Das ist so nicht korrekt, Preußen hat nicht die Krone des HRRDN fortführen wollen:
"Nach der Etablierung seines Vertragssystems in Süddeutschland zielte N. darauf ab, das gesamte Reichssystem abzuschaffen. Hierzu übte er jetzt Druck auf Wien aus, die Krone des HRRDN niederzulegen. Aus zwei Gründen...: erstens, wei mit der Konstitution des Rheinbundes der südliche Reichsteil bereits von Wien losgebunden sei, und zweitens, weil der nördliche Reichsteil sich ohnehin seit 1795 dem preußischen politischen Kurs untergeordnet habe. Da das Alte Reich de facto nicht mehr existiere, habe Wien ... keinen Grund, an einen inhaltslosen Titel festzuhalten. Daher beabsichtigte N. auch nicht, die deutsche Kaiserkrone für sich in Anspruch zu nehmen." [1/ Seite 115]
Daraus ergibt sich, dass N. und sein Außenminister erkannt hatten, dass Preußen eine sehr selbständige - und auch aggressive - Politik zur Vergrößerung des preußischen Einflusses betrieb. Sicherlich auch daran erkennbar, dass nur Kurbrandenburg dem HRRDN angehörte und Preußen bisher neutral gegenüber Frankreich geblieben war.
Der am Gleichgewichtsprizip orientierte Talleyrand wollte ein neues Gleichgewicht auf dem Kontinent schaffen und plante dazu neben dem Rheinbund einen äquivalenten Nordbund, nämlich einer nord confédération du de l'Allemagne. "Der Außenminister schlug vor, Preußen durch die Bildung einer norddeutschen Gegenkonföderation unter der Herrschaft eines preußischen Kaisers in das neue System verstärkt mit einzubeziehen, um dadurch das politische Übergewicht des französisch gesinnten Bundes in Mitteleuropa auszugleichen." [1/Seite 119]
Neben den beiden deutschen Bünden sollten das in Pressburg befriedete Österreich und Friedensverträge mit Rußland und England Gleichgewicht und Frieden auf dem Kontinent bringen, aber bekanntlich fanden Jena und Auerstädt, später Tilsit statt.
Grüße
excideuil
[1] Bernstein, Amir D.: Von der Balance of Power zur Hegemonie – Ein Beitrag zur europäischen Diplomatiegeschichte zwischen Austerlitz und Jena/Auerstedt, Duncker & Humblot, Berlin, 2006
Da ich am Sonnabend (u.a. weil Fußball war) keine Zeit mehr hatte, den Beitrag von „excideuil“
vollständig zu lesen bzw. zu überdenken, möchte ich dies nun nachholen.
1) Da das Lehrbuch zur Dt. VerfG von Fritz Hartung seine erste Auflage im Sommer 1914 erlebte
und auch die letzte weit über 40 J. alt ist, können dort naturgemäß neuere Arbeiten (wie das zit.
Werk v. Bernstein aus 2006) nicht mehr berücksichtigt worden sein – trotzdem gilt der „Hartung“
als Klassiker in der verfassungsgeschichtl. Literatur (auch wenn er von Hause aus Historiker und
eben kein Jurist gewesen ist).
Immerhin sind solche „Klassiker“ relativ leicht zugänglich – im Gegensatz zu Spezialliteratur.
Wobei ich bei dem zit. Bernstein auch nicht weiß, welcher Fachrichtung er angehört; dass es nicht
nur bei Methodenfragen Unterschiede zwischen Juristen und Historikern, sondern auch bei den
Fragestellungen (Themen) gibt, dürfte einleuchten.
Wie in Beitrag # 23 zumindest angedeutet, interessieren mich beim Thema „Niederlegung der dt.-
römischen Kaiserkrone am 6.8.1806“ die (verfassungs-)rechtlichen Komplikationen und Folgerungen.
2) Da aber die Bewertung „historischer“ Vorgänge unter juristischen Gesichtspunkten
logischerweise auch die Berücksichtigung sowohl der zeitgenössischen als auch der aktuellen
„Geschichtsschreibung“ erfordert, sind mir Hinweise, wie den auf Bernstein u.a., immer gerne
willkommen.
Insbesondere wenn man solche Fundstellen kontrovers diskutieren bzw. ganz neue Fragestellungen
ableiten kann. So auch bei Bernstein (auf dessen Werk ich leider noch keinen Zugriff hatte, so dass
ich insoweit etwas im Nebel herumstochern muss):
a) Wenn im ersten Zitat aus der Beurteilung, das Alte Reich habe (es wird wohl auf den Zeitraum
Juli/Anfang August 1806 abgestellt) de facto nicht mehr existiert, die Ableitung erfolgt, Napoleon
habe (somit) nicht beabsichtigt, die deutsche Kaiserkrone für sich in Anspruch zu nehmen, ist diese
Schlussfolgerung für mich nicht unbedingt zwingend bzw. die einzig zulässige. Aber wie gesagt,
liegt mir die Fundstelle nicht vor, so dass es dort ja eventuell Fußnoten bzw. Nachweise für diese
Behauptung gibt.
