Komisch kommt mir vor, dass ich inzwischen weiss, dass du Alles gelesen hast, was ich gelesen habe. Und daher auch alles charakterlich Negative und militärische Versäumnisse des Varus gelesen haben musst und dennoch mit einer solchen Verbissenheit diesen Stümper Varus verteidigst.
Teilweise stehen die Dinge eben gar nicht (so) in den Quellen, wie du sie nacherzählst, und wenn Historiker so naiv wären und es versäumten Darstellungsabsichten herauszuarbeiten und nur die Quellen nacherzählten, dann wäre Geschichtswissenschaft keine Wissenschaft und hätte an den Universitäten nichts verloren. Wenn du den Eindruck hast, ich verteidigte Varus, dann ist das etwas überraschend, denn letztendlich ist meine Botschaft an dich am Ende lediglich die, dass Sym- bzw. Antipathie keine hinreichenden Kriterien sind, um die Qualitäten einer Person als Feldherr zu bewerten.
Historiker diskutieren nur, ob Varus die Allein- oder nur eine Mitschuld trifft.
Nun, ich habe vorige Tage drei Historiker bzw. Archäologen zitiert. Hans Ulrich Nuber, Prof. f. provinzialrömische Archäologie, Achim Lichtenberger, Prof. für Klass. Archäologie und Heidrun Derks, Kuratorin am Museum Kalkriese:
Hans Ulrich Nuber:
P. Quinctilius Varus siegte... als legatus Augusti in Süddeutschland, in:
Imperium - Konflikt - Mythos, Bd. I (
Imperium), S. 106 - 113:
Keines dieser Kommandos hat Varus ohne Zustimmung des Augustus erhalten, d.h. er muss in den Augen des princeps als ein absolut vertrauenswürdiger und als fähig eingestufter Mann abgesehen worden sein. Diese Erkenntnis hatte bei Augustus lange reifen können, denn Varus hat den ersten Teil seiner Karriere, insbesondere die militärischen Kommandos, soweit erkennbar, immer unter den Augen des Augustus ausgeführt. Einzig seine erste mögliche Militärstelle, als tribunus laticlavius kennen wir (noch) nicht.
[…]
Seine Karriere war indessen keinesfalls einzigartig, vergleicht man sie nur mit derjenigen des Sentius Saturninus seines mehrfachen Amtsvorgängers, dem Varus auf allen wichtigen Posten wie in Afrika, Syrien oder Germanien gefolgt war. Wenn für die Katastrophe im Teutoburger Wald überhaupt eine monokausale Erklärung gesucht werden kann, mit einer schlechten militärischen Ausbildung und fehlender Erfahrung lässt sich die Niederlage des P. Quinctilius Varus jedenfalls nicht erklären.
Achim Lichtenberger:
Varus in Syrien. Die Provinz Syria und das Klientelkönigreich Judäa, in:
Imperium - Konflikt - Mythos, Bd. I (
Imperium), S. 160 - 166:
Von 7-4 v. Chr. war P. Quinctilius Varus Statthalter der römischen Provinz Syria. […] Als unter Augustus 27 v. Chr. Provinzen in kaiserliche und senatorische eingeteilt wurden, machte man Syria zu einer kaiserlichen Provinz mit einem legatus Augusti pro praetore, und die Provinz erhielt vier Legionen. Die Statthalter gehörten als ehemalige Konsuln zu den höchstrangigen und erfahrensten Militär- und Verwaltungsfachmännern der römischen Aristokratie. Die strategische Bedeutung der Provinz Syria lag nicht nur darin, die Landbrücke von Ägypten nach Kleinasien zu bilden und wichtige Überlandrouten zu kontrollieren, sondern sie bestand aus Sicht Roms auch in der unmittelbaren Grenzlage zum Partherreich, dem gefährlichsten Gegner Roms im Osten.
Heidrun Derks:
Die Varusschlacht, in:
Imperium - Konflikt - Mythos, Bd. II (
Konflikt), S. 37 - 55:
Aus seinen Aufenthalten als Statthalter im der Provinz Africa sowie in Syrien und Palästina war er [Varus] mit Krisensituationen mehr als vertraut und hatte vielfach unter Beweis gestellt, dass er nicht nur ein hervorragender Diplomat und Stratege war, sondern notfalls auch hart und unerbittlich durchgreifen konnte. Das Bild, das die antiken Autoren später von ihm zeichnen sollten, lässt sch mit diesem Werdegang nur schwer in Einklang bringen. Durchsetzungsschwach, militärisch unerfahren und behäbig […] dürfte der Mann kaum gewesen sein. Und zweifelhaft erscheint auch, dass Augustus einem unfähigen Günstling die Rheinarmee anvertraut haben soll, lässt dich das militärische Aufgebot erahnen, dass man keinen rein formalen Verwaltungsakt erwartete, auch wenn man das tatsächliche Risiko wohl unterschätzte.
Im Übrigen .Ich erfinde nichts, sondern habe in Erinnerung, dass Varus den umfangreichen Tross, darunter Lebensmittel und insbesonders schwere Waffen- die gesamte Artellerie mit 100 Katapulte- hat vernichten lassen.
Um schneller vorwärts zu kommen.
Tja, das ist ein Dilemma, denn das steht in keinerlei Quelle. Du kannst es in den Quellen nicht gelesen haben.
Auch sind keinesfalls alle getötet oder geopfert worden. Manche sind entkommen. Noch 40 Jahre später wurden Gefangene frei gekauft. Wie könnte man sonst den Selbstmord von Varus genau beschreiben und schreiben, dass Varus neben Segestes mehrheitlich von seinen eigenen Offizieren gewarnt wurde. Mindestens ein Zeuge muss also entkommen sein.
Geh doch mal quellenkritisch vor. Cassius Dio, dem du hier folgst, schreibt:
Hauptverschwörer und Anführer bei dem Anschlag wie bei dem Krieg waren neben anderen Arminius und Segimerus, Varus dauernde Begleiter und Tischgenossen. So fühlte sich der römische Feldherr sicher und rechnete mit nichts Schlimmen, all denen aber, welche die Vorgänge argwöhnisch verfolgten und ihn zur Vorsicht mahnten, schenkte er keinen Glauben, ja machte ihnen sogar Vorwürfe, als seien sie ohne Grund beunruhigt und wollten seine Freunde nur verleumden.
Das ist eigentlich der bekannte Narrativ, nur dass Segimer hineingenommen und Segestes herausgeschrieben und durch irgendwelche anonymen „all denen“ ersetzt wird. Diesen Sachverhalt ignorierst du.
Nun läge es nahe, wenn wir NUR Cassius Dio hätten, anzunehmen, dass sich hinter „all denen“ Offiziere zu vermuten. Aber wir kennen nun mal die ältere Version. Aber nehmen wir das Dir zu Gunsten mal an: Die Geschichte stimmte und es waren Offiziere. Meinst du wirklich, dass solcherlei Ratschläge Varus coram publico hinterbracht worden wären?
Aber wie gesagt: Cassius Dio hat hier eine alte Geschichte aufgegriffen, Segestes herausgenommen und durch anonyme Warner ersetzt.
Dann gilt das ebensio für Augustus, den du immer als Verteidiger des Varus heran ziehst.
Das bin doch nicht ich, sondern Nuber (Uni Freiburg), Lichtenberger (Uni Münster) und Derks (Museum Kalkriese). [Das ist Übrigens ein argumentum ad verecundiam par excellence]
Um den Ukrainekrieg geht es hier nicht. Nur um den Automatismus, Velleius sei Militär gewesen und als solcher in seinem Urteil unfehlbar oder etwa frei von Interessen.