Mich verwundert das ganze irgendwie sehr. Hast du vielleicht ein paar kritische Stimmen / Aufsätze / Werke zu dieser Thematik gefunden, bzw. parat? Also jemanden, der die Sache mal etwas nüchterner betrachtet und die Behauptung von Alexanders "Menschheitsidee" argumentativ widerlegt?
Das passiert wohl, wenn man sich erstens zu weit von den Quellen entfernt und zweitens in eine Gestalt das hineininterpretiert, was man in ihr sehen möchte. Da können dann Selbstläufer entstehen, die sich verselbstständigen und mit den Quellen nicht mehr viel zu tun haben. Denn bei aller Bewunderung, die die antiken Autoren Alexander entgegenbrachten: Unkritisch sahen sie ihn nicht (wenngleich sie eher anderes kritikwürdig fanden als wir heute), und von einem Weltfriedensplan schrieben sie auch nichts.
Dazu hätte ich doch ein konkretes Beispiel.
Da wäre z. B. sein brutaler Feldzug gegen die Kossaier.
In Indien hat sich Alexander der Forderung seines Heeres zur Umkehr gebeugt. In Opis erlaubte er den revoltierenden Truppen den Rückmarsch in die Heimat.
Seine Armee war ja auch seine Machtbasis. Mit ihr konnte er es sich freilich nicht komplett verscherzen, er war auf sie angewiesen.
Und wenn jetzt mal wieder die Zerstörung von Theben angeführt wird, dann ist dazu anzumerken, dass Alexander dort als Hegemon des korinthischen Bundes einen Beschluss des Synhedrion gegen ein abtrünniges Bundesmitglied umgesetzt hatte.
Formal stimmt das. Aber die Versammlung hätte nach der Eroberung Thebens wohl kaum anders als in etwa Alexanders Wünschen entsprechend zu entscheiden gewagt, außerdem waren vor allem Vertreter der alten Rivalen Thebens anwesend.
Tyros war vielleicht nicht direkt ein Aufstand, es ging "nur" um das Opfern im Melkarttempel. Aber auch hier reagierte Alexander mit äußerster Brutalität.
Tyros war kein Einzelfall, Gaza z. B. erging es nicht viel anders. Wenn eine Stadt Alexander härteren Widerstand leistete, ging er nach ihrem Fall mit großer Härte gegen sie vor. Das war in der Antike zwar nicht ungewöhnlich, zeigt aber, dass, wie Du selbst schon angemerkt hast, Alexanders Einstufung als Friedensbringer und Humanist ungerechtfertigt ist.
Folgt man Quellen der Zeitgenossen, so schwebte Alexander eine Verschmelzung von Griechen und Iranern zu einer einheitlichen Reichsbevölkerung vor.
Selbst wenn uns das heute völlig unrealistisch erscheint, so ist es doch eine kühne Utopie.
Aber nicht im heutigen Sinn und wie sie heute gerne interpretiert wird. Die heutige europäische Einigung z. B. erhebt den Anspruch, einen Raum der Demokratie, der Freiheit, des Rechts, der Sicherheit und des Wohlstands zu schaffen. Im Mittelpunkt soll der europäische Bürger stehen, die Einigung soll ihm nützen, um in Freiheit und Wohlstand und ohne Angst vor Kriegen der Nationalstaaten untereinander leben zu können. Für Alexander hingegen waren seine Untertanen nicht Selbstzweck, sondern Mittel zum Zweck.
Ich sehe allerdings keinen besonders moralisierenden Blick auf Alexander, sondern eher einen idealisiert überhöhenden.
Sehe ich auch so.
Niemand würde Kyros oder Dareios als Friedensstifter oder Völkervereiniger glorifizieren
Na dann lies' einmal Wielands unvollendetes Epos "Cyrus" ...
Irgendwelche Glorifizierer finden sich wohl bei jedem großen Eroberer und Erschaffer/Herrscher eines Großreichs.