In diesem Zusammenhang möchte ich noch einmal den (Juristen) Otto Kimminich, Dt. VerfG, 1970,
S. 286 (ein ebenfalls relativ leicht zugängliches Fachbuch der Juristerei), bemühen.
Danach habe Napoleon ggü. seinem Onkel, Kardinal Joseph Fesch - genau der, mit dem v. Dalberg
kirchenpolitisch gemauschelt hat, im Februar 1806 sein Bestreben nach dem echten
(karolingischen) Kaisertum geäußert – leider gibt auch Kimminich hierfür keine Fundstelle /
Nachweise an.
Aber besonders interessant finde ich die weiteren Ausführungen des von mir zit. Kimminich auf S.
286: „Diese Hinwendung Frankreichs zur Reichs- und Kaiseridee in einem Augenblick, in dem
Deutschland sich anschickte, dieser Idee den Rücken zu kehren und sich einem nationalstaatlichen
Denken zuzuwennden, widersprach völlig den Lehren der Geschichte.“
Des Weiteren S. 287: „Napoleon hatte das richtige Gespür für die Empfindungen des französischen
Volkes, als er sich zum 'Kaiser der Franzosen' krönte. Kaiser des Heiligen Römischen Reiches, d.h.
Herr des Abendlandes, hätte er wohl als Nachfolger des deutschen Kaisers werden können. Vieles
deutet darauf hin, daß er dieses Ziel erstrebte, ...“
Jetzt mag man diese Formulierungen für „pathetisch“ oder für zu undifferenziert ansehen, aber auch
der Kurerzkanzler v. Dalberg schien wohl versucht zu haben, diese Intention bei Napoleon zu
deuten (vgl. Willoweit, Dt. VerfG., 4. Aufl., 2001, S. 228).
Noch nebenbei bemerkt, habe ich an anderer Stelle auf die Geschichtsklitterung Napoleons im
Zshg. mit dem Merowingerkönig Chlodwig hingewiesen.
Zumindest der bloße Verweis auf die Ausführungen Bernsteins, der eine Absicht Napoleons auf die
deutsche Kaiserkrone ablehnt, überzeugt mich daher nicht unbedingt.
Aber das ist eigentlich gar nicht meine Fragestellung. Mich interessiert (wie bereits gesagt)
vielmehr die verfassungsrechtliche Situation Juli/August 1806 und in der unmittelbaren Folgezeit.
b) Unter diesem Gesichtspunkt ist die Fundstelle bei Bernstein doch nicht ganz uninteressant:
Da dort ja auch auf 1795 abgestellt wird – bekanntlich der Separatfrieden Preußens mit Frankreich
zu Basel, wodurch Preußen bewusst gg. Reichsgesetze verstoßen hatte – und in der Diplomatie
schon immer verschlungene Wege gegangen wurden, könnte es daher vorstellbar sein, dass bereits
zu diesem - recht frühen – Zeitpunkt (also ganz ohne Zutun Bonapartes) zwischen Frankreich und
Preußen gewisse Überlegungen in die von Bernstein skizzierte Richtung eines „preußischen
Kaisertums“ - zumindest dem Grunde nach – angestellt wurden ???
Dieser Gedanke ist mir, nachdem ich mehrmals die Fundstelle gelesen habe, gekommen (also ins
„Unreine“ gedacht).
Ich will also keinesfalls die Behauptung aufstellen, bereits anlässlich des Friedensschlusses zu
Basel sei dies explizit und ausführlich auf oberster Ebene diskutiert worden.
Wenn aber in der damaligen französischen Administration die Neutralität Preußens konstatiert
wurde, was spräche dann dagegen, den von mir ganz vage formulierten Gedanken aufzunehmen ?
Es wäre zumindest höchst interessant, gäbe es einen verifizierbaren Zusammenhang zwischen der
preußisch-französischen Politik der Annäherung im Jahre 1795 und dem von Außenminister
Talleyrand entwickelten Plan der „Bildung einer norddeutschen Gegenkonföderation unter der
Herrschaft eines preußischen Kaisers“.
Gedanklicher Ansatz könnte nämlich der nur 10 Jahre zuvor geschlossene „Fürstenbund“ sein, der
ja bekanntlich unter preußischer Federführung mit dem Ziel, der Machterweiterung Österreichs
entgegenzutreten, initiiert wurde.
Dann hätte Preußen tatsächlich den „Todesstoß für das Reich“ (Heinrich Mitteis) gesetzt.
Vielleicht sollte dieser Gedanke aber – allein aus Gründen der Übersicht – in einem separaten Thema verfolgt werden.
Zu den beiden neueren – ebenfalls sehr interessanten und detailreichen - Beiträgen werde ich mich
noch mal gesondert „melden“. Da ich nicht jeden Tag im Netz bin, kann eine Antwort schon mal 1 –
2 Tage dauern; keine böse Absicht !
Auf konstruktive Kritik und Antworten hoffend, Götz zum Gruß.