Gotische Heiratsverbote haben nun weniger mit den Protobulgaren zu tun.
Auf den ersten Blick klingt das plausibel.
Aber auf einen zweiten Blick bietet es sich dann doch an, die Entwicklungen in den auf weströmischem Territorium (gewaltsam) etablierten Reichsgründungen als Vergleich heranzuziehen. Diese fanden infolge der Schwäche der westlichen Reichshälfte früher statt und hatten einen weniger mächtigen Gegner. Anfangs versuchten die neuen Militäreliten, sich in die weströmische Militäraristokratie zu integrieren (legten Wert auf römische Titel, Übertritt zum Christentum (mal quasi oppositionell arianisch, mal "katholisch"), später agierten sie auf eigene Rechnung. Hierbei zeigte sich, dass sie ein paar Generationen lang "Parallelgesellschaften" entwickelten: z.B. (west)gotisches Recht für "Westgoten", römisches Recht für eroberte/beherrschte Provinzialrömer*). Diese soziale (und cum grano salis ethnische) Trennung enthielt zeitweilig auch ein Eheverbot zwischen "Eroberern und Eroberten"; obendrein, wie
@El Quijote gezeigt hat, spielten konfessionelle Schranken (die damals hochpolitisch waren) eine Rolle in diesem Eheverbot. Allen gemeinsam war die demographische Schieflage "Eroberer/Minorität vs Eroberte/Majorität", die irgendwie ausgeglichen werden musste.
Der zweite Blick nun auf die barbarischen "Reichsgründungen" auf oströmischem/byzantinischem Territorium zeigt: da etablierten sich nicht so viele wie im "Westen" und "der Osten" ging nicht unter, wurde nicht barbarisch transformiert und gestückelt. Zu den wenigen, welche die Kraft aufbrachten, sich auf oströmischem Territorium festzusetzen, gehören die (Proto)Bulgaren. Jetzt gibt es eigentlich keinen zwingenden Grund, die Beobachtungen bzgl der Entwicklungen bei den früheren Reichsgründungen völlig zu vergessen - im Gegenteil, sie bieten sich an, um nach Parallelen aber auch Unterschieden Ausschau zu halten.
Mir scheinen bzgl. des ersten (donau)bulgarischen Reichs folgende Parallelen vorzuliegen:
- demografische Schieflage: anfangs dominiert eine protobulgarische Militärelite provinzialrömische und eingesickerte slawische (siehe slawische Landnahme) Majorität, später auf der Herrschaftsebene protobulgarischer und (süd?)slawischer Adel
- Christianisierung als Politikum: die Entscheidung fällt letztlich zugunsten der oströmischen Kirche, wohl auch, weil sich die päpstliche Seite ungeschickt verhalten hatte. Hier wird zugleich Distanz und "nachbarschaftliche Nähe" zu Byzanz sichtbar.
- ethnisch/soziale Differenzen:
speziell der protobulgarische Adel zettelte einen Aufstand gegen die Christianisierung an
dazu
#8 - - dass dieser Aufstand partout die heidnische
protobulgarische Tradition re-etablieren wollte, deutet darauf hin, dass sich mindestens ein Großteil des protobulgarischen Adels zur Zeit von König Boris I / König Michael, also im späten 9. Jh., als eigene ethnische Gruppe wahrnahm und sich für berechtigt hielt, die politische Ausrichtung zu ändern. Die drastische Reaktion auf diesen Aufstand belegt, wie ernst Michael diese Angelegenheit nahm.
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*) auch bei den Franken spielten sich Krisen ab, welche die ethnischen Differenzen betrafen: die fränkischen Eroberer meuterten, als sie ebenso besteuert werden sollten wie die Eroberten (irgendwo bei Gregor wird das erwähnt)