Würdet ihr sagen, dass Alexander eine aktive Politik der Völkerverschmelzung mit der Vision einer ‚unity of mankind‘ (Tarn) betrieb oder die Tatsache, dass er Perser und Griechen zusammenbrachte, einzig und allein darauf zurückzuführen ist, dass er die ‚Harmonie‘ der Völker brauchte, um seinen Eroberungszug erfolgreich fortzuführen? Also vielleicht gar nicht vordergründig das Ziel verfolgte einen ‚Mischmensch‘ zu kreieren, sondern (wie so oft) an den Ausbau seiner Macht festhielt?
Schwer zu sagen. Ich würde primär Zweiteres vermuten, allerdings mit einer Prise von Ersterem.
Alexander war vermutlich klar, dass es schwierig würde, sein Weltreich dauerhaft zusammenzuhalten, wenn er die zahlreichen unterworfenen Völker lediglich als Untertanen behandelte, die von einer dünnen makedonischen Oberschicht beherrscht werden. Für ein stabiles Reich war es sinnvoll, den Untertanen einerseits eine Perspektive zu geben, selbst in Militär und Verwaltung aufsteigen zu können, und ihnen andererseits zu signalisieren, dass er sie nicht bloß als Unterworfene betrachtete, sondern sich auch ein bisschen als einer von ihnen sah. In erster Linie dürfte es ihm aber um militärische Aspekte gegangen sein: Makedoniens Personaldecke war dünn, sein Rekrutierungspotential begrenzt, und sein Feldzug war auch für Alexander nicht ohne Verluste abgegangen, mal abgesehen von der Notwendigkeit, Garnisonen zu hinterlassen. Wenn ihm nicht irgendwann seine Soldaten ausgehen sollten, musste Alexander Truppen aus seinen neuen Untertanen rekrutieren. Vermutlich wollte er sich damit auch unabhängiger von seinen Makedonen machen, die in ihrem König eher einen von ihrer Zustimmung abhängigen Heerkönig, einen primus inter pares, sahen als einen absoluten Monarchen und entsprechend aufmüpfig waren. Dass er seine neuen Truppen nicht bloß als billiges Kanonenfutter verwenden wollte, um seine Makedonen zu schonen, zeigt sein Programm, 30.000 junge Perser im makedonischen Stil ausbilden zu lassen.
Davon abgesehen scheint Alexander aber tatsächlich vom Orient und dessen Kulturen fasziniert gewesen zu sein. Dass er sich zunehmend orientalisch gab, dürfte nicht nur PR gewesen sein, um sich seinen neuen Untertanen angenehmer und als neuer König akzeptabler zu machen, sondern tatsächlich seiner eigenen Neigung entsprungen sein. Das bedeutet aber nicht unbedingt, dass er, von einer Vision getrieben, einen echten "Mischmenschen" kreieren und Völkerverschmelzung betreiben wollte. Die Massenhochzeit in Susa hatte wohl nicht den Zweck der Zeugung von Einheitsuntertanen, sondern wohl einerseits, den orientalischen Adel durch Verschwägerung mit makedonischen Heerführern an den König zu binden, andererseits die längst bestehenden Beziehungen vieler seiner Soldaten mit einheimischen Frauen auf eine solide Basis zu stellen.
Für den Plan einer "Völkerverschmelzung" spricht, dass Alexander - zumindest seinen hinterlassenen Papieren (deren Authentizität weiter oben angezweifelt wurde) zufolge - größere Bevölkerungsaustäusche und Umsiedlungen plante. Das könnte aber auch den Hintergrund gehabt haben, regionale/nationale Identitäten und Widerstandspotential zu schwächen (wie schon bei den Umsiedlungsprogrammen der Assyrer) oder bevölkerungsschwache Regionen zu besiedeln. Seine Stadtgründungen hatten durchaus Garnisonscharakter. Es ist auch nicht klar, welcher Umfang ihm da wirklich vorschwebte. Aber auch wenn es ihm tatsächlich um eine Völkerverschmelzung ging, bedeutet das nicht unbedingt, dass dem eine Vision zugrundelag, sondern eher machtpolitisches Denken, wie von Joinville beschrieben.