bewaffnung und Kriegführung, denen die sesshaften Völker und Ackerbauern meist nicht gewachsen waren. Entsprechend widersprüchlich gestaltete daher das Verhältnis der Reiter zu ihren sesshaften Nachbarn. Längere Friedensperioden wurden von Beutezügen unterbrochen, in denen die Reiternomaden nicht mehr durch Handel und Tribute in den Besitz der begehrten Kulturgüter und Agrarerzeugnisse gelangten, sondern zur kriegerischen Expansion übergingen.
Das Auftreten der Nomaden löste in allen Hochkulturen ein großes Echo aus und führte zur Entstehung eines relativ einheitlichen Bildes in chinesischen, vorderasiatischen, byzantinischen und abendländischen Quellen. Reiterinvasionen wurden oft von muslimischen, christlichen oder jüdischen Autoren als grausame aber gerechte Strafe Gottres für Sünden der heimgesuchten Völker empfunden.
Zu betonen wäre noch, dass die Reiternomaden die Ausbeutung sesshafter Völker keineswegs als Unrecht oder Makel empfanden, sondern ganz im Gegenteil einen reichen Beutezug als besonderen Gunsterweis der Götter betrachteten und die Bedeutung des Einzelnen um so höher schätzten, je mehr Beute er heimbrachte. Das Wertesystem und der Moralkodex waren somit von dem sesshafter Völker fundamental verschieden.